Offene Rechtsfragen?
Da hat jemand – nicht ich – recherchiert.
Ich zitiere.
Gehört ein Schmerzensgeld (hier: Entschädigung wegen sexuellen Missbrauchs) zu den steuerpflichtigen Einkommensarten ? Antwort: nein.
Demgegenüber sind Zinsen aus der Anlage eines Schmerzensgeldes (hier: Entschädigung wegen sexuellen Missbrauchs) einkommensteuerpflichtig und werden sozialhilferechtlich angerechnet. Das haben das Bundesverwaltungsgericht durch Urteil vom 09.02.2012 – 5 C 10.11 – zum Wohngeld und das Bundessozialgericht durch Urteil vom 22.08.2012 – B 14 AS 103/11 R – zu Hartz IV entschieden.
Ein älterer Erlass der Bundesagentur für Arbeit vom 26.10.2009 wird durch die aktuelle höchstrichtliche Rechtsprechung bestätigt.
Abdrucke des Erlasses und der Pressemitteilungen zu beiden Entscheidungen füge ich bei.
1.
Bundesagentur
Schmerzensgeld als Vermögen
§§ 7 bis 13 – Anspruchsvoraussetzungen
§ 12 – Zu berücksichtigendes Vermögen
Schmerzensgeld ist bei Zufluss in der Bedarfszeit nach § 11a Abs. 2 ausdrücklich nicht als Einkommen zu berücksichtigen. In § 12 findet sich jedoch keine ausdrückliche Privilegierung. Wie ist Schmerzensgeld zu behandeln, wenn es ab dem Folgemonat des Zuflusses zu Vermögen wird bzw. bereits vor der Bedarfszeit vorhanden war, also Vermögen i. S. v. § 12 ist?
Vermögen, das nachweislich aus einer Schmerzensgeldzahlung stammt, ist nicht zu berücksichtigen. Es greift hier die Härtefallregelung nach § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6.
Aufgrund der Herkunft des Vermögens (Entschädigung für einen körperlichen und/oder seelischen Schaden) würde die Verwertung des Vermögens für den Hilfebedürftigen eine besondere Härte i. S. v. § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 bedeuten.
Von der Berücksichtigung ist abzusehen, soweit die leistungsberechtigte Person nachweist, dass das Vermögen (noch) aus einer Schmerzensgeldzahlung stammt. Diese Nachweispflicht ist insbesondere dann von Bedeutung, wenn der Zufluss der Schmerzensgeldzahlung weit in der Vergangenheit liegt.
Da die leistungsberechtigte Person nicht zum Verbrauch der Schmerzensgeldzahlung verpflichtet ist, ist im Zweifelsfall mindestens Vermögen in Höhe des ursprünglich an die leistungsberechtigte Person gezahlten Schmerzensgeldes freizustellen.
Hinweise: Bundessozialgericht (BSG)-Urteil vom 15.04.2008 (B 14/7b AS 6/07 R)
Beachte: Die Einkommensprivilegierung gilt nicht für Zinseinnahmen, die im Bedarfszeitraum zufließen.
Veröffentlicht: 26.10.09
WDB-Beitrag Nr.: 120044
Bundesagentur für Arbeit Stand 15.08.2011
2.
BSG
Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT – Pressestelle –
Graf-Bernadotte-Platz 5, 34119 Kassel
Tel. (0561) 3107-1, Durchwahl -460, Fax -474
e-mail: pressestelle@bsg.bund.de
Internet: http://www.bundessozialgericht.de
Kassel, den 23. August 2012
Terminbericht Nr. 43/12 (zur Terminvorschau Nr. 43/12)
Der 14. Senat des Bundessozialgerichts berichtet über seine Sitzung vom 22. August 2012.
1) Das beklagte Jobcenter hat in der mündlichen Verhandlung die Revision zurückgenommen, soweit sie die Kläger zu 2 bis 4 und hinsichtlich der Klägerin zu 1 den Zeitraum ab Januar 2006 betraf.
Soweit die Revision aufrecht erhalten wurde, wurde das zweitinstanzliche Urteil aufgehoben und die Sache an das LSG zurückverwiesen.
Der Beklagte hat die der Klägerin zu 1 zugeflossenen Zinseinkünfte aus der Schmerzensgeldzahlung zu Recht als Einkommen berücksichtigt. Die im SGB II normierte Freistellung von Schmerzensgeld beim zu berücksichtigenden Einkommen erstreckt sich nicht auf die aus Schmerzensgeldzahlungen erzielten Zinsen. Zum einen hat das BSG schon in anderem Zusammenhang entschieden, dass Kapitalzinsen auch dann nicht als sonstige zweckbestimmte Einnahmen von der Berücksichtigung als Einkommen freizustellen sind, wenn es sich bei dem verzinsten Kapital um Schonvermögen handelt. Der Rechtsprechung des BGH ist zudem zu entnehmen, dass der Einsatz der aus dem Vermögensstamm fließenden Früchte nicht als besondere Härte eingestuft werden kann. Vergleichbare Wertungen, die jeweils zwischen Kapital und hieraus erzielten Zinsen unterscheiden, liegen auch der jüngeren Rechtsprechung des BVerwG zugrunde.
Eine Entscheidung in der Sache kam nicht in Betracht, weil das LSG – aus seiner Sicht folgerichtig – zum Verschulden iR des § 45 SGB X keine Feststellungen getroffen hat.
SG Aachen – S 23 AS 2/08 –
LSG Nordrhein-Westfalen – L 20 AS 22/09 –
Bundessozialgericht – B 14 AS 103/11 R –
3.
BVerwG
Pressemitteilung Nr. 12/2012
09.02.2012
Zinseinkünfte aus Schmerzensgeld sind bei der Wohngeldberechnung als Einkommen zu berücksichtigen
Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat heute entschieden, dass bei der Berechnung, ob und wie viel Wohngeld einem Antragsteller zusteht, dessen Zinseinkünfte auch dann als Einkommen zu berücksichtigen sind, wenn sie aus angelegtem Schmerzensgeld erzielt wurden.
Der Kläger, der eine monatliche Erwerbsunfähigkeitsrente von 698 € erhält, beantragte bei der Beklagten die Gewährung von Wohngeld. Diese lehnte den Antrag unter Hinweis darauf ab, dass der Kläger wegen eines ärztlichen Behandlungsfehlers ein Schmerzensgeld in Höhe von 107 500 € erhalten habe. Der hiergegen erhobenen Klage haben das Verwaltungs- und das Oberverwaltungsgericht teilweise stattgegeben. Das Schmerzensgeld sei bei der Berechnung von Wohngeld weder als Einkommen noch als Vermögen des Klägers zu berücksichtigen. Anders verhalte es sich aber für die Zinserträge, die der Kläger aus der Anlage des Schmerzensgeldes auf einem Bankkonto erzielt und die er für das Jahr 2009 mit 2 400 € beziffert habe. Diese seien als sein Einkommen zu berücksichtigen. Deshalb stehe ihm ein geringerer Betrag an Wohngeld zu (nämlich 33 € monatlich), als er ohne Berücksichtigung der Zinserträge hätte beanspruchen können (nämlich 111 € monatlich).
Das Bundesverwaltungsgericht hat die Revision des Klägers zurückgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf höheres Wohngeld, weil die von ihm erzielten Zinseinkünfte mindernd zu berücksichtigen sind. Nach dem Wohngeldgesetz sind bei der Berechnung des Wohngeldes die der Einkommensteuer unterfallenen Einkünfte in Ansatz zu bringen. Danach ist das Schmerzensgeld als solches zu vernachlässigen, weil es nicht der Einkommensteuerpflicht unterliegt. Dies gilt jedoch nicht für Zinsen, die aus der Anlage von Schmerzensgeld erzielt werden. Diese sind nämlich einkommensteuerpflichtig. Auch der Zweck des Schmerzensgeldes rechtfertigt keine Privilegierung der Zinsen. Insbesondere wird der Kläger durch die Berücksichtigung der Zinsen nicht daran gehindert, frei über die Verwendung des Schmerzensgeldes zu verfügen. Auf Härtefallregelungen aus dem Recht der Grundsicherung und der Sozialhilfe kann sich der Kläger nicht berufen, weil diese im Wohngeldrecht grundsätzlich nicht entsprechend anwendbar sind.
BVerwG 5 C 10.11 – Urteil vom 09. Februar 2012 Vorinstanzen:
OVG Lüneburg 4 LC 151/09 – Beschluss vom 07. Februar 2010
VG Osnabrück 4 A 29/09 – Urteil vom 23. April 2009
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