Dierk Schaefers Blog

Die sehr katholische Lösung eines Problems?

Posted in Uncategorized by dierkschaefer on 9. Januar 2023

Da gab es, wenn wir einem Literaten[1] Glauben schenken wollen, ein total verarmtes Kloster in den Alpilles. Ausgerechnet der Kuhhirte, der am wenigsten geachtete Bruder, kam auf die rettende Idee: Ein Likör sollte die Finanzlage aufbessern – er kannte das Rezept. So wurde das Kloster zum florierenden Wirtschaftsbetrieb, er zum „Ehrwürdigen Pater Gaucher“ – und zum Alkoholiker.

Und da, eines schönen Sonntagmorgens, während der Schatzmeister vor versammeltem Ordenskapitel seinen Jahresabschlußbericht las und ihm die guten Mönche mit glänzenden Augen und mit einem Lächeln auf den Lippen lauschten, da platzte doch Pater Gaucher mitten in die Sitzung hinein und schrie:

„Schluß! Ich mache keinen mehr. Gebt mir meine Kühe wieder!“

„Was gibt es denn, Pater Gaucher?“, fragte der Prior, der wohl ahnen mochte, was los war.

„Was es gibt, Hochwürden? Das gibt es: ich bin auf dem besten Wege, mir eine schöne Ewigkeit mit Flammen und Forkenstichen zu bereiten … Ich trinke, ja, ich saufe wie ein Loch!“

„Aber ich habe Euch doch gesagt, Ihr solltet Eure Tropfen zählen.“

„Ach, gewiß doch, meine Tropfen zählen! Jetzt müßte man schon die Becher zählen … Ja, Ihr ehrwürdigen Patres, so weit ist es mit mir gekommen. Drei Phiolen jeden Abend! Ihr müßt einsehen, daß das so nicht weiter­gehen kann. Drum mag das Elixier herstellen, wer will. Das Feuer des Herrn verbrenne mich, wenn ich da noch mitmache!“

Nun lachte das Ordenskapitel nicht mehr.

„Unglückseliger, Ihr ruiniert uns doch!“ schrie der Schatzmeister und schwenkte sein dickes Buch.

„Wäre es Euch denn lieber, ich brächte mich um die ewige Seligkeit?“

Da erhob sich der Prior.

„Meine ehrwürdigen Brüder“, sagte er und streckte seine schöne weiße Hand aus, an welcher der Hirtenring leuchtete. „Es gibt ein Mittel, alles wieder in Ordnung zu bringen … Es ist doch so, daß Euch der Dämon des Abends heimsucht, nicht wahr, mein lieber Sohn?“

„Ja, Herr Prior, regelmäßig, jeden Abend … Auch jetzt, wenn ich an die Nacht denke, bricht mir, mit Verlaub zu sagen, der kalte Schweiß aus, wie dem Esel, der den Packsattel sieht.“

„Wohlan, beruhigt Euch … Fortan werden wir jeden Abend bei der Messe das Gebet des heiligen Augustinus sprechen, durch das vollkommener Ablaß erteilt wird. Damit seid Ihr, was auch immer geschehen möge, in Sicherheit. Das bedeutet Absolution während der Sünde.“

„Oh, gut! Schönen Dank auch, Herr Prior!“

Und Pater Gaucher war’s zufrieden und kehrte zu seinen Retorten zurück, leicht wie eine Lerche.

Und tatsächlich, von diesem Augenblick an versäumte der die Messe lesende Priester wahrlich niemals, am Ende der Fürbitten die Worte zu sprechen: „Laßt uns für unseren armen Pater Gaucher beten, der seine Seele dem Wohle der Bruderschaft opfert … Oremus Domine …“

Und während über alle diese weißen Kapuzen, die sich im Schatten der Kirchenschiffe tief verneigten, zitternd das Gebet strich wie ein leichter Nordwind über Schnee, hörte man am anderen Ende des Klosters hinter dem erleuchteten Glasfenster der Destillerie Pater Gaucher aus vollem Halse singen.


[1] Alphonse Daudet beschreibt in seiner Novellensammlung „Lettres de mon moulin“ (1866), deutsch: „Briefe aus meiner Mühle“ (1879), in der fiktionalen Erzählung „L’Élixir du révérend père Gaucher“ die Erzeugung eines Klosterlikörs durch den Prämonstratenserbruder Gaucher, der die Abtei Saint-Michel-de-Frigolet aus ihrer prekären wirtschaftlichen Lage befreit. https://de.wikipedia.org/wiki/Saint-Michel-de-Frigolet

Der Likör wird immer noch erfolgreich verkauft.

Eine Antwort

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  1. Werner Bösen said, on 10. Januar 2023 at 10:54

    Not macht erfinderisch, und das Ego (Ich) kann nicht ohne Du (den Nächsten). Das Seelenheil obliegt dem Überirdischen namens Gott und die Seelsorge seinen Erdenvertretern, den Aposteln, die die Deutungshoheit beanspruchen (heute der Papst), was offenbar die sehr katholische Problemlösung ausmacht. Doch Deutungshoheit beansprucht jede Religion für sich. Was tun, sprach Zeus? Jeder erhält seine Freiheit, so auch die Religion. Und auch Christus stellte jedem frei, ob er/sie ihm folgt oder nicht. Wer Christus folgte, brauchte keinen Hunger zu leiden, denn das Wohl galt nicht nur der Seele sondern auch dem Leib. Pater Gaucher brauchte somit nicht seine Seele dem Wohle der Bruderschaft zu opfern, denn die Seele gehörte ja bereits Gott. Pater Gaucher opferte seinen Körper auf irdisches Geheiß seines Priors und dies ist die sehr katholische Problemlösung, die Seele ist wichtiger als der Körper, im Zweifelsfalle leidet der Körper und nicht die Seele. Schließlich konfrontiert uns Gott mit Leid und schickt uns den Tod, sodass unsere Nächsten (viele Du) leiden müssen mit Körper und Seele, jedoch wer sein Heil bei Gott gefunden hat, dem braucht die Seele nicht zu leiden.


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