O je, Herr Dr. Helfer
Sehr geehrter Herr Dr. Helfer, (Pseudonym)
gestern besuchten meine Frau und ich meine Schwiegermutter, die zur Zeit wegen akuter Atemnot in Ihrer Klinik liegt. Sie sprachen mit uns über das Problem der modernen Medizin, die die Leute nicht mehr sterben läßt und plädierten, meine Frau solle sich für künftige Zwischenfälle überlegen, ob man ihrer Mutter wirklich helfe, indem man ihr hilft.
Da uns beide, meine Frau natürlich wesentlich mehr als mich, das Gespräch noch lange beschäftigt hat, schreibe ich Ihnen.
Wie wir Ihnen sicherlich im Gespräch schon deutlich gemacht haben, sind uns die von Ihnen angesprochenen Gedanken nicht fremd, zumal meine Schwiegermutter seit langem in einem Zustand ist, der berechtigte Zweifel an dieser Art Lebensqualität geradezu aufnötigt. Dennoch: Es lag, abgesehen von ihrem Aufenthalt auf der Intensivstation direkt im Anschluß an die OSH-Operation vor 13 Jahren, bisher nie die Notwendigkeit intensivmedizinischer Maßnahmen vor. Auch jetzt konnte der kritische Zustand mit recht simplen Maßnahmen aufgefangen werden, denn bloße Medikamentation plus Sauerstoffgabe und NaCl-Tropf sind beim Stand unserer medizinischen Möglichkeiten doch als die europäische Form der Barfuß-Medizin anzusehen. Dies einem Patienten oder gar seiner Mutter verweigern zu wollen oder zu sollen, erscheint mir anmaßend. Die Frage nach dem Wert, den dieses Leben für meine Schwiegermutter hat, stellen wir uns natürlich. Aber da sie nicht erkennbar leidet, würden wir uns ohne Not in die Rolle eines Richters über Leben und Tod gedrängt sehen – damit muß man leben können. Ob man das kann, stellt sich erst hinterher heraus.
Auch Ihr Hinweis auf die Vorläufigkeit des menschlichen Lebens, wenn man sie denn annimmt, hilft nicht aus dem Dilemma heraus. Schließlich fragt Gott nach unserer Überlieferung nicht nach dem Lebenswert eines Menschen, sondern er will sein Heil, was immer das sein mag. Die Zusicherung, daß er das gestoßene Rohr nicht zerbrechen und den glimmenden Docht nicht auslöschen werde, müßte schon arg zurechtinterpretiert werden, um zu einer Sterbehilfe, sei sie passiv oder aktiv, zu kommen, die sich auf ihn berufen kann. Wenn wir dennoch, unter bestimmten, eng definierten Umständen, Leben nicht mehr um jeden Preis, und zwar den, den der Sterbende, nicht wir, zu zahlen hat, verlängern wollen, müssen wir das ganz auf eigene Verantwortung tun. Das Dilemma bleibt erhalten, denn unser Wissen, auch von uns selbst, ist nur Stückwerk. Wir mögen bei vollem Bewußtsein über unseren eigenen Tod befinden, doch unsere Entscheidung für den Tod des anderen, auch wenn dieser Tod der Eingang in das Leben sein sollte, ist immer mit Schuld verbunden, manchmal bis hin zum Zynismus.
Unsere Familie ist seit vielen Jahren erheblich durch die Krankheit meiner Schwiegermutter belastet, unsere Kinder hat sie ein wesentliches Stück ihrer Kindheit gekostet – wie könnten wir uns selbst Rechenschaft ablegen, diese Erfahrung uneigennützig aus einer Entscheidung herausgehalten zu haben?
Sie haben versucht, sehr geehrter Herr Dr. Helfer, mit uns eine Art seelsorgerliches Gespräch zu führen. Ich will jetzt nicht belehrend sein, auch wenn es so klingen mag. Da es uns, meine Frau und mich angeht, meine ich dennoch, so schreiben zu dürfen: Die meisten Ärzte drücken sich vor solchen Gesprächen, denn sie halten den Tod des Patienten für ihren Mißerfolg. Sie jedoch haben es gewagt, das Thema anzusprechen und das durchaus mit bewegten und bewegenden Worten. Aber Sie hatten ein fertiges Rezept, Sie hatten Ihre Lösung der Probleme der modernen Menschheit mit dem Tod, und das in Gegenwart der Patientin. Sie hatten fast keine Fragen, konnten nicht wissen und haben sich nicht erkundigt, wie wir wohl mit dem Thema, mit dem Tod umgehen. Einiges haben wir von uns aus gesagt. Aber Seelsorge lebt vom Hinhören und vom Aushalten der Spannungen, bis der Betroffene selber weitersieht. Da ist auch die Botschaft vom ewigen Leben keine Wundermedizin.
Lassen sie mich bitte noch eines ansprechen: Sie brachten als Beispiel Ihre eigene Mutter ins Gespräch. Das ist ungewöhnlich, mag aber in Ordnung sein. Im Nachhinein frage ich mich jedoch, ob Sie tatsächlich davon überzeugt sind, daß Ihr Verhältnis zu Ihrer Mutter und deren Sterben in Ordnung ist. Sie haben natürlich das Recht, eine solche Vermutung als Unterstellung von sich zu weisen. Dennoch möchte ich Ihnen, als Feedback sozusagen, schreiben, daß mir schien, Ihre Mission sei nicht so sehr der Auferstandene, sondern das Sterbenlassen. Ich weiß nicht, ob ich Ihnen damit unrecht tue, aber wenn Sie auch anderen Patienten bzw. deren Angehörigen so unvermittelt gegenübertreten, wie uns, dann wäre es gut, wenn Sie solche Dinge einmal in eine Supervision einbringen würden.
Sie nehmen mir bitte dieses Schreiben nicht übel. Ich vermute, daß die meisten Angehörigen nicht in der Lage sind, Ihnen zu antworten, und so fühlte ich mich verpflichtet.
Mit freundlichem Gruß
Die Bedeutung des Lebens-der Lebensqualität, Umgang mit Krankheit-dieses zu wollen oder auch nicht, sollte jeder Mensch selber entscheiden. Die Thematik ist ja nicht neu und kein anderer Mensch sollte für einen selbst diese Entscheidung treffen müssen.
Zu einem bewussten Leben gehört auch die eigene Verantwortung, was in dem Falle der Fälle passieren soll das erwarte ich von den Menschen.
Ich bin gerade dabei mich mit der Patientenverfügung zu beschäftigen und das hätte ich schon eher machen sollen und bevor ich hier eine faule Ausrede schreibe wieso ich noch keine Verfügung gemacht habe, bleibe ich bei den Fakten, ich hatte es bisher noch nicht gemacht. Einfach ist das nicht, denn ich kann ja nicht jetzt schon überlegen was ich bei Krankheit will und was nicht. Es gibt so viele Möglichkeiten was die Umstände bei einer Krankheit ausmachen, geht es noch oder nicht, viele Fragen auf die ich keine Antwort finde. Also nicht weiß, was ich da schreiben soll, auch nicht was ein Kriterium für mich wäre nicht mehr weiter leben zu wollen.
Bis jetzt habe ich lediglich so Gedanken, wie keine lebensverlängernden Maßnahmen haben zu wollen, wenn ich unheilbar krank bin und man die palliative Behandlung nicht in den Griff bekommt.
Bisher war ich einem Hospiz sehr positiv gegenüber gestanden, aber da bin ich im Moment sehr skeptisch. Vor ein paar Monaten habe ich in Gießen eine Ehemalige im Hospiz besucht und seit der Zeit bestehen meine Zweifel. Es war so leise dort im Haus und im Zimmer ist man auch alleine. Diese Stille fand ich unerträglich, sie erzeugt in mir ein tiefes Gefühl der Einsamkeit.
Eines weiß ich aber sicherlich, in Gottes Hände werde ich mich nicht begeben. Ich habe bisher mein Leben und alles was dazu gehört aktiv gestaltet und möchte auch soweit es mir möglich ist die Verantwortung für meine Tod übernehmen. Ich bin zwar Gott und der Kirche gegenüber nicht so negativ eingestellt, aber sehe mich selber nicht in dieser Form des Glaubens. Aber auch den Ärzten-Dr. Helfer werde ich nicht diese Entscheidung überlassen, denn auch zu dieser Zunft fehlt mir das Vertrauen.
Ich war schon sehr oft schwer krank, lag schon oft im Krankenhaus und es verging kein Aufenthalt, in dem nicht irgend eine Panne passiert ist. Mein Tod sollte aber kein „Pannentod“ sein, er sollte sich soweit es möglich ist in Würde begangen werden.
Mein Ziel ist es bis Ende des Jahres -das was ich bis dahin denke, fühle- aufzuschreiben, um vorbereitet zu sein wenn es einmal soweit ist.
Erika Tkocz‘ Gedanken geben sehr viele meiner eigenen wider. Abweichend zu Dierk Schäfers Gedanken, die er dem Dr. Helfer schrieb, kann ich Erlebtes mit einem sterbenskranken Onkel als Hilfe für mein eigenes Denken über dieses Thema nennen. Sollte ich im Wissen um das nahende Ende noch handlungsfähig sein, werde ich mich weder Grundsätzen einer Religion oder der Mediziner beugen, sondern den Zeitpunkt des Gehens AKTIV selbst auslösen.
Nur das schützt vor genau den Abhängigkeiten, vor denen sich jeder Betroffene fürchtet. Dierk Schäfers Brief an den Dr. Helfer zeigt nämlich genau das Dilemma auf, in das der Patient gestoßen wird, wenn er über sich
entscheiden lässt/lassen muß.
Ich will auch keinem Menschen die Last aufbürden, darüber entscheiden zu müssen, wie mit mir verfahren werden soll. Es ist anmaßend, was Kirchen und Mediziner in Fragen des Sterbens praktizieren. ICH, nur ich
entscheide über mein Ende; und das Verbot der Sterbehilfe ist verlogene Moral derer, die Menschen bis ins Grab hinein mit ihrem menschenfeindlichen Gott knechten wollen. Sind schon arme Wesen, die sich noch am
Lebensende von einem Himmelskomiker ängstigen lassen, sich angebliche Sünden erlassen und als Skaven
der Kirchenbrüder ins Jenseits gehen. Nun, jeder wie er mag.