Scham und Schande – Die Kirchen und die Heimkinderdebatte
Das Medium ist die Botschaft
Für die Leser meines Blogs enthält mein Essay in »Deutsches Pfarrerblatt, Die Zeitschrift Evangelischer Pfarrerinnen und Pfarrer« nichts Neues. Ich gebe dort einen Überblick über den derzeitigen Stand.
Interessant ist das Medium: Der erste Beitrag der Ausgabe dieses Monats präsentiert einer Vielzahl meiner Kolleginnen und Kollegen die Heimkinderproblematik, die vorrangig eher eine kirchliche sein sollte. Der Aufsatz wurde – mit meiner Zustimmung – geringfügig gekürzt, ganz einfach, weil er zu lang war. Eine inhaltliche Zensur hat nicht stattgefunden.
Ich freue mich, daß es möglich war, an dieser Stelle einen für die Kirche sehr heiklen Sachverhalt kritisch darstellen zu können und bin gespannt, ob ich ein Echo erhalte – und was für eins.
Die Langfassung des Aufsatzes ist hier zu lesen:
Die Pfarrerblattfassung:
Über Ihren Artikel zum Stand der Heimkinderdebatte kann man sich nur dankbar freuen. Fasst er doch zusammen, wie es zur immer stärkeren Öffentlichkeitsarbeit der Heimopfer und ihrer Sympathisanten kam. Damit haben Sie den aktuellen Stand wiedergegeben. Weil Ihre Analyse zur Mediennutzung durch die Heimkinder so zutreffend ist, erlaube ich mir, sie an dieser Stelle einzufügen:
„Interessanter scheint mir der Aspekt der Mediennutzung durch die Heimkinder. Ich möchte
behaupten, daß ohne das Internet und die preiswerten Kommunikationsmöglichkeiten über
Mail und Telefon die Debatte nie diese Wirkung entfaltet hätte. Allein an den Quellenangaben
in den Fußnoten dieses Artikels, die nur eine kleine Auswahl bieten, kann man die Bedeutung
des kollektiven Nachrichtenspeichers world-wide-web erkennen. Oft erhielt ich Informationen
über Vorkommnisse in Deutschland zunächst als Mail über Kontinente hinweg. Das Telefon
ermöglichte mir nachts und halb um die Welt eine Akut-Intervention auf einen
Retraumatisierungsschub (»Helfen Sie mir, ich sitze wieder in dem Kabuff, in das sie mich
eingesperrt hatten!«). Mit den neuen medialen Möglichkeiten ist eine Waffe des „kleinen
Mannes“ entstanden. Er kann Schicksalsgenossen ausfindig machen, sich verbünden,
Informationen finden – und erhält schließlich auch Platz in den etablierten Medien von
Fernsehen und Zeitung. Heimkinder knüpfen heute sehr schnell Kontakte mit den Opfern in
Irland oder stoßen die Diskussion in Österreich an. Mit den neuen Medien erleben wir nicht
nur einen Demokratisierungsschub, sondern die neue Version der Geschichte von David und
Goliath. Dies scheint Goliath noch nicht richtig wahrgenommen zu haben.“
Es ist wirklich so: Die Heimopfer brauchen viele Freunde. Sie brauchen Wissenschaftler, Psychologen und in der Öffentlichkeit stehende Menschen, die helfen, ihre berechtigten Interessen zu unterstützen.
Eines ihrer Freunde ist zweifellos das Internet. Erinnern wir uns an die 70er Jahre, so wissen wir, dass etliche Bücher aber auch Filmbeiträge zu dem Thema „Gewalt in Heimen“ erschienen sind. Etliche Beiträge haben auch in Zeitungen gestanden, aber wie heißt das alte Journalistenwort: Nichts ist älter als die Zeitung von gestern. Erst durch das Internet geht nichts mehr so schnell verloren. Bücher waren schnell vergriffen, Zeitungen wurden zu Altpapier. Im Internet wird alles irgendwohin immer wieder vervielfältigt. Die Täterseite kann sich nicht mehr darauf verlassen, dass die Verbrechen an hilflosen Menschen aus den Köpfen der Leser verschwinden. Sie wird immer wieder mit den Schweinereien ihrer Vorgänger konfrontiert. Insofern hat sich die Rolle gewandelt: Der Goliath sind nun die Heimopfer. Je mehr sie veröffentlichen, desto größer werden die Archive der Gewalt. Sie werden zum Ersatz für gefälschte, plötzlich im Keller abgesoffene oder einfach vorenthaltene Akten. Damit befinden sich die Homepage-Betreiber aber auch in der Verantwortung für faire Berichterstattung. Sie werden quasi zu Journalisten, ohne dafür ausgebildet zu sein. Darum müssen sie sorgfältig abwägen, was sie veröffentlichen. Die Freie Arbeitsgruppe JHH 2006 kommentiert beispielsweise keine Berichte auf ihrer HP. Sie lässt das Dokumentationsmaterial für sich sprechen. Wenn sich nun immer mehr Homepage-Betreiber vernetzen und versuchen, zu übersichtlichen Seite zu kommen, in denen man nicht wühlen muss, um an bestimmtes Informationsmaterial zu gelangen, dann wird die Kraft der Heimopfer noch größer.
Ich verstehe beispielsweise nicht, dass auf den allermeisten Homepages die Schicksale der Heimopfer nicht gleich auf der ersten Seite oder unter dem ersten Button abgerufen werden können. Man findet sie irgendwo versteckt. Und das freut natürlich die Vertreter der Täterseite. Ich wünschte mir einen großen Pool, in dem alle Opferschicksale wie in einer Datenbank aufgelistet sind. Die Darstellung der Gewalt an so konzentrierter Stelle würde nochmehr die Augen für das Unrecht öffnen, als es bisher geschieht.
Helmut Jacob
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