11. September
Es ist sicherlich ein Zufall, daß die denkwürdige evangelische Entschuldungsveranstaltung auf einen internationalen Gedenktag religiöser Intoleranz fällt. Ein Vergleich wäre zu monströs.
Doch in meinem Eingangspostfach kommt etwas anderes zusammen. Der Papstbesuch steht bevor und natürlich wird in diesem Zusammenhang an die Verbrechen nicht nur der katholischen Kirche an den Schutzbefohlenen in ihren pädagogischern Einrichtungen (Heime, Internate) erinnert.
Die evangelischen wie auch die staatlichen Heime sind lediglich kein Thema im Rahmen des Papstbesuches, müssen aber mitgedacht werden, so heute in Berlin wo aber der administrierte Betrug der ehemaligen Heimkinder um eine angemessene Entschädigung aber weiterhin nicht zur Debatte steht.
Doch zum Papstbesuch: Der Papst kommt als Staatsoberhaupt des Vatikan und wird vor dem Bundestag sprechen. Ich verstehe die Aufregung nicht ganz. Staatsbesucher, gleich welcher Qualität, werden überall protokollgemäß empfangen. Das gilt auch für Diktatoren, soweit sie für die Interessen der gastgebenden Regierung nützlich sind. Bei besonderer Nützlichkeit erscheint einer Regierung zuweilen auch eine Rede im jeweiligen Parlament angebracht.
Manche bestreiten die Staatlichkeit des Vatikan, stehen damit aber auf verlorenem Posten. Der Vatikan ist anerkanntes Mitglied der UNO, und es gibt ja auch noch andere, wenn auch weniger bedeutende Zwergstaaten wie Monaco oder Andorra, vom vielfach protokollgerecht empfangenen Dalai Lama ohne Land ganz zu schweigen.
Eine Demonstration gegen den Papst ist angekündigt. Hier kommen wir den Rechten der Bevölkerung eines demokratischen Staates schon näher, soweit sie in Sachen Papst und Kirche mit „ihrer“ Regierung nicht einig ist. Demonstrationen sind legitime und legale politische Meinungsäußerungen, und sie müssen ermöglicht werden. Ich weiß aus Erfahrung, daß es den Sicherheitskräften nicht immer einleuchtet, daß es nicht zu ihren Aufgaben gehört, prominenten Staatsbesuchern den Anblick einer Demonstration zu ersparen.
Doch nun zur Sache. Worum geht es inhaltlich? In meinem Postfach fand ich zwei Sonderdrucke, die ich aus Copyright-Gründen hier nicht einstellen kann. Es handelt sich um zwei Fachaufsätze des Autors Norbert Lüdecke (Bibliographie s. unten).
Beides sind typisch wissenschaftlich-theologische Aufsätze; der Fußnotenteil ist größer als der Textteil. Mir macht so etwas Spaß, wenn ich auch zunächst einmal aus Zeitgründen fast ausschließlich den Text gelesen habe. Als Theologe erfährt man nichts grundsätzlich Neues, aber die detaillierte Darstellung einer Institution, die ihre Alleinherrschaft über die Bibel dermaßen gekonnt und unnachsichtig administriert und mit allen Machtmitteln durchsetzt, war auch für mich neu. Man bekommt eine Ahnung vom Wesen der Inquisition und ist (Gott) dankbar, daß dieser Kirche das Mittel der gewaltsamen Machtdurchsetzung genommen wurde. Ehemalige Heimkinder wissen allerdings, daß sie solche Gewalttätigkeit noch erlitten haben, ohne daß es Rechtsmittel dagegen gab und ihnen noch heute die Rechtsmittel vorenthalten werden, für die brutalen Erziehungsmethoden finanzielle Entschädigung einzuklagen. Man versteht nach dieser Lektüre auch besser, in welchem Denk- und Dunstkreis der Antimodernisteneid zustande kam, der Widerstand gegen Demokratie und Menschenrechte und die Ablehnung des Individualismus. Schließlich versteht man auch, warum sich Diakone und Priester bei ihrer Weihe flach auf den Boden vor dem Altar legen: Es ist die Geste der absoluten Unterwerfung unter das Regelwerk der Kirche, unter Gottes Willen, würde die Kirche sagen.
Worum geht es und warum wurden mir beide Texte in Zusammenhang mit dem Papstbesuch zugeschickt?
Zunächst einmal geht es um eine scheinbar nur theologische Frage. Da die Bibel nicht auf alle Fragen Antworten bietet, muß sie interpretiert werden. Das ist in allen Religionen und Ideologien so, denn die Gründungsdokumente verlieren ihre Zeitgemäßheit gemessen an den aktuellen Erfordernissen. Die katholische Kirche entwickelte dafür die Lehre von der fides implicita, nach der sie allein befugt ist, die Heilige Schrift gültig auszulegen und die in ihr verborgenen Glaubensweisheiten zu definieren. Von der so festgestellten Lehre darf nicht abgewichen werden, was die Kirche innerhalb des ihr heute gegebenen Rahmens in aufwendigen Verfahren durchsetzt. Wer auf eine Lehrverfehlung hinweist, ist kein Denunziant, sondern hilft der Kirche und ihren Gläubigen, Irrtümer zu korrigieren oder zu bekämpfen. Oberste Autorität ist seit dem ersten Vatikanischen Konzil der Papst. Instrument ist die Glaubenkongregation, die lange vom jetzigen Papst geleitet wurde. So taucht der Name Ratzinger vielfach in beiden Aufsätzen (in den Fußnoten) auf. Gemaßregelt werden auch (oder besonders) solche Personen aus dem Raum der Kirche, die Zweifel an der Unfehlbarkeit des Papstes äußern, oder den Pflichtzölibat und die Ordinierung von Frauen zu Priestern mit biblischer Begründung infragestellen. Was schwer zu begreifen, aber nicht nur in dieser Kirche die Regel ist: Argumente zählen nicht. Die Kirche (anderswo die Partei) hat immer recht. In vielen Firmen sieht es letztlich nicht anders aus.
Wir haben es also mit einem absolutistischen Machtapparat zu tun. Ich will nicht den Eindruck erwecken, daß man eine Religion simpel-demokratisch organisieren kann. Alle Religionen haben ihre irgendwann, irgendwie und irgendwem offenbarten Grundlagen; manche haben sogenannte Religionsstifter. Alle haben das Problem, zwischen dem Damals der Offenbarung und den heutigen Lebens- und Glaubensanforderungen zu vermitteln. Dabei wird immer versucht, die Entwicklung im Einklang mit der Tradition weiterzuführen. Man bedient sich dazu der „Schriftgelehrten“, also der Theologen, die versuchen, die damalige Zeitbedingtheit der ursprünglichen Lehre sozusagen „herauszurechnen“, um zum Kern der Offenbarung zu kommen. (Was würde Jesus heute sagen?) In der katholischen Kirche sind diese Vorgänge monopolisiert und gipfeln im Amt des Papstes, der seinerseits eine zeitgebundene Persönlichkeit ist, – aber extrem vergangenheitsorientiert.
Die Lehre von der unfehlbaren Kirche führt dazu, daß diese Kirche keine Fehler machen kann/darf. Kommen Fehler vor, z.B. in den Erziehungsheimen, ist es nicht die Kirche, sondern der sündige Einzelne, der „gefehlt“ hat. Eine solche Einrichtung ist also in allen Dingen darauf bedacht, ihr Wappenschild sauber zu halten. Sie will und wird nicht ihre z.B. Sexuallehre infragestellen. Diese Haltung finden wir auch bei vielen Beschäftigten der evangelischen Kirche, die zwar heftige Kritik an ihrer Kirchenleitung äußern, aber nie öffentlich.
Was beide Kirchen verbindet ist das Bemühen, das Geld beisammen zu halten, auch wenn es die Glaubwürdigkeit kostet. Warum soll man ehemalige Heimkinder aufwendig entschädigen, da viele (die meisten) ohnehin von der Kirche, platt gesagt, die Schnauze voll haben?
Wer seine Kirche als Heilsanstalt versteht und meint, nur hier sein Seelenheil finden zu können, der wird auch ihre Lehre akzeptieren (müssen). Ich kenne selber fast ausschließlich Katholiken, die gerade bezüglich der Unfehlbarkeit des Papstes nicht auf dem Boden der römisch-katholischen Religion stehen. Dennoch wechseln sie nicht z.B. in die altkatholische Kirche über, die ein anderes Amtsverständnis hat.
Zurück zum Papstbesuch:
Lord Acton bekämpfte das Unfehlbarkeitsdogma mit den Worten: »Macht korrumpiert, und absolute Macht korrumpiert absolut«. Es nicht nur legitim und legal, gegen den Papstbesuch zu demonstrieren. Es gibt gute Gründe dafür. Denn der Papst steht für die Verweigerung grundlegender Menschenrechte. Auch diese sind reine Glaubenssache, aber nicht intolerant, womit ich wieder beim Eingangssatz bin.
U hier die Literaturangabe:
1. Norbert Lüdecke, Vom Lehramt zur Heiligen Schrift, Kanonistische Fallskizzen zur Exegetenkontrolle, in Ulrich Busse et al. (Hrg); Erinnerung an Jesus, Kontinuität und Diskontinuität in der neutestamentlichen Überlieferung, Göttingen 2011, (S. 501-525), in Bonner Biblische Beiträge 166, erschienen in „Bonn University Press“
2. Norbert Lüdecke, Kommunikationskontrolle als Heilsdienst, Nutzen und Ausübung der Zensur nach römisch-katholischem Selbstverständnis, in Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte, Zensur abweichender Meinungen durch Kirche und Staat, Bd. 28, 2009, S. 67 – 98, erschienen im Thorbecke-Verlag.
Wenn ich es mir im Nachhinein recht überlege, war es vielleicht doch kein Zufall, daß das Entschuldigungsritual auf nine-eleven terminiert wurde.
Doch Zufall oder Absicht: der Event in der Friedenskirche steht nun völlig im Windschatten der Memorial-Berichterstattung über den für uns alle so ungeheuer wichtigen Angriff auf das World-Trade-Center.
[…] [10] https://dierkschaefer.wordpress.com/2011/09/11/11-september/ […]
[…] [8] https://dierkschaefer.wordpress.com/2013/09/17/strukturelle-sunde-und-schuld-der-kirche/ + https://dierkschaefer.wordpress.com/2018/09/30/die-theologische-bankrotterklaerung-eines-papstes/ + https://dierkschaefer.wordpress.com/2012/04/26/rede-gegenrede-antwort/ + https://dierkschaefer.wordpress.com/2011/09/11/11-september/ […]