Dierk Schaefers Blog

Gott sei uns gnädig und gebe uns einen gnädigen Arzt.

Posted in Ethik, Firmenethik, Gesellschaft, Menschenrechte, Theologie by dierkschaefer on 28. September 2015

„Ich habe noch nie jemanden so fürchterlich sterben sehen“, sagte sie.

Jahrzehnte hatten wir uns nicht gesehen. Sie hatte uns im Eiscafe entdeckt und setzte sich an unseren Tisch. Vor einem Jahr war ihr Mann gestorben, auf der Intensivstation in der Uniklinik. Lungenkrebs im Endstadium. Ja, er hatte geraucht. Ich frage behutsam nach. Qualvoll sei es für ihn gewesen. Nein, die Schmerzmittel hätten nicht ausgereicht, hätten nicht geholfen. Geschrien habe er, soweit er noch konnte. Aber man habe in dieser Woche noch eine Thrombose-OP gemacht und ein Katheter gelegt; er habe sich vergeblich dagegen gewehrt. Von den Füßen her sei er nach oben hin immer kälter geworden, immer weiter blau angelaufen. „Sehen Sie denn nicht, was los ist?“, habe sie die Ärzte gefragt. „Sie müssen ihm doch helfen!“ Schließlich habe man ihm ein stärker sedierendes Mittel gegeben und sie nach Hause geschickt.

Da diskutieren Ethikkommissionen, da palavern Bundestagsfraktionen über Sterbehilfe.[1] Manche wollen sie überhaupt nicht, andere mit der Einschränkung, sie dürfe nicht geschäftsmäßig betrieben werden. Kein Gedanke daran, dass vielfach in den Krankenhäusern, auf den Intensivstationen geschäftsmäßig kurzfristig lebensverlängernde Eingriffe unternommen werden – unter ungenügender Sedierung werden die Qualen Sterbender verlängert.

„In fast allen Fällen können einem Sterbenden die Schmerzen genommen werden“[2], heißt es. Wo bleibt der Untersuchungsausschuss, der Zahlen/Daten/Fakten vorlegt, wie es denn tatsächlich läuft auf den geschäftsmäßig betriebenen Endstationen unseres irdischen Lebens, die Pflegeheime und die Hospize inbegriffen?

Ein Blick auf die Realität wäre wegweisend. „Todkranken Patienten beim Suizid beizustehen ist ein Tabu. Dennoch passiert es immer wieder“, auch gegen die Interessen der Standesvertretungen der Ärzte. „Ich empfinde Druck, mich entgegen der offiziellen Position der Bundesärztekammer zu äußern. Die Mehrheit der Ärzte denkt wie wir, aber kaum jemand traut sich, offen zu reden. Deshalb habe ich Sorge um Missverständnisse.“ – „So weit ist es schon gekommen, dass Ärzte sich fürchten, eine öffentliche Debatte über ein Thema zu führen, das große Teile der Bevölkerung umtreibt.“ – „Auch ich habe noch nie mit einer Kollegin oder einem Kollegen öffentlich über ärztliche Hilfe zum Suizid gesprochen.“ [3]

Die Überschrift zu diesem Blog-Artikel zeigt, dass es sich bei der – wirklich nicht einfachen – Frage zum ärztlich assistierten Suizid nicht nur um eine gesellschaftliche, sondern auch um eine theologische Frage handelt[4]. Einhellig hören wir in der laufenden Luther-Decade, dass Luther den uns gnädigen Gott entdeckt hat, der sich uns ohne Vorleistungen zugewandt und uns erlöst hat von Todesängsten. Diese Ängste haben wir nun nicht mehr, doch dafür andere. Wer es kann, und die Ärzte können es, sollte uns von solchen Sterbensängsten erlösen dürfen.

Bei Ethikkommissionen fallen mir immer gleich die Pestsäulen ein. [5] Hoch-abgehoben ist das innertrinitarische Gespräch dargestellt: Gott-Vater, Gottes-Sohn (er hat zwar sein Kreuz dabei, doch scheint er sich seiner Qualen als Mensch nicht mehr zu erinnern) und darüber schwebt, noch abgehobener, der Heilige Geist, der doch unser Tröster[6] sein sollte. Unter der Säule Maria, hier auch recht abgehoben gezeigt[7], Doch Maria ist, als Pietà in der Trauer um ihren geliebten Sohn,  menschlicher[8] als der gotteslästerlich dargestellte Vater, der mimisch unbewegt seinen geopferten Sohn präsentiert[9].

Gott sei uns gnädig und gebe uns einen gnädigen Arzt.

[1] https://dierkschaefer.wordpress.com/2015/05/15/aktive-sterbehilfe-sicherlich-keine-luxusdebatte-aber-sie-lenkt-ab/

[2] https://dierkschaefer.wordpress.com/2015/09/23/sterbehilfe-und-der-hoffnungslose-fall-krebs-im-endstadium-schmerzmittel-wirken-nicht/

[3] So berichten Ärzte in: http://www.zeit.de/2015/09/sterbehilfe-aerzte-brechen-tabu/komplettansicht

[4] und die kirchlichen Funktionäre heulen auf. Siehe dazu: https://dierkschaefer.wordpress.com/2013/10/02/diozese-distanziert-sich-von-sterbehilfe-planen-des-theologen-kung/

[5] https://www.flickr.com/photos/dierkschaefer/8254628897/

[6] Johannes 14:26

[7] https://www.flickr.com/photos/dierkschaefer/8255705660/

[8] https://www.flickr.com/photos/dierkschaefer/7973029452/

[9] https://www.flickr.com/photos/dierkschaefer/15097604507/

2 Antworten

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  1. […] Mein Beitrag im Blog https://dierkschaefer.wordpress.com/2015/09/28/gott-sei-uns-gnaedig-und-gebe-uns-einen-gnaedigen-arz… sollte ursprünglich einen anderen Titel haben: Lügen, Lügen, lauter Lügen. Ich sehe mich […]


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