Eine kinderförderliche Politik? – Nicht mit diesen Politikern!
Gutmenschen haben schöne und gute Wunschvorstellungen. Ich auch. Doch Politik funktioniert anders.
Hallo, Herr Bösen[1],
mit Ihren Ideen tragen Sie bei mir Eulen nach Athen.
Kinder haben keine Lobby, jedenfalls keine effektive. Politik wird weitgehend ohne Rücksicht auf Kinderbelange gemacht. Die Kinderkommission halte ich für eine Feigenblattveranstaltung. Sie fordert zwar Kinderrechte ins Grundgesetz (vom Kinderwahlrecht gar nicht zu sprechen), doch diese Vertreterinnen ihrer Parteien können ihre eigenen Parteien nicht überzeugen.
Kommt doch einmal ein kinderförderliches Gesetz durch den Bundestag[2], wird es von den Ländern, die dafür zahlen sollen, abgeblockt oder so verwässert, dass es kaum noch etwas bringt. So die Blockade der Länder bei der Forderung, dass ein „Anwalt des Kindes“, heute heißt er „Verfahrenspfleger“, für seine Aufgabe qualifiziert sein muß.[3] Nachdem wir dennoch faktisch und gegen Widerstände den nicht gewünschten Berufstand[4] etablieren konnten, wurde er durch Gebührenpauschalen so eingeengt, dass eine professionelle Arbeit nur noch für Idealisten mit einem Hauptverdiener im Hintergrund möglich ist. Ich könnte noch andere Beispiele anführen. Als Resümee meiner Tätigkeit verfasste ich gegen Ende meiner Berufstätigkeit ein Plädoyer „Für eine neue Politik in Kinder- und Jugendlichen-Angelegenheiten“, vertrieb es über meinen Verteiler und veröffentlichte es ein paar Jahre später in meinem Blog.[5]
Doch allein mit guten Argumenten macht man keine Politik, auch nicht mit Ihren Wunschvorstellungen.
Ich hatte jahrelang qualifizierte Referenten in meiner „Tagungsreihe Kinderkram“ und dafür ein Fachpublikum. Wir waren uns immer ziemlich einig, was im Detail geschehen müsste. Doch Jahr für Jahr gab es allenfalls minimale Fortschritte. „Man tagt und tagt – und es wird doch nicht hell“.
Schauen Sie sich einmal die Liste der Lobbyisten an Diese Lobbyisten haben Zugang zum Bundestag und zählen sie durch,
- wie viele sich (hoffentlich) für Kinderbelange einsetzen,
- wie viele finanzkräftig sind,
- wie viele mit Arbeitsplätzen argumentieren oder auf ein Wählerpotential verweisen können.
Wir kriegen ja trotz der frischen Erfahrungen nicht einmal eine Verschärfung des Waffenrechts gebacken.
Auch Sie werden zu der Feststellung kommen: Kinder haben keine Lobby, jedenfalls keine effektive.
Sie haben nicht auf meine Frage geantwortet, wie unsere Gesellschaft, wie unsere Behörden der Realität von 42.100 Inobhutnahmen von Kindern[6] möglichst kindgemäß begegnen sollen und KÖNNEN.
Nichts für ungut.
Dierk Schäfer
Fußnoten
[1] https://dierkschaefer.wordpress.com/2016/07/27/ecrasez-linfame-hasskommentare-meinem-blog/#comment-7539
[2] Im Falle der Beschneidung von Kindern gab es ein Gesetz, das auf die körperliche Unversehrtheit der Kinder keine Rücksicht nahm. Religion war wichtiger als Menschenrechte für Kinder.
[3] Auch Familienrichter sind es nicht, denn sie haben fast immer nur eine juristische Qualifikation, aber keine für Psychologie und Sozialpädagogik. Manche müssen sich sogar ins Familienrecht erst einarbeiten, weil sie im Studium einen Bogen drum gemacht haben. Andere verweigern Fortbildung und begründen das mit der Wahrung ihrer Unabhängigkeit.
[4] Politiker hatten die Wunschvorstellung, das könnte doch ehrenamtlich geleistet werden, von „Tante Emma“, wie ich es nannte.
[5] https://dierkschaefer.files.wordpress.com/2011/11/fc3bcr-eine-neue-politik.pdf ].
[6] https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2014/07/PD14_262_225.html
Ein Nachtrag: Auch manche „Kinderlobby“ hat Eigeninteressen. die nicht unbedingt den Kindern dienlich sind: https://dierkschaefer.wordpress.com/2015/06/24/die-zahnlosigkeit-der-gesetze-zum-recht-von-schutzbefohlen/
„Sie haben nicht auf meine Frage geantwortet, wie unsere Gesellschaft, wie unsere Behörden der Realität von 42.100 Inobhutnahmen von Kindern[6] möglichst kindgemäß begegnen sollen und KÖNNEN.“
Ich brauche hier nichts Neues zu „erfinden“, denn David Archard hat in seinem Grundlagenwerk zu Kinderrechten genügend Stellung dazu bezogen. Ich verfüge über das eigene Erleben in Waisenhäusern und Kinderheimen und bin erfreut, dass auch in der Wissenschaft verstanden wird, was artgerechtes Aufwachsen von Kindern bedeutet. Nur ist das Buch von Archard nicht in deutscher Sprache verfügbar. Ich fasse die wesentlichen Aspekte kurz zusammen:
– Wie Archard feststellt, sind Kinderheime kein Ersatz für Eltern, denn nur die Privatsphäre und elterliche Autonomie gewähren die nötige Umsorge für ein Kind. Daraus folgernd wäre ein Kind zunächst in eine Pflegefamilie aufzunehmen, wenn auch nur temporär. Ich selbst mußte diese Erfahrung nach meinem Kinderheimaufenthalt machen und hatte mich etwa ein halbes Jahr sehr gut mit den Pflegeeltern arrangiert. Doch dann hieß es Abschied nehmen und ich kam in die dann endgültige Pflegefamilie. Natürlich tat es mir weh, herzensguten Pflegeeltern auf Wiedersehen sagen zu müssen, doch jeder Abschied bedeutet Neuanfang und die kindliche Neugier und Vertrauen in die Erwachsenenwelt helfen dabei. Und Trauern darf sein, denn es gehört zum Menschsein dazu.
– Archard plädiert dafür, dass Pflegeeltern eine Lizenz benötigen, um den seiner Meinung nach erschwerten Erziehungsaspekten „missbrauchter“ Kinder gerecht werden zu können. Ist auch für mich okay.
– Archard differenziert auch die Altersstufen bei Kindern und empfiehlt für ältere Kinder bzw. jenen, die den Kontakt aufnehmen können, sogenannte „residential schemes“, übersetzt etwa mit Wohnheimvorhaben. Als Beispiel benennt Archard sogar das deutsche Mehrgenerationenhaus, das Betreuung für alle Generationen ermöglicht (weiteres Seite 242 ff. in seinem Buch Children Rights and Childhood 3. Aufl. 2015).
Sie betonen das Verb KÖNNEN und dazu gehört natürlich auch ein Wille. Und wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg. Ich sehe durchaus, dass unsere Politik schon einiges auf den Weg gebracht hat und die Nennung des Mehrgenerationenhauses als deutsche „Erfindung“ auch seine Würdigung erfahren hat. Zum KÖNNEN gehört auch das nötige Geld. Nicht nur als Betriebswirt sehe ich hier in langfristiger Kosten-/Nutzenbetrachtung beträchtliches Verbesserungspotential. Kinder, die artgerecht erzogen werden, geben ein verbessertes Leistungspotential für die Gesellschaft ab. Ein Kinderheim ist kein artgerechtes Aufwachsen für Kinder. Die Wissenschaft von Psychologie, Soziologie und Philosophie haben es verstanden, unsere Politiker brauchen Nachhilfeunterricht.
Danke Herr Schäfer für Ihre Beharrlichkeit, sich für artgerechtes Aufwachsen von Kindern einzusetzen.
Werner Bösen