Weihnachtslieder in einem Land „religiöser Ahnungslosigkeit“
„Das Christentum ist weitgehend zur Folklore verkümmert. Nur noch eine Minderheit der deutschen und westeuropäischen Christen weiß, warum Feste wie Weihnachten, Ostern und Pfingsten gefeiert werden und was der Advent – außer dem Adventskranz – bedeutet. Es herrscht religiöse Ahnungslosigkeit“schreibt Michael Wolffsohn, deutsch-israelischer Historiker und Publizist am 5. Dezember.[1]
Meine Aufmerksamkeit war geschärft durch die häufige Erwähnung unserer großen Distanz zur noch mittelalterlichen Vorstellungswelt Luthers. Den hatte die Frage nach dem gnädigen Gott umgetrieben, wie es beim diesjährigen Reformationsgedenken ganz richtig herausgestellt wurde. Doch ohne die Furcht vorm Fegefeuer und dem Jüngsten Gericht verliert die Frage ihre Brisanz und ein Gott wird nicht mehr geglaubt, der wie ein deus ex machina, als Akteur ins Weltgeschehen wunderhaft eingreift. »Vor der Moderne beziehungsweise Säkularisierung fragten die vom Leid betroffenen Menschen: „Weshalb hat Gott das zugelassen?“ Seit der Säkularisierung fragen sie: „Wo war, wo ist Gott?“, und „wissen“ sogleich die Antwort: „Es gibt ihn nicht“, oder „Gott ist tot“.«[2]
Doch in den Weihnachtsliedern ist dieser Gott präsent. Lassen wir mal den kitschigen Teil beiseite, wo das „Christkindlein“ brav-reflexhaft[3] auf den Klang der Glocken reagiert: “tut sich vom Himmel dann schwingen eilig hernieder zur Erd’“. Nein, ich denke an die dogmatisch korrekten Lieder. Wer außer den Theologen versteht denn noch, was da gesungen bzw. in den Kaufhäusern abgedudelt wird? „Welt war verloren, Christ ward geboren“. Und dann die ganze Herrschaftsmetaphorik: „Der Herr der Herrlichkeit“, „O, lasset uns anbeten, den Kööööönig“. Ist da vom Gott-König Bhumibol die Rede? „Er ging aus der Kammer sein“; ein Kammerherr? in seiner Präexistenz? Nein, aus „dem königlichen Saal so rein“ – „uns allen zu Frommen“, was ist denn das nun wieder? Das Schiff, das da „geladen“kommt, erklärt immerhin, was da geladen ist, doch dann soll man „sterben und geistlich auferstehn“, was heißt denn das? „O Jesu, Jesu setze mir selbst die Fackel bei“; äh? „Dein Zion streut dir Palmen und grüne Zweige hin“, da muss man ja Gedankensprünge machen, selbst wenn man bei Matthäus 21,8 nachgeschlagen hat. „Tochter Zion“; ja, das singt man so, doch wer ist diese Tochter? Die Jungfrau, die „durch den Dornwald“ ging? Lauter Fragen. „Von Jesse kam die Art“; Jesses, ich versteh’s nicht; ist das Jesus? „Ich lag in tiefster Todesnacht“, na ja, so stressig ist Weihnachten dann doch nicht. „Sünd und Hölle mag sich grämen, Tod und Teufel mag sich schämen“, soll’n sie ruhig. Das Bild vom „Vater im Himmel“ wird ja immerhin kompensiert durch die „Gottesgebärerin“, doch welche Rollenaufteilung?! Was sagt Frau Schwarzer dazu?
Warum singen die Leute Texte, die sie nicht verstehen, die nach ihrer Logik „Un-Sinn“ sind? Hat es zu tun mit den kitschigen Engeln? Sie sind „hereingetreten, kein Auge hat sie kommen sehn, sie gehn zum Weihnachstisch und beten, und wenden wieder sich und gehn“. Da werden Kindheitserinnerungen wachgerufen, Baum und Gabentisch bekommen göttliche Weihe – dann gehen die Engel wieder und wir können endlich die Geschenke auspacken. Aber „Gottes Segen bleibt zurück“.
Da wurde Gott Mensch – wurde ein Mensch Gott. Wen interessiert das noch außer den Theologen und einigen „religiös-Musikalischen“?
Bleibt nur die Hoffnung auf den Heiligen Geist, den Geist, der unabhängig von wandelbaren Geschichten und Gottesbildern, uns den Frieden nicht aus den Augen verlieren lässt.
Fußnoten
Raus aus der Komfortzone religiöser Mythen
Für den Autor M. Wolffsohn eine wirksame Deutung der Bibel, doch weshalb diese nicht den Kindern vermitteln? Wir hören uns gerne Märchen an, viele bis ins hohe Alter und schließlich bleibt noch die Hoffnung auf ein tolles Weiterleben nach dem Tod. Auch der Volksmund weiß „Der Glaube versetzt Berge“ doch welche Religion darf es nun sein? Es gebietet die Freiheit des Menschen darüber zu befinden. Schon Immanuel Kant, Deutschlands bekanntester Philosoph, sah im Freiheitsrecht das grundlegende Menschenrecht, aus dem sich alle anderen Menschenrechte ableiten lassen. Dabei bedachte er nicht, dass es ein wesentliches Menschenrecht gibt, dass dem Kind in die Wiege gelegt ist, das Recht auf Versorgung, ein originäres Kinderrecht und natürlich ein Menschenrecht.
Wie lange darf die Versorgung sein? Manche benötigen sie ihr Leben lang und dafür plädiert offenbar Wolffsohn, denn mir entstand der Eindruck, offenbar geht es für ihn nicht ohne Religion. Mag für viele zutreffen, doch die Art die Religion zu leben darf sich wandeln. Dem Freiheitsrecht folgend hat bei uns daher auch die Religion ihre Freiheiten, grundgesetzlich garantiert.
Mit freiheitlichen und weihnachtlichen Grüßen verbunden mit einem guten Start ins Neue Jahr und viel Gesundheit verbleibe ich mit dem Wunsch, Dierck Schäfer möge noch viele weitere Beiträge verfassen und sage einfach ganz herzlichen Dank.
Danke für den Dank. Auch Ihnen ein fröhliches Weihnachtsfest und und allen ein friedvolles Jahr!
Ja sicherlich Herr Schäfer ist es so, dass der religiöse Ursprung des Weihnachtsfestes von den Menschen nicht so wirklich wahrgenommen wird. Allerdings –nimmt man es genau-ist das Weihnachtsfest von den Christen umfunktioniert worden, denn ursprünglich hatte es eine andere Bedeutung – und wenn ich mich richtig erinnere- steht in der Bibel auch nicht wirklich was von Weihnachten.
Wenn ich es richtig erinnere wurde lange vor Christus Geburt der 25. Dezember als das zunehmende Tageslicht nach der Wintersonnenwende gefeiert. Da waren die Menschen noch mehr an der Natur orientiert und es ist nachvollziehbar und es waren Heiden die diesen Tag gefeiert haben. Na ja und irgendwann haben sich die Christen diesen Tag „erobert“ und die Kirchen haben ihre Vorstellungen mit hineingebracht.
Nun machen es die Menschen selber und machen das aus Weihnachten, was sie für gut und richtig halten und ich finde das in Ordnung. Vielleicht ist es nicht so, wie es von so manchen Kirchenmann/Frau erwartet wird, aber trotzdem gehe ich doch davon aus, dass die Menschen ihre Traditionen und Bräuche lieben, weil sie auch viele Kindheitserinnerungen damit verbinden. Weihnachten ist doch trotz Kommerz und Klamauk der Moment des inne haltens, sich doch auf mehr als auf sich selber zu besinnen und in dieser Zeit werden doch auch jene Wünsche immer wieder deutlich und ganz stark: „Und Frieden auf Erden“.
Einige Weihnachtslieder empfinde ich vom Text her auch unverständlich, aber sie sind die Brücke der Erinnerung, was ich beispielsweise in einer Demenz-WG erlebe. Seit sehr vielen Jahren gestalte ich dort den Heilig Abend und wir singen die Weihnachtslieder und es gibt Bewohner die sonst kaum noch sprechen, aber sie singen- sie singen die Weihnachtslieder textstark und die Augen leuchten und das sind schöne Momente.
Weihnachten hat für viele Menschen eine Bedeutung, die vielleicht nicht in erster Linie mit Jesus Geburt gesehen wird und dennoch erlebe ich viele Menschen in diesen Tagen besinnlicher als sonst und gefühlvoller.
In diesem Sinne wünsche ich ein frohes und besinnliches Weihnachtsfest und erlaube mir mein Weihnachtslieblingslied hier hinein zu stellen:
Hallo, Frau Tkocz,
Ihre Erinnerung ist richtig. Um die zeit des heutigen Weihnachtsfestes feierten die alten Römer den sol invictus, den unbesiegten Sonnengott und auch den germanischen (wohl nicht nur diesen) war die Wintersonnewende eine Feier wert. Man kann das nun gekapert nennen. Doch die ganze Weihnachtsgeschichte ist nachträglich konstruiert, wie man durch einen Vergleich von Matthäus und Lukas schnell feststellen kann. Vor ein paar Tagen berichtete der DLF über Buddha. Auch dessen Geburt und Kindheit wurden (in ähnlicher Weise) nachträglich konstruiert. Man malt sich gern das Leben angebeteter Personen aus, auch wenn man keine oder keine verlässlichen Quellen hat. Dieses Lüge zu nennen wäre der falsche Begriff.
Zu Ihren dementen Personen: Ja, es ist bekannt. Sie erinnern sich oft noch an in der Kindheit Gelerntes und Vertrautes. Das scheint Halt zu geben. An was werden sich unsere Kinder später mal erinnern, nach dem Kulturbruch, den wir erleben?
Nun ja, bei uns daheim werden Weihnachtslieder gesungen – und wenn Fragen kommen, kann ich sie meist beantworten. Doch der Verstand verträgt sich nicht gut mit den Träumen.
Lieber Herr Schäfer,
als Lüge würde ich es auch nicht bezeichnen wollen, weil die Idee hinter Weihnachten eine sehr sinnvolle ist und doch-ich erlebe es zumindest so-auch die Menschen wissen.
Ja ich habe mich auch schon oft gefragt, was die spätere Generation im Alter erinnern wird, weil jene Musik die sie mögen doch sehr individuell ist und es später keine Menschen geben wird, die diese mit ihnen singen können. Mit was wird man sie dann erreichen können???
Ich freue mich auf jeden Fall auf das Weihnachtsfest und es wird für die Bewohner wieder ein guter Moment werden, denn bei der Demenz geht es immer nur um die Momente und die Musik ist der Moment der Erinnerung.
Ich wünsche Ihnen und Ihrer Familie eine schöne Weihnachtsfeier mit vielen Weihnachtsliedern.
Liebe Grüße Erika Tkocz
Hat dies auf ilseluise rebloggt und kommentierte:
… Da wurde Gott Mensch – wurde ein Mensch Gott. Wen interessiert das noch außer den Theologen und einigen „religiös-Musikalischen“?
Bleibt nur die Hoffnung auf den Heiligen Geist, den Geist, der unabhängig von wandelbaren Geschichten und Gottesbildern, uns den Frieden nicht aus den Augen verlieren lässt.