Die Katholische Kirche setzt Maßstäbe – in zweierlei Hinsicht
»Bei der Bischofskonferenz in Fulda ist von Entschädigungssummen bis zu 400tausend Euro die Rede.«[1] Das ist wahrhaft spektakulär – aber noch nicht amtlich im Detail. Zu den nicht unwichtigen Finanzfragen weiter unten.
Wichtiger erscheint mir, dass zum ersten Male von einer Entschädigung für erlittenes Unrecht gesprochen wird. Beide Begriffe gehören zusammen. Bisher gab es Kompensationszahlungen für die Übergriffe einzelner Funktionskatholiken[2]. Gedacht sind diese Zahlungen für die Auswirkungen der Vergehen – man sollte von Verbrechen reden, die ursächlich sind für eine heutige wie auch immer prekäre Lage der Opfer. Die Opfer sprechen von Almosen, ohne Rechtsanspruch, oft verbunden mit Schweigeverpflichtungen.
Wenn nun die Kirche dezidiert von Unrecht spricht, dann hat das Rechtsqualität, der nicht mehr nur mit Almosen zu begegnen ist. Hiermit werden diese Opfer erstmals auf Augenhöhe wahrgenommen. Aus Bittstellern sind Anspruchsberechtigte geworden. Endlich!
Dieser längst fällige Schritt der katholischen Kirche setzt meine Kirche, die evangelische Kirche unter Druck, ihm zu folgen – ich hoffe, sie tut es.
Ein Schritt, der die Opfer ins Recht setzt hat auch psychologische Wirkungen. Es ist bekannt, dass viele Missbrauchsopfer dermaßen traumatisiert sind, dass sie sich nicht melden, um nicht die Verwundungen wieder aufreißen zu lassen. Sie scheuen auch den Antragsweg, der ihnen auferlegt, ihre Geschichte jemandem anzuvertrauen und nicht zu wissen, ob ihr Schicksal verstanden wird, insbesondere, wenn sie argwöhnen müssen, dass das Personal, an das sie geraten, kirchlich beeinflusst ist oder gar völlig unsensibel. Die neue Rechtsposition könnte ihnen den Rücken stärken, damit sie hervortreten, auf ihr Recht pochen und damit zugleich den Opferstatus abwerfen. „Ich brauche mich wegen meiner Geschichte nicht zu schämen. Was ich erlebt habe, ist vor aller Welt als Unrecht anerkannt.“[3]

Dabei ist noch an weiteres kirchlich zu verantwortendem Unrecht zu denken. Es sind ja nicht nur die sexuell Missbrauchten. In den kirchlichen Erziehungseinrichtungen geschah vielfach Unrecht auch nichtsexueller Art. Kinder wurden gedemütigt, misshandelt und ausgebeutet. Vielen wurde eine ihren Fähigkeiten angemessene Bildung und daraus folgend Ausbildung verwehrt. Am Runden Tisch der unsäglichen Frau Vollmer wurde ihnen ein Platz auf Augenhöhe vorenthalten. Sie wurden als bemitleidenswerte Opfer mit Almosen abgespeist.[4]
Dieses Kapitel ist neu aufzurollen. Auch hier ist Unrecht als solches zu benennen, auch hier muss angemessen entschädigt werden.[5] Dies eröffnet zudem neue Horizonte. Denn das Unrecht begann häufig mit der Einweisung durch die Jugendämter, setzte sich zuweilen fort durch die Einstufung normal-intelligenter Kinder als „geistig-behindert“. Fast durchgängig vernachlässigte der Staat[6] seine Aufsichtspflicht. Es war also nicht nur ein kirchliches Versagen im Erziehungsauftrag, sondern auch ein staatliches. Mögen die Kirchen also für diese Fälle den Staat in die Mithaftung nehmen, dann wird’s billiger.
Nun zum Detail, in dem der Teufel zu stecken pflegt.
Da ist von zwei verschiedenen Möglichkeiten der Entschädigung die Rede.[7]
Bislang gab es für die Opfer pauschal 5tausend Euro in Anerkennung des erlittenen Leides.
Nun schlägt eine Arbeitsgruppe der Bischofskonferenz in Fulda zwei Modelle vor:
Entweder eine Entschädigungssumme von 300tausend für jeden Betroffenen, oder ein gestaffeltes System mit Zahlungen zwischen 4tausend und 400tausend. Eine Mischform scheint nicht vorgesehen. So wird es wieder auf Einzelfallösungen hinauslaufen. Jeder Betroffene muss nicht nur das erlittene Unrecht belegen, sondern auch den Zusammenhang zwischen diesem Unrecht und den fortdauernden Auswirkungen.
Damit sind wir wieder bei dem, was ich schon vor acht Jahren die Bordellisierung missbrauchter Kinder genannt habe.[8]
Dennoch: Die katholische Kirche ist einen bedeutenden Schritt vorangekommen, hoffentlich hält sie durch, auch es auf geschätzt eine Milliarde Euro kommen dürfte.
[1] https://www.sueddeutsche.de/politik/missbrauch-kirche-entschaedigung-1.4615849?reduced=true
[2] Man verzeihe mir diesen unschönen Ausdruck. Gemeint sind Männer und Frauen in Diensten der katholischen Kirche, die als Priester, Ordensangehörige oder Lehrer sich an schutzbefohlenen Kindern und Jugendlichen vergangen haben. Zur Zeit wird in diesem Zusammenhang besonders an sexuelle Übergriffe gedacht.
[3] Photo: https://www.flickr.com/photos/dierkschaefer/2515968357/
[4] Ich will mich nicht ständig wiederholen: Dieser Blog ist voll von Heimkinderangelegenheiten und dem Runden Tisch, der von Beginn an auf Betrug angelegt war. https://dierkschaefer.wordpress.com/2015/01/03/der-runde-tisch-heimerziehung-ein-von-beginn-an-eingefadelter-betrug/
[5] Die Medien sprachen und sprechen unisono bei Zahlungen an ehemalige Heimkinder stets von Entschädigungen. Sie scheinen bis heute nicht kapiert zu haben, dass es erklärtermaßen keine Entschädigungen sein sollten, weil es sonst einen Rechtsanspruch gegeben hätte.
[6] Mit Staat sind hier alle involvierten staatlichen Einrichtungen gemeint, egal auf welcher Verwaltungsstufe.
[7] Diese Angaben sind entnommen aus https://www.sueddeutsche.de/politik/missbrauch-kirche-entschaedigung-1.4615849?reduced=true
[8] https://dierkschaefer.wordpress.com/2011/05/27/die-bordellisierung-misbrauchter-kinder/
Die katholische Kirche hat es begriffen und bietet den “Schachzug“:
Laut Artikel 6 Grundgesetz ist folgendes geregelt:
(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.
(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.
Kraft unserer Staatsverfassung haben demnach in allererster Linie die Eltern die Verantwortung für die Kinder und wenn sie dieser nicht gerecht werden, obliegt es der Verantwortung der staatlichen Gemeinschaft, sprich die staatlichen Behörden. Wenn die staatlichen Behörden dann auch auf die Religionsgemeinschaften zugreifen können sie dies tun, jedoch enthebt dies die staatlichen Behörden nicht aus ihrer primären Verantwortung für die Kinder. Wenn nun Kindern Schaden zugefügt wird, dann können sich natürlich die staatlichen Behörden bei den Tätern versuchen schadlos zu halten. Doch wo die Täter den Schaden nicht begleichen können oder wollen, fällt die Heilung auf die staatlichen Behörden zurück. Nun wird fast mit Stolz verkündet, die ehemaligen Heimkinder können finanziell entschädigt werden und bietet Größenordnungen an, die letztlich nur der Staat leisten kann, denn die Kirche verteilt nur ihre „Almosen“ bzw. Spendengelder, denn Kirchensteuern sind steuerlich anerkannte Spenden. Und hier liegt der Schachzug: die Kirche kann die originäre Verantwortung für die Heimkinder an den Staat adressieren, wo sie ja auch hingehört und lässt nun schon einmal „Frohe Botschaften“ raus. Da die Kirche natürlich auf das Wohlwollen staatlicher Behörden angewiesen ist, wird sie dies nicht direkt öffentlich machen, und verhandelt wird hinter geschlossenen Türen.
Wofür kann ich die Kirche nicht verantwortlich machen, obwohl sie der Träger eines Waisenhauses der 1960er Jahre war: beispielsweise für den Missbrauch eines Amtsarztes oder war es gar ein Wissenschaftler, der Heimkinder in einen Bürgerverein eingeladen hat um anwesenden Medizinstudenten die kindliche Anatomie zu erklären und einige Kinder dafür nackt ausziehen musste; oder beispielsweise eine junge Erzieherin, die sich nachts kleine Kinder in ihr Bett nahm, um ihnen etwas Wärme zu geben.
Unser Staat kann hier nur aus der Verantwortung kommen, wenn er kleinen Kindern, Waisen wie Halbwaisen, ein Recht auf eine Familie zugesteht, wie es Artikel 6 Satz 1 impliziert. Das kindliche Recht auf eine Familie bedeutet für die Erwachsenen eine natürliche Elternpflicht. Und diese Elternpflicht für kleine Kinder können staatliche Behörden nicht mit Institutionen kompensieren sondern nur mit Ersatzeltern.
Auch dafür das ich über sechs Jahre in einem Kindergefängnis aufwachsen musste, kann ich die katholische Kirche nicht verantwortlich machen sondern ausschließlich staatliche Behörden, die es bestens verstanden, Eltern zu täuschen über die wahren Vorgänge in Kinderanstalten. Der Erziehungsauftrag war ein klares staatliches Versagen, der Staat haftet und die Kirche ist in der Mithaftung. Nicht umgedreht.
Danke. Genau in dieser Reihenfolge sehe ich die Verantwortung: 1. beim Staat, der versagt hat, aber für Einweisungen und Aufsicht zuständig war, und der 2. die kirchlichen Einrichtungen in Regress nehmen kann für ihr gotteslästerliches Verhalten. Doch die Kirchen werden sich hüten, an den Staat mit Forderungen heranzutreten.
Was kostet der zerstörende Entzug aus einer Familie? Was kostet der Familienverlust einer ganzen Familie? 300 Tsd Euro oder 400 Tsd. Euro? Ich habe durch die Entziehung von meiner Familie ALLES verloren. Sowohl die Mutter als auch den Vater.
Ich wurde als amerikanisches Besatzungskind in West Berlin geboren. Das damalige Jugendamt und die Familienfürsorge kannte meine beide Elternteile Namentlich, sowie auch Wohnsitzmäßig. Da meine Mutter zum Zeitpunkt meiner Geburt noch minderjährig war kam ich zunächst zu meinen Großvater und meiner Stiefgroßmutter in die Obhut. Aufgrund dieser Sachlage bekam ich einen sogenannten Amtsvormund welcher sich nie darum gekümmert hatte meinen amerikanischen Vater, einen US Soldaten, zu kontaktieren. Statt dessen versicherte er immer wieder gegenüber dem Vormundschaftsgericht meine diverse Unterbringung sowie das kein Kontakt zu meinem Vater bestand. Warum er dass trotz wider besseren Wissens so bezeugt hatte, war auch in einer späteren Nachfrage an das ehemalige zuständige Gericht verwunderlich.
Die Aussage der Vormundschaft, dass es bei den damaligen Alliierten nicht möglich gewesen wäre dort Anfragen nach den Vater zu Fragen, war schlicht unwahr. Ich musste, trotz gleicher Informationen zu meinem Vater selbst nach ihn nachforschen und fand ihn dann 35 Jahre später in den USA. Meine Mutter heiratete in der Zwischenzeit in Kanada und heiratete einen Engländer wodurch sie Engländerin wurde. Sie wollte mich von den Großeltern aus zu sich nehmen, jedoch wurde dieses durch den Großvater sowie dem Jugendamt verhindert.
Da es kein Fortkommen in meiner Sache gab, Mutter Engländerin und Vater US Amerikaner, stellte meine Stiefgroßmutter beim Landesjugendamt von Berlin sogar einen Antrag auf Adoption meiner Person. Mein leiblicher Vater wusste aufgrund einer Zerstrittenheit meiner leiblichen Eltern vor meiner Geburt bis zur Kontaktaufnahme meinerseits nichts von meiner bisherigen Existenz. Ich hingegen fand meinen Vater innerhalb von 14 Tagen Suche mit den wenigen Angaben die ich mir bei Volljährigkeit hatte vom Jugendamt geben lassen. Mein Vater war zwar erfreut über mich, jedoch erzürnt über das Berliner Jugendamt sowie meiner Mutter die sich nicht um mich gekümmert hatte sondern es immer Dritten überließ.Nachdem meine Großeltern dieses bemerkten, nahm mich das Jugendamt von meinen Großeltern fort und steckte mich in verschiedene Kinder- und später Jugendheime. Während meiner gesamten Heimkarriere began ein regelrechtes Gezerre um meine Person zwischen dem Jugendamt, einerseits und den kirchlichen Heime andererseits. Hierbei ging es den kirchlichen Heime lediglich um das für mich gezahlte Geld meiner Unterbringung, während es dem Jugendamt darum ging sich meiner Person elegant zu entledigen. Obwohl ich in den Teenagerjahren vermehrt das Jugendamt gebeten hatte mit meinem Vater Kontakt aufzunehmen, blieb es Tatenlos. Die kirchlichen Heime stellten über mich gefakte Entwicklungsberichte an das Berliner Jugendamt aus damit mein jeweiliger Kostenplatz der Einrichtung erhalten geblieben war. In diesen Kinderheime musste ich Misshandlungen jeglicher Art erdulden bis ich mehrfach denen entlaufen war.Erst dann holte man mich in meine Geburtsstadt zurück, steckte mich sodann in ein Schulerziehungsheim mit einer dem Alkohol zugeneigten Heimleiterin.
Erst mit meiner Volljährigkeit in 1971 endete meine Albtraum belastete Kindheit und Teenagerzeit.
Obwohl ich als Volljähriger hätte ein Anrecht auf Akteneinsicht beim Jugendamt gehabt, verweigerte mir mein Amtsvormund die Einsicht in derselben. Wut entbrand verlies ich den Vormund sowie das Jugendamt mit meiner Entlassungsurkunde aus der Herrschaft des Berliner Jugendamt und drehte meiner Heimatstadt den Rücken zu.
Das alles und noch viel mehr hätte nicht sein müssen erklärte mir mein Vater am Telefon. Hätte das Jugendamt ihn Kontaktiert so hätte dieser mich sofort zu sich genommen und mir damit vieles erspart. Da mein leiblicher Vater jedoch sehr krank gewesen war und kurz vor einem persönlichen wiedersehen verstarb habe ich diese Tatsache ebenso dem Berliner Jugendamt und den kirchlichen Heime zu verdanken wie auch trotz mehrmaliger Bitte meinerseits zur Mutter zu kommen das niemals direkte kennen lernen meiner leiblichen Mutter.
In einem Schreiben des Vormundschaftsgerichts 1982 wird deren Unverständnis über die unterlassene Hilfe zur Familienzusammenführung durch den Amtsvormund geäußert. Nur was hatte es mir gebracht?
Ich hatte meine Eltern verloren und viele Jahre meines Leben aufbringen müssen, zumindest meinen Vater zu finden der nach zwei Jahre intensiven Kontakts an Dialyse verstarb. Meine Mutter verstarb neun Monate nach einer direkten telefonischen Kontaktaufnahme. Wie hoch ist also der Verlust der Eltern durch billige Unterlassung bzw. Verhinderung zu beziffern? Nicht nur in der katholischen Kirche spielte sich schreckliches ab, sondern auch in den Einrichtungen der EKD.
Ich weiß nicht, in welchen Heimen Sie waren, vermutlich auch in kirchlichen. Hier zeigt sich die aufzuteilende Verantwortungslosigkeit von Staat und Kirche.
Nochmal zur Präzisierung: Primäre Verantwortung hat der Staat, haben staatliche Behörden. Diese zunächst alleinige Verantwortung ist nach Artikel 6 Grundgesetz nicht delegierbar. Würde der Staat verantwortungsgerecht handeln, würden kleine Kinder zu Ersatzeltern aufgenommen und nicht zu „Berufsprofis“ abgeschoben. Dennoch entscheidet der Staat, an wen die Erziehungsverantwortung delegiert werden kann und setzt seine Erziehungsmaßstäbe, die überprüfbar sein müssen. Bei der Delegation der Erziehungsverantwortung entschied der Staat in vielen Fällen für die Kirche, die damit überfordert war und zu Gesetzesbrüchen führte. Staatlichen Behörden gelang es auch adäquate Unterbringungsmöglichkeiten zu schaffen, auch wenn soziale Vorreiter aktiv sein mussten wie Hermann Gmeiner mit SOS-Kinderdörfern oder die nach Albert-Schweitzer benannten Kinderdörfer. Diese Einrichtungen sind von Ersatzeltern geleitet und dauerhaft angelegt, was bei üblichen Pflegschaftsverhältnissen nicht garantiert ist. Hier beziehen sich dann staatliche Behörden auf ein sogenanntes Elternrecht, das den leiblichen Eltern „gehört“. Doch wenn leibliche Eltern ihrer Erziehungsverantwortung nicht gerecht werden können, haben sie ihr Erziehungsrecht verwirkt, denn das Elternrecht ist eine Fiktion, ein Mythos (Märchen). Dennoch muss einem Kind auch Zugang zu seinen leiblichen Eltern ermöglicht werden, damit es seine „Wurzeln“ kennenlernt. Dies kann beispielsweise auch über ein Großelternkonzept praktiziert werden wie der obige Fall zeigt. Nun können aufgrund juristischer Verjährungsfristen die staatlichen Behörden nicht mehr zur Verantwortung heran gezogen werden. Bei den Kirchen wird es versucht, da christliche Lehre keine Verjährung kennt, sondern Reue und Buße. Unser Staat hat jedoch ein Interesse zur Friedenspflicht unter den Kontrahenten und bemüht sich um Schadensbegrenzung mittels diverser Kommissionen. Dies braucht viel Zeit, zumal wenn sie auf ehrenamtlicher Basis agieren.
Hier ein Interview mit Herrn Katsch, der über die Hintergründe der Ergebnisse der Bischofskonferenz berichtet. Sehr lesenswert. https://hpd.de/artikel/uns-laeuft-unsere-lebenszeit-davon-17254
Aus den bisherigen Aussagen der Bischofskonferenz lässt sich nicht entnehmen, ob auch bereits „entschädigte“ Fälle unter die Neuregelungsabsciht fallen oder nicht.
Diese Frage stellt sich auch dann, wenn die evangelischen Landeskirchen zu einem tatsächlichen Entschädigngssystem kommen sollten, denn die bisher vorgenommenen Zahlungen wurden nur unter der Premisse geleistet, dass weitere Zahlungen nicht stattfinden. Die Landeskirchen Hannover, Braunschweig und Oldenburg gingen entsprechend vor und liessen die Opfer ein entsprechendes Vertragswerk unterschreiben.
Regressansprüche gegen staatliche Institutionen (Jugendämter) sind auszuschliessen. Selbst fehlende Aufsicht
gegenüber Heimbetreibern bringt keine Regressansprüche, denn „Tatorte“ waren immer die Heime oder kirchliche Einrichtungen.
Clevere Kirchen-Justiziare könnten sogar auf die Idee kommen, eine Zuständigkeitsklage einzuleiten, um Forderungen auf der ganz langen Verfahrensbahn zu parken. Das würde die biologische Lösung garantieren.
„Tatorte“ waren nicht immer die Heime sondern zunächst die staatlichen Behörden. Ich wurde als siebenjähriger Junge vom Jugendamt unter Zwangsgewalt in ein Waisenhaus eingewiesen und die Jugendbehörde lies es zu, dass ich von Erziehern (von mir verstanden als verlängerter Arm des Jugendamtes) belogen wurde, in dem sie mir sagten, dass meine Eltern tot seien. Ich glaubte ihnen in diesem kindlichen Alter und auch ihrer Meinung, dass es den anderen Kindern genauso erging. Kraft Konkordat sind Regressansprüche durch staatliche Verjährungsvorschriften hinfällig, weil hier das Konkordat dem staatlichen Recht angegliedert ist. Nur warum kümmert sich die Kirche um die Missbräuche? Weil ihr Auftrag die Seelsorge ist (Artikel 9 Konkordat) und die Sorge um die Seele nicht verjähren kann. Durch den Staatsvertrag sind jedoch unsere Politiker gehalten mit den Kirchen zu einer irgendwie gearteten Lösung zu kommen. Deshalb braucht es erstmal Kommissionen und ein Verstehen des ganzen Problems. Das dauert seine Zeit und dabei interessiert es kaum, ob da jemand vorzeitig stirbt, denn mit dem Tod erfolgt ja die Erlösung. Das Problem des Missbrauchs ist ja nicht ein Problem von gestern, sondern tritt aufgrund diverser Phänomene (die dann auch noch wissenschaftlich analysiert werden müssen) immer wieder auf. Also arbeiten wir für die Kinder von morgen, dass ihnen beispielsweise eine Zwangseinweisung in ein Kinderheim erspart bleiben kann sowie diverse „Tatorte“.
Du gehst die Sache von der moralischen Sichtweise aus an, Werner, ich beleuchtete bewusst nur die juristischen Punkte, die ich bis jetzt sehen kann. Warten wir mal auf die Weiterentwicklungen, die ganz sicher kommen werden. Auch die evangelischen Kirchen werden reagieren müssen.
Deine moralische Sichtweise teile ich. Ich kenne aber die Kirchen und ihre Vorgehensweisen aus leidvoller Erfahrung nur zu gut, um immer kritisch zu bleiben. Wir werden sehen, was aus den Ankündigungen der Bischofskonferenz wird. Noch interessanter wird die unweigerlich kommende Reaktion der EKD sein.
Ich sehe die Angelegenheit auch juristisch. Kraft Grundgesetz Artikel 6 liegt die Verantwortung zur Erziehung außer bei den Eltern beim Staat und nicht bei den Kirchen. Wenn der Staat seine Verantwortung delegiert, dann bedeutet dies juristisch, dass die Verantwortung geteilt wird, aber nicht abgegeben. Unser Staat sieht ja auch seine Probleme und beauftragt daher Kommissionen zwecks Abhilfe. Moralisch wird es natürlich bei mir, wenn ich als ehemaliges Heimkind im Erwachsenenleben feststelle, dass das damalige Kinderheim nicht nur für mich ein Kindergefängnis war und ich mir erklären muss, für was ich sechs Jahre eingesperrt war und sich nur ab und zu das Türchen öffnete, zum Schulbesuch, zum Kirchgang, zu Einkaufstouren für die Heimleitung, etc..
Kraft Konkordat sind die anderen Kirchen der katholischen gleichgestellt. Die EKD könnte also einfach mal abwarten.
@ Werner Boesen
Die EKD wird ganz sicher abwarten, denn in ihrem Vorstand sitzen so Scheinheilige wie Präses Anette (die Nette) Kurschus, die sich mit ihrer Landeskirche als besonders opferfeindlich zeigte, als es um die „Entschädigungs“summen ging. Da war nix mit Christlichkeit, dafür aber reichlich Erbärmlichkeit.
Um nochmals auf die juristische Lage zu kommen: Die einweisenden Stellen (Jugendämter) können niemals für die Straftaten in Heimen verantwortlich gemacht werden, auch dann nicht, wenn keine Verjährung zutrifft. Da greift nicht mal Beihilfe. Unser Recht schützt somit die Jugendämter.
Die Institution Jugendamt kann natürlich nicht verantwortlich gemacht werden, da sie vertrauensvoller Rechtskörper im Staat ist, jedoch die einzelnen Mitarbeiter, die Straftatbestände wissentlich geduldet haben. Was diese Straftatbestände sind darüber streiten sich unsere Politiker und Kirchenfürsten, die glücklich sein können, ein Kinderheim nicht von innen erlebt zu haben.
Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube