Am Aschermittwoch ist alles vorbei
Karneval – Fasching – Fasnet[1]
Die Landkarte der schwäbisch-alemannischen Fasnet, auch die des rheinischen Karnevals, ist stark konfessionell strukturiert. In den meisten evangelischen Gebieten ist die Fasnet nicht heimisch, auch wenn es seit den letzten Jahrzehnten dort die eine oder andere Veranstaltung geben mag, vielleicht sogar einen Umzug. Noch in den 80er Jahren konnte man auf dem Weg von Tübingen nach Rottenburg schon vom Auto aus die Konfessionalität des Ortes erkennen, bis Kilchberg ist alles evangelisch, ab Bühl ist man im katholischen Bereich, denn ab dort waren bunte Wimpel über die Straße gezogen und die Kinder in irgendeiner Weise verkleidet. Mir ist noch der heftige Streit in Erinnerung[2], als Eltern im von Grund auf evangelischen Gomaringen forderten, im Kindergarten solle Fasching gefeiert werden dürfen – alle Kindergärten des Ortes waren in evangelischer Trägerschaft. Der Streit kehrte jedes Jahr wieder. Der damalige Ortspfarrer wollte in kirchlichen Kindergärten, wie er sagte keinen heidnischen Brauch, teuflisch sei der ganze Mummenschanz.[3] Wenn inzwischen auch die ganz harten Fronten abgebaut sind, so bleibt doch auf evangelischer Seite bis heute weitgehendes Unverständnis für das Phänomen der Fastnacht, denn der Fasching ist weithin nicht verstanden worden, weder von denen, die ihn feiern, noch von denen, die ihn verachten oder gar bekämpfen. Ich halte mich hier im wesentlichen an die Forschungsergebnisse der neueren Brauchtumsforschung, insbesondere an Prof. Werner Mezger aus Rottweil, der den Volkskundelehrstuhl in Freiburg innehat.[4]
Schon der sprachliche Unterschied zwischen Karneval und Fastnacht ist kein inhaltlicher. Viele Menschen, so schreibt Mezger, leiten die Ursprünge des Karnevals direkt von den römischen Festen der Bacchanalien oder Saturnalien her, die Wurzeln der Fastnacht, alemannisch: Fasnet, lägen dagegen in »grauer Vorzeit«, nämlich in den Winteraustreibungs- oder gar den Totenkulten der Germanen. Die gesamte neuere Forschung ist sich jedoch darüber einig, dass beide Brauchtumsformen, Fastnacht und Karneval, keineswegs aus vorchristlicher Zeit stammen, sondern dass sie ihren gemeinsamen Ausgangspunkt voll und ganz im christlichen Jahreslauf haben, wo sie von Anfang an das Schwellenfest vor dem Anbruch der vierzigtägigen Fastenzeit vor Ostern bildeten, die mit dem Aschermittwoch beginnt.
Die deutsche Bezeichnung erklärt sich ohnehin von selbst: Ebenso wie der Abend vor dem Geburtsfest Christi »Weihnacht« heißt, meint »Fastnacht« nichts anderes als den Vorabend der Fastenzeit … aber auch der romanische Begriff »Karneval« stellt einen inhaltlich nicht minder klaren Sinnbezug zum Fasten her. Das Kirchenlatein nannte den Eintritt in die Abstinenzperiode nämlich »carnislevamen«, »camisprivium« oder »cametollendas«, zu übersetzen etwa mit »Fleischwegnahme«.
Untersagt war nämlich, übrigens unter Androhung empfindlicher Strafen, in den sechs Wochen zwischen Aschermittwoch und Ostern nicht nur der Konsum des Fleisches von warmblütigen Tieren, sondern auch der Genuß aller weiteren aus Großvieh- und Geflügelhaltung gewonnenen Nahrungsmittel wie Schmalz, Fett, Milch, Butter, Käse und Eier. Dies hatte für die Gestaltung der letzten Tage vor der Periode der Enthaltsamkeit zur Folge, dass eigens noch mal geschlachtet und in großen Mengen Fleisch verzehrt wurde, was spätestens seit dem 13. Jahrhundert im Rahmen großer öffentlicher Gelage geschah. Zudem suchte man nach Wegen, die verderblichen Vorräte sämtlicher übrigen unters Fastengebot fallenden Speisen vollends aufzubrauchen. Aus der Notwendigkeit solcher Resteverwertung entstanden unter anderem die traditionell schmalzgebackenen, reichlich eierhaltigen Fastnachtsküchlein oder –krapfen, meist Berliner genannt.
Vertreter der weltlichen und der geistlichen Obrigkeit begegneten dem ausgelassenen Treiben am Vorabend der Fastenzeit in der Regel mit Toleranz, legten aber seine Grenzen durch penible Fastnachtsordnungen genauestens fest. Punktuelle Kritik an allzu großer Zügellosigkeit in den Tagen vor Aschermittwoch hatte es vonseiten der Geistlichkeit schon immer gegeben, aber dahinter stand zunächst noch kein geschlossenes ideengeschichtliches Konzept.
Doch etwa ab 1400 setzte eine Entwicklung ein, die man schlagwortartig als Diabolisierungsprozeß bezeichnen könnte. Während nämlich der Festtermin Fastnacht an sich von den Theologen anfangs noch weitgehend wertneutral gesehen und von einzelnen Klerikern je nach persönlicher Gestaltung sogar mit mystiknahen Bildern in Verbindung gebracht wurde, trat an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit eine regelrechte »Verteufelung« ein. So konnte etwa um 1360 ein Dominikanermönch in Rottweil noch völlig unbefangen eine Predigt »von vasnaht krapfen« formulieren, in der er Christus selbst als »geistlichen »vasnaht buoln« der gottgefälligen Seele schilderte[5], während knapp anderthalb Jahrhunderte später Sebastian Brant in seinem Erfolgsbuch »Das Narrenschiff«[6] die Fastnacht mit der wenig freundlichen Feststellung charakterisierte: »Der tüfel hat das spil erdacht.« Damit war alles gesagt, was die führenden Gelehrten seiner Generation von der Fastnacht hielten.
Besonders interessant aber ist, woher die dafür nötigen Schreckmasken und Kostüme häufig stammten. Sie wurden nämlich offenbar bevorzugt aus den kirchlichen Requisitenkammern für geistliche Schauspiele und Prozessionen entliehen, wo zur Darstellung des Bösen in der Regel ein reicher Bestand an Dämonenverkleidungen lagerte. In Überlingen etwa sind solche Ausleihvorgänge von Teufelsgewändern aus dem Kostümfundus der Pfarrkirche Sankt Nikolaus zur fastnächtlichen Nutzung gut dokumentiert. Dort heißt es in einer Fastnachtsordnung, wer vor Aschermittwoch das »tewfel häs« [= Teufelskleid] vom Kirchenpfleger entlehnt habe, der solle dies anschließend wieder vereinbarungsgemäß zurückgeben; und wer umgekehrt sich extra für die Fastnacht auf eigene Kosten ein solches Teufelshäs machen lasse, der möge dies das Jahr über der Pfarrkirche für den »Crutzganng«, also für die Prozession, vermutlich an Fronleichnam, zur Verfügung stellen.[7] Soviel zur Figur des Teufels in der schwäbisch-alemannischen Fastnacht – und der Familienname Teufel stammt, soviel ich weiß, aus diesem Brauchtum. So auch der im Schwäbischen nicht seltene Familienname Narr.
Die Figur des Narren ist theologisch noch interessanter, als die des Teufels in der Fastnacht. Die ältesten bildlichen Darstellungen von Narren finden sich nämlich nicht etwa in einem lustig-profanen, sondern stets in einem ernst-religiösen Kontext, und zwar in Psalterhandschriften jeweils am Anfang des Psalms 52 wo es heißt: »Dixit insipiens in corde suo: non est Deus – der Narr sprach in seinem Herzen: Es gibt keinen Gott.«[8]
Narrheit war also ihrem eigentlichen Sinne nach gleichzusetzen mit Geistesblindheit, Ignoranz und Gottesleugnertum, ja sie stand sogar für die Erbsünde überhaupt. Aus der Entwicklung der Psalterillustration von 1200 bis 1500, genauer gesagt, aus der Art und Weise, wie am Textbeginn des Psalms 53 der Narr jeweils abgebildet wurde, läßt sich dessen schrittweise äußerliche Standardisierung ablesen, die bis ins kleinste Detail zeichenhafte Bedeutung hatte. So wurde der »Insipiens« zunächst mit einer Keule und einem Brot in der Hand wiedergegeben, dann mit Eselsohren und bestimmten Gewandfarben, meist grellgelb und knallrot, gekennzeichnet, schließlich mit einem Narrenzepter, der sogenannten Marotte ausgestattet,[9] und endlich mit Schellen und einem Hahnenkamm oder gar einem ganzen Hahnenkopf auf der als »Gugel« geschnittenen Kappe versehen, bis zuletzt am Vorabend der Neuzeit ein fest umrissener, optisch unverwechselbarer Typus geschaffen war.
Da nun die Fastnacht nach Ansicht der Theologen ebenfalls nichts anderes war als die zeitlich befristete Demonstration einer heillosen, gottfernen Welt, drängte sich als deren entscheidende Integrationsfigur und wichtigste Spielrolle die Gestalt des Narren geradezu auf. In der Tat nahmen Standardnarren mit Schellen und Eselsohren im Mummenschanz der tollen Tage vom Ende des 15. Jahrhunderts an immer mehr zu, bis das Kompositum »Fastnachtsnarr« schließlich sogar zur Generalbezeichnung für sämtliche fastnächtlichen Masken- und Kostümträger gleich welcher Art wurde.
Mit der zentralen Botschaft der Gottferne verband sich im Bedeutungsgehalt der Narrenfigur freilich noch eine weitere Dimension, die heute so gut wie vergessen ist.
Da ist einerseits die Beteiligung des Narren am Leidensweg Christi. Künstler zeigen den Narren an der Geißelung Christi beteiligt und er macht seine Späße auch unter dem Kreuz.
Andererseits haben wir die Nähe des Narren zur Vergänglichkeit. Durch die faktische Gleichsetzung von Narrheit und Erbsünde hatten beide zwangsläufig auch dieselbe Konsequenz. Mit anderen Worten: Wenn nach biblischer Auffassung durch den Sündenfall Evas der Tod in die Welt gekommen war, so mußte die Narretei wie die Erbsünde ebenfalls in eine enge Beziehung zum Tod rücken. In der Tat legen davon seit dem späten 15. Jahrhundert zahlreiche Darstellungen der Sakral- und Profankunst beredtes Zeugnis ab. Ein Beispiel: Für eine Seitenkapelle des Südschiffs der Rottweiler Pfarrkirche Heiligkreuz hat um 1495/96 ein unbekannter Steinmetz eine Gewölbekonsole in Gestalt eines Narren gemeißelt. An genau der entsprechenden Stelle, die in der einen Seitenkapelle dem Narren zugewiesen ist, befindet sich nämlich in der nächsten Kapelle ein grinsender Totenschädel mit der eigens hinzugefügten Aufschrift »Memento mori«, bedenke, dass du sterben mußt.[10]
Diese makabre Bedeutungsnähe der Narrenidee zur Vergänglichkeitsvorstellung, macht es hochgradig sinnreich und in sich stimmig, wenn die Kirche ihren Gläubigen traditionell nur wenige Stunden nach den Narreteien der Fastnacht das Aschenkreuz auflegt und ihnen damit eindringlicher als an jedem anderen Termin des liturgischen Jahres das »Memento mori« vor Augen führt. Die weitgehend säkularisierte Welt von heute nimmt dieses großartige Zusammenwirken von profanem Brauch und sakralem Ritus als Instrument der Katechese, der Belehrung, überhaupt nicht mehr wahr. Den spätmittelalterlichen Menschen aber war sie wohl bewußt, oder sie haben zumindest etwas davon geahnt: Ohne die Einsicht des Narren am Aschermittwoch verliert die Narrheit des Christen in der Fastnacht ihren Sinn.
Fußnoten
[1] Wir haben heute zwar erst den Schmotzigen, doch kommenden Mittwoch ist schon wieder alles vorbei. Mit dem Schmotzigen Donnerstag beginnt in der schwäbisch-alemannischen Fastnacht die eigentliche Fastnachtszeit. https://de.wikipedia.org/wiki/Schmotziger_Donnerstag
[2] Prinz Karneval und Frau Fasten sind … Spottbilder der Konfessionen: Protestanten hatten die Fastenzeit abgeschafft, da nach ihrer Ansicht weder Buße, Enthaltsamkeit noch gute Werke den Menschen vor Gott rechtfertigen, sondern allein der Glaube. https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Kampf_zwischen_Karneval_und_Fasten
[3] Der Kollege hat mit seiner Unkenntnis letztlich dafür gesorgt. dass sich die kommunale Gemeinde genötigt sah, kommunale Kindergärten mit Narrenfreiheit einzurichten
[4] Werner Mezger, Das große Buch der schwäbischalemannischen Fasnet, Stuttgart 200l2, S. 8-17, die Zitate hieraus sind nicht einzeln kenntlich gemacht.
[5] Narrenmesse in Rottenburg, Pfarrer bei der Predigt: https://www.flickr.com/photos/dierkschaefer/12913073883/ , Narrenkapelle https://www.flickr.com/photos/dierkschaefer/12912938805/
[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Das_Narrenschiff_(Brant) https://www.flickr.com/photos/dierkschaefer/2508734787/in/album-72157605161879068/
[7] In der Überlinger Kirche wird allerdings auch deutlich vor Augen geführt, was auf die Sünder wartet: https://www.flickr.com/photos/dierkschaefer/36848781115/
[8] https://www.flickr.com/photos/dierkschaefer/39249138865/in/dateposted-public/
[9] https://www.flickr.com/photos/dierkschaefer/33144614495/in/album-72157605021022505/
[10] https://www.flickr.com/photos/dierkschaefer/40093380142/in/dateposted-public/
Erstmal danke für diesen Beitrag.
Ich erweitere den Satz: „Bedenke, dass du sterben mußt“ mit „und bedenke den Tod“.
Kinder, die früh den Tod nächster Angehöriger erfahren, denken darüber mehr als andere ihrer Gleichgesinnten und ihnen ist kaum nach Feiern zumute, auch nicht die Feier der Eucharistie. Der Tod gilt als natürliches Phänomen und wird schnell versucht zu vergessen. Doch er umgibt uns jeden Tag, irgendwo stirbt jemand. Immer wieder werden Kinder, denen nächste Angehörige früh verstorben sind, daran erinnert. Manche Erwachsene, gar Fachleute meinen, den Tod vergessen zu können. Es ist eine Selbsttäuschung. Kinder, denen ihre Eltern früh verstorben sind, brauchen Elternersatz, Familien, die sich liebevoll um diese Kinder kümmern. Es helfen keine Verwahranstalten, Kinderheime genannt, die in kirchlicher Trägerschaft stehen und deren kirchliche Träger primär eine Art des Feierns kennen, die Feier der Eucharistie. Eucharistie bedeutet Dank zu sagen für Gottes Tun. Das ist paradox wenn ein Kind seine geliebten Eltern zu früh verliert. Das Aschekreuz war dann für mich als achtjähriges Kind das Todessymbol. Das versteht die theologische Erwachsenenwelt offenbar nicht, doch zumindest bietet mir heute ein Theologe ein Sprachrohr für meine Erlebnisse. Danke dafür.