Dierk Schaefers Blog

Das Märchen von der Zwangsmissionierung deutscher Kinder im staatlichen Religionsunterricht.

Posted in Geschichte, Gesellschaft, Kirche, Kunst, Pädagogik, Politik, Religion, Soziologie, Theologie, Weltanschauung by dierkschaefer on 29. Dezember 2014

Das Märchen wird immer wieder kolportiert und ist dennoch falsch.

Religionsunterricht ist in den meisten Bundesländern ein reguläres Unterrichtsfach für Schüler, die bzw. deren Eltern evangelisch bzw. katholisch sind. Wer nicht daran teilnehmen möchte, kann sich abmelden. Ist er oder sie noch nicht 14 Jahre alt, also noch nicht „religionsmündig“, entscheiden die Eltern über die Teilnahme.[1]

Dazu erhielt ich diesen Kommentar:

»Ich habe 4 inzwischen erwachsene Kinder, Wer vom Religionsunterricht befreit war, musste so eine Art Ethik-Unterricht absolvieren. Ich glaube, das hieß Werte und Normen. Die Lehrer waren dieselben, wie die Religionslehrer. In einer Grundschule war der Religionsunterricht so gelegt, dass die Kinder immer mitten drin eine Freistunde hatten. Nie am Ende oder am Anfang des Schultages.«

 

Solange der Religionsunterricht die Normalität war, hat es der Staat, in diesem Fall die Bundesländer, für ausreichend gehalten, dass die kirchlich anerkannten Religionslehrer[2] Werte und Normen im Rahmen eines konfessionellen Unterrichts vermittelten; sie wurden und werden dafür vom Kultusministerium bezahlt. Verschiedene Gründe haben dazu geführt, dass für immer mehr Kinder die Teilnahme am Religionsunterricht nicht mehr „selbstverständlich“ war. Also musste der Staat selber für Unterricht in Werten und Normen sorgen; dieser Unterricht heißt Ethikunterricht[3] und kann nicht abgewählt werden. Selbstverständlich sind die Religionslehrer von ihrem Studium her befähigt, Ethikunterricht zu erteilen. Sie sollten dazu aber nicht eingesetzt werden, weil die Eltern sich mit Recht wehren könnten, schließlich haben sie doch wohl ihre Gründe gehabt, als sie ihre Kinder vom Religionsunterricht abgemeldet haben, und sie dürfen einem Ethiklehrer, der auch Religionslehrer ist, misstrauen, wenn auch dieses Misstrauen in der Regel keinen inhaltlichen Rückhalt haben wird. Es gibt das Studienfach Ethik, das Lehrer für diesen Unterricht befähigt. Da Ethik-Unterricht kein Konfessionsunterricht sein darf, sonst müsste man sich abmelden dürfen, ist eine Konfessionszugehörigkeit des Lehrers unerheblich, im Gegensatz zum Religionsunterricht.

Schaut man sich die Lehrpläne für beide Fächer an, so wird man große Überlappungen feststellen. Wie denn auch anders? Die Werte und Normen in unserem Kulturraum sind nur geringfügig abhängig von der Konfession. Im Religionsunterricht wird stärker die religiös-konfessionelle Begründung für Ethik betont werden, der Ethik-Unterricht wird stärker philosophisch ausgerichtet sein. In beiden Unterrichtsfächern werden Religionen als Quelle und Bezugspunkt für Ethik durchgenommen, auch die „Fremdreligionen“. Dabei wird der Religionsunterricht den Bereich Kirchengeschichte ausführlicher behandeln. Täte er es nicht, müsste es im Geschichtsunterricht geschehen, da die Kirchengeschichte eng mit der europäischen Profangeschichte verwoben ist. Dasselbe gilt übrigens auch für die Geistesgeschichte und die Kunstgeschichte. Der Religionsunterricht könnte also erheblich entlastet und von Indoktrinationsvorwürfen befreit werden, wenn die anderen Fächer vollumfänglich ihren Bildungsauftrag erfüllen würden. Was im Religionsunterricht inzwischen nur noch selten vorkommt, ist im Ethikunterricht Tabu: Singen und Beten als persönliche Glaubensbekundung. Es ist schon lange her, dass Religionsunterricht als „Kirche in der Schule“ verstanden wurde.

Stundenplantechnisch wäre es optimal, wenn Religionsunterricht und Ethikunterricht zeitlich parallel angesetzt würden, um Freistunden zu vermeiden. Mit den allgemein vermehrten Wahlmöglichkeiten von Unterrichtsfächern sind Freistunden aber ohnehin zur Normalität geworden und der Schultag inzwischen vielfach ein ganzer Schultag. Leider bieten noch nicht alle Schulen eine Mensa und Arbeitsplätze für die Schüler zu Erledigung ihrer Aufgaben an.

Übrigens: In manchen Bundesländern kann Religion im Abitur als Leistungsfach gewählt werden. Da wird, wie auch sonst im Religionsunterricht, nicht der Glaube benotet, sondern das Wissen. Mit streng gläubigen Schülern bekommt ein Religionslehrer zuweilen mehr Schwierigkeiten als mit den anderen. Denn die historisch-kritische Methode in der Behandlung biblischer Schriften gehört zu Lehrplan. Diese Methode hat schon manchen einfachen Glauben erschüttert. Doch davon wissen viele nichts, besonders die, die unbedarft von Indoktrination reden.

[1] Umfassende Information: https://de.wikipedia.org/wiki/Religionsunterricht_in_Deutschland

[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Religionslehrer

[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Ethikunterricht_in_Deutschland

3 Antworten

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  1. Heidi Dettinger said, on 29. Dezember 2014 at 14:02

    Zugegebener Maßen sind meine Kinder inzwischen wirklich erwachsen. Aber in den späten 70ern und frühen 80ern war das schon schwierig. Natürlich habe ich mich gegen den Ethikunterricht mit denselben Lehrern verwehrt – sogar bis vor Gericht. Vergebens.

    Das mit den immer schön säuberlich in die Mitte gelegten Religionsstunden war in den Grundschulen, damals gab es noch keinen Ethikunterricht, sondern Freistunden. Freistunden, die die Kinder dann auf dem Schulhof oder in der Pausenhalle verbringen mussten. Und immer allein, da alle anderen am Religionsunterricht teilnahmen.

    Eines meiner Kinder hat übrigens (auch in der Grundschule) seinen Religionslehrer (ev. Pastor, noch recht jung) nach Che Guevarra gefragt. Den Zusammenhang habe ich vergessen… Er wurde daraufhin für den Rest der Stunde vor die Tür gestellt. Nachdem ich wütend bei dem Pastor aufgelaufen bin, ist mein Sohn regelmäßig den Unterricht ferngeblieben (ohne offizielle Abmeldung, die kam erst später), hat aber trotzdem in jedem Zeugnis ein „Gut“ in Reli bekommen!

    Zwangsmissionierung würde ich das trotzdem nicht nennen (habe ich auch nicht) – da gibt es „bessere“ Beispiele aus den Heimen. Korrekt finde ich das dennoch nicht. Es bleibt für mich ein „Geschmäckle“ – der Staat bezahlt, die Kirche bestimmt die Inhalte. Schulen und Religionsunterricht sind da bekannter Maßen ja nicht die einzigen Beispiele.

    • dierkschaefer said, on 1. Januar 2015 at 14:46

      „Eines meiner Kinder hat übrigens (auch in der Grundschule) seinen Religionslehrer (ev. Pastor, noch recht jung) nach Che Guevarra gefragt. Den Zusammenhang habe ich vergessen… Er wurde daraufhin für den Rest der Stunde vor die Tür gestellt.“
      Da war er schön blöd, der junge Kollege. Doch rechnen wir’s seiner mangelnden Erfahrung zu. Selbst wenn die Frage nach Che Guevara provokativ gewesen sein sollte, was ich bei einem Grundschüler nicht annehme, dann war das eine Steilvorlage, um das Thema „Idole“ aufzugreifen. Wenn man vom Gewaltaspekt absieht, ist die Geschichte seiner Vorbildkarriere geradezu jesusmäßig. Nicht unwichtig: Er starb als Märtyrer, noch rechtzeitig vor Altersstarrheit und Verfettung, also anders als das „sanftlebende Fleisch zu Wittenberg“. – Die Unterschiede zu Jesus sind ja ein prima Thema für den Religionsunterricht – wie auch das „Nachleben“ in den Köpfen. Was hätte man daraus machen können!


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