Dierk Schaefers Blog

Gegen Verdächtigungen: Gauck for president!

Posted in Kirche, News, Politik, Theologie by dierkschaefer on 17. Juni 2010

Den Kommentar von Bert Steffens (s. unten) möchte ich gern direkt im Blog beantworten.

Es ist vom Aufwand her verdienstvoll, daß Sie sich, sehr geehrter Herr Steffens und freier Philosoph, die Mühe gemacht haben, ausführlich über die Bande zu informieren, die einen Pfarrer an seine Kirche ketten. Aber: Si tacuisses … Hätten Sie doch geschwiegen, dann wären Sie ein Philosoph geblieben.

Bei aller Informiertheit in Kirchenordnungen und Pfarrerdienstrecht haben Sie übersehen, welchem Herrn ein Pfarrer, wie auch jeder Christ dient (»Ein Christ ist immer im Dienst« Otto Dibelius), wenn ich einmal den Begriff des Dienens beibehalte; ein Begriff aus der Religionsgeschichte und aus Zeiten, in denen man sich Gott noch als orientalischen Despoten vorstellte. Seiner Kirche „dient“ ein Pfarrer erst in zweiter Linie, so, wie jeder Beamte dem Staat, und auch Angestellte stehen in einem gewissen Loyalitätsverhältnis zu ihrem Arbeitgeber. Das alles betrifft die aktive „Dienstzeit“.

Wenn ein Pfarrer im aktiven Dienst ein politisches Amt übernimmt, wird er, zumindest in der württembergischen Landeskirche, in den „Wartestand“ versetzt, damit keine Interessenkollisionen entstehen. Erst mit Beendigung des politischen Mandats wird der Pfarrer in seinem Pfarramt wieder aktiv.

Wenn Sie allerdings argwöhnen, schon die „Dienstbarkeit“ gegenüber Gott disqualifiziere für ein politisches Amt, dann kann ich Ihnen wirklich nicht helfen, weil Sie damit Gewissensentscheidungen generell unter Verdacht stellen. Auch ein Eid auf den Staat kann problematisch sein/werden; der Eid auf den Führer war es und auch der auf die sozialistische Gesellschaft. So einfach, wie Sie es annehmen, sind Loyalitätskonflikte jedenfalls nicht zu lösen.

Anscheinend haben Sie sich auch nicht in meinem Blog umgeschaut. Ich bin ordinierter Pfarrer (im Ruhestand). Schauen Sie sich um und sagen Sie mir, ob ich mit Haut und Haar – und Gewissen – ein „Mann der Kirche“ bin oder ein frei denkender Mensch.

Nur zur Ergänzung: Trotz meiner freien Äußerungen zu kirchlichem Verhalten in Sachen ehemaliger Heimkinder und Mißbrauch: Ich habe bisher noch nie den Eindruck bekommen, die Kirche wolle mich gängeln oder zum Schweigen bringen. Mein umfangreicher Aufsatz zur Heimkinderdebatte erschien ohne inhaltliche Kürzung oder ein einschränkendes Vorwort in der Maiausgabe des Deutschen Pfarrerblattes an erster Stelle.

https://dierkschaefer.wordpress.com/2010/05/15/scham-und-schande-die-kirchen-und-die-heimkinderdebatte/

Dem „freien Philosophen“ kann ich nur den Rat geben, den der (heilige) Augustin von einer Kinderstimme hörte (gehört haben soll): »Nimm und lies!«.

Viele Grüße

Dierk Schäfer

Übrigens: Ich wünsche mir den glaubwürdigen Menschen Gauck zum Präsidenten. Er ist auch Pfarrer. Das disqualifiziert ihn nicht, trotz der Anwürfe von Herrn Lafontaine und der Partei der „Linken“.

Von einem Herrn Lafontaine würde ich übrigens keinen Gebrauchtwagen kaufen und ihn erst recht nicht als Deutschlands Präsidenten sehen wollen. Denn Lafontaine erscheint mir nun gründlich unglaubwürdig.

Der Kommentar von Herrn Steffens ist unter meinem Blog-Eintrag zu finden:

https://dierkschaefer.wordpress.com/2010/06/07/%C2%BBangst-vor-gegenstimmen-polit-profis-sollen-super-gauck-verhindern%C2%AB/

5 Antworten

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  1. Bert Steffens said, on 22. Juni 2010 at 10:14

    Erwiderung auf Pfarrer Dierk Schäfers Kritik zu meinem Beitrag
    „Joachim Gauck? Kein Diener zweier Herren im höchsten Amt!“

    Sehr geehrter Herr Schäfer,

    zunächst danke ich, dass Sie sich auf eine Diskussion zur Sache eingelassen und auch dafür, dass Sie auf meine Bitte hin meinen Text auch in Ihrem Blog zugreifbar gemacht haben. Das alles ist nicht zwingend, denn Herr Ihres Blogs sind Sie. Ich hoffe zudem, dass Sie auch nachfolgenden Text nicht unterdrücken.
    Nun zu meiner Erwiderung auf Ihre Kritik.

    Nein – ich wusste nicht, dass Sie ordinierter evangelischer Pfarrer im Ruhestand sind. Jetzt weiß ich es und das macht eine Antwort auf Ihren engagierten Text um so leichter.
    Wie Sie lesen können, schweige ich nicht. Auch die oft zitierte, herablassende und selbstherrliche Antwort eines sonst außerordentlich befähigten Boëthius („Intellexeram, si tacuisses“) ändert daran nichts, denn die Frage bleibt: Wer hat denn den spätrömischen Politiker Boëtius zum Philosophen ernannt – die Götter Roms etwa? Allzu schnell richten sich solcherlei Sprüche gegen den Absender. Versuchen wir also mit eigenem Verstande und Fakten zu überzeugen.

    Ihre Kritik krankt u. a. an der Tatsache, dass Sie etwas erörtern und verteidigen, was ich selbst nicht bestritten habe. Natürlich kann auch ein evangelischer Pfarrer ein „frei denkender Mensch“ sein. Frei Denken kann selbst der in Fesseln Liegende. Ich sprach von den Schranken, denen sich ein Ordinierter freiwillig unterworfen hat: Den religiösen Pflichten und Gesetzen seiner Kirche in Form eines lebenslangen Dienst- und Treueverhältnisses. Wenn man allerdings davon ausgehen soll, dass der ordinierte evangelische Pfarrer Joachim Gauck – und um den geht es hier – dieses lebenslange Dienst- und Treueverhältnis nicht ernst nimmt – dann allerdings öffneten sich zur Person Gaucks völlig neue Gesichtspunkte.

    Im Hinblick auf den von Ihnen kritisierten Text hilft mir Ihr Augustinus-Zitat („tolle, lege“) aus dem 8. Buch seines dichterischen Werkes „Bekenntnisse“. Diese Aufforderung „Nimm es, lies es, nimm es, lies es!“, die Augustinus aus einem Nachbarhaus („Haus Gottes“?) gehört haben will, fand bereits in der griechischen Literatur Verwendung. Ich richte diese Aufforderung nun auch an Sie, denn:
    Wären Sie meinen Text bis zum Schlusse gefolgt, dann hätten Sie auch erkannt, dass es Gauck, wie Sie schreiben, nicht „disqualifiziert“ Bundespräsident zu werden weil in einer „Dienstbarkeit“ gegenüber (unmissverständlicher wäre „Dienst für“) seinem Gott steht, sondern weil Gauck ein Mensch ist, der von Berufs wegen, also freiwillig, als ein lebenslang Verpflichteter und Unterworfener unter den Gesetzen einer Glaubensgemeinschaft, der Evangelischen Kirche Deutschlands steht. Das hat zur Folge:
    Ein Bürger, der es zu seinem Beruf gemacht hat, Anhänger einer Religion zu sein, kann nicht gleichzeitig im höchsten Staatsamt, dem eines Bundespräsidenten, unparteiisch Dienst tun. Der ordinierte Joachim Gauck setzt sich – wie andere Pfarrer auch – durch seine lebenslange Verpflichtung völlig von den übrigen Anhängern seines Glaubens und den übrigen Bürgern ab, weil diese sich nicht einem Kirchenrecht unterworfen haben.
    Diese Unterwerfung bestätigen Sie ja selbst: Sie verweisen ausdrücklich auf die „Dienstbarkeit eines Pfarrers gegenüber Gott“. Wie also könnte ein ordinierter evangelischer Pfarrer, der zugleich Bundespräsident ist, im Einklang mit seinen kirchlichen und religiösen Pflichten ein neues Gesetz gegenzeichnen, das beispielsweise die Sonderrechte der Kirchen beseitigt oder auch nur beeinträchtigt oder den ethischen Vorstellungen seiner Kirche entgegensteht? Welcher Pflicht soll er dann unterliegen: Der eines Bundespräsidenten gemäß dem Grundgesetz oder der eines Pfarrers gemäß den Kirchengesetzen?
    Ich kann es nur wiederholen: Niemand kann zwei Herren dienen! Niemand kann den Pflichten eines Bundespräsidentenamtes und zugleich einer religiösen Gemeinschaft dienen, der von Berufs wegen einem lebenslangen Dienst- und Treueverhältnis unterworfen ist. Die evangelische Kirche und ihr Kirchenrecht weiß sich allein der biblischen Botschaft verpflichtet (Pfarrer H.-E. Dietrich, Deutsches Pfarrerblatt 6/2006). Erschwerend hinzu kommt noch, dass – auf Grund der sogenannten Kirchenverträge – die Evangelische Kirche Deutschlands und ihre Amtsträger nicht in dem Umfang der „Gleichheit vor dem Gesetz“ gemäß Artikel 3 GG unterworfen sind, wie die Mehrheit der Bürger, die außerhalb des Kirchenrechts stehen. Welch eine Verwirrung! So hält das Bundesverfassungsgericht beispielsweise in seiner Entscheidung vom 09.12.2008 (2 BvR 717/08) fest, dass das kirchliche Selbstbestimmungsrecht Verfassungsgarantie (gemeint ist die Garantie des Grundgesetzes aus Artikel 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV) sei, ohne selbst aus der staatlichen Rechtsordnung ausgeklammert zu sein. Welch ein Widerspruch im Grundgesetz! Die Grundrechteregel „Gleichheit vor dem Gesetz“ bedeutet ausnahmslos für jeden Bürger nicht nur „Anspruch auf“, sondern auch „Pflicht zu“. Die Grundrechte verletzenden Regeln aus Art. 140, resp. der WRV sind unerträglich. Ebenso unerträglich wäre es, wenn ein Bundespräsident nicht nur dem Grundgesetz und den nachgeordneten Gesetzen, sondern zugleich Kirchengesetzen unterworfen wäre und auf diese Weise in die Widersprüche zweier Rechtsordnungen und ethischer Überzeugungen geriete!
    Auf die meine Feststellungen stützenden Artikel des Grundgesetzes habe ich bereits im Einzelnen ausreichend Bezug genommen. Aber ich sage auch, dass der Einsatz des Verstandes, genauer der Erkenntnisfähigkeit, wichtiger ist als die Kenntnis des Grundgesetzes. Auch Ihre Erkenntnisfähigkeit sagt Ihnen, dass im höchsten Staatsamt kein durch lebenslange Verpflichtung Befangener, sprich ein in seinen Entscheidungen nicht völlig freier Bürger tätig sein darf.

    Man kann, wie nachstehend versucht wird, das vorbeschriebene Problem auch unter Beachtung des Bibeltextes betrachten, wenngleich dies rechtlich, das heißt hier aus Sicht des Grundgesetzes, unerheblich ist. Dieser theologische Versuch ist allerdings dann zwecklos, wenn es stimmt, was Pfarrer Roland Reuter („Hilfsstelle für Ev. Pfarrer“, Moers) befürchtet: „Die Kandidaten der Theologie lernen, die Texte [der Bibel] besser zu verstehen, als die Autoren sie selbst verstanden haben. Dieses „Bessere Verständnis“ reicht bis zum Gegenteil des Wortsinns. Die kirchliche Theologie geht unter dem Deckmantel der „Hermeneutik“ den Juristen in der Verdrehung der Sprache voran.“ (ursprünglich in „Mut und Ethik, Aufgaben der Gesellschaft zur Sicherung der Demokratie“, Zürich 1996).
    Sie legen gleich zu Anfang Ihrer Kritik dar, dass ein evangelischer Pfarrer insbesondere Gott und nicht seiner Kirche diene. Es erscheint dann aber wie ein schlechter Witz, dass dieser Dienst an Gott bei Übernahme eines politischen Amtes – wie Sie ausführen – in „den Wartestand“ versetzt werden kann. Zugleich zitieren Sie einen Satz, den Otto Dibelius (1880-1967) gegenüber Hanns Kerrl, dem Reichsminister für kirchliche Angelegenheiten einst geäußert hat: „Ein Christ ist immer im Dienst“. Irrte Dibelius hier oder hatte er nur den „Wartestand“ eines Pfarrers vergessen? Ist ein durch Ordination eingegangenes lebenslanges Dienst- und Treueverhältnis vergleichbar mit einem üblichen Arbeitsvertrag, den man kündigen und dann wieder erneut schließen kann? Ist die Liebe zu seinem Gott, der einen Menschen in Amt eines Pfarrers hält und gebracht hat vorübergehend kündbar? Hat nicht gemäß der Bibel Jesus Christus auf die Frage nach dem höchsten Gebot u. .a. geantwortet: „Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele, mit all deinen Kraft.“ (Markus 12, 30)? Hat nicht Martin Luther mehrfach festgestellt, „…dass das kirchliche Amt auf einer Stiftung Christi beruht und nicht aus dem Priestertum aller Getauften ableitbar…“ ist (siehe den 2007 verstorbenen Theologen Heinz Schütte „Wie sah Luther das geistliche Amt in der Kirche?“, Die Tagespost 10/2002)? Hat nicht auch Paulus in seinem zweiten Brief an Gemeindevorsteher Timotheus (2 Ti 1, 6) klar zum Ausdruck gebracht, dass er (Timotheus) als der Amtsträger ein besonderes „Charisma“ (Gnade) habe, das nicht auf den Getauften, vielmehr nur auf ihn übergegangen sei?
    Wenn dies alles für den evangelischen Christen und ordinierten Pfarrer Joachim Gauck nicht mehr gilt, dann soll der Bundespräsidentschaftskandidat Gauck dies öffentlich sagen und erst dann auch so handeln, wenn er seine Glaubwürdigkeit nicht verspielen will.
    Glaubwürdig ist man nicht, weil man Christ oder nicht Christ ist, sondern weil man zu seinen Überzeugungen und Verpflichtungen steht. Erfahren diese einem Wandel, dann sollten jene Mitmenschen, die einem wichtig sind davon Kenntnis erhalten. Im Falle des Bundespräsidentschaftskandidaten Gauck ist dies die Öffentlichkeit.

    Die Erkenntnisfähigkeit ist das wesentliche kennzeichnende Merkmal der Spezies Homo sapiens. So kann jeder Mensch auch erkennen: Er ist im eigenen Interesse zum Dienst in der Menschengemeinschaft aufgerufen, je nach seinem mentalen Vermögen und seinen tatsächlichen Möglichkeiten. Um dies zu erkennen muss man nicht Pfarrer sein oder sich zu einem religiösen Bekenntnis zugehörig fühlen. Diese Pflicht beruht auf dem Erkennen jedes Menschen, dass er selbst der Liebe, Achtung, Fürsorge und des Mitleids seiner Mitmenschen bedarf und er selbst dies alles in dem Maße weitergeben muss, das ihm möglich ist.
    Erwähnt man aber, so wie Sie es als Christ getan haben, einen Dienst an Gott, dann sollte man einen Verbreiter von speziellen Herrenmenschenideen, den evangelischen Pfarrer Otto Dibelius, einst Generalsuperintendent der Kurmark, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche Deutschlands usw. nicht nennen, weil dieser beispielsweise am 26.07.1933 Wert auf die Feststellung gelegt hatte, dass er bereits als Student „im Kampf gegen Judentum und Sozialdemokratie gestanden habe.“ Kein positives Beispiel ist jener Otto Dibelius, der feststellte, er habe sich „immer als Antisemiten gewusst. Man kann nicht verkennen, dass bei allen zersetzenden Erscheinungen der modernen Zivilisation das Judentum eine führende Rolle spielt.“ Auch nicht ein Otto Dibelius, der, um eine Einwanderung von Juden nach Osteuropa zu verhindern, als Lösung der „Judenfrage“ vorschlug: „Die Kinderzahl der jüdischen Familien ist klein. Der Prozess des Aussterbens geht überraschend schnell vor sich.“ Auch sollte man – mit Blick auf die von Pfarrer Gauck bekannt gewordenen Haltung zum auch von Deutschland geführten Krieg in Afghanistan – einen Pfarrer Otto Dibelius nicht beispielgebend anführen, der während des Ersten Weltkrieges die deutschen Soldaten als für das „Siegeszeichen Christi“ Kämpfende sah, die einen „heiligen Krieg“ gegen die Feinde Gottes und der Deutschen führten.
    Pfarrer Joachim Gauck, der Bundespräsidentschaftskandidat, sagt solche Sätze nicht. Er begnügt sich – betreffend des mörderischen, grundgesetzwidrigen Kriegseinsatzes in Afghanistan – mit haarsträubenden Sätzen, wie „Ich kann ertragen, dass wir dort sind.“ Sicher – er kann’s ertragen. Sein Leben ist dort nicht gefährdet. Aber – er hält es dennoch „nicht für besonders erwachsen“ die „Solidargemeinschaft der Kämpfenden“ zu verlassen.
    Ich kann nicht beurteilen, ob Ihre Erwähnung des Otto Dibelius mit Wissen um dessen spezielle Herrenmenschenideen oder aus Nichtwissen darum geschah. Für den ersten Fall könnte ich aber formulieren – ihre Erwähnung des Boëtius aufgreifend: Hätten Sie nicht ausgerechnet Dibelius als Beispiel für den Dienst an Gott erwähnt, hätte ich Sie für einen frommen Menschenfreund gehalten. Ich will es aber trotzdem tun.

    Auf einen Punkt gebracht: Nein – wir, die deutschen Bürger, von denen alle Staatsgewalt in unserem Staate ausgeht (Art. 20 Abs. 1 S. 1 GG), wollen weder einen evangelischen, noch ein katholischen Pfarrer oder Bischof, noch einen Imam oder Mullah im höchsten Staatsamt. Die Mitglieder eines solchen Personenkreises sind schon mit ihrem jeweiligen religiösen Amt eine Verpflichtung eingegangen, die dem Amt eines Bundespräsidenten in einem wesentlichen Punkten entgegensteht: Der unparteiischen Sicherung der Grundrechte, insbesondere jener aus Artikel 3, 4 und 5 Grundgesetz, frei von religiösen Überzeugungen.
    Jeder Bundespräsident, gleich welchen Geschlechts, kann eine religiöse oder auch nicht religiöse Weltanschauung sein Eigen nennen. Das garantiert Artikel 4 Grundgesetz. In der Wahrnehmung seines Amtes jedoch, darf er weder die eine oder andere Weltanschauung zum Maßstab oder zum Bestandteil seines Handelns machen, noch den Versuch unternehmen, die Selbstbestimmtheit und Selbstverantwortung der Bürger durch eigene private ethische Überzeugungen zu beieinträchtigen, die nicht Bestandteil des Grundgesetzes sind (siehe auch meine diesbezügliche Korrespondenz mit Horst Köhler in http://www.freidenker.org/cms/dfv/pdf/chronik.pdf).

    Nach all dem Offensichtlichen frage ich Sie: Kann es sein, das ihr kritischer Blick dadurch getrübt ist, weil Sie sich einen Zuwachs an Einfluss und Macht für die evangelische Kirche im Staate erhoffen, wenn nur einmal ein evangelischer Pfarrer das Amt eines Bundespräsidenten innehat? Ich frage Sie auch: Hatten wir nicht schon genug Elend aus der Vermengung von Religion und Politik, bzw. von religiösen und politischen Ämtern? Weiter wiederhole ich die von Ihnen noch nicht beantwortete Frage: Wäre die Begeisterung für einen Bundespräsidentschaftskandidaten genau so groß, wenn dieser kein ordinierter evangelischer Pfarrer, sondern ein dem Koran verpflichteter Imam wäre?

    Sehr geehrter Herr Schäfer – mag Ihnen meine Erwiderung mitunter auch sehr scharf erscheinen, so versichere ich Ihnen doch ausdrücklich, dass ich nicht Sie, sondern nur jene Ihrer Ideen verachte, die auf speziellen Herrenmenschenideen beruhen. Wie auch Otto Dibelius gezeigt hat, sind selbst religiöse Menschen vor speziellen Herrenmenschenideen nicht gefeit. Die Prinzipien von Herrenmenschenideen lauten ganz allgemein:

    Wer seinen Willen mit Gewalt durchsetzen kann, wer also beispielsweise an militärischer oder wirtschaftlicher Macht überlegen ist und zudem den „wahren Glauben“, die „wahre Gesinnung“, die „richtige“ Hautfarbe oder die „überlegene“ Kultur zu besitzen glaubt oder wer einfach nur seine Gier nach Herrschaft und Beherrschung befriedigen will oder auch nur dem „stärkeren“ Geschlecht angehört, der glaubt „von Natur aus“ Herr oder Herrin zu sein, selbst über „seine“ Umwelt.

    Nicht nur ein Christ könnte die Prinzipien der vorgenannten Ideen auch so formulieren:

    Überall dort, wo dem Handeln des Menschen keine Liebe und Achtung gegenüber dem Mitmenschen und seiner Umwelt zu Grunde gelegt ist, werden Herrenmenschenideen sichtbar.

    Mit freundlichem Gruß

    Bert Steffens
    Freier Philosoph
    Andernach

    P.S.: Auf Ihren Nachtrag nicht ganz so ernsthaft gemeint eingehend: Dass Lafontaine als Kandidat für das höchste Staatsamt in Rede stünde, wäre mir ebenso neu, wie seine Rolle als Gebrauchtwagenhändler.

  2. dierkschaefer said, on 22. Juni 2010 at 13:52

    Sehr geehrter Herr Steffens,

    für Ihre ausführliche Antwort herzlichen Dank!
    Doch ich denke, wir können es kürzer machen.
    1. Das Treueverhältnis eines Pfarrers zu seinem Dienstherrn, der Kirche.
    2. Das Treueverhältnis eines Christen zu Gott, wobei auch ganz kurz das Zitat von Otto Dibelius abzuhandeln ist.

    Ad 1: Das Treueverhältnis eines Pfarrers zu seinem Dienstherrn, der Kirche, ist weder lebenslang noch unkündbar. Der Pfarrer legt bei seiner Ordination ein „Ordinationsgelübde“ ab. Verstöße dagegen sind disziplinarrelevant. Gibt es nach der – durchaus subjektiven – Sicht eines Pfarrers, einen Dissens zwischen seinem Ordinationsgelübde und dem Treueverhältnis zur Kirche, wird er sich – hoffentlich – nach seinem Gewissen richten. Sieht die Kirche eine Dienstverfehlung, wird sie – eventuell – tätig bis hin zu einem Amtsenthebungsverfahren. Sollte die Kirche einen Pfarrer dienstrechtlich belangen wollen, der nicht im aktiven Dienst steht, sei es Wartestand oder Ruhestand, müßten ganz schwerwiegende Gründe vorliegen. Die Forderung nach einer Trennung von Kirche und Staat zählt gewiß ebensowenig dazu, wie die Mitgliedschaft bei Giordano Bruno. Immerhin könnte man für die Trennung von Kirche und Staat auch durchaus theologische Gründe ins Feld führen.

    Ad 2: Wie ausgeführt hat das Treueverhältnis eines Christen zu Gott generell Vorrang, und »ein Christ ist immer im Dienst«, ganz unabhängig davon, was Herr Dibelius sonst noch getan oder gesagt hat. Sie sind ja, wie ich sehe, biblisch gut belesen und werden gesehen haben, daß das Gottesbild, also das Bild, das sich die Menschen von Gott gemacht haben, in der Bibel nicht einheitlich ist. Es bedarf auch darüber hinaus der Interpretation.

    Bleiben wir bei Herrn Gauck: Nach allem, was ich sehe, vertritt er kein in meinen Augen falsches Gottesbild. Die Frage des Afghanistankrieges ist sehr facettenreich. Wenn ich auch meine, daß wir in diesem Land nichts verloren haben, so sehe ich doch, daß wir dort nicht so schnell rauskönnen, wie ich es gern hätte. Nicht nur ein Präsident, sondern jeder Mensch muß mit eine Reihe von Sachverhalten leben können, auch wenn sie ihm nicht passen. Sollte Herr Gauck einmal in eine Pflichtenkollision geraten, wird er sich entscheiden müssen. Doch dies Dilemma betrifft jeden Menschen, der sein Gewissen höher setzt als einen reinen Gesetzespositivismus, den sicher auch Sie nicht vertreten wollen.

  3. Bert Steffens said, on 22. Juni 2010 at 15:46

    Sehr geehrter Herr Schäfer,

    wie ich bereits oben schrieb:

    „Wenn dies alles für den evangelischen Christen und ordinierten Pfarrer Joachim Gauck nicht mehr gilt, dann soll der Bundespräsidentschaftskandidat Gauck dies öffentlich sagen und erst dann auch so handeln, wenn er seine Glaubwürdigkeit nicht verspielen will.
    Glaubwürdig ist man nicht, weil man Christ oder nicht Christ ist, sondern weil man zu seinen Überzeugungen und Verpflichtungen steht. Erfahren diese einem Wandel, dann sollten jene Mitmenschen, die einem wichtig sind davon Kenntnis erhalten. Im Falle des Bundespräsidentschaftskandidaten Gauck ist dies die Öffentlichkeit.“

    Zum „Gottesbild“ des Herrn Gauck habe ich mich nicht geäußert – wozu auch?

    Schade ist, dass Sie meine Fragen nicht beanwortet haben.
    Und zum Schluss: Die Begriffe „Gewissen“ oder „Gesetzespositivismus“ oder gar dessen Oberbegriff „Positivismus“ führen in ein weites Feld. Die hier zu erörtern würde zu weit und am Thema vorbei führen.
    Dank für die Diskussion mit Ihnen und ich hoffe, dass manch einer angeregt wurde oder noch wird.

    Mit freundlichem Gruß

    Bert Steffens

    • dierkschaefer said, on 24. Juni 2010 at 23:29

      Sehr geehrter Herr Steffens,

      ein lockeres Kamingespräch mit Ihnen wäre bestimmt reizvoll und unterhaltend. Ein schriftlicher Austausch ist aufwendiger. Hätten Sie Ihren Beitrag anderswo gepostet, also nicht in meinem Blog, wäre ich gewiß nicht darauf eingegangen.
      Also zu Ihrer Antwort: Sie stellen die Integrität von Menschen in Zweifel, nicht nur die von Herrn Gauck, ohne dafür einen konkreten Anhaltspunkt zu haben außer der allgemeinen Papierlage, die sie so interpretieren, daß (in diesem Fall) Herr Gauck im Zweifel die Treue zu seiner Kirche über die Verfassungstreue stellen würde. Das ist eine unbegründete und wahrlich weit hergeholte Verdächtigung. Öffentlich abschwören soll er, meinen Sie. Das kommt in die Nähe eines Ketzerprozesses mit umgekehrtem Vorzeichen.
      So wie es glücklicherweise Verfassungsrichter gibt, die sich der Verfassung verpflichtet fühlen und nicht vorrangig der Partei, über deren Ticket sie das Amt bekommen haben (das gilt übrigens auch für manche Bundespräsidenten), so darf man davon ausgehen, daß Herr Gauck nicht als ferngesteuerter Kirchenknecht agieren wird. Ihre Unterstellung ist eher grotesk zu nennen.
      Es ist Ihr gutes Recht, sich kirchen- und auch religionskritisch zu äußern, warum nicht auch in meinem Blog. Ich bitte den freien Philosophen jedoch um intellektuelle Redlichkeit, die übrigens für mich der einzige Grund ist, die real existierende Kirche Jesu Christi in Schutz zu nehmen.
      Kommen Sie doch mal auf einen Tee vorbei. Einen Kamin haben wir zwar nicht, aber Zeit für interessante Gespräche schon, auch wenn wir beide, Sie wohl so wenig wie ich, damit nicht die Welt verbessern werden.
      Meinen Bußaufruf an die Kirchen haben übrigens auch Menschen unterschrieben, die der Kirche längst den Rücken gekehrt haben. Wie wär’s mit Ihrer Unterschrift?
      http://www.petitiononline.com/heimkids/petition.html

      Mit freundlichem Gruß
      Dierk Schäfer

  4. Bert Steffens said, on 15. Juli 2010 at 19:19

    Sehr geehrter Herr Schäfer,

    inzwischen ist „viel Wasser den Rhein hinunter gelaufen“, wie man hier im Rheinland zu sagen pflegt. Ich bin Ihren Bemerkungen vom 24.06.2010 noch eine Antwort schuldig, auch wenn inzwischen eine neuer Bundespräsident im Amt ist.
    Zunächst Dank für Ihre freundliche Einladung zu einem Tee bei einem Kamingespräch ohne Kamin.
    Leider muss ich dies ablehnen. Warum? Nach dem Tee bei einem Gespräch mit politischem Inhalt, musste ich wegen einer Anaphylaxie, einer allergischen Sofortreaktion meines Immunsystems ins Krankenhaus eingeliefert werden – offenbar vertrug ich den Tee einer Landespolitikerin, deren Gast ich war, nicht. An der Parteifarbe der Gastgeberin hatte es jedenfalls nicht gelegen.
    Meine Ablehnung richtet sich also nicht gegen Sie persönlich, wenngleich ich nachstehend sehr persönlich werden muss:
    Sie gebrauchen den vielsagenden und vielgedeuteten Begriff „Redlichkeit“ und fordern diese von mir. Dieser Begriff, der den „Tugenden“ – ebenso vieldeutig und vielgedeutet – zugehörig gezählt wird, hat beispielsweise Georg Samuel Albert Mellin, Inspektor der Reformierten Kirchen, in Band 5 seines sechsbändigen Werkes „Encyclopädisches Wörterbuch der Kritischen Philosophie“ (1797 – 1803) im Wesentlichen dem Begriff der „Wahrheit“ gleichgesetzt. Nur hilft auch das nicht weiter, denn: Was ist „Wahrheit“ oder gar „die Wahrheit“? Man merkt auch hier: Schnell ist man in den „Kampf der Begriffe“, wie ich es an anderer Stelle einmal formuliert habe, verstrickt.
    Setzt man aber „Wahrheit“ beispielhaft nur mit dem gleich, was der Disputpartner geäußert hat, ohne diesem eigene Vorstellungen und Behauptungen hinzuzusetzen, dann, werter Herr Schäfer, entspricht ihre Antwort vom 24.07,10 nicht der Wahrheit und ist demnach „unredlich“.
    Nicht geäußert habe ich Vorstellungen, die Sie mit „Verdächtigungen“, „Zweifel an Integrität“, „Zweifel an der Treue“, „öffentlich abschwören“, „Nähe eines Ketzerprozesses“ oder „ferngesteuerter Kirchenknecht“ beschreiben. Das sind allein Ihre Vorstellungen, Ihre Worte – nicht die meinen. Jeder, der sich die Mühe macht, Ihre und meine Texte des Disputs zu vergleichen, wird dies erkennen können.
    Zudem erlaube ich mir Ihre Ausführungen auch in weiteren Punkten zu kritisieren: Richter des Verfassungsgerichts – Sie formulieren „Verfassungsrichter“ – sollen sich nicht „der Verfassung verpflichtet fühlen“, vielmehr sind Richter, gleich an welchem Gericht, „nur dem Gesetze unterworfen“ (Art. 97 Abs. 1 GG), also auch und insbesondere dem Grundgesetz, dass Sie unzutreffend als „Verfassung“ bezeichnen. Die Pflichten eines Richters gegenüber dem Gesetz sind also keine Sache des „Gefühls“, sondern Pflicht aus Unterwerfung. Auch ordinierte Pfarrer sind – durchaus mit der Situation der Richter vergleichbar – ihren jeweiligen Kirchengesetzen unterworfen.
    Ich wies bereits zweimal darauf hin: Glaubwürdig ist man nicht, weil man Christ oder nicht Christ ist, sondern weil man zu seinen Überzeugungen und Verpflichtungen steht. Erfahren diese einem Wandel, dann sollten jene Mitmenschen, die einem wichtig sind davon Kenntnis erhalten. Im Falle des – nunmehr ehemaligen – Bundespräsidentschaftskandidaten Joachim Gauck ist dies die Öffentlichkeit.

    Bezogen auf die lebenslang eingegangene und bisher nicht widerrufene Verpflichtung des ordinierten Pfarrers Gauck, darf ich Sie an das Matthäus-Evangelium 5, 33-37 erinnern: „..Du sollst keinen Meineid schwören, und: Du sollst halten, was du dem Herrn geschworen hast. […] Euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein;…“.
    Eine Klarstellung gegenüber der Öffentlichkeit hat mit einem Ketzerprozess nichts zu tun – es sind die Worte die verpflichten und die zu predigen Ihre und Gaucks freiwillig übernommene Pflicht ist.
    Ich kritisiere also nicht „die Kirche“, sondern jene, welche die grundlegenden Texte ihrer Religion so herrichten, wie es Ihnen jeweils passt. Diese handeln genauso wie der von Ihnen erwähnte Berufsstand der Richter, welche zu oft die Gesetzestexte so herrichten – diese nennen es „Auslegung“ –, wie es ihrem Zwecke und ihren Vorstellungen am besten dient.
    Auch bin ich nicht, wie Sie behaupten, „religionskritisch“ – im Gegenteil: Es ist -innerhalb der in einer Menschengemeinschaft notwendigen Grenzen der Elementar-Freiheiten jedes Menschen – jedermanns elementares, weil vorstaatliches Recht, jener Weltanschauung oder Religion anzuhängen, die er für die richtige hält. Und genau diese und nur diese Schutzgarantie aus Art. 4 des Grundgesetzes verteidige ich vor Verletzung durch Beliebigkeit und ist zugleich Ursache meiner Kritik an Gaucks Bewerbung um das höchste Staatsamt.

    Wie ich weiter über die Rechte und Pflichten selbstbestimmter Bürger und den Begriff „Ethik“ denke, können Sie beispielsweise in meinem Aufsatz in ZEIT ONLINE >> „Zum Interview „Erfolg rechtfertigt gar nichts“ – Entgegnung zu Hans Küngs Forderung nach einem „globalen Wirtschaftsethos“ << vom 05.01.2010 nachlesen.

    Wenn Sie diesen Aufsatz gelesen haben, werden Sie vielleicht verstehen, warum ich mir auch nicht anmaße, andere zur „Buße“ aufzurufen, so, wie Sie es tun. Wäre es, sehr geehrter Herr Pfarrer Schäfer, nicht ebenso anmaßend, müsste ich Sie aufrufen „Buße“ zu tun, weil Sie sich von Teilen des Grundgesetzes und der Redlichkeit abgewandt haben.
    Mir reicht es, dass mir nur eine Bitte an Sie zusteht: Nachdenken! Nachdenken!

    Nochmals Dank dafür, dass Sie den Mut zu einem öffentlichen Disput aufgebracht haben. Leider findet sich dieser Mut zu selten.

    Trotz aller Kritik grüßt Sie daher freundlich

    Bert Steffens
    Freier Philosoph
    Andernach


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