Dierk Schaefers Blog

Der amtliche Umgang mit den von Armut Betroffenen

Posted in Gesellschaft, Politik by dierkschaefer on 7. Januar 2015

Wer die Berechnungsgrundlagen für den Empfang von Hartz IV oder von Grundsicherung kennt, wird sich über das Schreiben „An die mit schulentlassenen Minderjährigen der öffentlichen Erziehung belegten Heime im Bereich des Landschaftsverbandes Rheinland“ vom 20.2.1962 nicht wundern. Martin Mitchell/Australien hat es gepostet[1] und gibt als Quelle eine „Photokopie einer mit der Schreibmaschine geschriebenen Durchschrift dieses offiziellen Dokuments aus dem Jahre 1962“ an. Zwar kannten die damals in Behörden gebräuchlichen mechanischen Schreibmaschinen, wenn auch elektrisch betrieben, keinen Fettdruck, dennoch gehe ich von der Seriösität der vorgelegten Abschrift aus. Denn der Inhalt ist im Detail zeittypisch und im Duktus der bis heute vorherrschende Grundzug der finanziellen Unterstützung einzelner Personen aus öffentlichen Kassen unter Hinzuziehung der Ressourcen der Betroffenen. Außer den Summen und der Währung hat sich im Prinzip nichts geändert.

Warum? Die Verwendung öffentlicher Gelder für die privaten Zwecke Einzelner bedarf der Begründung vor der Öffentlichkeit. Im Unterschied zur offenen und verdeckten Parteienfinanzierung (die Öffentlichkeit wählt diese Parteien und die Wahlbeteiligung ist immer noch erstaunlich hoch), im Unterschied dazu erfolgt auf den unteren staatlichen Ebenen die Unterstützung Bedürftiger korrekt bürokratisch[2]. Der durchschnittliche Steuerzahler würde auch mit Recht darauf verweisen, dass er für alles, was das Lebensnotwendige übersteigt, nicht aufkommen will.

 

Insofern ist das vorgelegte Zeitdokument in keiner Weise brisant, sondern belegt allenfalls die Schnörkellosigkeit mit der auch damals die Bürokratie ihre Regelungen verordnete.

 

Eins hat sich aber doch geändert und beeinflußt das Denken über Angemessenheiten. Damals, also im Jahr 1962 wurde es nach und nach üblich, dass erwerbstätige Jugendliche daheim kein Kostgeld mehr abgeben mußten. Dabei war die elterliche Begrenzung auf ein Kostgeld schon eine Errungenschaft und dem gestiegenen Lebensstandard zuzuschreiben, dem der Eltern und den Ansprüchen der Jugendlichen; die einen konnten es sich leisten, ihren „Kindern“ allenfalls noch einen Bruchteil für Kost und Logis abzufordern, und die anderen drängten auf finanzielle Unabhängikeit und Teilnahme an der Konsumgesellschaft. Vor dieser Zeit gaben die Lehrlinge so gut wie alles Geld daheim ab – bis sie auszogen.

 

Im Begleitmail von Herrn Mitchell zeigt er sich verwundert dass „in den letzten drei Tagen, seitdem dies erstmalig online steht“, sich, auch was dieses Thema betrifft, kaum jemand dafür interessiert“ habe.

Ja, wieso denn auch?

[1] http://www.ehemalige-heimkinder-tatsachen.com/phpBB3/viewtopic.php?f=3&t=109&p=795#p795

[2] Dass es auch dabei „menschelt“, meist negativ, belegt der Bericht einer Mitarbeiterin einer Arbeitsagentur: http://www.spiegel.de/karriere/berufsleben/hartz-iv-jobcenter-mitarbeiterin-erzaehlt-vom-alltag-im-arbeitsamt-a-1006626.html Wer die Abfertigung von Antragstellern in Arbeitsagenturen kennt, erfährt in diesem Artikel jedoch nichts neues. In Sozialämtern und wohl auch Arbeitsagenturen geht es zuweilen aber auch freundlicher zu. Ich kann hier jedoch nicht quantifizieren.

2 Antworten

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  1. M. Jahnke-Fox said, on 7. Januar 2015 at 14:23

    Dem Beitrag des Herrn Martin Mitchell, Australien, bezüglich der Einbehaltung von Arbeits- bzw. Lehrlingsgelder kann ich mit ruhigen Gewissen bezeugen! Ich selbst habe noch in der Zeit 1966 bis 1968 im Evangelischen Johannesstift in Berlin-Spandau von meinem Lehrlingsgeld bis auf den amtlichen Taschengeldsatz nichts davon zu sehen bekommen. Der damalige Taschengeldsatz im Evangelischen Johannesstift betrug 25 DM. Erst durch diesen Hinweis wurde mir deutlich, dass ich während dieser Zeit durch Einbehaltung/ Einzug meiner Lehrvergütung meine Unterbringungskosten selbst zahlen musste. Lehrlingsgelder und Arbeitseinkommen wurden während dieser Zeit immer noch vom Arbeitgeber bzw. ausbildenden Betrieb direkt an die Heimeinrichtung gezahlt oder Überwiesen, sodass ich als damaliger Lehrling diese Geld erst garnicht in die Hände bekam. Das heranführen zur Eigenverantwortung mit diesem Geld gab es im Ev. Johannesstift in Berlin-Spandau nicht. Ich will damit sagen, das es nicht nur in den alten Bundesländern so gewesen war, sondern auch im damaligen Berlin-West.
    Wie Hoch meine damalige Lehrlingsvergütung gewesen war kann ich heute nicht mehr mit an Sicherheit grenzender Genauigkeit sagen, aber es muss so um die 400 DM Monatlich gewesen sein. Ich belegte damals eine Lehre zum Elektriker. Meine Erkenntnis aus diesem Vorgang bezeugt mir erneut, dass nur durch derartige Machenschaften seitens der Behörden wie Jugend- und Sozialämter möglich gewesen war uns ehemalige Kinder und Jugendliche von einer Einrichtung in die nächste verschleppen zu können. Und wir ehemalige Heimkinder hatten derartiges durch unser selbst verdientes Geld den Behörden und Einrichtungen ermöglicht. Alles Geld was ein damaliges Mündel welches sich unter der Fuchtel eines Jugendamts oder Amtsvormundschaft stand wurde Rücksichtslos von diesen für Heimkosten mit heran gezogen! Auch zweckgebundene Rücklagen. Skrupel kannten diese Behörden und Einrichtungen nicht. Warum also sollen wir ehemalige Heimkinder Skrupel gegenüber den Behörden heute aufbringen? Welche Berechtigung gibt es seitens dieser Behörden und Einrichtungen derartiges von uns ehemalige Heimkinder einzufordern?
    Spricht man diese Behörden nebst Einrichtungen auf jene Machenschaften an, so erhält man heute immer noch ein Achselzucken und die Aussage „Es war eben so damals gewesen!“ und damit hat sich die Sache für diese Leute. Kein bedauern oder Entschuldigen dafür, sondern nur ein leeres Kopf nickendes Lippenbekenntnis wie überall öffentlich bekannt.
    Berücksichtigt man die zuvor erfolgte Kinderarbeit sowie das Einbehalten der Lehr- bzw. Arbeitslöhne der ehemaligen Heimkinder, so kommt man zu der Erkenntnis dass die Öffentlichkeit – damit sind Jugendämter, Vormundschaften sowie die staatlichen wie auch kirchlichen Heimeinrichtungen gemeint – ein sehr gutes und Gewinnbringendes Geschäft mit dem Leid der Heimkinder gemacht hatten. Und dass in Milliardenhöhe!
    Und ich wundere mich heute noch wie das sogenannte Wirtschaftswunder der 50er und 60er Jahre an uns ehemalige Heimkinder auf so wundersamer Weise dabei so vorbei gehen konnte?

    mjf

  2. Martin MITCHELL said, on 7. Januar 2015 at 23:41

    .
    Eine weitere Tatsache muß bei der HEIMKINDER-ZWANGSARBEIT IM WESTEN, ebenso, noch unbedingt in Betracht gezogen werden !!

    Volljährigkeit im WESTEN trat erst mit Vollendung des 21. Lebensjahrs ein !!

    Wer, z.B., im WESTEN, in den 1960er Jahren geboren ist, kann sich so etwas wohl kaum vorstellen.

    Und wer, z.B., im OSTEN, in den 1940er Jahren oder 1950er Jahren geboren ist, kann sich so etwas erst schon garnnicht vorstellen.

    Im OSTEN trat schon seit dem 17.05.1950 Volljährigkeit mit Vollendung des 18. Lebensjahrs ein !!

    Die DDR war dem WESTEN, diesbezüglich, also um 25 Jahre voraus !!

    Im WESTEN durften die Jugendämter / Jugendwohlfahrtsverbände und Betreiber der Heime (zu 80% in Händen der Kirchen), die Jugendlichen – bis zu 1,000,000 Jugendliche – über einen Zeitraum von 25 Jahren, drei weitere Jahre länger als im OSTEN, in ihren Einrichtungen festhalten, und, zusammen mit ihren verbündeten Haushalten der Reichen, Geschäftsleuten, Fabrikanten und Bauern, NACH BELIEBEN AUSBEUTEN;

    und diejenigen im WESTEN, die im Zeitraum von Mitte Juni 1962 bis Mitte Juli 1967 – auch wenn sie in der Zwischenzeit ihre Volljährigkeit erreicht hatten – nach ihrer „Fürsorgeerziehung“ dem derzeit über mehr als 5 Jahre hinweg gültigen »Bewahrungsgesetz« unterstanden, sogar bis zur Vollendung ihres 35. Lebensjahrs (glaube ich mich erinnern zu können, war vorgesehen), NACH BELIEBEN AUSBEUTEN.

    Das WESTDEUTSCHE »Bewahrungsgesetz« wurde aber dann am 18.07.1967 vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswiedrig deklariert.

    So viel nur zum „Rechtsstaat“ „Bundesrepublik Deutschland“ im Umgang mit Kindern und Jugendlichen und jungen Erwachsenen in der »Totalen Institution« Nachkriegsdeutschland-WEST.
    .


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