Dierk Schaefers Blog

Die Illusion der Inklusion

Posted in Kinderrechte, Pädagogik, Politik by dierkschaefer on 3. April 2013

„Inklusion heißt: Schmetterlinge im Bauch“, so steht es, lesen wir, auf einem Plakat, das für Inklusion wirbt. Es zeigt ein hübsches Mädchen, das einen Jungen anlächelt. Der sitzt im Rollstuhl, das Mädchen nicht. Ein Reklameplakat. Doch zwischen Reklame und Realität liegen, wie wir wissen, oft Welten.

Was also ist Inklusion? »Inklusion heißt der Ansatz, behinderte und nicht behinderte Kinder zusammen zu unterrichten«.

Eine ähnliche Diskussion kennen wir, und sie ist noch nicht abgeschlossen. Dort geht es um die Gesamtschule oder zumindest um eine Gemeinschaftsschule bis zu Klasse 10, an die sich dann eine gymnasiale Oberstufe anschließen kann. Dahinter steht die Illusion, daß mehr Kinder zum Abitur geführt werden können, wenn man sie nicht bereits nach der vierten Klasse nach Leistungsstand und Prognose voneinander trennt und sie den klassischen drei Schultypen zuweist. Das führt zu heterogenen Lerngruppen, denen dann innerhalb einer Klasse Rechnung zu tragen ist, damit die lernschwachen wie die hochbegabten Schüler eine ihnen angemessene Förderung erhalten. Wer auf dies Problem hinweist, bekommt zur Antwort, daß die Lehrer eben in der Art einer Binnendifferenzierung darauf eingehen müssen. Das erfordert häufig eine dreifache Vorbereitung der Lehrer – die warten geradezu auf Lernverhältnisse, wie sie in zwei- oder gar einklassigen Volksschulen geherrscht haben. Doch wir haben hier eine ideologische Konfrontation zwischen rot-grün und schwarz-gelb, und angesichts der Popularität des Gedankens, Kinder seien Kinder und dürften nicht auseinanderdividiert werden, wird die CDU-Volkspartei nachgeben, letztlich zum Schaden nicht angemessen geförderter Kinder und unseres Wirtschaftsstandortes. Doch die nächsten Wahlen sind immer näher als die Zukunftsperspektiven.

Heftiger zeigen sich die Probleme bei der Inklusion. Der ausführliche Artikel von Dorit Kowitz[1] zeigt das Hauptproblem auf. Kinder sollen auf das Leben vorbereitet werden, und das Leben kennt keine Inklusion. Die Chancen von Kindern mit Behinderung werden durch die Inklusion, je nach Art der Behinderung nur sehr bedingt besser. Doch die Ideologen sehen Behinderung ausschließlich unter dem Aspekt, daß Menschen nicht behindert sind, sondern erst behindert werden.[2] Darin liegt die Illusion, koste sie, was sie wolle. Um die Finanzierung streitet man ohnehin noch und wird sie zulasten der für die Inklusion geforderten Qualität lösen. Wichtiger aber: Zulasten der Kinder, behindert oder nicht.

Der Junge im Rollstuhl wird mutmaßlich weniger Chancen bei der Bewerbung haben, als seine Klassenkameraden, sei es um den Arbeitsplatz, sei es bei der Partnerwahl. Er wird es wahrscheinlich aber schon wissen und den Traum, den Andere für ihn träumen, gar nicht erst mitträumen. Ich weiß leider, wovon ich spreche.

 

Egal, ob Gemeinschaftsschule oder Inklusion: Warum trainiert der VfB-Stuttgart eigentlich nicht mit dem Bad Boller Fußballverein?


[1] Dorit Kowitz, Behinderte Schüler: Wie viel anders ist normal? http://www.zeit.de/2013/13/Inklusion/komplettansicht

8 Antworten

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  1. Heidi Dettinger said, on 4. April 2013 at 01:38

    Manchmal hat man das Gefühl, die Deutschen sind nicht oder kaum lernfähigen. Wenn es denn „die Deutschen“ gäbe…

    Ein Freund von mir unterrichtet in einer ganz normalen Senior Highschool in dem stock-konservativen Texas. Und siehe da: Selbstverständlich gibt es da „Inklusion“. Ebenso selbstverständlich bekommen die Kinder, die dies brauchen, auch Extra-Unterricht. Und selbstverständlich lernen alle von einander. Weil auch noch andere Dinge wichtig sind, als nur Mathe… Das geschieht unprätentiös, darf ich meinem Freund glauben, es redet keiner von Inklusion, es ist einfach eine Selbstverständlichkeit. Punkt.

    In Deutschland wird – wie beschrieben – getrennt. Nach Förderung und Fördermöglichkeit, nach Zensuren, nach Einkommen der Eltern und, wenn es nach so manch einem Zeitgenossen geht, auch noch nach Nationalität. Eine Klasse x Nationalitäten? Na und? Das geht doch auf internationalen Schulen auch, geht in anderen Ländern auch.

    Fragt sich eigentlich immer noch jemand, warum die deutschen Schulen im internationalen Vergleich nach wie vor nicht gerade brillant abschneiden?

    Vielleicht sollte man einfach mal ein bisschen weniger Lärm machen und ein bisschen gelassener werden. Und eher das Wohl der Kinder als das Säckel des Staates im Auge haben.

  2. m.dahlenburg said, on 4. April 2013 at 06:50

    Dass die Propaganda aus dem christlich-neoliberal-kapitalistischen Lager heraus mit teils unmaskierter Menschenverachtung geführt wird, man sich auch nicht scheut den Behinderten Menschenrechte alleine aus rein wirtschaftlicher Erwägung heraus zu verweigern, wie es schon die Nazis taten, ist leider fast so normal wie logisch. Nicht weit weg von faschistischer Propaganda wie “ 60000 kostet ein Behinderter dem deutschen Volk…“. Auch wenn das Endziel – derzeit – sicher nicht das selbe ist. Dass es die „Förder“einrichtungen auch nicht umsonst gibt, wird verschwiegen. warum wohl?
    Als Pfarrer muss man sich da nicht unbedingt dranhängen, oder …?

    da mag ich nicht freundlich kommentieren…, also geb ich ab an …
    http://www.aktion-mensch.de/inklusion/blog/eintrag.php?id=497#comment-1205
    und
    http://www.aktion-mensch.de/inklusion/blog/eintrag.php?id=477
    und
    http://www.fdst.de/blog/2010/10/11/italien-inklusion-und-stutzlehrer/
    und
    http://www.bizeps.or.at/news.php?nr=7895

    Ich weiß auch, wovon ich spreche, wenn ich feststelle, dass aus allem was ich so im Zusammenhang mit diverser sonderpädagogischer Förderung (nur davon red ich hier) selbst mit-erlebt habe, nur eine Erkenntnis wachsen konnte. Nämlich die, dass die Kinder – unabhängig vom Beeinträchtigungsgrad – höchst selten nachhaltig gefördert werden (können), aber fast immer zusätzlich und nachhaltig behindert, stigmatisiert und vor allem ganz gezielt exkludiert werden. Wobei übrigens auch die Eltern selten ungeschoren davon kommen. Immerhin macht solche Förderung schwer und vielfach Behinderte fit für die frühe Zwangsarbeit. Schließlich soll nach christlichem Verständnis nur essen, wer nach seinem Vermögen arbeitet; Ziel ist dann „Inklusion“ bei einem der massiv geförderten Zwangsarbeitgeber. Das erinnert an AKTION MENSCH, die zwar viel von Integration und Inklusion faselt, aber ausschließlich Träger anerkannter „Wohlfahrt“sunternehmen fördert und – noch immer – natürlich auch neue Heime. Also genau die Institutionen, die – schon aus rein wirtschaftlichen Gründen- das allergeringste Interesse an Integration, Inklusion und vor allem auch an der Selbstbestimmung der Behinderten haben.
    siehe dazu:
    Von Amnesty lernen …
    von H.-Günter Heiden, am 22.03.2013
    […]
    Berichte über Menschenrechtsverletzungen? […] Menschen mit Behinderungen geht es hier doch gut, heißt es. Ein paar Barrieren hier und da wären zwar noch zu beseitigen, aber alles in allem …
    Den Tatsachen ins Auge sehen Stopp! Genau an dieser Stelle müssen wir den Schalter im Kopf umlegen und die Fakten zur Kenntnis nehmen: Einer unbekannten Zahl vom Menschen mit Behinderungen wird das Wahlrecht verweigert, gegen ihren Willen sind im Jahr 2009 236.377 Menschen zwangseingewiesen worden, Frauen und Mädchen mit Behinderungen sind zwei- bis dreimal häufiger als nichtbehinderte Frauen von sexueller Gewalt betroffen, mehr als 140.000 pflegebedürftige Menschen – insbesondere mit Demenzerkrankung – werden ans Bett fixiert. Kinder mit Behinderungen landen zwangsweise in einer Förderschule, nur 29 Prozent besuchen die Regelschule, viele Menschen mit Behinderungen können ihren Wohnort und die Wohnform nicht frei bestimmen und müssen gegen ihren Willen in Einrichtungen leben, auf dem Arbeitsmarkt sind sie mit 14,8 Prozent doppelt so häufig arbeitslos wie nichtbehinderte Menschen.
    […]
    Auf all diesen Gebieten werden Menschenrechte verletzt! Und das muss man auch in aller Deutlichkeit sagen. Genau das haben die Organisationen der BRK-Allianz mit ihrem Bericht getan. Anlässlich des 4. Jahrestages des In-Kraft-Tretens der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland am 26. März 2009 wurde der 80-seitige Bericht jetzt an den Deutschen Bundestag übergeben. Und zwar an den Menschenrechtsausschuss – Menschenrechte sind also nicht nur bei Amnesty International gut aufgehoben.

    ——

    und weil doch ist, was ja nicht sein soll , noch Verweis auf kl. Diplomarbeit

    „Be – hindernde Blicke in den Medien“
    Analyse der Darstellung von Menschen mit Behinderung in den Medien, mit Fokus auf die Tagespresse
    http://bidok.uibk.ac.at/library/kaltseis-blicke-dipl.html

  3. m.dahlenburg said, on 4. April 2013 at 06:56

    hier noch link zu
    Von Amnesty lernen …
    von H.-Günter Heiden
    http://www.aktion-mensch.de/inklusion/blog/eintrag.php?id=497#comment-1205

  4. sabine s. said, on 8. April 2013 at 23:57

    Alle reden von Inklusion!

    Eine zentrale Bedeutung hat das Prinzip der Sozialen Inklusion in der UN Behindertenrechtskonvention (BRK). Es wird der Fokus darauf gesetzt, dass behinderte Menschen dazu gehören.Der Begriff des Zugehörigkeitsgefühl steht symbolisch für eine spezifische Stoßrichtung der BRK, die als Antwort auf Unrechtserfahrung gesellschaftlicher Ausgrenzung eine freiheitliche und gleichberechtigte soziale Inklusion einfordert. Dabei werden Unterschiede und Abweichungen bewusst wahrgenommen, in ihrer Bedeutung werden sie eingeschränkt bzw. aufgehoben. Das Vorhandensein der Unterschiedlichkeit wird von der Gesellschaft nicht infrage gestellt oder als Besonderheit gesehen. Das Recht zur Teilhabe wird sozialethisch begründet. Das Recht bezieht sich auf alle Lebensbereiche in denen sich alle Menschen barrierefrei bewegen können.
    Inklusion beschreibt die Gleichwertigkeit, Normalität wird dabei nicht vorausgesetzt. Normal ist die Vielfalt, das Vorhandensein von Unterschieden. Der behinderte Mensch ist nicht gezwungen Normen zu erfüllen, die er nicht erfüllen kann. Inklusion holt den den Menschen „da ab, wo er steht“ was bedeutet: Es ist die Gesellschaft, die Strukturen schafft, behinderte Menschen sich einbringen und so wertvolle Arbeit leisten.

    sabine s.

  5. m.dahlenburg said, on 15. Januar 2014 at 03:52

    auch wenn es wohl niemand liest …

    Urteil: Kommunen müssen Integrationshelfer finanzieren

    DÜSSELDORF. Integrationshelfer bereitzustellen, die Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf unterstützen sei keine Leistung der Schule, sondern des Sozialhilfeträgers, hat das Landessozialgericht NRW entschieden. Die Finanzierung obliegt damit den Kommunen. Schulministerin Löhrmann will Geld vom Bund.

    weiterlesen … http://www.news4teachers.de/2014/01/urteil-kommunen-muessen-integrationshelfer-finanzieren/


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