Die „Judensau“
Reisen bildet. Hätte ich nicht die Notiz am Pfeiler gesehen, wäre ich vorübergegangen. Schließlich ist die Westfassade des Regensburger Doms[1] imposanter als seine Südseite. Doch das Schild interessierte mich. „Befremdlich für den heutigen Betrachter“, steht da. Das befremdete mich und machte mich neugierig. Von „Judensau“ hatte ich bisher nur in Zusammenhang mit Walter Rathenau gehört.[2] Oben am Pfeiler nun eine „Judensau“. Sie ist stark verwittert[3], doch wird klar, daß es hier um eine von Grund auf bösartige Verunglimpfung, eine fürchterliche Verspottung der Juden geht. Juden an den Zitzen eines Schweines zu zeigen – übler kann man Juden nicht zum Gespött darstellen. Und der Kommentar findet das nur „befremdlich“.
Reisen bildet, besonders wenn man daheim dann nachschlägt. Man findet bei Wiki unter dem Begriff „Judensau“ die Geschichte des christlich-europäischen Ungeistes.[4] Die „Judensau“ war mir im Theologiestudium nicht untergekommen. Dafür wurden in der Kirchengeschichtsvorlesung kurz die Marranen erwähnt.[5] Als „Marannen“ hatte ich sie in Erinnerung. Das seien die zum Christentum übergetretenen Juden in Spanien gewesen, die jedoch verdächtigt wurden, sie hätten sich nur pro forma taufen lassen. Auch die Inquisition wurde dabei erwähnt. Na ja, was geht evangelische Theologen die katholische Kirchengeschichte an! Daß Marrano Schwein bedeutet, wurde nicht gesagt, auch nicht, daß Luther das Bild von der Judensau in seinen antijudaischen Schriften verwendet hat.
Nun mag man meinen, das ist Vergangenheit. Doch nicht nur aktuelle Verunglimpfungen von Juden und Judentum durch Neonazis geben zu denken4, sondern auch der Streit um die Inschrift am Regensburger Dom.[6] Eine scheinheiligere Distanzierung von der Darstellung der Judensau ist kaum vorstellbar. Ich vermute theologische Gründe dafür, die wir auch in der Diskussion um die „Judenmission“ finden, mit zum Teil geradezu perversen Argumenten: »1948 setzte der Reichsbruderrat der Bekennenden Kirche mit seinem Wort zur Judenfrage die traditionelle Enterbungstheologie fort und deutete den Holocaust als Strafe Gottes an den Juden.« Aber auch »„Unsere Schuld gegenüber den Juden angesichts des Holocaust verpflichtet uns doppelt zur Mission an ihnen; wir schulden ihnen […] unseren Christus.“«[7]
Man hatte – und in Regensburg hat man bis heute nichts gelernt von Nathan dem Weisen, auch nicht von Shakespeare, der seinen Kaufmann von Venedig sagen läßt: „Wenn ihr uns stecht, bluten wir nicht?“ So wird die Sau am Regenburger Dom zum Urteil über das Domkapitel.
Die Darstellung der über die „Synagoge“ triumphierenden Ekklesia/Kirche, wie wir sie am Straßburger Münster finden, ist leider noch nicht vollends veraltet: http://www.flickr.com/photos/dierkschaefer/9934802405/ Auch dort fehlt ein die Geschichte erhellender Hinweis.
Wird wohl unter Denkmalschutz stehen !
„Befremdlich“ finde ich immer wieder aufs neue, was alles „im Zusammenhang seiner Zeit“ gesehen werden muss (vor allem: MUSS)!
Befremdlich finde ich auch, mit welcher Nonchalance behauptet wird, das „Verhältnis von Christentum und Judentum in unseren Tage“ zeichne sich durch „Toleranz und gegenseitige Achtung aus“. Aber vielleicht habe ich wieder mal etwas falsch verstanden und „Toleranz“ beinhaltet in diesem Fall auch das Tolerieren neonazistischer Angriffe auf Juden bzw. deren Besitztümer oder Friedhöfe durch die Kirchen.
Eine Frage bleibt noch: Warum das ganze Ding nicht einfach abschlagen? Und die Stelle mit einem Schild versehen wie:
Hier befand sich ein widerwärtiges und abstoßendes Bildnis christlichen Antisemitismus, welches gleichermaßen verletzend und demütigend für die Juden wie für die Augen des Betrachters war. Es wurde abgeschlagen, da wir der Meinung sind, mit solchen Bildern lassen sich weder Traditionen belegen oder begründen noch sollten sie unter Denkmalschutz stehen: Sie gehören schlicht nicht in unser Weltbild – und damit auch nicht in unser Stadtbild!
„Eine Frage bleibt noch: Warum das ganze Ding nicht einfach abschlagen? Und die Stelle mit einem Schild versehen“.
Ganz im Gegenteil, das Ding gehört unter Denkmalschutz und sogar restauriert. Es gibt 31 weitere Belege (davon 6 im Ausland, plus 5 abgegangene) für diese Art Umgang des christlichen Abendlandes mit den Juden. Lediglich unter diesem Gesichtspunkt, könnte das schlecht erhaltene Regensburger Exemplar dem weiteren Steinfraß überlassen bleiben. Warum? Wir brauchen die Originalbeweise für unser eigenes Bewußtsein, gerade weil – um mit Brecht zu sprechen – der Schoß, aus dem das kroch, noch fruchtbar ist. Wir sollten auch die „Kabäuschen“ (wenigstens einige davon), in denen Heimkinder in Isolierhaft gehalten wurden, unter Denk-mal!-Schutz stellen und in die Curricula der Sozialpädagogenausbildung integrieren, auch wenn diese Erziehungsmethoden nicht in unser Weltbild passen. Die Welt ist immer vielfältiger als das Bild, das wir uns von ihr machen. Von Fall zu Fall ist das sogar gut so.
* das Tolerieren neonazistischer Angriffe auf Juden bzw. deren Besitztümer oder Friedhöfe durch die Kirchen.
Bevor ich missverstanden werde: Gemeint sind Angriffe durch Neonazis (oder neonazistisch motiviert, wie es oft so unschön heißt) und nicht durch die Kirchen. Sorry.
[…] [3] https://dierkschaefer.wordpress.com/2013/09/25/die-judensau/ […]
[…] beitragen darf, so möchte ich Sie auf die „Judensau“ am Regensburger Dom aufmerksam machen (https://dierkschaefer.wordpress.com/2013/09/25/die-judensau/ ) in der Hoffnung, daß Sie nun nicht einfach eine Christensau daraus machen. Schließlich hat das […]
[…] [3] https://dierkschaefer.wordpress.com/2013/09/25/die-judensau/ […]