Dierk Schaefers Blog

Fortsetzung meines Teils der Korrespondenz

Posted in heimkinder, Theologie by dierkschaefer on 9. Mai 2012

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Starnitzke,

für Ihre Antwort herzlichen Dank.

 

Sie schreiben, es störe Sie, daß ich mich ich mit meinem Text [https://dierkschaefer.wordpress.com/2011/09/01/traumhaft/]

in die Position eines biblischen Apokalyptikers begeben habe. Diese Rolle, schreiben Sie, wäre Ihnen ein Stück zu groß.

Nun könnte ich salopp antworten, daß der Mensch mit seinen Aufgaben wächst. Doch nein, mich stört diese Rolle auch. Zumal man sich in dieser Rolle zu leicht den Vorwurf der Selbstüberheblichkeit und des Moralapostels zuzieht und sich Röm. 11,32 vorhalten lassen muß. Der Rückgriff auf biblische Prophetie ist nur Stilmittel und ultima ratio, wenn alle anderen Mittel versagt haben, wohl oder übel ahnend, daß auch dieses in den Wind gesprochen ist. Denn offenbar glaubt niemand der in der Heimkindersache verantwortlichen Kirchenleute noch an so etwas wie das Jüngste Gericht. Mich würde schon interessieren, wie diese Kollegen über Mt. 25; 31 – 46 predigen.

Zurzeit arbeite ich am Thema Terror und Terrorismus. Dabei stoße ich auf das Problem von Macht und Legitimität. Ich will das hier nicht weiter ausführen. Nur so viel: Nach Augustinus erwächst im staatlichen Bereich die Legitimität aus der Gerechtigkeit. In Glaubensdingen, so denke ich, erwächst sie aus Wahrhaftigkeit, die wiederum Glaubwürdigkeit begründet.

Nun wissen wir, daß Gerechtigkeit bestenfalls eine Leitvorstellung ist. Auch das Streben nach Wahrhaftigkeit stößt sich an den Realitäten und an unserem Unvermögen. Doch nun einfach zu sagen, wir sind allzumal Sünder, wie Sie es mit dem Verweis auf Röm. 11,32 nahezulegen scheinen, das öffnet nur „die Pforten der Hölle“, – nicht der „unterirdischen“ Hölle Dantes, sondern der ganz irdischen Hölle des laissez-faire und enrichissez-vous. (Wir wissen nicht erst seit den Heimkindern, daß es noch schlimmere Höllen auf Erden gibt.) Gnade ist zwar geschenkt, aber auch Aufgabe. Es kann nicht Aufgabe von uns Theologen sein, am Sonntag falsche Hoffnungslichter zu setzen, nach denen wir uns im Alltag selbst nicht richten. Da wären wir wieder beim altbekannten Pfaffenbetrug.

Mir geht es um den Betrug an den ehemaligen Heimkindern, verübt am Runden Tisch in vermeintlicher/vorgegebener/vorgetäuschter Aufarbeitung der vielfältigen Verbrechen in den Heimen. Die Vertreter von Staat und Kirchen sind billig davongekommen. Sie erwähnen zu Recht den Begriff der „billigen Gnade“, mit der Sie jedoch nicht in Verbindung gebracht werden wollen.

 

Was könnten Sie also tun? Aus dem staatlich-kirchlichen Schulterschluß werden Sie nicht ausbrechen können. Gerechtigkeit wird es also nicht geben – und auch die Forderungen der ehemaligen Heimkinder nach pauschalen Zahlungen ohne wenigstens wohlwollende Plausibilitätsprüfung des Einzelfalls, könnten keine Gerechtigkeit schaffen, wenn sie erfüllt würden.

Nach meiner Erkenntnis ist „der Mensch unten“ nicht besser als „der Mensch oben“, hier gilt Röm. 11; 32. Aber der Mensch oben hat mehr Möglichkeiten, im Guten wie im Schlechten.

Was könnte also in Ihren Möglichkeiten liegen?

Ehemalige Heimkinder haben einen Horror davor, wieder „ins Heim“ zu müssen. Das wäre ein Ansatz. Sie könnten – nicht für alle ehemaligen Heimkinder – aber für die ehemaligen „Wittekinder“ eine Pflegeassistenz organisieren und finanzieren, die ihnen eine Heimeinweisung erspart oder wenigstens weit hinausschiebt. Das ist zwar unökonomisch, sollte aber angesichts der Vergangenheit vertretbar sein. Vertretbar sollte auch sein, daß Ihre Einrichtung dabei ansonsten in den Hintergrund tritt, weil Vertrauen bei den Opfern wohl kaum noch bewirkt werden kann, aber vielleicht doch im Nebenergebnis die Anerkennung des Strebens nach Wahrhaftigkeit und tätiger Verantwortungsübernahme.

Der barmherzige Samariter übergab den unter die Räuber Gefallenen einem Wirt, bezahlte ihn und versprach, etwaige Mehrkosten zu übernehmen (Lk. 10, 25 – 37). Die Vertreter der „Amtskirche“ waren einfach vorbeigegangen – und auf deren Verhalten zielt das Gleichnis. Im unserem Fall waren Kinder unter die Räuber in Gestalt von kirchlichen und staatlichen Erziehern gefallen – und wir sind, trotz aller Verjährung, die Rechtsnachfolger.

Was spricht also dagegen, einen „Wirt“ außerhalb der kirchlichen Einrichtungen mit der Pflege zu beauftragen und zu bezahlen (und zu kontrollieren!)?

Wir, die Kirche, hätten damit immerhin nachträglich gezeigt, daß gute Werke aus der uns von Gott geschenkten Gnade erwachsen.

 

Zu den Stilmitteln: Ich habe alles versucht, angefangen von der sachlichen Problemdarstellung und den Lösungsmöglichkeiten [https://dierkschaefer.wordpress.com/2009/04/05/anhorung-runder-tisch-2-april-2009/]

über die Zuhilfenahme alttestamentlicher Prophetie, und auch den polemischen Angriff habe ich nicht ausgelassen [https://dierkschaefer.wordpress.com/2011/09/13/das-war-spitze-herr-ratsvorsitzender/]. Immer habe ich tauben Ohren gepredigt. Vielleicht haben Sie Ohren zu hören.

 

Ich danke Ihnen jedenfalls für die Korrespondenz. Ein Dialog ist doch hilfreich zur Kontrolle und Herausarbeitung der eigenen Position.

 

Ihre herzlichen Grüße erwidere ich hiermit gern.

 

dierk schäfer

6 Antworten

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  1. Helmut Jacob said, on 9. Mai 2012 at 15:58

    Er rückt nicht mit seiner Zustimmung zur Veröffentlichung seiner Briefe auf Ihrem Blog heraus, der Herr Professor. Wahrhscheinlich sind ihm seine Antworten selbst nicht ganz geheuer.

    • dierkschaefer said, on 10. Mai 2012 at 09:52

      nö, lieber herr jacob,
      vom inhalt her könnte er der veröffentlichung zustimmen. das ist nichts brisantes, wenn ich davon absehe, daß er mir in der beschreibung der vorgänge zustimmt. doch ich will seine antworten nicht ohne seine ausdrückliche zustimmung veröffentlichen. das ist alles.

      • Helmut Jacob said, on 10. Mai 2012 at 22:22

        „doch ich will seine antworten nicht ohne seine ausdrückliche zustimmung veröffentlichen. das ist alles.“

        das ist klar aber: er kneift offensichtlich davor, diese zustimmung zu geben. mir ist solche scheu vor veröffentlichung sattsam bekannt – seit 6 jahren 😉

  2. Wenz Flash said, on 9. Mai 2012 at 19:08

    Die entscheidende Frage für mich als ehemaliges Heim- und Waisenkind ist: „Was lernen wir aus den Erfahrungen mit den Waisenhäusern/Kinderheimen/Aufzuchtanstalten?“ Nur der Tatsache gerecht werden zu wollen, dass den ehemaligen Heimkindern nun im Alter ein Altersheim erspart bleibt, löst die Probleme der Heimkinder nicht. Heimkinder sind auch heute noch und dies wird auch so immer bleiben, nämlich eine Minderheit unter den Kindern der Gesellschaft, denen eine Familie, zumindest eine dauerhafte Bezugsperson verwehrt bleibt. Und das ist das seelische Verbrechen an den kleinen Kindern. Es gab und gibt glücklicherweise Mitmenschen, die dieses Problem klar erkannt haben, wie Hermann Gmeiner und Albert Schweitzer, um nur zwei Vertreter zu nennen. Kleine Kinder brauchen eine Familie mit ihrer gesamten Privatheit, mit ihren Stärken und mit ihren Schwächen. Wir sind alle nicht perfekt, doch Berufstätige leben oder versuchen es zu leben, den Perfektionismus. Dafür haben sie ja einen Beruf gelernt, um keine Fehler zu machen. Und da Fehler eben nur die Heimkinder machen konnten, mußten diese ihnen ausgetrieben werden, was wiederum nur mit einem menschlich fatalen Anspruch zu meistern ist und mit dem bekannten Satz greift: Der Zweck heiligt die Mittel.
    Wenz, denn die Wahrheit wird gelebt und nicht doziert. Da hilft kein Professorentitel. Dieser befähigt bestenfalls dazu, höchste Opportunität gegenüber den Herrschenden zu zeigen in der dann typischen Fachsprache. Vergeßt Eure Titel, wenn ihr die Kinder erreichen wollt. Kleine Kinder brauchen primär ihre Mama und ihren Papa, was sich schlagartig und zuweilen gravierend ändert mit der Pubertät.


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