Dierk Schaefers Blog

„Was ist das für eine dreckige Welt. Ich habe noch nie so eine schlimme Geschichte gehört.“

Posted in Geschichte, Gesellschaft by dierkschaefer on 19. Juni 2015

Das erzählt der Regisseur Marc Brummund über sein Spielfilmdebüt „Freistatt“ und die Misshandlungen in einer kirchlichen Fürsorgeanstalt.[1]

Extrem schlimme Geschichten – wie wappnet man sich dagegen?

Er sagt im Interview: „Ich habe versucht, mir einen Schutzmantel anzuziehen, damit es mir persönlich nicht zu nahe kommt“.

Schutzmäntel gibt es verschiedene. Ich selber war mit vielen schlimmen Geschichten konfrontiert, als Polizeipfarrer, später mit dem Thema Notfallseelsorge[2], noch später mit den Heimkinderangelegenheiten. Als Pfarrer muss man in der Lage sein, von einem Trauergespräch kommend ein Traugespräch zu führen. Und dies ohne Schauspielerei. Man muss in beiden Fällen dicht bei den Leuten sein, so schlimm die Trauer der einen und so zukunftsfreudig die Stimmung der anderen auch sein mag. Warum ich das konnte, das Einstimmen in die Situation und auch das echte Mitfühlen, das weiß ich nicht. Vielleicht habe ich als Kind zu oft und zu viele schlimme Geschichten gehört. Von schlimmen Geschichten geht ja auch eine gewisse Faszination aus. Wer sie konsumierend goutiert, ist widerlich. Man muss also schon genau hinschauen und sich einfühlen können.

Der Regisseur Marc Brummund zeigt sich fasziniert von der „Diskrepanz zwischen der neuen Bewegung der 68er, Liberalisierung in Politik, Sexualität, Rockmusik – und innen drin in dieser Gesellschaft haben sozusagen die Nazis weitergemacht.“ Es gibt auch einen persönlichen Bezug. „Freistatt“[3], lag im Moor bei Diepholz, „wo ich geboren und bis zum zehnten Jahr aufgewachsen bin, und auch als Schüler Ausflüge in genau dieses Moor gemacht habe. Das hat mich wahnsinnig berührt und bewegt, als ich mir vorgestellt habe: Irgendwo hier haben vor noch nicht langer Zeit Kinder und Jugendliche ganz heftig gelitten.“ Aber: „Ich habe versucht, mir einen Schutzmantel anzuziehen, damit es mir persönlich nicht zu nahe kommt“. Ob ihm der Versuch geglückt ist?

Ich erinnere mich an einen Zeitungsreporter. Er musste für seine Zeitung auch die schlimmen Verkehrsunfälle aufnehmen. „Ich war froh“, erzählte er, „dass ich zwischen dem Geschehen und mir die Kamera hatte“. So ein Foto-Objektiv kann tatsächlich „objektivieren“.

Und wer zufassen muss? Der Leichensachbearbeiter der Mordkommission, der Sanitäter, der Anatom? Ich habe mit vielen gesprochen.[4] Die Kripo zeigt sehr schnell die Bildmappen, Fotos, die nicht an die Öffentlichkeit kommen dokumentieren grauenvolle Details. Die Botschaft: „Schau her, das ist mein Job.“ Einer sagte, seine Hände vorzeigend: „Wenn meine Frau wüsste, was die anfassen, dürfte ich sie nicht mehr anfassen.“ Ein anderer, wir standen am Fenster und sahen einen Bauern am Pflug: „Der hat es gut, der kann was wachsen lassen, aber wir …“. Ein anderer kam von einer Leiche, die rund zwei Wochen im Wasser gelegen hatte, mehrere Stunden Arbeit im Regen. Er war sichtlich froh, dass ich in seiner Gegenwart das Gespräch mit den Eltern übernahm.[5]

Einen Schutzmantel anziehen – Der Regisseur sagt: „Ich glaube, wenn man liest, worum es geht, denken viele: Das tue ich mir nicht an.“ Ich tue meinen Kollegen vielleicht unrecht. Aber ich habe den Eindruck, dass sie einen Bogen um die schlimmen Geschichten der ehemaligen Kinder in kirchlichen Heimen machen. Bei mir jedenfalls fragt niemand nach. Wenn ich das Thema anspreche, ist man eher peinlich berührt oder wehrt ab.Vielleicht muss man die „Stories“ anders aufbereiten und einen Film draus machen wie Marc Brummund: „Die Resonanz von denen, die den Film gesehen haben, war Begeisterung und eine große Gebanntheit. Wahrscheinlich wird man danach mit einem Schlucken rausgehen. Es ist inhaltlich die ganz harte Kost. Aber in einer Art und Weise erzählt, dass man sagen kann: Das kann man sich angucken.“

O.k., das ist sein Film und wir können ihn uns angucken. Aber was dann?

[1] http://www.choices.de/das-war-bis-mitte-der-70er-gang-und-gaebe

[2] https://dierkschaefer.files.wordpress.com/2015/03/notfallseelsorge2.pdf

[3] Man assoziiert unwillkürlich „Arbeit macht frei“. Wer bei diesem Slogan nicht an Auschwitz denkt, der lese bei Wiki nach: https://de.wikipedia.org/wiki/Arbeit_macht_frei , dort steht auch mehr, als ich bisher wusste. So wird das „Dachaulied“ genannt http://www.literaturepochen.at/exil/multimedia/pdf/soyferdachaulied.pdf , doch im Kontext von Freistatt passen die „Moorsoldaten“ besser. Es lohnt sich, nachzulesen: https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Moorsoldaten , der Text: http://www.volksbund.de/fileadmin/redaktion/BereichInfo/BereichPublikationen/Friedenserziehung/Handreichungen/0095_Moorsoldaten_lied.pdf

[4] mehr zum Thema: Dierk Schäfer und Werner Knubben, in meinen Armen sterben? – Vom Umgang der Polizei mit Trauer und Tod. VDP-Sachbuch

[5] https://dierkschaefer.files.wordpress.com/2015/03/notfallseelsorge1.pdf

4 Antworten

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  1. Martin MITCHELL said, on 23. Juni 2015 at 00:47

    .
    KINOFILM ausschließlich über ev. Erziehungsanstalt FREISTATT

    Siehe auch die vielen detaillierten Beiträge zu diesem KINOSPIELFILM „FREISTATT“ im hiesigen Thread „Drehbuchpreis für: »ANSTALT FREISTATT – MOORHOF ZUR HÖLLE[1]«“ (eröffnet am 18.07.2013) @ https://dierkschaefer.wordpress.com/2013/07/18/drehbuchpreis-fur-anstalt-freistatt-moorhof-zur-holle1/
    .

  2. Martin MITCHELL said, on 28. Juni 2015 at 05:29

    .
    KINOFILM ausschließlich über ev. Erziehungsanstalt FREISTATT

    Heidi Dettinger, 1. Vorsitzende des Vereins ehemaliger Heimkinder e.V. ( VEH e.V. ) gibt bekannt:

    ANFANG DES ZITATS VEREINS.

    Hier finden Sie, wann und wo überall der Film in Deutschland gezeigt wird

    http://www.veh-ev.eu/home/vehevinf/public_html/uncategorized/freistatt-der-film/

    ENDE DES ZITATS VEREINS.

    QUELLE DIESER BEKANNTGEBUNG ist das EHEMALIGE-HEIMKINDER-TATSACHEN.COM-Forum @ http://www.ehemalige-heimkinder-tatsachen.com/viewtopic.php?p=939#p939 ( So. 28.06.2015, um 01:05 Uhr (MEZ/CET) )
    .

  3. Martin MITCHELL said, on 2. Juli 2015 at 10:29

    .
    Martin MITCHELL / »MARTINI« ZITIERT EINEN SEINERSEITIGEN BEITRAG VON IHM GETÄTIGT AUCH ANDERSWO IM NETZ. – ANFANG.

    Darüber wie es damals in Nachkriegsjahrzehnten im Bethel-eigenen FREISTATT, in der Bundesrepublik, zuging, kann sich jeder hier informieren:

    VI 10.1-8 Wohlfahrtsblatt DER FREIEN HANSESTADT BREMEN

    Amtliches Organ der bremischen Wohlfahrtsbehörde

    Für den Inhalt verantwortlich: Präsident Kayser.

    9. Jahrgang – Bremen, Dezember 1938 – Nummer 4

    [ Teilweise Wiedergabe eines zutreffenden Artikels, eingeleitet vom Führer selbst ]

    [ Offizielle Veröffentlichung mit einleitender Aussage dazu von Adolf Hitler selbst ]

    ***Das bremische Arbeitszwangslager Teufelsmoor*** (unter den Nationalsozialisten)
    [ vergleichbar mit FREISTATT IM WIETINGSMOOR (im Kaiserreich; in der Weimarer Republik; unter den Nationalsozialisten; unter Besatzung der Alliierten; in der Bundesrepublik) ]

    Einfach danach GOOGLEn.

    Martin MITCHELL / »MARTINI« ZITIERT EINEN SEINERSEITIGEN BEITRAG VON IHM GETÄTIGT AUCH ANDERSWO IM NETZ. – ENDE.

    Wem jedoch das Selbst-GOOGLEn zu lässtig ist, begebe sich bitte einfach zu http://www.heimkinder-ueberlebende.org/Auszuege_vom_Wohlfahrtsblatt_Dez1938_re_Zwangsarbeit_im_Teufelsmoor_No1.html und beginne dort mal genau zu studieren.
    .

  4. Martin MITCHELL said, on 9. Juli 2015 at 00:34

    .
    KINOFILM ausschließlich über ev. Erziehungsanstalt FREISTATT

    .
    Mein gestriges diesbezügliches Schreiben an die deutschen Medien generell:

    .
    ANFANG DES ZITATS DES VON MIR AUFGESETZTEN SCHREIBENS.

    .
    Der KINOSPIELFILM „FREISTATT“ erzählt viel, mehr als jeder bisherige Film zum Thema – aber doch noch nicht alles.

    .
    Sehr geehrte Damen und Herren Redakteure und Journalisten in der deutschen Medienlandschaft,

    in Bezug auf den auch von Ihnen im Internet vorgestellten, jetzt seit dem 25.06.2015 in deutschen Kinos laufenden, KINOSPIELFILM „FREISTATT“, mache ich als ein australischer Staatsbürger ansässigig in Australien seit dem 24.03.1964 – nach einem meinerseitigen 12-Monate lang andauernden auf Zwangsarbeit im Moor ausgerichteten Aufenthalt in der FÜRSOREGEHÖLLE „FREISTATT“ IM WIETINGSMOOR direkt zuvor – auf einen offiziellen Tatsachenbericht aus dem Jahre 1938 (vorgestellt vom Reichsführer Adolf Hitler selbst!) aufmerksam, ein Tatsachenbericht, der genau beschreibt wie es damals im „ TEUFELSMOOR“ zuging; genau die gleichen Zustände und der gleiche Tagesablauf wie im Bethel-eigenen „FREISTATT“ von 1901 bis Mitte der 80er Jahre oder sogar bis Mitte der 90er Jahre noch! – zumal das Bethel-eigene Freistätter Torfwerk ja erst in 1995 geschlossen wurde!

    Hier der direkte Link zu dieser offiziellen amtlichen Veröffentlichung der „Wohlfahrtsbehörde“ in Bremen unter den Nationalsozialisten – aus dem Jahre 1938 @ http://www.heimkinder-ueberlebende.org/Auszuege_vom_Wohlfahrtsblatt_Dez1938_re_Zwangsarbeit_im_Teufelsmoor_No1.html ( Wenn notwendig können Sie sich, sicherlich, auch ganz einfach eine Kopie des Originals dieser offiziellen amtlichen Veröffentlichung aus dem bremischen Landesarchiv oder dem Bundesarchiv zustellen lassen! )

    Ich und sicherlich auch viele andere Betroffene wären Ihnen sehr dankbar, wenn Sie dann aufgrund dieses Tatsachenberichtes die gesamtgesellschaftliche deutsche Öffentlichkeit, für Bildungszwecke, jetzt ganz speziell, auch mal DARAUF aufmerksam machen würden.

    Mit freundlichen Grüßen

    Martin MITCHELL (Jg. 1946)
    ( Betreiber, u.a., auch von EHEMALIGE-HEIMKINDER-TATSACHEN.COM @ http://www.ehemalige-heimkinder-tatsachen.com )

    .
    [ Empfänger dieser E-mail von Martin MITCHELL vom 07.07.2015, unter anderen: ]

    KREISZEITUNG (DIEPHOLZ) onlineredaktion@kreiszeitung.de
    [ „FREISTATT“ befindet sich im Landkreis Diepholz ]
    WESER-KURIER (BREMEN) chefredaktion@weser-kurier.de und chefredaktion@bremer-nachrichten.de und onlineredaktion@weser-kurier.de
    [ Der WESER-KURIER ist die größte Tageszeitung in der nächstgelegenen Großstadt zu „FREISTATT“, BREMEN (Entfernung 70km) ]
    DEUTSCHLANDRADIO presse@deutschlandradio.de und info@deutschlandradio.de
    KLATSCH-TRATSCH (FILM REVIEW) info@klatsch-tratsch.de
    NDR ndr@ndr.de und internet@ndr.de
    BERLINER MORGENPOST redaktion@morgenpost.de und leserbriefe@morgenpost.de und julius@digitalerwandel.de
    FRANKFURTER NEUE PRESSE info@fnp.de und thomas.ruhmoeller@fnp.de und michael.forst@fnp.de
    DEUTSCHE WELLE info@dw.com
    ABENDZEITUNG (MÜNCHEN) info@abendzeitung.de und info@abendzeitung.de und info@az-muenchen.de und redaktion@az-muenchen.de und online@az-muenchen.de
    SWR info@swr.de und online@swr.de
    OBERPFALZ TV info@otv.de
    YAEZ.DE redaktion@yaez.de und info@yaez.de
    PASSAUER NEUE PRESSE info@pnp.de
    red.online@nordwest-zeitung.de
    DIE WELT redaktion@welt.de
    DIE ZEIT kontakt@zeit.de
    STERN info@stern.de
    HAMBURGER ABENDBLATT hadigital@abendblatt.de
    FREIE PRESSE (CHEMNIZ) die.tageszeitung@freiepresse.de und buero.chefredakteur@freiepresse.de
    THÜRINGER ALLGEMEINE chefredaktion@thueringer-allgemeine.de
    MDS-MEDIENGRUPPE (einschließlich, u.a., KÖLNER RUNDSCHAU, KÖLNER STADT-ANZEIGER, MITTELDEUTSCHE ZEITUNG und BERLINER ZEITUNG) joachim.frank@mds.de
    WESTFALEN-BLATT wb@westfalen-blatt.de
    FRANKFURTER RUNDSCHAU leserbrief@fr-online.de
    KÖLNER RUNDSCHAU online@kr-redaktion.de
    GENERAL-ANZEIGER (BONN) online@ga-bonn.de
    SHZ.DE – PINNEBERGER TAGEBLATT (SCHLESWIG-HOLSTEIN) redaktion@a-beig.de
    Filmregisseur Marc Brummund brummund@yahoo.com
    Drehbuchautorin Nicole Armbruster armbruster@aol.com

    ENDE DES ZITATS DES VON MIR AUFGESETZTEN SCHREIBENS.
    .


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