Dierk Schaefers Blog

Das verräterische Bedauern der Firma Merck.

»Ein Sprecher des Pharmaunternehmens sagte, Merck habe nicht rechtswidrig gehandelt. Die Frage nach Wiedergutmachung stelle sich daher nicht. „Sollten sich Dritte nicht entsprechend der Gesetzeslage verhalten haben, bedauern wir das selbstverständlich“, erklärte das Unternehmen.«[1]

Die Selbstverständlichkeit des Bedauerns entlarvt den Pharmariesen. Geheucheltes Mitleid, purer Hohn für die Betroffenen. Selbstverständlich sieht sich die Firma nicht in der Verantwortung, will nicht in Verbindung mit Medikamentenversuchen an Kindern gebracht werden, will nicht zahlen. Diese Abwehrhaltung ist verständlich. Auch das hessische Sozialministerium bringt sich aus der Schusslinie, spart sich jedoch das „selbstverständliche“ Bedauern. »„Wie auch aus der Veröffentlichung von Frau Wagner hervorgeht, gab es damals keine gesetzlichen Vorschriften, Medikamententests bei einer zuständigen Bundesoberbehörde anzumelden.“ Außerdem unterlagen die Tests noch nicht der behördlichen Überwachung durch die zuständige Landesbehörde. „Das erklärt, warum wir hierzu keine Informationen aus dieser Zeit vorliegen haben.“«

So klug war man bei Merck nicht. Eine freud’sche Fehlleistung? Immerhin bleibt ungeklärt, auf welcher Grundlage Merck der Ärztin des Kinderheims Hephata ein noch nicht zugelassenes Mittel lieferte[2], das „typischerweise bei Psychosen oder Schizophrenien eingesetzt“ wird. Wen beliefert heute die Firma Merck mit nicht zugelassenen Arzneimitteln? Und lehnt die Verantwortung für ihren Einsatz ab? Die Selbstverständlichkeit des Bedauerns ist eine verräterische Nebelgranate, die verdecken soll, dass Merck tiefer verstrickt ist, als die Firma zugibt.

Es kommt aber noch deutlicher: »Zugleich wies die Firma darauf hin, dass seinerzeit nicht nur Arzneimittel von Merck an Kindern in Einrichtungen getestet worden seien, sondern auch von vielen anderen Pharmafirmen. Tatsächlich enthält Wagners Arbeit Hinweise auf Medikamente von Behring, Boehringer Mannheim, Pfizer und anderen Herstellern.« Ist doch schön, andere auch!

Ungeklärt bleibt, auf welcher wissenschaftlichen Versuchsbasis und mit welchem Wissen über die Hintergründe die Firmen die Zulassung solcher Medikamente erlangt haben.

Weiter ist zu fragen, wie es denn heute läuft mit der Transparenz bei der Testung und Genehmigung von Arzneimitteln? Kann man vonseiten der Firmen wie der Behörden ausschließen, dass solche Versuche ganz einfach ins Ausland verlagert wurden, in Länder, die es mit den Menschenrechten nicht sonderlich genau nehmen?

Fairerweise ist das Dilemma zu benennen. Arzneimittel müssen in einem sorgfältigen Prozedere getestet und zugelassen werden. Nach der angenommenen Unbedenklichkeit kommen Tierversuche, danach die Versuche an Testpersonen. Medikamente für Kinder sind nicht an Kindern getestet, sie werden, soweit ich weiß, off-label[3] verschrieben: Die Dosis für Erwachsene wird nach Körpergewicht für Kinder runtergerechnet. Das muss nicht in jedem Fall unproblematisch sein. Doch auch hier haben die Pharmafirmen die Verantwortung den verschreibenden Ärzten zugewiesen.

Diese Sachlage könnte ganze Ethik-Kommissionen ins Rotieren bringen. Doch die befassen sich wohl lieber mit populäreren Themen. Selbstverständlich?

[1] Alle Zitate nach: http://www.lampertheimer-zeitung.de/wirtschaft/wirtschaft-suedhessen/merck-medikamente-wurden-auch-an-hessischen-heimkindern-getestet_17454613.htm

[2] So geht es aus den Unterlagen der Firma Merck hervor. Das Mittel wurde auch an den Arzt im Essener Franz-Sales-Haus geliefert, der es an Kindern von fünf bis 13 Jahren erprobte und die Leiden der Kinder akribisch beschrieb. Es soll sich um bis zu 40 Probanden gehandelt haben.

[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Off-Label-Use

4 Antworten

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  1. Martin MITCHELL said, on 11. November 2016 at 10:01

    .
    Mindestens diese Politikerin, eine SPD-Politikerin des hessischen Landtags, Dr. Daniela Sommer, sieht es genauso wie Dierk Schäfer:

    ANFANG DES ZITATS AUS DEM *BUNDESPRESSEPORTAL* VOM 10.11.2016.

    BUNDESPRESSEPORTAL

    Donnerstag, 10. November 2016 11:33

    [ @ http://www.bundespresseportal.de/hessen/10-hessen/dr-daniela-sommer-spd-schockiert-ueber-medikamententests-an-heimkindern-lueckenlose-aufklaerung-unabdingbar.html ]

    Dr. Daniela Sommer: SPD schockiert über Medikamententests an Heimkindern – lückenlose Aufklärung unabdingbar

    (BPP) Zu den aktuellen Presseberichten über Medikamententest an Heimkindern ohne deren Wissen in den 1950er Jahren in Hessen sagte die stellvertretende Vorsitzende und gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, Dr. Daniela Sommer, heute in Wiesbaden:

    „Was über die Medikamententest an Heimkindern in Treysa bekannt geworden ist, schockiert und macht betroffen. Es gibt keinen Grund, an der Richtigkeit der wissenschaftlichen Studie zu zweifeln, die das Unrecht von damals ans Licht gebracht hat. Was seinerzeit im Kinderheim Treysa – und womöglich auch in anderen Heimen – geschehen ist, lässt sich weder rechtfertigen noch entschuldigen. Missbrauch an den Schwächsten der Schwachen kann und darf nicht hingenommen werden, auch wenn er Jahrzehnte zurückliegt. Es ist zynisch, wenn sich die beteiligten Pharmaunternehmen wie Merck darauf zurückziehen, man habe ‚nicht rechtswidrig‘ gehandelt. Und auch der Verweis darauf, dass andere Pharmaunternehmen ebenfalls solche Tests vorgenommen hätten, taugt nicht zur Entlastung.

    Alle damals Verantwortlichen müssen nun ihren Teil zur schonungslosen Aufklärung des Geschehenen beitragen. Und von den beteiligten Unternehmen können die Opfer von damals tätige Reue verlangen: Sie müssen von denen, die ihnen Leid zugefügt haben, entschädigt werden.

    Die SPD-Fraktion im Hessischen Landtag kann sich gut vorstellen, dass der Landtag zu dem Themenkomplex ein Hearing durchführt, bei dem die Betroffenen, die Leitungen der Einrichtungen und die Pharmaunternehmen Stellung nehmen. Das Thema muss öffentlich aufgearbeitet werden, damit das Unrecht nicht vergessen wird.“

    Quelle: spd-fraktion-hessen.de

    ENDE DES ZITATS AUS DEM *BUNDESPRESSEPORTAL* VOM 10.11.2016.
    .

  2. mandolinchen said, on 12. November 2016 at 16:59

    Danke Martin.
    Die Ruferin in der Wüste ? Man wird es, wie immer, alles unter den Tisch kehren wollen. Das wir mit Medikamenten voll gepumpt wurden , es sollte auch schon am Runden Tisch bekannt gewesen sein.
    Doch hat es jemanden interessiert? Bekanntlich nicht, und so wird womöglich auch das hier ausgehen wie das Hornberger schießen. 😦

  3. Martin MITCHELL said, on 3. Dezember 2016 at 10:59

    .
    Pfarrer i.R. Dierk Schäfer hat auch ganz speziell am 20.11.2016 einen Leserbrief „bei der“, bzw. „an die“ FAZ geschrieben, den er mir erlaubte – mich bat – ebenso weiterzuverbreiten. Ich habe diesen seinen Leserbrief vom 20.11.2016 hier untergebracht:

    @ http://heimkinder-forum.de/v4x/blog/index.php/Entry/131-Medikamententests-an-Heimkindern-in-WESTDEUTSCHLAND/

    Nachdem man den FAZ-Artikel vom 19.11.2016 dort gelesen hat, kann man dann auch sogleich Dierk Schäfers Leserbrief vom 20.11.2016 dazu dort lesen (einfach dort runter scrollen).
    .

  4. Emil von Bimshausen said, on 20. November 2017 at 22:24

    Die Politiker, egal welcher Partei, ziehen vor dem wirtschaftichen Riesen der Fa. Merck doch den Schwanz ein. Unjd wir Betroffenen haben keine Lobby. Mit Blogs und sonsitigen milden Formen des zivilen Protests wird man da wohl nicht weiterkommen. Da hilft nur eine öffemtliche, stake zivile Kampagne. As Betroffener habe ich die Fa. Merck angeschrieben, aber die haben sich rausgewunden wie ein Aal und alles auf die Anstaltsärzte geschoben. Diese Ärzte wurden aber von der Fa. Merck gesondert honoriert, und die Erkenntisse aud diesen menschenverachtenden Versuchen sind in die spätere Produktentwicklungmit eingeflossen und haben sicherlich auch deren Profit gesteigert. Wenn man also die Antalten und deren Ärzte kritisiert, darf man auch vor Merck und Co. nicht haltmachen. Wer zieht diese endlich mal an den Hampelbeinen?


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