Dierk Schaefers Blog

Sterbehilfe und der hoffnungslose Fall: Krebs im Endstadium, Schmerzmittel wirken nicht

Posted in Ethik, Gesellschaft, Theologie by dierkschaefer on 23. September 2015

Ein solcher Fall braucht Ausnahmeregelungen. Dafür hat selbst fast jeder, der gegen ärztlich unterstützte Sterbehilfe ist, Verständnis. An einen solchen „Idealfall“ wird auch Professor Dr. Wolfgang Huber in seinem Essay gedacht haben, als er schrieb: »Zwar kann die Selbstbestim­mung im äußersten Grenzfall auch jene Tat der Ver­zweiflung einschließen, in der ein Mensch sich das Leben nimmt. In größ­ter Not mag auch der Beistand eines Arz­tes für einen Sterbenskranken dahin füh­ren, dass er in freier Gewissensentschei­dung, zu der das Bewusstsein der Schuld­übernahme stets dazugehört, dem Wunsch des Kranken nach Hilfe bei der Selbsttötung stattgibt.«[1] Und allgemeiner schreibt er: »Ein genereller Anspruch auf ärztliche Suizidhilfe setzt wichtige Grundsätze des ärztlichen Ethos außer Kraft. Das gilt aber auch für das Verbot einer gewissen­haften Abwägung, die sich aus der Teilnahme an der Lebensgeschichte eines Patienten und aus dem intensiven Gespräch mit ihm ergibt.«

Damit zeigt er schon in der Einleitung die diffizile Problemlage auf. Er schreibt vom ärztlichen Ethos und eröffnet für die ärztliche Suizidhilfe diese Ausnahme.

Das Thema gleicht der Aufgabe einer Quadratur des Kreises. Doch hier haben wir schon zu Beginn des Essays die erste Verkennung der Realität. Der Arzt also soll oder müsste an der Lebensgeschichte des Patienten teilgenommen haben und dieses ausführliche Gespräch mit ihm führen. Dabei wird schon für den Normalbetrieb ärztlicher Praxen geklagt, dass für Gespräche weniger Zeit bleibe als für das Schreiben von Verordnungen. Welche Gebührenziffer hätte ein Gespräch, an das Huber denkt? Diese eher nostalgische Realitätsverkennung zieht sich durch den ganzen Essay. Arztpraxen und Kliniken sind wie Bäckereien ein Geschäftsmodell. Das gilt für Intensiv­stationen wie auch für Sterbehospize, selbstverständlich auch für die diakonischen Einrich­tungen unserer Kirchen, und auch die Kirchen selbst müssen sich wirtschaftlich verhalten – und sie tun das auch. Thomas Fischer, Bundesrichter in Karlsruhe, mag mit seiner Polemik Bestechung: Nieder mit der Ärzte-Korruption![2] ja über das Ziel hinausgeschossen sein. Doch wenn ich mir manche Spezialkliniken anschaue, dann sind das wahre Gelddruck­maschinen; die hohe medizinische Professionalität gehört zum Geschäftsmodell. Das intensive Gespräch mit Patienten über den Eingriff hinaus findet dort nicht statt. Ich würde auch gar nicht erst erwägen, meine Patientenverfügung mit meinem Arzt zu besprechen, der mich regelmäßig zu den Vorsorgeuntersuchungen einlädt und dann das volle Programm fährt, – nicht nur zu meinen Gunsten.

Huber verzichtet glücklicherweise weitgehend auf eine theologische Argumentation. Er schreibt zwar auch vom Schöpfer, setzt aber mehr auf den Allgemeinplatz der Unverfüg­barkeit des Lebens. Auch dies ist ein Postulat. Von der „Tierproduktion“ will ich absehen. Aber: Menschliches Leben wird bei uns heutzutage meist durch das Absetzen von Contrazeptiva ermöglicht oder eben nicht. Unverfügbarkeit? Kommt es zu einer nicht geplanten Schwanger­schaft, wird Leben möglich durch den Verzicht der Frau auf Abtreibung. Unverfügbarkeit? Der medizinische Fortschritt hat uns in den wohlhabenden Ländern erlaubt, unseres Lebens Spanne manche Elle hinzuzusetzen. Anderswo nicht. Unverfügbarkeit?

Jahrhundertelang war es auch bei uns Machthabern möglich, ihren „Bauern“ auf dem Schachbrett der Kriegsschauplätze Selbstaufopferung abzuverlangen. Dies in der Regel mit kirchlicher Unterstützung und nachträglicher Heldenverehrung. Unverfügbarkeit?

Ein letzter Punkt: Es geht ja nicht nur um den Schutz des Lebens angesichts schwerer und tödlicher Krank­heit in einer menschenwürdigen Weise. Es geht auch um die selbstbestimmte, für sich selbst bestimmte Definition der Menschenwürde schon lange vor Eintreten eines solchen Zustands. Ist Huber das Interview mit Hans Küng nicht bekannt?[3] Kann es für einen Einzelnen nicht zur Menschenwürde zählen, dem Abbau seiner Persönlichkeit, seines Selbstwertgefühls zuvorzukommen? Der Säugling auf dem Wickeltisch hat noch kein Schamgefühl. Aber der alten Frau, die wir mit dem RTW ins Krankenhaus fuhren, war es hochnotpeinlich, dass sie stank wie eine Jauchegrube. Es mag ja sein, dass es nicht falsch ist, wenigstens zum Lebenende Demut zu lernen. Aber vorschreiben kann man das nicht, noch dazu wenn man wie der Autor in einer gesellschaftlich privilegierten Situation ist, die es einem Arzt geradezu nahelegt, die Teilnahme an der Lebensgeschichte dieses Patienten und das intensive Gespräch mit ihm als eigenes Privileg zu werten.

Ernstzunehmen ist hingegen die Befürchtung sozialen Drucks, die aus der vermeintlichen Selbstbestimmung eine Fremdbestimmung macht. Dies deutet sich bereits bei der Frage an, ob es die Gesellschaft toleriert, dass wider alle Diagnose- und Eingriffsmöglichkeiten Kinder mit Behinderung das Licht der Welt erblicken und unser Sozialsystem belasten. Es kommen kaum noch Trisomie-Kinder auf die Welt. Auf die Überlebensmöglichkeiten von Flüchtlingen (Unverfügbarkeit?) will ich gar nicht erst eingehen.

[1] Prof. Dr. Wolfgang Huber, Selbstbestimmt sterben – aber wie selbstbestimmt?, FAZ-Print-Ausgabe, Montag, 21. September 2015; alle nicht anders ausgewiesenen Zitate aus diesem Essay.

[2] http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015-08/aerzte-bestechung-korruption-pharmaindustrie/komplettansicht

[3] http://www.youtube.com/watch?v=lP_gUCEVl_s auch als transskript: http://daserste.ndr.de/annewill/archiv/transskript101.pdf

2 Antworten

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