Das Schweigen der Hirten[1]
Wenn Hirten unter dem Patronat ihrer Oberhirten selber wie Schafe nur dumpf vor sich hin-mampfen,

dann – ja dann ist etwas am Dampfen. Sie wissen schon was.
Vom katholischen Herdenbetrieb lese ich gerade: „Ich kenne weniger als ein Dutzend kath. Pfarrer, die sich an der Seite kirchlich und außerkirchlich Betroffener positionieren. Allerdings weiß ich nicht, ob es nicht doch mehr gibt, die ohne öffentliche Aufmerksamkeit an der Seite Betroffener handeln. Diejenigen, die sich öffentlich für kirchl. Betroffene bei Bischöfen einsetzten, wurden sanktioniert, sofern sie noch im Dienst waren. Pensionierten Pfarrern ging es da besser, die Bischöfe ließen sie halt machen – und ins Leere laufen.“
Ja, die armen Hirten, – wenn sie kujoniert werden, dann ist vielen die Soutane näher als das Gewissen.
Doch was lässt meine evangelischen Kollegen schweigen? Protestanten sollten anders sein und von der Freiheit eines Christenmenschen freien Gebrauch machen.
Was treibt sie, wer schweigt sie?
Die Frage beschäftigt mich, seit ich im Pfarrerblatt über „Die Kirchen und die Heimkinderdebatte, Scham und Schande“[2] schrieb und es keine Resonanz gab. Wenn allerdings jemand im Pfarrerblatt unorthodox über den Kreuzestod Jesu schreibt, gibt es einen Aufruhr im Leserbriefteil, wie wenn der Fuchs dem Hühnerstall einen Besuch abgestattet hätte.
Kürzlich frage ich einen Kollegen zum Schweigen der Hirten und fasse seine Punkte hier zusammen.
Als Gründe vermute er:
- Das Gefühl mangelnden Wissens. Auch er könne nicht behaupten, spontan die Sachlage einigermaßen korrekt darstellen zu können
- Auch könne die Befürchtung eine Rolle spielen, mit einer Thematisierung vor allem Skandal- oder Sensationslüsternheit zu bedienen.
- Er meint, wie ich es auch schon von anderer Seite hörte, dass das Ganze nach wie vor eher als katholisches Problem wahrgenommen werde. Man wolle einfach nicht wahrhaben, dass es auch die Evangelische Kirche betrifft.
- Auch ökumenische Rücksicht könne eine Rolle spielen. Denn wo man gut zusammenarbeite, möchte man nicht stören.
- Schließlich die Frage, wo und wie man das Thema unterbringen könne. Im Gottesdienst? Und was könne man damit erreichen wollen.
Ich habe dann noch ein mögliches Motiv hinzugefügt:
- Ich halte fast alle meiner Kollegen für so anständig, dass ihnen solch „unanständige“ Vorkommnisse total fremd sind und sie lieber einen Bogen machen – und dabei die Augen abwenden.
Dieser Kollege schickte noch eine weitere Begründung nach. Ich will das hier nicht ausführen. Aber er war Zeuge einer Retraumatisierung geworden und fühlte sich der Situation nur mit Mühe gewachsen. Dazu weiter unten.
Zu einigen der Motive lässt sich was sagen:
In den Gemeindegottesdienst gehört das Thema nur bedingt. Doch als ich das Buch über „Seelsorge nach sexuellem Missbrauch“ las und rezensierte, sah ich nicht nur eine Möglichkeit, sondern die Notwenigkeit, gerade auch im Gottesdienst das Thema Traumatisierungen anzusprechen, weil mutmaßlich in jeder größeren Versammlung von Menschen, also auch im Gottesdienst, Betroffene sind, die unerkannt und unangesprochen leiden.[3]
Nie würde ich ein solches Thema ohne Rücksprache mit dem katholischen Kollegen öffentlich angehen. Doch auf der Basis „Wir haben ein Problem gemeinsam“ könnte man vielleicht einen gemeinsamen Weg finden.
Aber wir müssen das Thema angehen. Die Berichte über die EKD-Synode sind sehr aufschlussreich und belastend.[4] Der zitierte Landesbischof Christoph Meyns zog vor der Synode eine gemischte Bilanz. Einer der vielen Betroffenen, mit denen ich in Kontakt bin, sagte mir, Meyns habe ihm am Telefon gesagt: Wir hätten mehr auf unsere Leute hören sollen. Damit habe er Leute wie mich gemeint.
„Wenn die Kirchen das Ruder nicht herumgedreht bekommen, schaffen sie sich noch selbst ab.“[5] – Das soll aber nicht die Hauptsorge sein. Es geht in erster Linie um die Opfer kirchlicher Akteure.
In der Printausausgabe des aktuellen Pfarrerblattes ist – soweit ich sehe – die erste repräsentative Stellungnahme aus dem Kollektiv der Pfarrer zum Thema Missbrauch abgedruckt. Es geht darin um den Datenschutz für des Missbrauchs beschuldigte Pfarrer. Das könnte man als angemessene Äußerung für einen Interessenverband abtun. Selbstverständlich sind hier auch Rechte zu wahren, die vor ungerechtfertigter Nutzung von Einträgen in Personalakten schützen sollen. — Aber dem Insider, wie auch den Betroffenen muss es übel aufstoßen, dass hier nur Schutzzäune hochgezogen werden, ohne auch nur 1. die Betroffenen zu erwähnen, ihre Aufklärungsrechte, ihren Anspruch auf Entschädigungen, 2. fehlt das erkennbare Bewusstsein, dass das Image der Kirche, das durch solch einseitiges Schutzgebaren weiter geschädigt wird – wenn das überhaupt noch möglich ist. Ich habe dazu dem Pfarrerblatt einen Leserbrief geschickt. Mal sehen, ob er abgedruckt wird.[6]
Die FAZ berichtet heute auf Seite 4 von einem „Digitalen Grundkurs zum Schutz für Schüler*innen vor sexuellem Missbrauch“[7], herausgegeben vom zuständigen Bundesbeauftragten. „Der Kurs kann kostenfrei unter „ www.was-ist-los-mit-jaron.de “ absolviert werden und ist bundesweit als Fortbildung anerkannt. Es gibt ihn für Grundschulen und weiterführende Schulen. … Durch praxisnahe Fallbeispiele können die Lehrer Wissen über sexuellen Kindesmissbrauch erwerben, Täterstrategien kennenlernen und Handlungsmöglichkeiten erfahren. „Kinderschutz braucht Handlungssicherheit“,“ Für Lehrer konzipiert – auch Pfarrer sollten ihn belegen.[8] @epd @kath . Die Kirchenleitungen sollten ihn zur Pflicht machen. Es wird Zeit, dass sie in die Puschen kommen. Sie können sich dafür das „Betroffenheitsgestammel“ sparen.
Glaubwürdigkeit könnten sie wiedergewinnen, wenn sie – ohne großes PR-Trara auf die Widersprucheinrede wegen Verjährung verzichten und deutlich machen, dass sie keine Vorteile haben wollen durch die – zuweilen erforderliche – Dauer der Entschädigungsverfahren, indem sie sich bereiterklären, die Ansprüche der Betroffenen gegebenenfalls auch deren Erben zu erstatten.[9]
Doch ich fürchte … Na, Sie ahnen es schon.
Fußnoten
Photo https://www.flickr.com/photos/dierkschaefer/2994135825/
[1] Den Titel habe ich entnommen aus: DER BODELSCHWINGH CLAN UND SEINE UNRÜHMLICHE GESCHICHTE (1831-2019), https://dierkschaefer.files.wordpress.com/2021/03/text-blog.pdf, S. 1
[2] Dierk Schäfer, Die Kirchen und die Heimkinderdebatte, Scham und Schande, Deutsches Pfarrerblatt – Heft: 5/2010, https://www.pfarrerverband.de/pfarrerblatt/archiv?tx_pvpfarrerblatt_pi1%5Baction%5D=show&tx_pvpfarrerblatt_pi1%5Bcontroller%5D=Item&tx_pvpfarrerblatt_pi1%5Bitem%5D=2812&cHash=c4b8ff246ada75f62f33c0149af7be98
[3] Damit der Boden wieder trägt – Seelsorge nach sexuellem Missbrauch, 25. Januar 2016, https://dierkschaefer.wordpress.com/2016/01/25/damit-der-boden-wieder-traegt-seelsorge-nach-sexuellem-missbrauch/ Betroffene gibt es auch im Kreis der Pfarrer. Ich kenne ein dramatisches Beispiel. Die Kollegin war von ihrem Vater missbraucht worden, und schon das Wort Vater im Vaterunser war ein Trigger.
[4] „Der Skandal um sexualisierte Gewalt in der Kirche trieb am Montag die Synode um“, https://www.zeitzeichen.net/node/9381Dazu auch:https://cdn-storage.br.de/iLCpbHJGNL9zu6i6NL97bmWH_-4c/_AiS/_2rP9-bd_U1S/c43d83fa-4300-4b1a-864c-a2c93832a1ca_3.mp3
[5] https://www.zeit.de/2021/48/lars-castellucci-spd-bundestag-religion-missbrauch-aufarbeitung/komplettansicht
[6] Wenn nicht, wird er hier erscheinen. Aber vielleicht möchte jemand beim Pfarrerblatt nachfragen?
[7] Da ich korrekt zitiere, habe ich das grammatisch unkorrekte * beibehalten. Ich bitte um Entschuldigung.
[8] Oben war die Rede vom Kollegen, der sich der Situation nur mit Mühe gewachsen fühlte. Hier gibt es Rüstzeug.
[9] Auf der langen Bank? Freeze now! 3. Januar 2010, https://dierkschaefer.wordpress.com/2010/01/03/auf-der-langen-bank-freeze-now/
Das,lieber Dierk Schäfer,ist eine meisterhafte Darstellung der Realität.Sie wissen, dass ich als Insider am Thema bin und Sie auch zerreisse,wenn Sie Murks schreiben.Deshalb nochmals meinen Dank für diesen Beitrag zum Thema,das mich schon 1 Jahrzehnt tierisch nervt.
Wir zerreißen uns notfalls gegenseitig. Nichts für ungut.