Dierk Schaefers Blog

Seinen Gott unter Kontrolle bringen – Ja, geht denn das?

Posted in Kirche, Menschenrechte, Theologie by dierkschaefer on 27. April 2015

»Der Journalist und langjährige Nord­afrika-Korrespondent der ARD Samuel Schirmbeck formulierte es überspitzt so: „Der Islam hat es, anders als das Christentum, nicht geschafft, seinen Gott unter Kontrolle zu bringen.“ Er meinte damit eine theologische Weiter­entwicklung des Islams, die versucht, den Glauben so weit wie möglich in Ein­klang zu bringen mit den humanisti­schen Werten der Aufklärung in Euro­pa. Stattdessen befinde sich die islami­sche Theologie in einer tiefen Krise.«[1]

Die Formulierung ist interessant. Es stimmt ja auch, Religion und Gewalt hängen – wie auch immer – zusammen. . »„Alle soge­nannten heiligen Schriften haben starke Gewalt­abschnitte, nicht nur der Is­lam.“«[2] Diese „Gewalt­abschnitte“ wurden durch die Theologie gebändigt, unter Kontrolle gebracht, aber auch Gott?

Wer ist Gott, dass man ihn unter Kontrolle bringen könnte? Und selbst wenn, stimmt die Aussage? Sicherlich hat die Theologie einiges dazu beigetragen, dass die Bibel als eine der „soge­nannten heiligen Schriften“ zu einem anderen, einem sanfteren Gottesbild beigetragen hat. Doch Theologie und Kirche sind zweierlei. Die Kirchen haben lange gebraucht, um die theologischen Erkenntnisse in ihr Selbstverständnis aufzunehmen. Der „Einklang mit den humanisti­schen Werten der Aufklärung in Euro­pa“ wurde erst sehr spät hergestellt. Noch während des Ersten Weltkriegs gab es nicht nur Kriegspredigten, die nichts mit der Aufklärung und den Menschenrechten zu tun hatten, sondern die Kirchen haben sich auch mitschuldig gemacht am Genozid der Armenier durch die Türkische Regierung.[3] Es waren einzelne Christen, die sich nicht von der Kontrolle Gottes durch die Kirchenleitungen irritieren ließen.[4]

Wer ist Gott, dass man ihn unter Kontrolle bringen könnte? Wir sehen zurzeit die Gotteseiferer unter den Islamisten, die im Namen ihres Gottes Grausamkeiten begehen, wie sie auch bei uns noch nicht so lange her sind. Wir denken aber auch an die wahren Märtyrer, die „ihrem Gott“ gehorsam waren und andere Menschen vor Unrecht und Vernichtung zu retten versuchten. Unser „alter ego“ im Himmel ist so, wie wir sind, aber auch wie wir gerne wären. Doch da dieser Gott unsere Züge trägt, muss er in Schach gehalten werden können. Da er auch unsere guten Wünsche, das, was wir Humanität nennen, verkörpert, dürfen wir ihn nicht lähmen.

Der Ring aus der Ringparabel solle die Eigenschaft haben, seinen Träger „vor Gott und den Menschen angenehm“ zu machen, wenn der Besitzer ihn „in dieser Zuversicht“ trägt.[5] Damit ist kein everybody’s darling gemeint, sondern auch Widerstand gegen das Unrecht, gerade wenn Unrecht mehrheitsfähig wird. Die Eidesformel So wahr mir Gott helfe meint einen Gott, der sich nicht der Kontrolle von Diktatoren unterwirft, auch nicht der ihrer Helfershelfer in religiösen Institutionen.

[1] JULIAN TRAUTHIG, Seinen Gott muss man in Schach halten können, Das Heilige und die Gewalt: Die Frankfurter Römerberggespräche fragen nach der Rolle des Islams, aus: FAZ Montag, 27. April 2015

[2] s. Anmerkung 1

[3] »Noch bedeutsamer war das Verhalten der evangelischen Kirche. Ihre Hilfswerke in der Türkei taten alles, um das Leid der Armenier zu mildern. Und sie berichteten sehr genau über den Völkermord, wie auch Lepsius in Geheimtreffen seine evangelischen Brüder sehr genau informiert hatte. Aber was taten die obersten deutschen Protestanten? Nichts.« http://www.wolfgang-gust.net/armenocide/gusthome.nsf/d3cb8075f11223b4c12572ef004f2e81/bb415519c63cfd8ec12575a5006f39ae!OpenDocument auch: https://dierkschaefer.wordpress.com/2015/04/25/das-christliche-deutschland-gab-es-schon-1896-nicht-mehr/

[4] »Wäre nur von jeder zehnten Kanzel die Botschaft von Lepsius in kurzen aber eindringlichen Worten verkündet worden, dann wäre die wichtigste politische Kraft in Deutschland, die westliche Werte akzeptiert hatte, die Sozialdemokraten, alarmiert worden – und damit sehr viele Deutsche. Nicht die böse preußische Zensur verhinderte also die Verbreitung der Wahrheit über den Genozid noch während des Krieges, sondern die gute protestantische Kirche. „Jedes deutsche Pfarramt müßte im Besitz meines Berichtes sein“, schrieb Lepsius selbst dazu, „wenn die Superintendenten und Vertrauensmänner, denen die Pakete zugingen, ihre Schuldigkeit getan hätten.“« http://www.wolfgang-gust.net/armenocide/gusthome.nsf/d3cb8075f11223b4c12572ef004f2e81/bb415519c63cfd8ec12575a5006f39ae!OpenDocument

[5] http://de.wikipedia.org/wiki/Nathan_der_Weise

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