Dierk Schaefers Blog

Merkwürdiger Versuch der Stadt München mithilfe einer „unabhängigen Aufarbeitungskommission“ die Fälle von Missbrauch und Trauma zu klären. – Ein Gastkommentar von Vladimir Kadavy

„München leuchtete“, schrieb Thomas Mann in seiner Erzählung „Gladius Dei“. Gladius Dei heißt: Schwert Gottes.

Ob München immer noch leuchtet, beleuchtet Vladimir Kadavy in seinem Kommentar:

Die Stadt kommt nicht zu Potte

Wie man es auch nennen mag: Entschädigung oder Kompensationsleistungen. Die sollte es bereits ab Mitte 2021geben. Über Erst-Zahlungen ist die Stadt nicht hinausgekommen.

Nun sollen die abschließenden Zweit-Zahlungen von einer Kommission abhängen. „Sie soll die Aufarbeitung wissenschaftlich betreuen. Man ist aber noch auf der Suche nach Fachleu­ten.“

Währenddessen werden wir, die überlebenden Betroffenen älter und warten seit Januar 2021 darauf, dass die Stadt zu Potte kommt. Zahlungen waren immerhin schon zur Jahres­mitte 2021 durch die Stadt angekündigt, aber erst im Spätherbst 2021 nahm das von städti­schen Angestellten durchtränkte aufarbeitende Gremium seine „unabhängige“ Tätigkeit auf, – während Jugendamt und Stadtrat darauf warten können, dass wir abtreten. Darauf besteht angesichts des Altersdurchschnitts der Betroffenen (plus minus 75 Jahre) und der Proble­ma­tik, eine wissenschaftlich aufarbeitende Institution zu finden, eine berechtigte Hoffnung. Einer meiner missbrauchten Verwandten ist bereits tot, ein anderer schwer erkrankt, zwei weitere aus dem Umkreis unserer Recherchegruppe sind in einem desolaten körperlichen und psychischen Zustand. Es findet also ein edler Wettstreit zwischen Altern und Hinauszögern statt. Dreimal darf man raten, wer aus diesem Wettkampf als Gewinner hervorgeht. Darum also auch kein Wort über transgenerationelle Lösungen, d. h. Zahlungen an Angehörige. Das scheint nicht mal angedacht worden zu sein.

Wie steht es mit den in Aussicht gestellten Kompensationsleistungen, Herr Raab?

Ignaz Raab, pensionierter Kriminalbeamter, ist Vorsitzender der Münchner städtischen Aufarbeitungskommission. Ihn befragte Bernd Kastner, Journalist bei der Süddeutschen Zeitung, am 8. Mai 23 nach den in Aussicht gestellten Kompensationsleistungen:

„Wann wird über die endgültigen Summen entschieden?“ – „Noch ist offen, ob wir dafür den Abschluss der wissenschaftlichen Aufarbeitung abwarten.“

„Die hat immer noch nicht begonnen?“ – „Eigentlich sollte sie schon im letzten Sommer starten…..“

In dieser Art geht es weiter[1].

Was ist, wenn die Leute sterben?

Kastner hätte auch fragen können: Wie haben Sie bisher im Aufarbeitungsgremium die Zeit seit 2021 verbracht? Wenn in der Zwischenzeit schon viele gestorben sind, könnte sich die Stadt die Auszahlung der Zweitsumme ja sparen?

Weit gefehlt! Dazu Ignaz Raab: „Kürzlich haben wir an einen Betroffenen Soforthilfe ausgezahlt, und jetzt kam die Nachricht, dass er gestorben ist. Daran schließt sich die Frage an: Muss die Sofort­hilfe zurückgezahlt werden? Das muss der Staat einheitlich klären. Ich wünsche mir, dass es ins Erbe geht.“

Dafür sind wir Betroffene und unsere Angehörigen dem Vorsitzenden der Städtischen Auf­arbeitung sehr dankbar. Diese Frage, die er hier aufwirft, kann natürlich nur geklärt werden, wenn jeder Betroffene gegenüber der Stadt nachweisen kann, dass er noch unter den Leben­den weilt. Ich sehe schon der Zusendung eines Formblattes entgegen, auf dem ich bestätige, dass ich noch nicht tot bin.

Der Oberaufklärer der Stadt räumt ein, dass solche Zahlungen grundsätzlich steuerfrei gestellt werden könnten, was aber seit Bestehen der Ausschussarbeit in zweieinhalb Jahren nicht voll­ständig geklärt ist: Hier brächte eine rasche Information der Überlebenden bzw. noch unter uns Weilenden rasche Hilfe.

Tja, so viel hätte gemacht werden können, was man der Öffentlichkeit besser vorenthält.

Die Stille der städtischen Aufarbeitung

„..um die städtische Aufarbeitung […] ist es ruhig geworden. Woran liegt das?“ „Wir arbeiten im Stillen, ohne mediales Aufsehen.“

Das mit der Unabhängigkeit, der Verschwiegenheitsverpflichtung und der aufarbeitenden Stille hat schon seine Vorteile. Endlich erschließt sich mir die Bedeutung der Unabhängigkeit des Ausschusses. Dazu gehört auch das Warten bis biologische Lösungen im Bündnis mit dem Verstreichen der Zeit dafür sorgen, dass die Arbeit des Ausschusses im Sande verläuft. So nicht nur meine Wahrnehmung.

Der Ruf nach dem Staat

Dass Herr Raab eine Intervention des Staates zur Aufarbeitung der Verbrechen sexuellen Missbrauchs fordert, ehrt ihn, aber was ist denn nun mit der Stadt? Was meint er denn eigentlich? Vielleicht kann man ihm nahebringen, dass auch die Stadt Staat ist. Kommunen unterliegen dem staatlichen Verwaltungsrecht. Insofern appelliert Herr Raab hier an die Aufarbeitung des Ausschusses, dem er vorsitzt. Ob er das wohl gemeint hat?

Soweit der Gastkommentar.

Wann wohl das Schwert Gottes zuschlägt?

Bei einem Spaziergang sah ich, dass es in München tatsächlich leuchtet: Der Erzengel Michael kämpft auf leuchtend goldenem Hintergrund. Er führt zwar kein Schwert, dafür aber eine Lanze. Ist es eine für Gerechtigkeit? Photo: Dierk Schäfer


[1] Hier der Link mit eingeschränktem Zugang, über den Sie im zweiten Schritt das ungekürzte Interview aus der SZ aufrufen können: https://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-missbrauch-kinderheime-aufarbeitung-ignaz-raab-1.5844370?reduced=true

Vereidigung – eine Schnittstelle zwischen Staat und Kirche

Junge Polizeibeamte werden zu Dienstbeginn feierlich auf das Grundgesetz vereidigt. Bei der Feier zugegen sind zudem Angehörige der Polizeibeamten, politische Vertreter der Kommune und des Landes, auch die Bundeswehr war regelmäßig vertreten und die Lokalpresse. Der Innenminister hielt eine Ansprache, soweit er nicht verhindert war.

Von uns Polizeipfarrern[1] wurde erwartet, im Berufsethischen Unterricht noch vor der Vereidigung das Thema zu behandeln. Inhaltliche Vorgaben gab selbstverständlich nicht[2].

Die aktuelle Diskussion über Polizeieinsätze gegen Demonstranten der „letzten Generation“

ließen mich Rückschau halten. Von Stichworten wie Wackersdorf oder Tiefflieger abgesehen ist meine Vereidigungsansprache noch aktuell:


[1] Wir Pfarrer (evangelisch&katholisch) wechselten uns in dieser Aufgabe ab.

[2] So etwas habe ich in meiner gesamten Berufslaufbahn als Pfarrer nie erlebt, von niemandem.

Ein virtueller Stolperstein für Familie Heymann[1]

Hannover stolpert über nicht verlegte Stolpersteine – Die Entwicklung einer ehrbaren Provinzposse.


Stolpersteine bilden das flächenmäß größte Kunstwerk der Geschichte. Der Künstler Demnig hat sich zur Lebensaufgabe gemacht, an jüdische Opfer des Nationalozialismus zu erinnern und sie damit zu ehren. https://de.wikipedia.org/wiki/Gunter_Demnig  Vor ihrem letzten Wohnsitz kniet er nieder und verlegt eigen­händig quadratische Steine im Pflaster. Sie tragen auf einer Messingplatte die Namen, Geburtsdatum, und, soweit bekannt, Verbleib und Todesdatum dieser Menschen, „ermordet in …“. Eine grandiose Idee. Freiwillige #diepolierer, halten diese Messingplatten blank und leuchtend sichtbar. Die Steine werden gestiftet und bei der Verlegung formiert sich ein kleiner Kreis von Men­schen; sie wollen die Erinnerung wachhalten und es gibt auch eine kleine Ansprache zur Würdigung der Toten; manchmal sind es ganze Hausgemeinschaften, die in den Tod geschickt wurden.

Warum nur virtuell, warum im Netz?

Nach offizieller Gedächtnispolitik der Stadt Hannover werden nur Juden gewürdigt, die tat­sächlich ums Leben gebracht wurden[1]. Wer sein Leben durch Flucht retten konnte, ist eines Stolpersteins nicht würdig, es sei denn, Hinterbliebene beantragen einen.

 

Das Kapitel 1 über das Stolpern der Stadt (1.1 bis 1.10) ist nur peinlich und man kann es getrost überschlagen und gleich runterscrollen zu:

„3 Ungehaltene Rede zur Verlegung eines Stolpersteins für die Familie Heymann“

1 Das Stolpern der Stadt

1.1 Vor schon längerer Zeit beantragte ich per Mail bei den zuständigen Personen der Stadtver­waltung einen Stolperstein für die Familie Heymann. Der Antrag blieb ohne Antwort.[2]

1.2 Von einem Freund erfuhr ich dann von der merkwürdigen Stolperpolitik der Stadt Hanno­ver und legte resignierend den Vorgang beiseite. Doch viele Monate später mailte mir dieser Freund, es gebe wohl doch eine Möglichkeit. Also ein zweiter Versuch. Diesmal wollte ich nichts falsch machen.

1.3 Ich schrieb am 8. März 2022 an die „Geschäftsstelle Städtische Erinnerungskultur“, nannte die mir bekannten Daten der Familie Heymann und fügte hinzu: „Ich habe diesen Antrag vor langer Zeit schon einmal bei Herrn Dr. K. gestellt. Damals blieb ich ohne Antwort. Mag sein, dass ein Mail nicht die angemessene Form gewesen ist, mag aber auch sein, dass anscheinend nur ermordete Juden einen Stolperstein bekommen sollten und Anträge keine Beachtung finden. Darum ein zweiter Anlauf, der nun­mehr Erfolg haben sollte.“

Also nicht per Mail, sondern per Brief und mit vollem Ornat meiner drei Universitäts­ab­schlüsse und, vielleicht eher ausschlaggebend, mit Veröffent­lichung im Verteiler von Jürgen Wessel.

„Sehr geehrte Frau S, wie ich über Herrn Jürgen Wessel erfuhr, sind Sie zuständig für Anträge auf Stolpersteine für von den Nationalsozialisten verfolgte Personen mit jüdischem Hinter­grund. In Hannover werden inzwischen auch Stolpersteine für Personen verlegt, die ihrer Vernichtung durch Flucht entkommen sind. Die Familie Heymann konnte flüchten …“

Diesmal kam die Antwort prompt, aber nicht von Frau S., sondern von Dr. G, eine Etage höher. – Eine freundliche Absage: „vielen Dank für Ihren erneuten Antrag zur Verlegung von Stolpersteinen für die Familie Theodor Heymann in Hannover. Bedauernswerterweise müssen wir Ihnen mitteilen, dass in der Stadt Hannover Stolpersteine grundsätzlich nur für während der Zeit des Nationalsozialismus Ermordete und gewaltsam zu Tode gekommene Menschen verlegt werden. Aus Respekt vor den (nächsten) Hinterbliebenen können aber auch für über­lebende bzw. emigrierte NS-Verfolgte Stolpersteine verlegt werden, sofern dies der ausdrück­liche Wunsch der Angehörigen ist. Vor diesem Hintergrund können wir Ihrem Antrag aktuell leider nicht entsprechen. Vielleicht können Sie aber noch Verwandte ausfindig machen, die eine Verlegung wünschen. Wir würde das auf jeden Fall begrüßen.“

1.4 Ich kündige die Verlegung eines Stolpersteins im Netz an[3]:

„Lieber Jürgen, die Absage hat mich eigentlich nicht gewundert, nur kam sie diesmal von einer höheren Etage. Nun, ich spare Kosten. Doch die Stadt vergisst, dass man über verlegte Stolpersteine achtlos drüber­latschen kann, über virtuelle nicht, die eignen sich zum Werfen.

Die Heymanns werden also einen Stolperstein im Netz bekommen.

Titel: Hannover stolpert über nicht verlegte Stolpersteine.

Es wird ein grundsätzlicher Artikel werden.“

1.5 Darüber stolperte Dr. B., „Direktor des ZeitZentrum Zivilcourage und in dieser Funktion auch Leiter der Städtischen Erinnerungskultur.“ Das Ganze, wie schon in der Absage von Dr. G.  unter dem Briefkopf des Oberbürgermeisters.

Zunächst lobt er mein Engagement, bleibt aber bei der Absage: „Wir vertreten weiterhin die Ansicht, dass Stolpersteine eine herausgehobene Ehrung für Menschen sein sollten, die unmit­telbar aufgrund der Verfolgung im Nationalsozialismus zu Tode gekommen sind. Für Über­lebende verlegen wir Stolpersteine daher nur auf Wunsch von Angehörigen.“ … „Über die Frage der Verlegung von Stolpersteinen für Überlebende gibt es inzwischen bundesweit unter­schiedliche Standpunkte, so dass sich auch in den einzelnen Kommunen unterschiedliche Vorgehensweisen entwickelt haben.“

Bautz, der Stolperer liegt auf der Nase. Denn müsste er nun sagen, warum Hannover so und andere anders. Tut er aber nicht, sondern stolpert weiter:

1.6 „Wie Herr Dr. G. betont hat, würden wir es sehr begrüßen, wenn Sie Kontakt zu Angehö­rigen der Familie Heymann herstellen könnten, so dass für die Familie Stolpersteine verlegt werden können.“

Wenn ich davon absehe, dass er mir seine Aufgabe zuschieben will, heißt das doch: die Ange­hörigen der Familie Heymann, Juden also, sollen sich tummeln, damit Juden einen Stolper­stein bekommen können, der anderswo auch ohne speziell jüdisches Engagement möglich wäre[4]. So ist das mit dem Stolpern: Man meint sich noch auffangen zu können, dann liegt man krachend auf der Nase. Doch er will sich – und die Stadt – wieder aufrichten und klagt:

1.7 „Etwas irritiert bin ich über den Ton und die Unterstellungen, die in den Mails von Ihnen und Herrn Wessel erkennbar sind. Ich weiß nicht, wie bei Ihnen der Gedanke aufkommen kann, dass für die Stadt Hannover nur ermordete Juden „gute Juden“ sein sollen. Das Schick­sal aller Verfolgten steht im Zentrum der Tätigkeit der Städtischen Erinnerungskultur, das ist unschwer an unseren zahlreichen Veranstaltungen, Veröffentlichungen und weiteren Akt­iv­itäten zu erkennen. Differenzierung ist dabei jedoch ebenso wichtig. Daher verstehen wir die Stolpersteine weiterhin in erster Linie als Würdigung derjenigen Menschen, die das schlimm­ste Verfolgungsschicksal erlitten haben, nämlich den Tod. Ebenso habe ich auch den Zusam­menhang mit der Ankunft von Flüchtlingen heutzutage nicht verstanden. In Hannover sind zahlreiche Stolpersteine für Menschen verlegt, die zunächst ins Ausland fliehen konnten und im Laufe der deutschen Eroberungen während des Zweiten Weltkrieges doch noch den natio­nalsozialistischen Verbrechen zum Opfer gefallen sind. Dadurch wird die Tatsache gewürdigt, dass Flucht immer einen existenziellen Einschnitt bedeutet und nicht mit Rettung gleich­zu­setzen ist.“

Da liegt er schon wieder danieder. Eine Opferhierarchie! Flucht darf sein, sollte aber durch Nazi-Hand vom Tod gekrönt werden. Was ist mit denen, die sich lieber selber umbrachten, weil Flucht unmöglich war? Auch dafür gibt es Namen, beispielsweise Jochen Klepper und seine Frau. Der Gedanke, dass manche Überlebende die Toten beneideten, scheint undenkbar.

1.8 Doch er baut vor: „Sie schreiben ja über Ihre Planungen, für die Familie Heymann virtu­elle Stolpersteine zu verlegen und dies mit einem grundsätzlichen Artikel zur Verlege­praxis in Hannover zu kombinieren. Was halten Sie davon, wenn wir ebenfalls einen Artikel beisteu­ern, in dem wir die Gründe für das Vorgehen der Stadt Hannover darlegen? Dann könnte man sich dort gleich ein umfassendes Bild machen und eine Diskussion anstoßen.“

Aber ja doch, gerne, sehr geehrter Herr Dr. B!

1.9 „Vielen Dank für die schnelle Antwort. Ich will Sie nicht warten lassen. Es versteht sich von selbst, dass man in die unbequeme Rolle bei einem Paraklausithyron versetzt letztlich sich einer gewissen Polemik nicht enthält. Die werde ich auch nicht aufgeben. Zur Fairness gehört es, Ihnen nach Fertigung meines Artikels die Gelegenheit zur Darstellung der hanno­verschen Position innerhalb meines Artikels zu geben und Sie nicht auf die Kommentar­möglichkeit zu verweisen. Ich behalte mir allerdings vor, Ihre Erwiderung gegebenenfalls zu kommentieren“.

1.10 Zur Ehrenrettung von Hannover

Bevor Dr. B. hier den zugesagten Platz bekommt, will auch ich etwas zur Ehrenrettung meiner Heimatstadt Hannover sagen:

Man beachte die Adresse

Landeshauptstadt Hannover

Zentrale Angelegenheiten Kultur (41.03)

ZeitZentrum Zivilcourage

Direktion

Theodor-Lessing-Platz 1a

30159 Hannover

Mit Theodor Lessing[5] wird an herausragender Stelle, mehr Stolperstein geht nicht[6], ein han­noverscher Jude gewürdigt, der nicht nur von Nazis ermordet, sondern von der hanno­verschen Gesellschaft, seiner Hochschule und der Justiz lange vor seinem Exil „ausgesondert“ wurde. Lessing war ein selbstbewusster jüdischer Gelehrter und hatte über die engen Grenzen bürger­licher Toleranz hinweg auch sehr geärgert und herausgefordert mit seiner Berichterstattung über den Prozess gegen den Massenmörder Haarmann. [7]

2 Richtlinien der Stadt Hannover zur Verlegung von Stolpersteinen.[8]

Die Beteiligung der Landeshauptstadt Hannover an der künstlerischen Aktion „Stolpersteine“ seit dem Jahr 2007 erfolgte auf Grundlage der ursprünglichen Konzeption, nach der Stolper­steine als herausgehobene Form des Gedenkens für Opfer des Nationalsozialismus gedacht waren, die unmittelbar durch die Folgen der Verbrechen zu Tode gekommen sind. Vor jeder Verlegung eines Stolpersteins wird dabei grundsätzlich recherchiert, ob noch Angehörige der betreffenden Person leben, um deren Zustimmung einzuholen. Seit mehreren Jahren werden in einigen Kommunen auch Stolpersteine für Opfer verlegt, welche die Verfolgung überlebt haben. In der Folge wurden auch entsprechende Anträge an die Stadt Hannover gestellt. Daher wurden die Kriterien für die Verlegung im Jahr 2011 neu gefasst und dem Rat der Stadt Hannover zur Kenntnis gegeben. Die Stadt Hannover hält weiterhin grundsätzlich daran fest, dass die Stolpersteine eine besondere Form der Erinnerung darstellen, die das Gedenken an den allgemeinen Gedenkorten wie auf dem Opernplatz ergänzen. Diese besondere Form des Gedenkens sollte unserer Ansicht nach weiterhin in erster Linie den unmittelbar durch die Verfolgung zu Tode gekommenen vorbehalten bleiben. Dadurch entsteht eine differenzierte Form des Gedenkens, bei der an zentralen Orten allgemein der Verfolgung einzelner Gruppen gedacht wird, während ergänzend an die unmittelbaren Todesopfer individuell im Stadtbild durch die Stolpersteine erinnert wird. Wir halten diese Form der differenzierten Erinnerung weiterhin für gerechtfertigt. Die Verfolgung im Nationalsozialismus war für alle davon Betroffenen ein existenzieller Einschnitt. Doch während die Überlebenden die Chance erhielten, nach 1945 selbstbestimmt ihr weiteres Leben zu gestalten, bedeutete für die Todesopfer die Verfolgung das unwiderrufliche Ende.

Im Jahr 2011 wurde festgelegt, dass von der Praxis, Stolpersteine nur für durch die Verfolgung zu Tode gekommene zu verlegen, abgewichen werden kann, wenn Angehörige von Verfolgten dies beantragen. In der städtischen Erinnerungskultur der Landeshauptstadt Hannover ist die Perspektive der Verfolgten und ihrer Angehörigen seit jeher zentral, ihre Wünsche und Anliegen genießen eine herausragende Priorität. Dies ist im humanitären Aspekt des Auftrages der Erinnerungskultur begründet, nach dem die Familien der Betrof­fenen bei der Bewältigung der Folgen der Verfolgung unterstützt werden sollen, so weit es möglich ist. Daher kann Anträgen auf die Verlegung eines Stolpersteins durch Dritte nur entsprochen werden, wenn eine Zustimmung von Angehörigen derjenigen Person vorliegt, für die der Stolperstein verlegt werden soll.

Dr. B., Direktor des ZeitZentrum Zivilcourage der Landeshauptstadt Hannover“

3 Ungehaltene Rede zur Verlegung eines Stolpersteins für die Familie Heymann[9]

Als Kind kam ich regelmäßig am Grundstück Dieckbornstraße 7, Ecke Wittekindstraße[10] vorbei. Ein abgeräumtes Trümmergrundstück, so habe ich es in der Erinnerung. Ein paar Schritte weiter ging es zu Herrn Bolte, bei dem wir unsere Milch kauften.

Aus den Erzählungen meiner Mutter und meiner Oma wusste ich, dass hier die Heymanns ihren Laden hatten, eine Kolonialwarenhandlung, wie das damals hieß.[11] Man ging gern dort hin und Frau Heymann hatte auch immer gute Ratschläge zum Kochen und Backen, sie kannte sich aus. Die Heymanns waren Juden und meine Mutter kaufte dort, mit Parteiab­zeichen am Revers. Das war keine Heldentat, aber es hieß ja: Deutsche, kauft nicht bei Juden. Wenn die Judenhetze im Radio hochkochte, blieb meine Mutter eine Zeitlang weg. Wenn sie wiederkam, sagte Frau Heymann, „Nun ist auch meine letzte Kundin wieder zurück.“ Meine Mutter hat wohl nie daran gedacht, dass andere mutiger waren.

In unserem Besitz waren vier oder fünf silberne Kaffeelöffel, zwei habe ich noch. Die gab es jeweils als Jahresgabe zur Kundenbindung, wie man heute sagen würde.

Die Heymanns hatten einen Sohn, der altersmäßig zu meiner Mutter gepasst hätte; das war Anlass für scherzhafte Anspielungen von Frau Heymann.

Meine Mutter war Parteimitglied und Stenotypistin im HJ-Büro. Dort war sie unter „Kamera­den“, lauter Nazis, die kein Verständnis dafür hatten, dass meine Mutter sich 1941 kirchlich trauen ließ. Hitlers „Mein Kampf“ gab es auf dem Standesamt als Äquivalent zur Traubibel.

Trotz aller Kirchlichkeit bin ich in einer „normal antisemitischen“ Familie aufgewachsen. Mit normal meine ich das übliche Halbwissen über Juden, auch den Sprachgebrauch mit „nur keine jüdische Hast“ oder „es geht ja zu, wie in der Judenschule“. Meine Oma klagte über „die Kaftan-Juden“. Nach den Gebietsabtrennungen nach dem Ersten Weltkrieg waren wohl viele Juden aus Galizien nach Hannover gekommen[12], die in Gruppen auf dem Bürgersteig gehend keinen Platz ließen, so dass sie meinte, auf die Straße ausweichen zu müssen.

Meine Mutter hätte ganz sicher keinen Juden geheiratet, unabhängig von der Nazi-Hetze. Sie erstellte brav die Ahnentafel, um einen Unteroffizier heiraten zu dürfen[13]. An einer Stelle, zum Glück weit hinten, kam sie nicht weiter. „Da muss wohl ein Jude dringesteckt haben“, mutmaßte meine Oma. Doch meine Mutter erwies sich als hinreichend arisch.

Dieser Abstammungswahn war bereits eine Steigerung des bürgerlich-normalen Antisemi­tismus. Man hielt Distanz, wenn man auch bei Juden einkaufte oder zu einem jüdischen Zahnarzt ging – oder zu einem Geldverleiher. Diese Distanz war endemisch im christlichen Abendland, mit übelsten Verbrechen. Ich muss hier keine Geschichte des Antisemitismus ausbreiten. Doch dieser endemisch-rassistische Antisemitismus war der Nährboden für die Ermordung der europäischen Juden. Assimilation half nicht, die Aussonderung blieb. [14] + [15] Als ich mit meiner Mutter in Yad Vashem war, bekam sie einen Schwächeanfall angesichts der Berge von Menschenhaaren, Schuhen und Brillen.

Der Sohn Heymann, ich habe seinen Namen vergessen, ergatterte Ausreisepapiere für die Familie nach – Shanghai.[16] Den mir vorliegenden Daten zufolge war die Ausreise nach Februar 1939, vermutlich aber vor Kriegsbeginn.

Shanghai – so weit weg, sagte meine Oma in erschreckt-mitfühlendem Ton. „Weit von wo?“ Wie es Juden im Ghetto von Shanghai erging, lässt sich, wenn auch in Romanform, lesen in: Ursula Krechel, Shanghai, Fern von wo. Aufschlussreich ist auch die Darstellung, nach der Nazi-Deutschland über die Botschaft in Tokio versuchte, auch die geflüchteten Juden im von Japan besetzten Shanghai zu vernichten.

Die Bevölkerungsdichte im Ghetto war höher als im damaligen Manhattan. Durch japanische Soldaten unter dem sadistischen Befehlshaber Kano Ghoya streng abgeschottet, durften Juden das Ghetto nur mit spezieller Erlaubnis verlassen. Etwa 2000 Juden starben im Ghetto von Shanghai.[17]

Ob es in chinesischen bzw. japanischen Unterlagen Informationen über einzelne geflüchtete Juden aus der Zeit gibt, weiß ich nicht, doch das dürfte in diesem Zusammenhang nicht erheblich sein.

Aber hier liegt eine Aufgabe für die Stadt Hannover. Im Netz gibt es eine Fülle von Texten über das Shanghaier Ghetto und das Schicksal der geflüchteten Juden.[18] Dies sind zwar allgemeine Informationen, doch könnte man sicher an die Liste herankommen, die von Josef Meisinger[19] den Behörden übergeben wurde: Der erklärte, „er habe von Berlin den Auftrag, den japanischen Behörden die Namen aller „Anti-Nazis“ unter den Deutschen zu melden. „Anti-Nazis“ seien in erster Linie deutsche Juden, von denen 20.000 nach Shanghai emigriert seien.“

Resümee

Doch, insoweit hat die Stadt recht, andere wurden ermordet, viele fanden „ihr Grab in den Lüften“ (P. Celan). Stolpersteine zum Hören gibt es bereits[20], da mag es angemessen sein, wenn es nun Stolpersteine in den Wolken des Internets gibt für die wie auch immer „glücklich-Davongekommen.“

Aber vielleicht ändert die Stadt Hannover doch noch ihre Haltung?


[1] https://www.hannover.de/Kultur-Freizeit/Architektur-Geschichte/Erinnerungskultur/ZeitZentrum-Zivilcourage/St%C3%A4dtische-Erinnerungskultur/Stolpersteine

[2] Mein Antrag vom 24.10.2011, nachgehakt am 13. Dezember 2011

[3] Mit CC an Dr. G.

[4] Hier mag der Platz sein, etwas zu dem „Goi“ zu sagen, der sich unberufenerweise in originär jüdische Angele­gen­heiten mischt. Ich, Dierk Schäfer, bin ein Lindener Butjer, wie meine Großmutter sagte. Das können Interes­sierte nachlesen unter „Eine Kindheit und Jugend in Linden“ https://www.digitales-stadtteilarchiv-linden-limmer.de/wp-content/uploads/2020/03/Kindheit-und-Jugend-in-Linden.pdf

Meine Familie wohnt zwar seit 1967 in Süddeutschland, doch meine Verbundenheit mit Linden ist geblieben. So lud ich mithilfe von Jürgen Wessels Verteiler zu meinem 70sten Geburtstag zu einer Lindenmatinee ein.

[5] Karl Theodor Richard Lessing (* 8. Februar 1872 in Hannover; † 31. August 1933 in Marienbad, Tschechoslowakei) war ein deutscher Philosoph, Schriftsteller und Publizist. Der von drei Attentätern in der Tschechoslowakei erschossene Autor gehört zu den ersten bekannten Opfern des Nationalsozialismus. https://de.wikipedia.org/wiki/Theodor_Lessing

[6] oder doch? Ein Denkmal? Aber vor dem Rathaus steht schon eins. – Ironie an! Photo Dierk Schäfer https://www.flickr.com/photos/dierkschaefer/51951958319/in/dateposted-public/  –  Ironie aus!

[7] Zur lohnenden weiteren Lektüre empfehle ich nicht nur wiki, sondern auch die Biographie von Rainer Marwe­del, Theodor Lessing, 1872-1933, Darmstadt, Neuwied, 1987 „Theodor Lessings Leben ist eine Einführung in die Katastrophengeschichte dieses Landes.“

[8] Mein Artikel hat der Stadt bisher nicht vorgelegen, nur die Gliederung.

„Wenn sie auf den Artikel reagieren möchten, geht das im Kommentarteil. Sie wollten ja „ebenfalls einen Arti­kel beisteuern, in dem wir die Gründe für das Vorgehen der Stadt Hannover darlegen … und eine Diskussion anstoßen.“

[9] Diese Form der Rede hat im Unterschied zu einer tatsächlich gehaltenen den Vorteil, dass ich mich umfang­reicher – und mit Fußnoten – äußern kann.

[10] Auf dem Stadtplan von 1912 ist die Nummer schon eingezeichnet, die Ecke aber noch unbebaut. Nach der Zerstörung des Eckhauses war hier lange Zeit nur das aufgeräumte Trümmergrundstück, später dann ein Super­markt und danach ein Getränkemarkt: https://www.flickr.com/photos/dierkschaefer/51951689376/in/dateposted-public/

[11] Heute würde man von „Tante Emma Laden“ sprechen. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass heutzutage dank Globalisierung kaum noch zu unterscheiden ist, was alles aus den weltweiten Kolonialreichen in unsere Läden kommt, aber die „Dritte-Welt-Läden“, inzwischen „Eine-Welt-Läden“, nicht Kolonialwarenhandlungen genannt werden.

[12] Das Jüdische Lexikon von 1927 zählt in der Übersichtskarte für Hannover Gemeinden mit 5-10.000 „Jüdische Seelen“ auf (Jüdisches Lexikon, enzyklopäd. Handbuch d.  jüd. Wissens in 4 Bd., Bd. 4 – 2 S-Z, Seite 673,  Nachdruck 1982). Der Artikel über Hannover in Bd. 2, D-H, referiert die Geschichte der Juden in Hannover, nennt aber keine damals aktuellen Zahlen.

[13] Ein erheblicher Aufwand wurde für die Ahnenpässe getrieben, viele Schreiben, um an standesamtliche Daten zu kommen, die ja lange Zeit nur in Kirchenbüchern vermerkt wurden. Einen vergleichbaren Aufwand durfte meine Mutter später treiben auf der Suche nach meinem als vermisst gemeldeten Vater.

[14] Ein SS-Mann wurde zitiert mit: „Was der Jude glaubt, ist einerlei, in der Rasse legt die Schweinerei.“

[15] S. auch: http://www.haz.de/Hannover/Aus-der-Stadt/Uebersicht/Roehrbein-und-Thielen-veroeffentlichen-neues-Buch-Juedische-Persoenlichkeiten-in-Hannovers-Geschichte „Joseph Joachim: Er würde „peinliche Empfin­­dungen zeitlebens nicht überwinden“ können, wenn er in der Hofkapelle durch seine Taufe privilegiert wäre, „während meine Stammesgenossen in derselben eine demütigende Stellung einnehmen“, schrieb er verbittert.“

[16] Das Ehepaar Heymann wird in der „Liste über auswanderungsverdächtige (!) Personen“ ebenfalls aufgeführt. Die Angaben mit Verweis auf zwei Aktenvorgänge aus dem Februar 1939 lauten: „Heymann, Theodor Kolonial­warenhdl. u. Frau Rahel geb. Magnus, Hannover-Li, Dieckbornstr. 7“ Bemerkung zum Auswanderungsziel: „Nach Schanghai“.

[17] https://de.wikipedia.org/wiki/Josef_Meisinger

[18] https://de.wikipedia.org/wiki/Shanghai#Shanghai_als_Fluchtort_europ%C3%A4ischer_Juden

https://de.wikipedia.org/wiki/Shanghaier_Ghetto

http://www.exil-archiv.de/grafik/themen/exilstationen/shanghai.pdf

http://www.shanghaighetto.com/

http://www.shanghaighetto.com/about.html

https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_Juden_in_Japan#Juden_im_chinesischen_Shanghai

https://de.wikipedia.org/wiki/J%C3%BCdisches_Fl%C3%BCchtlingsmuseum_in_Shanghai

https://www.zeit.de/reisen/2012-01/shanghai-juden

https://www.deutschlandfunkkultur.de/emigration-juedisches-leben-in-shanghai-100.html

https://www.fr.de/panorama/spuren-vorfahren-11053263.html

http://www.exil-archiv.de/grafik/themen/exilstationen/shanghai.pdf   

[19] Die Liste enthielt u. a. die Namen aller Juden mit deutschem Pass in Japan.

In Japan und dem japanisch besetzten China widmete sich Meisinger immer wieder der Judenverfolgung. 1941 intervenierte er bei japanischen Dienststellen und forderte sie auf, die etwa 18.000 jüdischen Flüchtlinge aus Österreich und Deutschland im von den Japanern besetzten Shanghai zu ermorden. https://de.wikipedia.org/wiki/Josef_Meisinger

[20] https://de.wikipedia.org/wiki/SWR2_Stolpersteine_zum_H%C3%B6ren

alle Links: Sonntag, 20. März 2022

Ein kaKa, ein katholischer Kanonier mit Streumunition

BENJAMIN LEVEN „ist Journalist beim Monatsmagazin Herder Korrespondenz“[1]. Dort veröffentlichte er seine Überlegungen über „Die ‚Schwestern vom Göttlichen Erlöser‘ – ein Zuhälterring?“[2]

Unter anderen wurde auch das Hänsel und Gretelheim in Oberammergau von den Schwestern vom Göttlichen Erlöser geführt.[3]

Sein Hauptargument, dass die Schwestern kein solcher Ring seien, beruht nicht nur auf seinen unvollständigen Kenntnissen über „false memory“[4].

Es ist unbestreitbar, dass es Erinnerungsverfälschungen gibt. In meinen persönlichen Erin­nerungen bin ich auf zwei solcher Fälschungen gekommen – und nur eine kann ich mir erklären. Doch Leven erklärt parteilich; es liegt ihm offenbar daran, die Schwestern von möglichst allen Verdächtigungen reinzuwaschen.

Zwar konzediert er, dass der Hauptbetroffene, dessen OEG-Verfahren[5] positiv ausging, tatsächlich schwere Traumatisierungen erlitten hat, doch als Leser wird man den Verdacht nicht los, dass Leven auch diese als eingebildet oder therapieinduziert ansieht – zumindest streut er Zweifel. Bezeichnenderweise vergisst er dabei im Eifer des Gefechts, seine Empathie mit dem Betroffenen zum Ausdruck zu bringen.

Da kommen ihm auch die großen Missbrauchsverfahren zupass: Münster, Worms, Flachs­landen. Das führt uns auf ein weites Feld. Wir alle haben noch diffus in Erinnerung, dass es da um große Missbrauchsprozesse ging, die mit dem Freispruch der Beklagten endeten, weil die Vorwürfe nicht nachhaltig substantiiert waren. Auch eine lückenhafte Erinnerung ist eine Wahrnehmungsverzerrung. Ob Leven darauf spekuliert hat, wäre Spekulation.

Worum aber ging es damals, was Leven verschweigt? Es ging um von KINDERN erzählte Geschichten, die das Kindergartenpersonal hellhörig machten. Manche hatten eine Fortbil­dung bei Tilmann Fürniss genossen. „Fürniss entwickelte Methoden, um Kinder nach möglichen Gewaltwiderfahrnissen zu befragen (anatomisch korrekte Puppen, Märchener­zählungen, Befragungen). Kritiker monierten unter anderem „verhörähnliche“ Befragungen von Kindern und Fragestellungen mit impliziter Antwort. Unter anderem beriefen sich eine Mitarbeiterin von Wildwasser bei den Wormser Prozessen und Mitarbeiterinnen von Zartbitter beim Montessori-Prozess auf die Methodik von Fürniss. Die jahrelangen Prozesse endeten mit Freisprüchen für alle Angeklagten, da ein Missbrauch nicht nachgewiesen werden konnte oder nachweislich nicht stattgefunden hatte. Für seine Befragungsmethoden und -grundlagen geriet Fürniss später in die Kritik“[6] Diese Form von „Aufdeckung“, die generell davon ausging, dass es etwas aufzudecken gab, brachten die Prozesse zum Scheitern und bewirkten ein Urteil des BGB, in dem die „Wissenschaftliche[n] Anforderungen an aussagepsycho­logische Begutachtungen (Glaubhaftigkeitsgutachten) präzisiert wurden.[7] Ob es in allen, in einigen Fällen oder überhaupt Missbrauch gegeben hat, konnte nicht mehr justitiabel festgestellt werden. Denn die Methoden von Fürniss hatten bei den entsprechend voreingenommenen Befragern, vielleicht sollte man eher von Befragerinnen sprechen, zu einer Erwartungshaltung und zu Missbrauchsgewissheit geführt, dass sie guten Gewissens aber ohne Wissen eine Personengruppe suggestiv befragten, die für Suggestionen besonders anfällig sind: Kinder. Damit hatte man alle Spuren am „Tatort Kind“ zertrampelt. Hier ein paar Links zum Thema.[8] Ich selber war mit diesem Komplex vertraut, weil ich eine turbulente Tagung dazu an der Evangelischen Akademie Bad Boll organisiert hatte.[9]

Also ein Freispruch für die Schwestern? Das bleibt noch abzuwarten. Aber im Gegensatz zu Leven muss man auf die Unterschiede achten:

Die Schwestern werden nicht von Kindern beschuldigt, sondern von erwachsenen Personen, die schon lange vor ihrer öffentlichen Anerkennung die Untaten beschrieben haben, z.B. im Blog[10].

Die Recherchegruppe hat sich übrigens erst später gebildet: im Herbst 2018 bei einer Tagung in Tutzing.

Schon vorher hatten die Betroffenen sich zufällig 2015 am Haus Maffei getroffen; sie waren betroffen vom unheilvollen Flair des Kellers der Villa, der sich in 50 Jahren nicht verändert hatte, sogar der Stab, mit dem man sie penetriert hatte, stand noch an Ort und Stelle. Sie machten über 200 Photos, gingen nach oben und suchten spontan und unabhängig vonein­ander im Garten der Villa nach der Stelle, an dem wohl ein Mädchen verscharrt sein könnte, das ein Zeuge aufgehängt vorgefunden hatte. Wie es dazu kam, blieb ungeklärt. Doch eine Aufstiegshilfe, z.B. einen Stuhl, hat der Zeuge, der das Mädchen abgeschnitten hat, nicht gesehen. Der Name des Mädchens ist bekannt.

Übrigens: Eine therapieinduzierte Opfergeschichte scheidet aus, weil die Therapie erst im März 21 nach der Dokumentation durch die Gruppe begann.

Nach allem, was man inzwischen über das Schicksal vieler Kinder in den Kinderheimen weiß, sind die geschilderten Vorfälle lediglich in ihrer sadistischen Steigerung und Intensität außer­gewöhnlich und neu, es können also keine Übertragungen in das eigene Schicksal sein.[11]

Aber Neven will keine Aufklärung, sonst würde er eine staatliche „Wahrheitskommission“ fordern, die unabhängig von Verjährungsfragen den Hinweisen der Recherchegruppe nach­geht, die auch mittels von Bodenradar nach den Überresten des erhängten Mädchens sucht. (Ein solches Gerät wurde soeben in mittlerweile sechs Schulen in Canada erfolgreich eingesetzt). Es gibt auch andere Hinweise, die überprüfbar wären.

Doch das hat Leven nicht im Visier, vieles kann er nicht wissen. Doch er streut seine Verdächtigungen, damit die armen barmherzigen Schwestern ungestreift davonkommen.

Gewiss: Es gibt noch viel zu tun – Wie packen wir‘s an?


Fußnoten

[1] https://www.deutschlandfunk.de/katholische-integrierte-gemeinde-verdacht-auf-geistlichen.886.de.html?dram:article_id=489666

[2] https://www.herder.de/hk/hefte/archiv/2021/7-2021/gewisse-zweifel-die-schwestern-vom-goettlichen-erloeser-ein-zuhaelterring/

[3] Photo: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/8/82/OAGau_HaenselUGretelhaus.jpg

[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Erinnerungsverf%C3%A4lschung

[5] https://dierkschaefer.wordpress.com/2020/11/20/oeg-urteil/

[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Tilman_F%C3%BCrniss

[7] Anforderungen an Glaubhaftigkeitsgutachten, aus NJW 1999, Heft 37, S. 2746-2751

[8] https://www.google.com/search?client=firefox-b-d&q=Missbrauchsverfahren+M%C3%BCnster%2C+Worms%2C+Flachslanden.

https://www.jewiki.net/wiki/Missbrauch_mit_dem_Missbrauch

https://de.wikipedia.org/wiki/Wormser_Prozesse

https://www.hna.de/politik/freigesprochen-aber-leben-zerstoert-3373907.html

[9] Details dazu in: https://dierkschaefer.wordpress.com/2015/11/02/politisch-korrekt-ist-dieses-buch-ganz-und-gar-nicht/

[10] http://schwestern-vom-goettlichen-erloeser.eu/home.html

[11] Allein die Google-Suche https://www.google.com/search?client=firefox-b-d&q=die+unbarmherzigen+schwestern belegt, dass Misshandlungsfälle in Heimen vielfach zur „Normalität“ gehörten. Solche Vorkommnisse mussten also nicht erfunden werden.

„Sehr geehrter Herr Landesbischof,

für das anregende und konstruktive Gespräch von vorhin möchte ich mich bedanken. Es hat mir gut gefallen.“

Zwischenbemerkung für die Leser meines Blogs. Nach einem Vorlauf auf Twitter rief mich ein Landesbischof vor ein paar Tagen an. Den Termin hatte sein Büro mit mir abgesprochen. Terminiert war eine halbe Stunde. Der Zeitrahmen wurde leicht überzogen, obwohl ihn der nächste Termin drängte. Ich will kurz über dieses wirklich angenehme Gespräch berichten und hier mein Mail posten, das ich ihm noch am selben Abend schickte. Dabei habe ich alle Hinweise auf die Identität des Bischofs entfernt, denn ich möchte nicht, dass er sich öffentlich unter Druck gesetzt fühlt.

Der Landesbischof erwies sich als guter Zuhörer, der auch an den passenden Stellen nachfragte.

Ein anderer Landesbischof, so eröffnete ich, habe im Gespräch mit einem Betroffe­nen gesagt: „Wir hätten mehr auf unsere Leute hören sollen“. Insofern habe ich mich über seinen Anruf gefreut. Ich sprach dann vom Vertrauensverlust der Kirchen, dessen Beginn ich in den Vorgängen am Runden Tisch der Frau Vollmer sehe, der nachweislich von Beginn an Betrug gewesen sei. Ich sei schon lange mit dem Thema befasst. (Ich muss das hier nicht ausführen; die Leser meines Blogs kennen das.) Es habe leider keine glaubwürdigen Versuche seitens der Kirchen gegeben, Vertrauen wiederherzustellen. Ein Betroffener habe das Verhalten der Kirche auf die Formel gebracht: Kinder schänden, Zeit schinden, Kassen schonen. Ich konnte ihm auch Details benennen.

Die Zeit wurde dann aber doch knapp. Zum Schluss sprach ich noch ein paar Punkte für das weitere Prozedere an, die ich, falls sie untergegangen sein sollten, im Mail an den Bischof wiederholt und etwas ausgebaut habe.

Im Mail ist auch von der Unabhängigkeit der berufenen Kommissionen die Rede. Wenn man schon solche Kommissionen hat, deren Unabhängigkeit begründet bezweifelt werden kann, wird man nicht einfach die problematischen Mitglieder entfernen können, aber man muss offen die vorhandenen Abhängigkeiten diskutieren – und mancher wird dann seinen Platz freiwillig räumen und Nachrückern Platz machen.

Nun zum Mail[1] mit den genannten Einschränkungen:

Was tun?

Das Wichtigste wäre eine Kommission, die wirklich und nach außen erkennbar unabhängig ist. [2]Die Mitglieder dürfen keine besondere Verbindung zur Kirche haben, dürfen nicht im Dienst der Kirche stehen/gestanden haben, sollten auch kein kirchliches Ehrenamt bekleiden.[3] Mitglied sollte eine externe Fachperson sein, die sich mit Traumata und Retraumatisie­rung auskennt und Erfahrungen im Umgang mit traumatisierten Menschen hat. Diese Person sollte bei der Zusam­mensetzung der Kommission beteiligt sein, insbesondere bei der Auswahl der Betroffenen, die für Beschlüsse ein Veto-Recht bekommen. Die Sitzungen sollten proto­kolliert werden und die Protokolle der Zustimmung aller bedürfen. Protokolle müssen öffent­lich einsehbar sein unter Beachtung des Datenschutzes für die Opfer. Die berufliche Rolle der Täter bedarf keines allgemeinen Datenschutzes. Täterna­men zur Kenntnis zu geben, die wiederum muss über ihre daraus folgende Aktivität/Nichtaktivität der Kommission berichten. Diese Berichte müssen der Öffentlichkeit zugänglich sein, mit Schwär­zung der Namen, nicht der Funktion der beschuldigten Personen. So viel zur Transparenz.

Ich empfehle, für interne Beratungen eine erfahrende Person aus der Notfallseel­sorge auszuwählen oder einen Traumatherapeuten, insbesondere, wenn es darum geht, in Kontakt zu weiteren Betroffenen zu treten und von ihnen Auskünfte über Tatvorgänge einzuholen. Das darf man keinem Juristen überlassen. Die kommen aus einer anderen Denkschule. Ich habe das oft erlebt, wenn ich Juristen mit Sozialarbeitern oder Psychologen zusammenbrachte, so auch in meinem Kriminologiestudium. Da saß ich Ruheständler unter lauter angehenden Juristen, die sich wunderten, dass man einen Sachverhalt (es ging um Stalking) „auch so“ sehen kann; schon meine Sprache war für sie „ungewöhnlich“.

Wir haben in der Kirche zwar die erforderliche Seelsorgeerfahrung, dürfen sie aber nicht anbieten, denn wir sind die Täterseite. Das gilt auch für unsere Beratungsstellen. Solche Hilfsangebote müssen von außen kommen.

Schwierig wird die Bemessung von Entschädigungen, gerade bei sexuellem Missbrauch. Ein Verweis auf Schadensregelungen im staatlichen Bereich hilft nicht, denn dieser Staat ist beim Thema Entschädigung sehr hartleibig. Mit Sachschäden kommt er klar. Aber seelische Schäden – kennt er die überhaupt? – (Ich wollte eigentlich nicht aus meinem Blog zitieren, hier tue ich‘s doch: „Selbstsicher und verantwortungsbewusst sollen unsere Kinder ins Leben gehen – Manchmal geht das schief. [„Eigenstandsschaden“], https://dierkschaefer.wordpress.com/2020/11/20/selbstsicher-und-verantwortungsbewusst-sollen-unsere-kinder-ins-leben-gehen-manchmal-geht-das-schief/) – Dem kann man zwar keine „Gliedertaxe“ wie im Versicherungsrecht entnehmen, doch hier wird der Horizont für Schädigungen und ihre Auswirkungen aufgezeigt. Das könnte helfen, zu angemessenen Einschätzungen zu kommen. Dafür braucht man dann eine separate Kommission: unabhängig, fachkundig, empathisch.

Soweit ich weiß, hat die Landeskirche Berichte derer, die einen Antrag auf Anerkennungs­leistungen gestellt haben. Die Auswertung dieser Berichte könnte/sollte man wissenschaftlich aufarbeiten, dokumentieren, und die Ergebnisse anonymisiert zugänglich machen. Sie könn­ten einen Anhalt für Entschädigungs­fragen geben.

Ob man den Staat gewinnen kann, eine richterliche Untersuchungskommission zu installieren, die staatsanwaltliche Befugnisse hat und allen Fällen auf den Grund geht, auch den schon verjährten, bezweifele ich, denn der Staat hat in der Heimkin­der­sache auch „Dreck am Stecken“ und wird sich seiner Mitverantwortung nicht stellen wollen. Die Verjährung wurde geschaffen, damit Streit auch gegen den Willen Betroffener ad acta gelegt werden kann. Wir haben es mit der Behandlung von Heimkindern mit dem größten „flächendeckenden“ Ver­brechen seit 1945 zu tun. In einem solchen Fall braucht es andere Maßnahmen, um Rechts­frieden wieder herzustellen. Das gilt auch für die nun als endemisch anzusehenden sexuellen Verbrechen an Kindern in Familien und Institutionen.

Die Frage nach den Kosten will ich nicht unterschlagen. Am Runden Tisch saßen drei weitgehend unbedarfte Heimkinder einem Gremium von ganz und gar nicht unbedarften Interessenvertretern gegenüber. Die einen hatten keinen Etat und keine Rechtsberatung, die anderen saßen in ihrer Dienstzeit am Runden Tisch und hatten einen Apparat im Hintergrund. (Über Frau Vollmer schweige ich mich jetzt aus.) Wer an der Unabhängigen Kommission teilnimmt, wird – da sie ja unabhängig sein soll – dies nicht in seinen dienstlichen Verpflich­tungen unterbringen können. Das heißt: Alle brauchen neben den Spesen ein angemessenes Sitzungsgeld, auch die Betroffenen, selbst wenn sie keinen Verdienstausfall haben. Die Betroffenen sollten sich auf eine angesehene Anwaltskanzlei einigen, die sie berät. All diese Kosten müssen zulasten der Landeskirche gehen.

So viel, sehr geehrter Herr Landesbischof, zum Abschluss unseres Gespräches. Ich hatte gesagt, ich könnte Sie mit meinem Material „totwerfen“. Der Versuchung bin ich wohl nicht erlegen.

Ich wünsche Ihnen „ein gutes Händchen“ im Umgang mit dem höchst komplexen Problem und würde mich freuen, wenn Ihre Landeskirche eine glaubwürdige Vorreiterrolle einnehmen könnte.

Mit herzlichem Gruß

Dierk Schäfer, Freibadweg 35, 73087 Bad Boll, Tel: 0 71 64 / 1 20 55


[1] Von diesem Blog-Eintrag habe ich den Landesbischof informiert. Das Photo ist ein Beispielsphoto.

[2] Nicht im Mail enthalten: Ein Kommentar erwähnt „unabhängige Wahrheits- und Versöhnungskommissionen“. Das sollte man nicht vermengen. Der Weg zur Versöhnung ist noch viel weiter, als der zur Wahrheit – und auch dort sind wir noch lange nicht angelangt. FAZ, Donnerstag, 10. Juni 2021, Print,  https://zeitung.faz.net/faz/seite-eins/2021-06-10/805736e074e898e4d15ba4aa00177925/?GEPC=s3

[3] Auch nicht im Mail enthalten: Mertes fragt: „Wie ist es möglich, dass in Betroffenenbeiräten Personen sitzen, die in einem Angestellten-, das heißt wiederum in einem Abhängigkeits­verhältnis zur Kirche sind, die ihr Arbeitgeber ist?“ https://www.deutschlandfunk.de/missbrauchsaufarbeitung-im-erzbistum-muenchen-gruppenbild.886.de.html?dram:article_id=498260

Kindesmissbrauch[1] – Das Suchtverhalten der Täter

Kindesmissbrauch ist endemisch

Kindesmissbrauch ist endemisch, ist tief verwurzelt in der Gesellschaft. Vermutlich war es schon immer so und wurde nur nicht beachtet. Zille beschreibt in seinen „Hurengesprächen“ die „Lutsch-Lise“, und Kindesmissbrauch dürfte sich wohl nicht nur auf sein „Milljöh“ beschränkt haben. Die klerikale Pädokriminalität, die Missbräuche in Familien, Schulen, Sportvereinen usw. haben uns das Ausmaß dieser „Normalität“ vor Augen geführt. Ich wills nicht weiter ausführen.[2]

missbrauch - schülerarbeit[3]

Was ist neu?

Was ist neu? Die sich in der letzten Zeit häufenden Meldungen über Kindesmissbrauch zeigen uns über die Taten hinaus einen Tauschmarkt für Bilder und Filme von missbrauchten und sadistisch gequälten Kindern. Was früher eher ein Verbrechen in Einsamkeit und Ver­schwie­genheit war, hat durch die digitale Aufzeichnung und die speziellen Verbreitungskanäle im Internet Marktwert bekommen. Das Internet bietet die Möglichkeit Interessenten zu finden. Der Begriff „Marktwert“ ist irreführend. Es geht nicht so sehr um Geld. „Angesichts der Mengen, die in den Tauschbörsen verbreitet werden, ist der Erwerb von Kinderpornografie im World Wide Web gegen Entgelt eher sinnlos.“ [4]

Eher im Gegenteil. Die Täter erbringen einen hohen Aufwand, wie es gerade der Fall von Münster zeigt.

Der Aufwand besteht zunächst einmal im Arrangement der bloßen Tat. Auch wenn Krimi­nelle ganz allgemein eher davon ausgehen, nicht erwischt zu werden, so sind Kinder ein Unsicherheitsfaktor für den Täter. Er muss entweder ein Vertrauensverhältnis aufbauen („Das bleibt unser Geheimnis!“) oder eine total einschüchternde Drohkulisse. Außerdem könnten die Kinder unvorhergesehen so laut schreien, dass die Tat entdeckt werden könnte. Hinzu kommt der logistische Aufwand für die Tat und ihre Tarnung. Es hat sich zwar gezeigt, dass die Nachbarschaft und die Personen im „amtlichen“ Umfeld einschließlich Kita, Kindergarten und Schule oft „blind“ sind und/oder nicht kooperieren, so ist die Fehleranfälligkeit dieser Gruppen und Instanzen dennoch nicht kalkulierbar.

Der nächste Aufwand ist mit der Dokumentation der Taten durch die Täter gegeben und mit ihrem Einsatz in den Winkeln des Internets. Die Täter brauchen das Equipment und das Know-how der abgesicherten Verbindung zu anderen Tätern. Der Fall in Münster zeigt den technischen Aufwand für die professionell-verschlüsselte Speicherung der Daten.

Das Problem stellt sich bereits bei der bloßen Speicherung von Kinderpornographie, also auch ohne direkten eigenen Missbrauch. Wer speichert macht sich strafbar und in weiterem Sinne angreifbar. Das musste der Abgeordnete Edathy erfahren, obwohl er Photos gekauft und heruntergeladen hatte, die sich letztlich nicht als strafbar herausstellten. Doch der Verdacht hatte gereicht, um seine politische wie bürgerliche Reputation zu zerstören.[5]+[6]

Werden weitere Personen über das Netz kontaktiert, die anreisen, um sich real an den Kindern und ihren Qualen zu verlustieren, stellen sie die nächste Stufe möglicher Schwierigkeiten dar.

Der ganze Aufwand ist für Außenstehende zunächst ein Rätsel. Warum machen die Täter das, wenn kein Gewinnstreben im Vordergrund steht?

 

Verhaltenssucht

Wenn keine logischen Gründe erkennbar sind, wird man nach psychologischen suchen müs­sen. Einen Schlüssel zum Verstehen sehe ich darin, dass der Hauptzweck der Verwertung der Aufzeichnungen im Zugang zu einschlägigen Bildertausch-Netzen liegt. Neben die Erstmoti­vation der Lust am sexuellen Missbrauch von Kindern tritt also der Zusatzgewinn: Zugang zu ähnlichen, besser noch heftigeren Bildern und Filmen oder gar der Besuch bei anderen Tätern mit anderen Kindern.[7]

Hier ist ein Bogen zu schlagen zu den Auswirkungen des exzessiven Pornokonsums, über die durch das häufigere Vorkommen Erkenntnisse vorliegen.

»In den letzten Jahren hat die Sucht nach Pornographie schwunghaft zugenommen und stellt Therapeuten wie Mediziner vor eine gleichsam hohe Herausforderung. Männer jeden Alters erleben plötzlich gravierende Nebenwirkungen des dauerhaften Konsums kostenlos abrufba­rer Pornographie im Internet. … Viele zwanghafte Nutzer von Internet-Pornographie laden fünf oder mehrere Videos gleich­zeitig in verschiedenen Browser-Fenstern oder auch Tabs und klicken sich dann in Windeseile durch die verschiedenen Szenen.«[8] »“Mit einem jährlichen Umsatz von 800 Millionen Euro ist Deutschland weltweit der zweitgrößte Pornomarkt“, schreibt die Sozialwissenschaftlerin Esther Stahl. Ein fatales Paradies für Abhängige.« … »Weil die Droge immer und überall zu haben ist, steigt auch die Zahl der Süchtigen. „Wäh­rend sich früher Personen Pornographie in einer Videothek besorgen mussten, ist die Ver­fügbarkeit über das Internet viel größer, einfacher und subjektiv anonymer. Dies trägt zur Steigerung des Anteils von Betroffenen bei“« … »So wie es aussieht ist aber die Pornosucht für die Wissenschaft nichts Besonderes. Brand schreibt, bildgebende Verfahren hätten gezeigt, dass die Pornosucht (Brand nennt sie Cyber­sexsucht) im Prinzip genauso funktioniert wie Substanzabhängigkeiten oder Verhaltenssüchte.« … »„Der Süchtige kann sich nie sicher sein, ob nicht das nächste Video noch besser zu seinen sexuellen Präferenzen passt als das, das er gerade anschaut“, sagt Brand.« … »So entgleitet den Betroffenen die Kontrolle viel schneller. Das ist wohl ein wesentlicher Mechanismus der Pornosucht.«[9]

Das passt zu meinen Erfahrungen. Wohl die meisten (männlichen) Leser dürften schon einmal auf solchen Pornoseiten gewesen sein. Soweit Sie sich auf die Szenen eingelassen haben: Eigentlich ist die meist recht monotone Vorführung des alten Steckspiels langweilig, und doch kommt man nicht gleich davon los. Das ist noch nicht schon Sucht, kann aber sehr leicht eine werden.

Was für Pornographie ohne Kinderbeteiligung gilt, für die man keinerlei Aufwand treiben muss, gilt umso mehr für Kinderpornographie.

Die Gier wächst, weil man glaubt, es gebe noch so viel und noch viel befriedigenderes zu entdecken: »Rund 600 Terabyte Videomaterial haben die Ermittler auf dem Server des IT-Technikers gesichert. Je nach technischem Endgerät bräuchte ein Mensch 30 Jahre, um das gesamte Material zu sichten.«[10] Das Suchtmittel ist also in unermesslichem Umfang immer zur Hand – wenn man in einem solchen Tausch-Club Zutritt erhalten hat – durch Lieferung wei­teren „Materials“. Ich habe noch in Erinnerung, wie uns ein Staatsanwalt mit Schwerpunkt Kinderpornographie auf einer Tagung in der Evangelischen Akademie Bad Boll, nicht die Photos, aber die Ordnerstruktur auf dem PC eines Täters vorführte: sorgfältig geführte Dateien-Verzeichnisse zeugten von pingeligster Sammelleidenschaft.[11] Für mich ist der Suchtcharakter (Verhaltenssucht) unverkennbar, er wird allerdings im ICD[12] nicht erfasst. Die Studie von Kutscher et al.[13]  hebt zwar hervor, dass Kindesmissbraucher mit der Diagnose einer Pädophilie besondere Beachtung benötigen insbesondere wegen der frühen Mani­festation und der lebenslangen Persistenz ihrer sexuellen Ausrichtung auf Kinder, geht aber auf eine mögliche Suchtproblematik nicht ein. Nimmt man diese jedoch an, verschärft sich das Problem sadistischen Kindesmissbrauch und seiner allzeitigen Präsenz in den Tausch­börsen.

Nach meinen Schlussfolgerungen haben wir es mit Abhängigen zu tun, die im Unterschied zu anderen Süchtigen, gemeingefährlich sind. Andere Süchtige schädigen zunächst einmal sich selbst, und ihre Angehörigen leiden mit, fungieren oft als Co-Abhängige, indem sie ihrem „Suchti“ den Rücken freihalten. Das ist hier grundlegend anders. Die Kinderporno-Sucht speist sich durch Opfer, umso schärfer, wenn Sadismus dabei ist.

Viele rufen derzeit nach Strafverschärfung, manche entwickeln dabei nicht ganz unver­ständ­liche Ideen, die ihrerseits in Richtung Sadismus gehen. Doch selbst die Rufe nach ziviler Strafver­schärfung, einer generellen Hochstufung von Kinderpornographie zum Verbrechens­tatbestand sind in manchen Fällen u.U. nicht angemessen. Die Optik jedenfalls ist unbefrie­digend, solange Herstellung und Vertrieb von Kinderpornographie nur als Vergehen einge­stuft werden. Wir brauchen angemessene Lösungen. Welche könnten das sein?

Strafvollzug?

Strafvollzug allein erscheint der Problemlage nicht angemessen, auch wenn den Tätern dort vielleicht zum ersten Mal ihre Stellung drastisch bewusst gemacht würde.[14]

Für Straftaten unter Drogeneinfluss gibt es das Instrument des Maßregelvollzugs für psy­chisch Kranke. »Im Maßregelvollzug … werden nach § 63 und § 64 des deutschen Straf­gesetzbuches unter bestimmten Umständen psychisch kranke oder suchtkranke Straftäter entsprechend den Maßregeln der Besserung und Sicherung untergebracht.«  Es geht um den zweigliedrigen Umgang mit schweren Delikten, Strafe für Tatschuld, Sicherung und Besserung für Schuldunfähigkeit.[15]

»Die Unterbringung im Maßregelvollzug erfordert das Vorliegen einer schweren Straftat, einer chronischen psychischen Erkrankung oder Suchterkrankung, eine deutliche Verbindung zwischen beidem und eine weiterbestehende Gefährlichkeit.«[16]

Diese Bedingungen sind für Kinderpornographie-Suchtkranke gegeben. Es bleibt zu ent­scheiden, wann und unter welchen Umständen sogenannte Locke­rungen des Maßregel­vollzugs möglich erscheinen und welche Bedingungen für eine gegebe­nenfalls erforderliche Über­führung in die Sicherheitsverwahrung gelten sollen. Jedenfalls sollte bei einer Verur­teilung prophylaktisch die besondere Gefährlichkeit des Täters hervorgehoben werden.

Die Polizei stößt an Grenzen

Das Internet bringt Anbieter und Kunden für die merkwürdigsten und abwegigsten Interessen zusammen.[17] Es finden sich nicht nur Anbieter und Kunden[18], zusammen kommen, wie wir aus den jüngsten Fällen wissen, auch die Neigungen der Täter und die Möglichkeit, damit Zugang zu einschlägigen Netzwerken zu gewinnen. Die Polizei ist in diesem Deliktbereich oft erst durch Zufallsfunde aufmerksam geworden[19] und sie stößt an Grenzen – in Münster an technische, weil die Profi-Verschlüsselung erst zu knacken ist, aber auch an psychische. Denn das Material, was sie finden, verstört auch erfahrene Kriminalisten.[20] Die Zeugnisse der Ver­brechen an den Kindern stellen sich als Überforderung derer dar, die solche Beweise sichten, beurteilen und protokollieren müssen. Ich will das nicht näher ausführen, nur ein Beispiel aus der klassischen Tatortarbeit bei Gewaltverbrechen: „Wenn meine Frau wüsste, was diese Hände anfassen müssen,“ der Kriminalbeamte hielt mir seine Hände vors Gesicht, „dann dürfte ich sie nicht mehr anfassen.“[21] Was wird aus den Menschen, die über Tage hinweg mit der Sichtung total morbiden Materials beschäftigt sind. In den „Sozialen Medien“ wird nicht ohne Grund auf die sicher schlimmeren „echten“ Erlebnisse der Kinder hinge­wiesen und  Thomas Fischer spießt unter dem Titel „Das Leiden der anderen“[22] wie immer spitz und sachkundig die öffentliche Klage über die Belastung derer auf, die sich mit dem ganzen „Dreck“ beschäftigen müssen. Dennoch: Wie so oft laufen gesellschaftliche Fehlentwick­lungen zunächst bei der Polizei auf – und sie ist nicht darauf vorbereitet.

Was also tun? Das Internet werden wir nicht abschaffen können, auch nicht wollen. Doch auch dort muss die Polizei „Streife fahren“ dürfen, besonders im „Darknet“[23]. Die Netzbe­treiber müssen verpflichtet werden, Auffälligkeiten nachzugehen und gegebenenfalls Anzeige zu erstatten. Das heißt, die Betreiber werden, so problematisch das auch ist, Filter einsetzen müssen.[24] Der Gesetzgeber muss die Möglichkeiten dafür schaffen und zugleich einem Macht­missbrauch vorbeugen. Das ist leichter gefordert als umgesetzt.

Kinderrechte

Schließlich, aber nicht zuletzt, müssen wir die Kinder ertüchtigen. In den meisten Fällen werden die Kinder im sozialen Nahraum missbraucht, meist in gestörten, familiären Zusam­menhängen.[25]+[26] Das bedingt die Schaffung eines Schutznetzes, dessen Übersicht wohl beim Jugendamt liegen müsste.[27] Das Wohlergehen von Kindern muss abgesichert werden, indem von Geburt an den Eltern auferlegt wird, die Frühuntersuchungen wahrzu­nehmen, was auch kontrolliert werden muss.[28] Jedes Kind bis zum Alter von etwa 14 Jahren sollte einmal jähr­lich unbekleidet von einem Arzt in Augen­schein genommen und kindangemessen nach sei­nem Wohler­gehen befragt werden,[29] dazu gehört die Melde­pflicht ans Jugendamt bei Auf­fällig­keiten. Wenn Kinder nicht auf dem „Radar“ von Kitas und Kindergärten, später Schulen auftauchen, muss dem nachgegangen werden. Das heißt, dass die Jugendämter ab Geburt eines Kindes eine präventiv-aktive Rolle übernehmen müssen, um zu sehen, ob und wie sie in Elternrechte eingreifen müssen.[30]

Zur Ertüchtigung der Kinder gehört auch ihre Information. Ein grob missbrauchtes Kind wird merken, dass es gequält wird.[31] Doch die Dinge beginnen früher. Wir werden uns daran gewöh­nen müssen[32], dass Kinder sehr früh über Sexualität und ihre Bedeutung für die Erwach­senen aufgeklärt werden, damit sie sehr früh wissen, was die Erwachsenen dürfen und was nicht. Leider ist die sexuelle Früherziehung unter die Räder von Ideologen gekommen, die meinten, Kinder müssten lernen, dass es neben den herkömmlichen Formen des Familien­lebens auch noch andere gibt – und dabei übergehen, was die statistische Normalität ist. Die Kinder müssen also in den Einrichtungen, die sie besuchen, einschließlich der Grund­schule, jährlich einmal in kindangemessener Weise über ihre Rechte und deren Gefährdung informiert werden.

Um die Kinderrechte ist es bei uns allerdings nicht gut bestellt. Der Widerstand gegen ihre Aufnahme ins Grundgesetz ist massiv. Familienverbände wehren sich mit Erfolg. Sie befürch­ten Eingriffe in ihr Grundrecht; Ängste, die zu berücksichtigen sind. Dennoch sollten Kinder zu – begrenzt – eigenständigen Rechtssubjekten werden, um einen wirksamen, einen wirk­sameren Kinderschutz als derzeit zu ermöglichen.

Ich habe mich seit mehr als 20 Jahren für eine neue Politik in Kinder- und Jugendlichen-Angelegenheiten eingesetzt[33] – bisher vergeblich. Die Maßnahmen für Kinder sind wirkungs­los. So gibt es immer noch keine Fachaufsicht für Jugendämter, deren Versäumnisse in den letzten Missbrauchsfällen überdeutlich geworden sind.[34] Jugendhilfe-Maßnahmen sind oft nicht evidenz-, also erfolgsbasiert und den Jugendämtern sind von den Wohlfahrtsver­bänden recht­lich die Hände gebunden.[35]

Hätten Kinder ihren Platz im Grundgesetz, wäre ihre Rechts­position stärker.

Es gibt durchaus eine Reihe von ehrenamtlichen Aktivitäten für die Belange von Kindern (Personen, informelle Zusam­men­schlüsse, Vereine), ich habe sie auf meinen Tagungen erlebt, doch ihnen fehlt die Durchsetzungskraft. Darum brauchen Kinder einen Platz im Grundgesetz.

Aber haben wir nicht eine Kinderkommission im Bundestag? Ja, aber die ist – traurig genug – nicht durchsetzungsfähig. „Wie sieht die Arbeit der Kommission praktisch aus?[36] Die Parteien im Bundestag schicken ihre Vertreter zwar dorthin, doch die Empfehlungen der KiKo verpuf­fen weithin.

Für das spezielle Thema Kindesmissbrauch haben wir noch den UBSKM, den „Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs“[37]. Das Amt ist sehr breit aufgestellt und „Johannes-Wilhelm Rörig [wurde] zum 1. April 2019 für die Dauer von weiteren fünf Jahren erneut zum Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexu­ellen Kindesmissbrauchs berufen.“[38] Seine Homepage ist sehr professionell gemacht, und er twittert viel.[39] Es gibt auch Hinweise auf einige Tätigkeiten des UBSKM. Er kündigt Erfolge an, über die Insider sich allerding wundern.[40]+[41] Mir fehlen grundlegende Informationen: Welche Kompetenzen hat er? Etwa wie ein Untersuchungsrichter mit Zugriff auf die Akten in kirchlichen Beständen, die über klerikale Pädokriminalität Auskunft geben könnten? Ich schrieb an seine Pressesprecherin: „Wenn die Rörigkommission einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss mit all den erforderlichen Vollmachten durchsetzt, wenn diese Untersuchungen die Staatsanwaltschaften nötigen, die einschlägigen Archivakten in Jugend­ämtern, Kirchen, Klöstern und Jugendhilfe­einrichtungen zu beschlagnahmen, und das unabhängig von der Verjährungsfrage, dann dürfte sie auch Unterstützung von den Opfern erwarten.“[42] Doch der UBSKM antwortete nicht.

Für Kinderrechte und Kinderschutz gibt es leider immer noch viel zu tun und Kinder haben keine Lobby,[43] stehen nicht im Grundgesetz, haben kein Wahlrecht – immerhin liefern sie in ihrer Rolle als Opfer zuweilen Sensationsthemen; die Medien und wir Konsumenten wissen es zu schätzen, bevor wir zu Tagesordnung übergehen.

Fußnoten

[1] Es geht in diesem Artikel um die Kombination von gewalttätigem Kindesmissbrauch mit Internetnutzung. Das Phänomen des Cyber-grooming wird umfassend dargestellt bei Adolf Gallwitz, Pädokriminalität – Kinder und Jugendliche als Opfer im Internet https://www.gdp.de/gdp/gdp.nsf/id/_dp200902/$file/DeuPol0902.pdf Seiten 6-17. Dieser Artikel ist schon älter, aber nicht überholt.

[2] Eine Übersicht über das Problemfeld bietet die Polizei von NRW unter: https://polizei.nrw/kinderpornografie

[3] Photo – Dierk Schäfer: https://www.flickr.com/photos/dierkschaefer/2515968357/in/album-72157605161869324/

[4] Der finanzielle Aspekt wird leicht überschätzt.  Ein „Milliardenmarkt“ für Kinderpornografie ist nicht erkenn­bar. Quelle: Hüneke, A. (2012). Das Internet – ein Milliardenmarkt für Kinderpornografie? Abgerufen von https://www.uni-hannover.de/fileadmin/luh/content/alumni/alumnicampus/AC_8_2012/i34-36__hueneke.pdf Zitiert nach: https://polizei.nrw/artikel/studien-zum-thema-kinderpornografie

[5] Es gehört nicht zum engeren Thema, doch der Hintergrund sollte nicht in Vergessenheit geraten: Es wurde mit dem Verfahren gegen Edathy auch der unbequeme Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses gezielt ausgeschaltet: https://www.zeit.de/kultur/literatur/2015-06/sebastian-edathy-nsu-kiyaks-deutschstunde + https://de.wikipedia.org/wiki/Edathy-Aff%C3%A4re  beide links: Dienstag, 16. Juni 2020

[6] Ohne politischen Hintergrund war ein Vorfall in meinem Umkreis: Ein Kollege (kein Pfarrer!) hatte mit solchen Photos für seinen Dienst-PC auch Malware ins ganze System heruntergeladen. Das fiel auf. Man entdeckte die Dateien auf seinem PC. Ob er freiwillig ging oder gekündigt wurde, weiß ich nicht. Ich war Datenschutzbeauftragter unserer Einrichtung und richtete eine humorvoll gehaltene Warnung an unsere Beschäftigten, damals (2002) war der ernsthafte Charakter dieser Dinge noch nicht so geläufig:moralinternet

[7] Ohnehin beschränkt sich der Missbrauch meist nicht nur auf ein Kind – und oft auch nicht auf nur einen Täter: Gruppensex mit Kindern.

[8] https://www.hypnovita.de/hypnose/therapie/sexualstoerungen/pornosucht-nebenwirkungen-loesungen-bei-der-abhaengigkeit-von-pornographie,  (Mittwoch, 10. Juni 2020)

[9] https://www.aerztezeitung.de/Medizin/Wenn-der-Sex-Klick-zum-Zwang-wird-286443.html (Samstag, 13. Juni 2020)

[10] Zitiert nach: https://www.merkur.de/welt/kinderpornografie-muenster-razzia-missbrauch-durchsuchung-kindesmissbrauch-erzieherin-verdacht-nrw-zr-13789992.html (Samstag, 13. Juni 2020)

[11] Da die Photos einzeln auf ihre gerichtliche Brauchbarkeit geprüft werden müssen, behalf man sich bei der Vielzahl der Bilder, sie zur Vorabsichtung in die Bereitschaftspolizei zu geben, also an junge Beamte, deren sexuelle Entwicklung oft noch nicht abgeschlossen ist.

[12] https://www.icd-code.de/icd/code/F65.-.html

[13] Tanja Kutscher · Janina Neutze · Klaus M. Beier · Klaus-Peter Dahle, Vergleich zweier diagnostischer Ansätze zur Erfassung der Sexualfantasien pädophiler Männer file:///C:/Users/Dierk%20User/Documents/5%20kriminologie/Kutscheretal_2011_VergleichzweierdiagnsotischerAnsatzezurErfassungderSexualfantasienpadophilerManner.pdf

[14] Gefangene, die sogenannte Sittlichkeitsdelikte begangen haben, werden abfällig „Sittiche“ genannt – sie gelten bei den Mitgefangenen als Abschaum. … „Was ist?“, fragt der Häftling. „Bist du taub? Oder ein Kinderficker?“ „Nein“, sagt Karl. „Es ging nur um Bilder, einen Link und eine Website.“ Im Dienstzimmer hören die Beamten Schreie. Sie eilen heran. „Hier ist ein Kifi“, ruft einer der Häftlinge in den Flur. „Kinderficker!“  https://correctiv.org/recherchen/justiz/artikel/2017/08/16/folge-1-die-ohnmacht-des-anfangs/ t

[15] Ein ausführlicher gut lesbarer Artikel, der auch die Probleme des Maßregelvollzugs beschreibt:  https://de.wikipedia.org/wiki/Ma%C3%9Fregelvollzug .Weitere Informationen: https://www.forensik.de/ueber-uns/fachausschuss-forensik.html

[16] http://www.bdk-deutschland.de/arbeitskreise/ak-forensik/665-grundsaetzliches-zur-massregelvollzugsbehandlung

[17] Dort findet auch der Menschenfresser sein williges Opfer: »Ein „deutscher Computertechniker … wurde als „Kannibale von Rotenburg“ bekannt, weil er Teile der Leiche seines Opfers gegessen hatte.« https://de.wikipedia.org/wiki/Armin_Meiwes

[18] https://polizei.nrw/artikel/taeter-und-strafbarkeit-von-kinder-und-jugendpornografie

[19] Denen sie dann gezielt nachgehen kann: https://polizei.nrw/artikel/kinderpornografie-ermittlungen

[20] Münsters Polizeipräsident Rainer Furth: „Wer macht sich eigentlich dabei Gedanken über das Leid, das Elend, das Martyrium der Kinder – begangen von Tätern, Vätern, zum Teil von Müttern der Kinder? Und wer macht sich Gedanken über die Männer und die Frauen bei der Polizei, die Hunderte von Terabytes auswerten müssen von diesem abscheulichen Dreck?“ https://www.merkur.de/welt/kinderpornografie-muenster-razzia-missbrauch-durchsuchung-kindesmissbrauch-erzieherin-verdacht-nrw-zr-13789992.html Freitag, 12. Juni 2020

[21] Eigenbericht aus meiner Arbeit als Polizeipfarrer.

[22] https://www.spiegel.de/panorama/justiz/kinderpornografie-und-strafrecht-das-leiden-der-anderen-kolumne-a-28d03ffc-c7b0-4914-83cb-be0f2003bbd1 Samstag, 13. Juni 2020

[23] https://polizei.nrw/artikel/erfolge-im-kampf-gegen-darknet-plattformen »Die bereits im März 2018 ausgehobene Plattform „Welcome to Video“ funktionierte mit Hilfe anonymer Bit­coin-Zahlungen. Ermittler hätten rund acht Terabyte Daten sichergestellt, darunter rund 250.000 kinder­porno­grafische Videos, hieß es weiter. Fast die Hälfte der Bilder und Videos waren vorher nirgends sonst im Internet aufgetaucht. Bei der Plattform seien rund eine Million Bitcoin-Adressen registriert gewesen, was darauf hindeute, dass es bis zu eine Million Nutzer gegeben haben könnte.« https://www.dw.com/de/gro%C3%9Fe-kinderporno-plattform-im-darknet-gestoppt/a-50861782

[24] Wir kennen die „no-nippels-policy“ von facebook https://noizz.de/lifestyle/no-nipple-policy-sechs-ausnahmen-in-denen-facebook-brustwarzen-fotos-akzeptiert/rd8wv1k

[25] https://polizei.nrw/artikel/kinderpornografie-opfer-und-opferschutz

[26] „Nach kriminologischer Einschätzung …  handelt es sich in Fällen sexuellen Missbrauchs von Kindern bei 60 bis 80 Prozent der Täter um Bekannte oder gar Verwandte des kindlichen Opfers.“ Quellle: Hagen, K. R., Olek, K. & Dickgieser, N. (2000). Sexueller Missbrauch eines Kindes. Kriminalistik, 54 (4), 240-242.  Zitiert nach: https://polizei.nrw/artikel/studien-zum-thema-kinderpornografie , dort auch eine Aufschlüsselung nach Täter­gruppen aus der Studie Laumer, M. (2012). Der Zusammenhang zwischen dem Konsum von Kinderpornografie und sexuellem Missbrauch von Kindern – Eine Übersicht zum aktuellen Forschungsstand. Kriminalistik, 3/2012, 139-144.

[27] Die Übersichtsakte müsste – notwendig zu erwähnen – bei Ortswechsel an das dann zuständige Jugendamt übergehen.

[28] In den Niederlanden hat man dafür die Consultatie-Büros, deren Besuch/Inanspruchnahme verpflichtend ist. https://nl.wikipedia.org/wiki/Consultatiebureau

[29] „Der ist vor meinen Augen an einer normalen Grippe verstorben, weil der Pflegevater prinzipiell alle Ärzte abgelehnt hat, um den sexuellen Missbrauch zu vertuschen.“ https://www.deutschlandfunk.de/missbrauch-von-berliner-pflegekindern-studie-sieht.1773.de.html?dram:article_id=478608 Montag, 15. Juni 2020

[30] Akten haben eine ambivalente Eigenschaft. Sind sie erst einmal in der Welt, können sie immer wieder zur Belastung herangezogen werden. Eine Schutzakte von Kindern müsste also – mit ihrem Einverständnis – spätestens mit Erreichung ihrer Mündigkeit nachweislich vernichtet werden.

[31] Das heißt allerdings nicht, dass man es ihm auch anmerkt: »Die Bild zitiert einen Garten-Nachbarn: „Adrian, die Frau und der Sohn waren oft im Garten. Der Junge kurvte oft mit dem Kettcar durch die Anlage, er war auffallend freundlich und höflich.“« https://www.merkur.de/welt/kinderpornografie-muenster-razzia-missbrauch-durchsuchung-kindesmissbrauch-erzieherin-verdacht-nrw-zr-13789992.html Freitag, 12. Juni 2020

[32] Schließlich hat ja auch die Plakatkampagne von Frau Süßmuth für den Gebrauch von Kondomen zu keinem Aufschrei der Entrüstung geführt.

[33] Wenn es gute Gesetzesvorlagen gibt, werden sie regelmäßig von den Bundesländern aus Kostengründen ausgebremst.  https://dierkschaefer.wordpress.com/2011/10/28/kinderschutzgesetz/ . Dazu auch mein gleichnamiges Papier: https://dierkschaefer.files.wordpress.com/2011/10/fc3bcr-eine-neue-politik.pdf

[34] Dazu: https://www.spiegel.de/panorama/justiz/kindesmissbrauch-diskussion-um-strafen-zu-viele-familienrichter-sind-ahnungslos-a-6626a099-78e1-4ec3-8114-85acf11183df Montag, 15. Juni 2020

[35] Die Zahnlosigkeit der Gesetze zum Recht von Schutzbefohlen, https://dierkschaefer.wordpress.com/2015/06/24/die-zahnlosigkeit-der-gesetze-zum-recht-von-schutzbefohlen/

[36] https://www.bundestag.de/ausschuesse/ausschuesse18/a13/kiko/informationen/info2-261950

[37] https://beauftragter-missbrauch.de/

[38] https://beauftragter-missbrauch.de/der-beauftragte/das-amt

[39] Andere, die sich für Kinderrechte einsetzen, twittern auch, die machen das aber unentgeltlich.

[40] https://dierkschaefer.wordpress.com/2020/04/26/wir-insider-wundern-uns/

[41] https://dierkschaefer.wordpress.com/2020/04/29/hat-sich-die-kirche-dem-missbrauchsbeauftragten-unterworfen/

[42] https://dierkschaefer.wordpress.com/2020/04/26/wir-insider-wundern-uns/

[43] Prof. Salgo: „Als Insolvenzrichter muss ich in Deutschland entsprechende Kenntnisse und Fortbildungen nachweisen. Als Familienrichter nicht. Das zeigt auch, wie der Gesetzgeber diese Themen gewichtet. Die Politik sollte da dringend ihre Hausaufgaben machen.“ https://www.spiegel.de/panorama/justiz/kindesmissbrauch-diskussion-um-strafen-zu-viele-familienrichter-sind-ahnungslos-a-6626a099-78e1-4ec3-8114-85acf11183df

 

Wir Insider wundern uns

„Die Geschichte der Heimkindheiten endlich konsequent aufarbeiten!“ fordert die „Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs zur Situation Betroffener der Heimerziehung in der Bundesrepublik und der DDR“[1], im Folgenden Rörigkommission genannt.

Nanu? Hat Frau Vollmer nicht am „Runden Tisch Heimerziehung“ die Aufarbeitung längst besorgt? So richtig begann es 2006 mit dem Buch „Schläge im Namen des Herrn“ [2]. 2008 wurde der Runde Tisch eingerichtet[3], ich selber habe dort bei der „2. Anhörung“ am 2. April 2009 referiert[4] und Verfahrensvorschläge vorgestellt.[5] Mein Blog hat sich in der Folgezeit hauptsächlich mit den Heimkindern beschäftigt, so auch andere Plattformen im Netz.[6] In der Folge begannen manche Heime ihre Vergangenheit in umfangreichen seriösen Studien auf­arbeiten zu lassen. Hier seien nur zwei der vielen Publikationen von Hans-Walter Schmuhl und Ulrike Winkler genannt[7]. Dazu kommen noch die Berichte über die Ergebnisse des Runden Tisches von Prof. Kappeler, ein überaus kompetenter Fachmann,  der vom Runden Tisch wohlweislich ausgegrenzt wurde.[8]

Was will die Kommission mehr?

Kann sein, dass auch sie mit den Ergebnissen des Runden Tisches nicht zufrieden ist. Da werden ihr viele, so auch ich, beipflichten. Der Runde Tisch hatte zwar auch ein paar wissen­schaftliche Arbeiten in Auftrag gegeben, doch es handelte sich bei dem Runden Tisch um einen von Beginn an eingefädelten Betrug.[9] Dort wurden die ehemaligen Heimkinder gekonnt von Antje Vollmer über den Tisch gezogen.[10] In quasi mafiöser Verbindung konnten Staat und Kirchen das für sie Schlimmste verhindern: nix da 2Eine echte Entschädigung und eine Aner­kennung der Arbeit der Kinder in Fabriken und Landwirtschaft als Zwangsarbeit. Medi­ka­mententests an Kindern kamen nicht zur Sprache, für Säuglingsheime, Behindertenein­rich­tungen und psychiatrische Unterbringungen zeigte man sich nicht zuständig. Durch ganz andere Problemlösungen im Ausland, zb gerichtliche Untersuchungsausschüsse ließ man sich nicht irritieren. Die Rechtsnachfolger der Misshandler traten in die Fußstapfen der Täter. Es hätte eine Lösung gegeben: Der Staat (die Länder und ihre Jugendämter) übernehmen die Verantwortung, zahlen Entschädigungen und refinanzieren sich bei den kirchlichen Einrichtungen. Hätte – aber genau das wollte man nicht.[11]

Wenn die Rörigkommission diese Fälle, ergänzt durch die hinzugekommenen Missbrauchsfälle, die damals kaum Thema waren, neu aufrollen will, muss sie die Erfahrungen der Heimkinder berücksichtigen: all die Untersu­chun­gen haben für sie nichts gebracht. Ihre Berichte waren nur das Rohmaterial für Wissen­schaftler, die damit ihr Geld verdienten und ihr Karriere beflügelten. Gewiss, sie gaben den Opfern Anerkennung, ihre Ergebnisse riefen bei den Rechtsnachfolgern „Betroffenheitsgestam­mel“[12] hervor, doch die waren damit glimpflich davongekommen und die Heimkinder fühlten sich abermals missbraucht. Wenn Herr Rörig mit sei­ner Kommission die Lage dieser Gruppe nach­haltig verbessern will, ist er herzlich willkom­men. Das Beweismaterial liegt vor. Neue Untersuchungen sind unerwünscht. Sie würden nur als Arbeitsbeschaffungs­maßnahme gesehen. Auch schon lange fordern die Heimkinder für sich andere Lösungen als Alters- oder Pflegeheime. Alles längst bekannt.[13]

Es mag sein, dass die Kommission vornehmlich die Missbrauchsfälle sieht, weil sich bei ihr dieser Personenkreis gemeldet hat, der zuvor nicht so sehr im Blickpunkt stand. Das Melde­aufkommen nach Bekanntwerden der Missbrauchsfälle im Piusheim macht deutlich, dass dieser Bereich noch ein großes Dunkelfeld bergen dürfte. Ich weiß, dass wir in nächster Zeit noch einiges über klerikale Pädokriminalität hören werden einschließlich der wirtschaftlichen Nutzung der Missbrauchsopfer. Das wird noch spannend. Aber …

Aber das interessiert die Öffentlichkeit nur vorübergehend. Die Heimkinder fanden sogar persönliche Beachtung in ihrem jeweiligen Lokalblatt, das sich die Gelegenheit nicht entgehen ließ, Opfer aus der näheren Umgebung präsentieren zu können. Es ist den Medien nicht vorzuwerfen, dass sie immer eine neue Sau durch ihre Blätter jagen müssen, denn der Skandal von heute verdrängt den von gestern. Die Leute wollen im Grunde nichts wissen, sondern nur unterhalten werden – und das ist der eigentliche Skandal.

Wenn die Rörigkommission einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss mit all den erforderlichen Vollmachten durchsetzt, wenn diese Untersuchungen die Staatsanwaltschaften nötigen, die einschlägigen Archivakten in Jugendämtern, Kirchen, Klöstern und Jugendhilfe­einrichtungen zu beschlagnahmen, und das unabhängig von der Verjährungsfrage[14], dann dürfte sie auch Unterstützung von den Opfern erwarten.

Kurz zur Verjährung: Sie ist eigentlich dazu gedacht, Rechtsfrieden zu schaffen für Uraltfälle. Eine nicht befriedigende aber letztlich befriedende Lösung. Doch hier hilft sie nicht. Die Verbrechen an den ehemaligen Heimkindern, den Misshandelten und den Missbrauchten stellen das wohl größte Verbrechen in der bundesrepublikanischen Geschichte dar. Prof. Kappeler: „Mitten im Kern des eigenen Gesellschaftssystems geschieht solches Unrecht in unvorstellbaren Ausmaß und sämtliche – verfassungsrechtlich, staatsrechtlich, verwaltungs­rechtlich! – vorhandenen Kontrollsysteme versagen; nicht zufällig!“[15] Die Zahl der Opfer ist kaum überschaubar, die „Qualität“ der Verbrechen reicht von deutlicher Benach­teiligung und Ausbeutung bis hin zu Monstrositäten grundlegender Menschen­rechtsverletzun­gen Hier kann nicht gesagt werden: „Schluss jetzt, Schwamm drüber.“ Wir werden – Verjährung hin oder her – keinen Rechtsfrieden bekommen, allenfalls Friedhofsruhe, wenn die Opfer gestorben sind – doch ihre Geschichten leben weiter.

Hinzu kommt, dass in vielen Fällen der Rechtsweg von Beginn an schuldhaft versperrt blieb: Wer sich über seine Miss­handlungen beklagte, (sei es in der Einrichtung oder bei der Polizei, den Hilfs­beamten der Staatsanwalt­schaft,) wurde nicht nur abgewimmelt, sondern zuweilen auch noch geprügelt, weil er „Lügen“ erzähle. Wer, mündig geworden, auspackte, wurde bedroht. Beispielhaft sei hier Alexander Markus Homes genannt. Sein Buch „Prügel vom lieben Gott“ erschien erstmals 1981, also vor inzwischen 39 Jahren. Und die Kirche versuchte, ihn mundtot zu machen.[16] 1999 erschien das Buch MUNDTOT.[17]von Jürgen Schubert, ein weiterer Pionier. Schließlich ist noch an Paul Brune zu erinnern. Es geht dabei nicht um das Unrecht während der Nazi-Zeit (er wurde in eine der Tötungsstationen der Kindereuthanasie eingewiesen), sondern um das in der Bundesrepublik.[18]

Mich würde auch interessieren, mit welchen Methoden die Organisatoren der Kinderbordell-Einrichtungen gearbeitet haben, um die Heimkinder für den Sexmarkt gefügig zu machen und wer abkassiert hat.

Aber: welche Bedeutung haben Opfer angesichts der mächtigeren Interessenvertreter?

Es ist gut, sehr geehrter Herr Rörig, dass Sie sich nun über die Missbrauchsfälle hinaus auf breiterer Front eingeschaltet haben. Schließlich umfasst das Spektrum missbräuchlicher Behand­lung von Schutzbefohlenen weitaus mehr als nur den sexuellen Bereich; die mensch­liche Bosheit ist bodenlos.[19]

Wir sind nun einer neuen(?) Form des sexuellen Missbrauchs auf der Spur, der Bordel­li­sie­rung von Heimkindern. Ansätze dazu gab es bereits in der Korntal-Sache; die konnten aber m.W. nicht ausreichend belegt werden. Nun hören wir von ähnlichen Vorwürfen aus Mallorca und aus dem Piusstift. Es wäre ein Fortschritt, wenn Sie in Sachen Piusstift Beweis­material beschaffen könnten.

Eine andere Investigativgruppe ist mit ihren Recherchen schon weiter. Eine erste fundierte Anzeige läuft bereits. Doch wie Sie wissen sind Staatsanwälte weisungsgebunden und die Schutzlobby der Täter ist mächtig. Haben Sie einen Draht „nach oben“?

Wenn dieser Kinderbordell-Fall demnächst, wie ich vermute, in die Medien kommt, müssten Sie mit Ihrem Material bereitstehen. Denn für „Kinderkram“ ist die Aufmerksamkeitsspanne des Publikums wie auch die der Politiker nicht so groß wie für Corona. Dann sollten Sie in Ihrer Funktion dafür sorgen können, dass ein Staatsanwalt mit seinem Team direkt ins Archiv marschiert, bevor dort die Akten vernichtet werden. Wie weit geht Ihre rechtliche Kompe­tenz?  Sind Sie befugt, Klage zu erheben und werden Sie es tun?

Sollte Ihnen bei der Sichtung des Materials, das ich Ihnen jetzt präsentiert habe, der Kopf schwirren, empfehle ich zur Entspannung ein Kapitel aus den Aufzeichnungen des Heimkindes Dieter Schulz. „Von Auerbachs Keller in­ den Venusberg“.[20]

Fußnoten

[1] Stellungnahme vom 23. April 2020,https://www.aufarbeitungskommission.de/meldung-23-04-2020-stellungnahme-aufarbeitung-heimkindheiten/

[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Schl%C3%A4ge_im_Namen_des_Herrn.Heimkinder waren vorher schon einmal Thema gewesen. https://dierkschaefer.wordpress.com/2017/02/02/wenn-der-richter-das-gelesen-haette-dann-haetten-sie-keine-zehn-jahre-gekriegt-x/ Fußnote 1.

[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Runder_Tisch_Heimerziehung_in_den_50er_und_60er_Jahren

[4] https://dierkschaefer.files.wordpress.com/2009/04/runder-tisch-bericht-ds.pdf

[5] https://dierkschaefer.files.wordpress.com/2009/04/verfahrensvorschlage-rt.pdf

[6] Beispielhaft sei hier nur die umfangreiche Öffentlichkeitsarbeit der Freien Arbeitsgruppe JHH aus Volmarstein genannt. http://www.gewalt-im-jhh.de/Grundung_der_Freien_Arbeitsgru/grundung_der_freien_arbeitsgru.html Nicht zu vergessen die stupende Aktivität von Martin Mitchell in Australien, ehemaliger Zwangsarbeiter im Moor von Freistatt bei Bethel. https://dierkschaefer.files.wordpress.com/2017/01/freistatt_kappeler.pdf

[7] Rezensionen: Himmelsthür:https://dierkschaefer.files.wordpress.com/2015/01/rezension-himmelsthc3bcr.pdf und Volmarstein: https://dierkschaefer.wordpress.com/2010/03/21/im-herzen-der-finsternis/

[8] http://gewalt-im-jhh.de/hp2/Kritischer_Ruckblick_2011.pdf Interessant ist, dass hier die Autoren eine mythisch-literarische Sprache verwenden: „Sie schreiben: »Öffnete man in den 1950er und 1960er Jahren die Tür zum Johanna-Helenen-Heim, so sah man in einen Abgrund der Willkür, der Zerstörung, der Gewalt, der Angst und der Einsamkeit. Man blickte in das ‚Herz der Finsternis‘« So heißt der Roman von Joseph Conrad, in dem er eine (fiktive) Expedition zum Oberlauf des Kongo, der Privatkolonie des belgischen Königs Leopold II beschreibt. Der „Freistaat Kongo“ stand außerhalb jeglichen Völkerrechts. Seine Bevölkerung wurde millionen­fach zur Arbeit gezwungen, verstümmelt, versklavt, getötet. https://www.flickr.com/photos/dierkschaefer/6864476092/in/photolist-bss87h-bsAdtW-bstBdj-bFv4Nz-bFoukV-bFmU1D-brHiv7-bFmHZK-bFn3fv-bFn4MD-bss62f-bsAbz7-bsAeA5-bstGNY-bsAd8N-bstK9w-bFoDuR-bFmSHB-bFmPwD-bFmMWB/  Das Ganze unter dem „Deckmantel eines wortreichen humanitären Missionseifers“.

Auch ich griff –  eher unbewusst – auf solch ein mythisch-literarisches Vorbild zurück, als ich meinem geplanten Essay über die Klerikale Pädokriminalität dieses Motto voranstellte:

Willkommen im Reich des Bösen!

Lasst, die ihr reinkommt, alle Hoffnung fahren!

Ach so, nur zu Besuch …

Auch Kinder dabei? Nein? Schade.“

Hier regiert die Phantasie von de Sade, der nicht nur wegen seiner Phantasien viele Jahre seines Lebens eingekerkert war.  https://www.flickr.com/photos/dierkschaefer/49821171961/in/dateposted-public/ Ein Schmankerl: de Sades Schädel von Dr. Ramon nach den Methoden der Phrenologie untersucht: „Sades Schädel glich in jeder Hinsicht dem eines Kirchenvaters.“ https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-46407841.html

[9] https://dierkschaefer.wordpress.com/2015/01/03/der-runde-tisch-heimerziehung-ein-von-beginn-an-eingefadelter-betrug/

[10] https://dierkschaefer.wordpress.com/2011/01/31/der-runde-tisch-heimkinder-und-der-erfolg-der-politikerin-dr-antje-vollmer/

[11] Photo: https://www.flickr.com/photos/dierkschaefer/8409300786/in/photostream/

[12] Helmut Jacob, Volmarstein, prägte diesen zutreffenden Begriff.

[13] https://dierkschaefer.wordpress.com/2010/03/02/noch-einmal-ins-heim-von-den-letzten-dingen/

https://dierkschaefer.wordpress.com/2014/07/14/wer-will-ins-heim-ins-altenheim-vom-stephansstift/

[14] https://dierkschaefer.wordpress.com/2014/03/28/schindluder-mit-dem-heiligen/

[15] http://heimkinderopfer.blogspot.com/

[16] https://dierkschaefer.wordpress.com/2012/09/06/alexander-homes-ein-pionier/

https://dierkschaefer.wordpress.com/2016/06/19/zweierlei-leid-heimkinder-mit-behinderung-sollen-weniger-entschaedigung-bekommen/

https://dierkschaefer.wordpress.com/2014/11/27/prugel-vom-lieben-gott-neu-aufgelegt-2/

https://dierkschaefer.wordpress.com/2014/11/06/prugel-vom-lieben-gott-neu-aufgelegt/ dort: „Hintergrund“

https://dierkschaefer.wordpress.com/2013/09/22/man-hat-uns-die-religion-mit-prugeln-implantiert/

https://dierkschaefer.wordpress.com/2013/07/15/das-system-schlug-mit-wucht-zuruck/

Hier ein sehr erhellender Auszug aus dem Buch von Homes: https://dierkschaefer.wordpress.com/2013/07/13/wir-haben-den-kindern-immer-wieder-gesagt-dass-wir-sie-im-namen-von-jesus-christus-erziehen/

[17] http://www.heimkinder-ueberlebende.org/Nachkriegsbiographie_MUNDTOT_bei_Aachener_Juergen_Schubert.html

https://dierkschaefer.wordpress.com/2014/10/26/und-nun-ein-film-holle-kinderpsychiatrie-gewalt-und-missbrauch-hinter-anstaltsmauern/

https://dierkschaefer.wordpress.com/2014/04/06/merkwurdig-die-vinzentinerinnen/

[18] https://dierkschaefer.wordpress.com/2010/12/26/der-fall-paul-brune/

https://www.lernzeit.de/lebensunwert-der-weg-des-paul-brune/

[19] 1 Weihnachtsfest mit 2 Diakonissen, https://dierkschaefer.wordpress.com/2017/12/21/1-weihnachtsfest-mit-2-diakonissen/

[20] https://dierkschaefer.wordpress.com/tag/kamasutra/

Zeitvergleich

Geschichte wiederholt sich nicht – so heißt es. Doch es gibt merkwürdige Parallelen.

Heute sehen wir einen Artikel aus der Frankfurter Zeitung vom 01.11.1929.[1] 90 Jahre ist es her, dass diese Zeitung eine detaillierte Analyse des Aufstiegs der Nazi-Partei vorlegte. Vier Jahre später galt keine Pressefreiheit mehr, war alles gleichgeschaltet zu einer Nazi-Lügen­presse.

Schnuppern wir doch kurz die Luft der damaligen Freiheit:

»der Kern der Wählerschaft hat an der guten demokratischen Tradition des Landes festgehal­ten; nur ein – allerdings ansehlicher – Bruchteil ist der nationalsozialistischen Werbung wider­standslos erlegen, nämlich der Teil der Bauernschaft und des Bürgertums, den Kriegsende, Umwälzung und Inflation politisch aus dem Gleise geworfen und derart direktionslos gemacht haben, daß er, verstärkt durch wirtschaftlich Unzufriedene aller Art, seit zehn Jahren von Wahl zu Wahl anderen Phantomen nachjagt.« » Für den [badischen] Landtag bedeutet der Einzug der Nationalsozialisten eine Vermehrung der Elemente, die sich weigern, überhaupt fair mitzuarbeiten, die die Aufgabe des Landtags nicht fördern, sondern von innen heraus sabotieren wollen. Zu den fünf Kommunisten kom­men sechs Nationalsozia­listen; ein volles Achtel des Landtags wird damit aus Abgeordneten gegen den Landtag bestehen. Sie treiben ein unehrliches Spiel, indem sie trotzdem die volle Gleich­berechtigung mit den andern Parteien in Anspruch nehmen – die ihnen selbstver­ständ­lich gewährt werden wird –, wie es auch unehrlich ist, selbst einen Staat des Zwanges, der bruta­len Vergewalti­gung aller Andersdenkenden zu propagieren und gleichzeitig laut zu lamen­tieren und vor Entrüstung außer sich zu sein, wenn der bestehende Staat sich gegen ihre Wühlarbeit mit sehr zahmen Mitteln zur Wehr setzt.«

Zeitsprung

»Wo die NSDAP erfolgreich war, ist es heute die AfD. Das erklärt natürlich nicht den ganzen Wahlerfolg der AfD. Aber es ist ein wichtiger Faktor, ähnlich wichtig wie andere Erklärun­gen, die man bislang oft hören konnte:  Arbeitslosigkeit, Verlust von gut bezahlten Jobs im Industriesektor, Unsicherheit wegen der Zuwanderung.«[2] »Was die beiden Parteien gemein­sam haben, ist, dass sie offensichtlich Menschen mit ihren rechtspopulistischen Denkweisen ansprechen, mit relativ schnellen und national gefärbten Lösungen für Probleme und Krisen der Zeit, mit ihrem Insider-Outsider-Denken.«

Dies ist die eine Seite des Problems und seiner Parallelen. Die weiteren Details sollte man den angegebenen Artikeln entnehmen. Dann sieht man auch, dass ein 1:1 Vergleich nicht funktioniert.

Doch auf der anderen Seite des Problems haben wir wieder eine Parallele.

Vor 90 Jahren schrieb die Frankfurter Zeitung: »Die Empfänglichkeit weiter Volkskreise für die nationalsozialistische Agitation könnte nicht so groß sein, wenn die Republik die volle Ueberzeugungs- und Anziehungskraft entfaltet hätte, die gerade einer auf dem demokrati­schen und sozialen Prinzip aufgebauten Institution innewohnen muß. Deshalb muß der Nationalsozialismus der Republik ein Stachel zur Selbstkritik sein; die Republik ist robust genug, um solche unablässige Selbstkritik ertragen zu können.«

Die Überzeugungs- und Anziehungskraft unserer Demokratie ist im Sinken und als enttäusch­ter/empörter Bürger könnte man geneigt sein, mancher AfD-Argumentation zu folgen – wenn es nicht die AfD wäre. Unsere Funktionseliten haben ihre Glaubwürdigkeit weitgehend verloren durch zahlreiche Skandale. Es sind ja nicht nur die Großbauprojekte, die merkwürdi­gerweise nicht von der Stelle kommen, es ist nicht nur der Zustand unserer maroden Infra­struktur, bei dem man sich fragt, wo die Steuergelder hingeflossen sind. Es ist vor allem die Kumpanei mit Wirtschaft und Industrie geschmiert durch die Lobbyvertreter, genannt sei hier nur die Autoindustrie, die gerade durch ihre Betrügereien dabei ist, unsere Wirtschaft gegen die Wand zu fahren. Transparenz in diesen Dingen ist Tabu und die „Abgeordnetenwatch“ ein böser Bube.

Unser Gemeinwesen wird von zwei Seiten bedroht: Von seinen Vertretern, die gekonnt auf der Klaviatur gesetzlicher Möglichkeiten spielen – und dabei auch manchmal falsch spielen. Ihnen muss man auf die Finger hauen und sie bei den Wahlen abstrafen – wenn es da denn Alternativen gibt. Die erklärten Gegner unserer menschenrechtsbegründeten freiheitlichen Lebensweise sind Feinde dieses Staates und der Mehrheit der rechtlich Denkenden. Hier müssen unsere Staatsorgane mit allen rechtlichen Möglichkeiten durchgreifen bis hin zum Parteienverbot. Es wird Zeit. 1929 hatte man nur noch vier Jahre bis zur Machtergreifung der Feinde der Menschheit.


[1]Zitate aus :  https://www.faz.net/aktuell/politik/historisches-e-paper/historisches-e-paper-nsdap-erstmals-im-badischen-landtag-16402663.html

[2] Die gegenwartsbezogenen Zitate sind entnommen aus: https://www.zeit.de/politik/deutschland/2019-02/afd-waehler-rechtsextremismus-nsdap-gemeinden-milieu/komplettansicht

Todessehnsüchtige junge Männer[1]

Posted in Kriminalität, Kriminologie, Kultur, Medien, Moral, News, Psychologie, Soziologie, Täter, Terrorismus, Tod by dierkschaefer on 12. Oktober 2019

Sie lieben den Tod. Er soll sie groß machen und über ihre dürftige Existenz hinwegheben.

[2]

In der Erklärung der Motive von Amoktätern sind wir schon weiter. Eine vermeintliche oder tatsächliche Kränkung ist der Ausgangspunkt ihrer Rache, möglichst an denen, die sie für schuldig halten. Im Fall der Amoktäter ist es meist ihre persönliche Umwelt: die Schule, in der sie versagt haben.[3]

Die Kriminologin Britta Bannenberg nennt als Persönlichkeitsmerkmale[4]:

Täterpersönlichkeit 1

  • Ängstliche stille Kinder
  • Aufmerksamkeitsprobleme
  • In der Grundschule bereits: Angst vor Gleichaltrigen, Lern- und Konzentrationsschwierig­keiten („Träumer“)
  • Später „verstummt“, starren im Unterricht vor sich hin, Versetzungen aus Mitleid und als Belohnung für Wohlverhalten

Täterpersönlichkeit 2

  • Rückzüglich, still, nicht aggressiv auffällig
  • Verdacht oder Diagnose erheblicher Persönlichkeitsstörungen (narzisstische Persönlichkeits­störung – depressive Phasen abgelöst von starken Hass- und Rachephantasien; Schwelgen in der Tatplanung)
  • Die Täter wissen, dass etwas nicht mit ihnen stimmt (Hinweise, etwa Faltblatt …)

Täterpersönlichkeit 3

  • Tagebücher, Aufzeichnungen, Äußerungen gegenüber Mitschülern, Gleichaltrigen …
  • Einzelgänger – täuscht teilweise, da in der Schule zwingend Kontakt
  • Äußerungen zu Suizid, Amok, großem Abgang … „ich werde es tun und nehme noch jemanden mit!“

Täterpersönlichkeit 4

  • Unangemessene Kränkbarkeit – sie fühlen sich gemobbt, werden aber nicht gemobbt
  • Hass, Ablehnung anderer, Rache – scheint nie nachvollziehbar und aufgesetzt
  • Pubertäre Probleme vermischt mit grandiosen Ideen eigener Gewalt
  • Zum Teil lange Tatplanung, Todeslisten, gedankliche Vorwegnahmen der Tathandlungen (die zum Teil auch ausgeführt werden) – sich steigernde Phasen

Täterpersönlichkeit 5

  • Probleme im Umgang mit Mädchen und Sexualität – aus Schüchternheit und Wünschen nach Beziehungen wird Ablehnung und Hass
  • Eltern wissen oder ahnen,
  • dass ihr Sohn psychische Probleme hat, unternehmen aber nichts
  • Lehrer bemerken Probleme nicht (unauffällige Schüler) oder sehen aus Hilflosigkeit über die schlechten Leistungen der verstummten Schüler hinweg

„Es scheint mir beim Phänomen Amok im Wesentlichen um Suizid (Bilanz-Suizid) zu gehen, allerdings mit oft gezielt-aggressiv-tödlicher „Mitnahme“ Anderer. Motiv oft: Vom nobody zum somebody![5]

Die gilt nicht nur für Amoktäter,

sondern auch für

  • die aktuellen Terrorangriffe [6]
  • für Prominenten-Stalking mit Tötung
  • für Kriegsbegeisterung

Bleiben wir bei den aktuellen Terrorangriffen mit vermeintlichen Feindbildern, vermeintlich, weil auf mehr oder weniger kollektiven Mythen aufsitzend. Die Täter sind nicht in erster Linie Antisemiten[7] oder Hasser des westlichen Lebensstils. Sie greifen nur die in ihrer Phantasiewelt gängigen Mythen und Schuldzuweisungen auf, um ihr Ungenügen und ihren Hass zu begründen.[8]

Helene Bubrowski und Constantin van Lijnden beschreiben «ein Radikalisierungsprogramm für erfolg- und orientierungslose junge Männer. … „Im Tod haben Mitglieder von Project Mayhem einen Na­men“, heißt es im Film Fight Club, wo ori­entierungslose junge Männer sich unter Aufgabe ihrer Individualität für Zerstö­rungs­aktionen gegen die Gesellschaft zu­sammen­schließen, um ihrem Leben einen Sinn zu geben – wer dabei umkommt, den ehren die Ver­bliebenen, indem sie ihn wie­der als Person anerken­nen statt als bloße Nummer….

Doch bald wird er [B.] sich dort buchstäb­lich einen Namen machen. Bald, wenn er erst genügend Juden ermordet hat und schließlich selbst getötet wird, werden die anderen Anons[9] wissen, wie er wirklich heißt, und werden ihm einen Platz einräu­men neben den anderen „Heiligen“« [Doch er hats verkackt:] »Sein Plan zerrinnt ihm in den Händen, als er die Tür zu seinem Anschlagsziel, einer Synagoge in Halle, verschlossen findet und stattdessen zu­nächst wahllos eine Passantin und so­dann einen Mann in einem Dönerladen erschießt. „ER VERSAUTS TOTAL, AA-AHHH Ist das unbeholfen“, schreibt ein „Anon“, der das Video live betrachtet, … „Oh man, das ist wie eine Slap-stick-Komödie“, meint ein anderer.« [10]

Bubrowski und van Lijnden erwähnen auch den sexuellen Aspekt. Auf B. warten, ähnlich wie auf die Märtyrer im islamischen Paradies, Frauen: »in seinem Manifest fabuliert er von sexuell gefügigen japanischen Animefiguren, die ihn nach seinem Tod in „Valhalla“ erwarten würden, sogenannten „Wai-fus“. Der Begriff ist eine Verballhornung des Englischen „Wife“ (Ehefrau) und bringt die ganze traurige Einsamkeit der In­cels[11] auf einen Punkt: Die „Waifus“, an de­ren Seite sie sich imaginieren, sind in ihrer Vorstellung ein Leben lang treue, hinge­bungsvolle, „echte“ Frauen, von denen sie mit großen Augen angehimmelt werden, die es aber auch mit gönnerhafter Fürsorge zu behandeln gilt. So verklärt und aus der Zeit gefallen dieses Frauenbild wirkt, so verquer sind auch die Vorstellungen dar­über, wie man sich die Gunst seiner „Wai-fu“ zu verdienen habe: Wie ein „echter Mann“ nämlich, im mutigen und siegrei­chen Kampf mit dem Feind, den Juden. Das alles mag vollkommen bizarr klin­gen, ist aber letztlich nur das Produkt von geringer Sozialkompetenz und niedrigem Selbstbewusst­sein[12], die in digitalen Echo­kammern über Jahre verstärkt, mit frauen- und fremdenfeind­lichen Vorstellungen an­gereichert und schließlich zur mörderi­schen Reife gebracht werden.«

Wie bei manchen School-shootings gibt es auch von diesen Hass-Tätern Manifeste, die sie hinterlassen oder schon vor der Tat ins Netz stellen. Oder sie zwingen uns neuerdings gar per Webcam beim Angriff die Tat mit ihren Augen zu sehen.

Im Hintergrund haben wir in der Regel jedoch sich selbst bedauernde Individuen, die den großen Abgang planen. Den sollten wir ihnen nicht gönnen, sondern in den Medien ihre Erbärmlichkeit in den Vordergrund stellen, in der Hoffnung, dass dies mehr abschreckt als die ins Auge springende fürchterliche „Großartigkeit“ ihrer Taten. Es sind im Grunde arme, gekränkte „Würstchen“, in den Tod verliebt, der ihnen die Größe verleihen soll, die ihnen – wie sie meinen – zusteht.


[1] Zweite, erweiterte Auflage

[2] Arnold Böcklin, Die Pest

[3] Amok als Form der Kommunikation

Finale Kommunikation / Schlussabrechnung

  • Jugendliche – School-shoting
  • Familientragödien

[4] Britta Bannenberg, Amoklauf – Kriminologische Erkenntnisse über ein spezielles Phänomen von Tötungsdelikten

[5] Ausführliche Literatur beim Verfasser

[6] Dazu sollte auch der „Todesflieger“ gezählt werden https://dierkschaefer.wordpress.com/2015/03/28/das-lachen-der-tater/ Dazu auch: https://dierkschaefer.wordpress.com/2015/03/24/manner-morden-lachelnd/

[7] Remko Leemhuis schreibt auf Twitter: Die Mutter des Terroristen von #Halle: „Er hat nichts gegen Juden in dem Sinne, er hat was gegen die Leute, die hinter der finanziellen Macht stehen. Wer hat das nicht?“

[8] Thomas-Theorem: „If men define situations as real, they are real in their consequences“

Wenn Menschen Situationen für real halten, dann sind sie in ihren Konsequenzen real. https://de.wikipedia.org/wiki/Thomas-Theorem

[9] Anons, die noch Anonymen

[10] FAZ, 12.10.2019, S. 3

[11]»„Incels“ nennen sich dort Nutzer, die keine Frauen abbekom­men, von „involuntary celibacy“, ungewoll­tes Zölibat. Zu ihren Merkmalen zählen weinerliches Selbstmitleid bei gleichzeiti­gem Selbsthass und ein unerfülltes An­spruchsdenken gegenüber Frauen, das schnell in Vergewaltigungs- oder Gewalt­fantasien umschlägt.« FAZ, 12.10.2019, S. 3

[12] Dirk Lorenz schreibt auf Twitter: »Die Frage nach psychologischen Motiven stellt sich tatsächlich niemand, soweit ich das sehe. Dabei wurden im Haus des Täters mehrere Zettel mit der Aufschrift „Niete“ gefunden. Er selbst nannte sich in der Videoübertragung „Verlierer“. Think about it.«

Die Katholische Kirche setzt Maßstäbe – in zweierlei Hinsicht

»Bei der Bischofskonferenz in Fulda ist von Entschädigungssummen bis zu 400tausend Euro die Rede.«[1] Das ist wahrhaft spektakulär – aber noch nicht amtlich im Detail. Zu den nicht unwichtigen Finanzfragen weiter unten.

Wichtiger erscheint mir, dass zum ersten Male von einer Entschädigung für erlittenes Unrecht gesprochen wird. Beide Begriffe gehören zusammen. Bisher gab es Kompensationszahlungen für die Übergriffe einzelner Funktionskatholiken[2]. Gedacht sind diese Zahlungen für die Auswirkungen der Vergehen – man sollte von Verbrechen reden, die ursächlich sind für eine heutige wie auch immer prekäre Lage der Opfer. Die Opfer sprechen von Almosen, ohne Rechtsanspruch, oft verbunden mit Schweigeverpflichtungen.

Wenn nun die Kirche dezidiert von Unrecht spricht, dann hat das Rechtsqualität, der nicht mehr nur mit Almosen zu begegnen ist. Hiermit werden diese Opfer erstmals auf Augenhöhe wahrgenommen. Aus Bittstellern sind Anspruchsberechtigte geworden. Endlich!

Dieser längst fällige Schritt der katholischen Kirche setzt meine Kirche, die evangelische Kirche unter Druck, ihm zu folgen – ich hoffe, sie tut es.

Ein Schritt, der die Opfer ins Recht setzt hat auch psychologische Wirkungen. Es ist bekannt, dass viele Missbrauchsopfer dermaßen traumatisiert sind, dass sie sich nicht melden, um nicht die Verwundungen wieder aufreißen zu lassen. Sie scheuen auch den Antragsweg, der ihnen auferlegt, ihre Geschichte jemandem anzuvertrauen und nicht zu wissen, ob ihr Schicksal verstanden wird, insbesondere, wenn sie argwöhnen müssen, dass das Personal, an das sie geraten, kirchlich beeinflusst ist oder gar völlig unsensibel. Die neue Rechtsposition könnte ihnen den Rücken stärken, damit sie hervortreten, auf ihr Recht pochen und damit zugleich den Opferstatus abwerfen. „Ich brauche mich wegen meiner Geschichte nicht zu schämen. Was ich erlebt habe, ist vor aller Welt als Unrecht anerkannt.“[3]

Dabei ist noch an weiteres kirchlich zu verantwortendem Unrecht zu denken. Es sind ja nicht nur die sexuell Missbrauchten. In den kirchlichen Erziehungseinrichtungen geschah vielfach Unrecht auch nichtsexueller Art. Kinder wurden gedemütigt, misshandelt und ausgebeutet. Vielen wurde eine ihren Fähigkeiten angemessene Bildung und daraus folgend Ausbildung verwehrt. Am Runden Tisch der unsäglichen Frau Vollmer wurde ihnen ein Platz auf Augenhöhe vorenthalten. Sie wurden als bemitleidenswerte Opfer mit Almosen abgespeist.[4]

Dieses Kapitel ist neu aufzurollen. Auch hier ist Unrecht als solches zu benennen, auch hier muss angemessen entschädigt werden.[5] Dies eröffnet zudem neue Horizonte. Denn das Unrecht begann häufig mit der Einweisung durch die Jugendämter, setzte sich zuweilen fort durch die Einstufung normal-intelligenter Kinder als „geistig-behindert“. Fast durchgängig vernachlässigte der Staat[6] seine Aufsichtspflicht. Es war also nicht nur ein kirchliches Versagen im Erziehungsauftrag, sondern auch ein staatliches. Mögen die Kirchen also für diese Fälle den Staat in die Mithaftung nehmen, dann wird’s billiger.

Nun zum Detail, in dem der Teufel zu stecken pflegt.

Da ist von zwei verschiedenen Möglichkeiten der Entschädigung die Rede.[7]

Bislang gab es für die Opfer pauschal 5tausend Euro in Anerkennung des erlittenen Leides.

Nun schlägt eine Arbeitsgruppe der Bischofskonferenz in Fulda zwei Modelle vor:

Entweder eine Entschädigungssumme von 300tausend für jeden Betroffenen, oder ein gestaffeltes System mit Zahlungen zwischen 4tausend und 400tausend. Eine Mischform scheint nicht vorgesehen. So wird es wieder auf Einzelfallösungen hinauslaufen. Jeder Betroffene muss nicht nur das erlittene Unrecht belegen, sondern auch den Zusammenhang zwischen diesem Unrecht und den fortdauernden Auswirkungen.

Damit sind wir wieder bei dem, was ich schon vor acht Jahren die Bordellisierung missbrauchter Kinder genannt habe.[8]

Dennoch: Die katholische Kirche ist einen bedeutenden Schritt vorangekommen, hoffentlich hält sie durch, auch es auf geschätzt eine Milliarde Euro kommen dürfte.


[1] https://www.sueddeutsche.de/politik/missbrauch-kirche-entschaedigung-1.4615849?reduced=true

[2] Man verzeihe mir diesen unschönen Ausdruck. Gemeint sind Männer und Frauen in Diensten der katholischen Kirche, die als Priester, Ordensangehörige oder Lehrer sich an schutzbefohlenen Kindern und Jugendlichen vergangen haben. Zur Zeit wird in diesem Zusammenhang besonders an sexuelle Übergriffe gedacht.

[3] Photo: https://www.flickr.com/photos/dierkschaefer/2515968357/

[4] Ich will mich nicht ständig wiederholen: Dieser Blog ist voll von Heimkinderangelegenheiten und dem Runden Tisch, der von Beginn an auf Betrug angelegt war. https://dierkschaefer.wordpress.com/2015/01/03/der-runde-tisch-heimerziehung-ein-von-beginn-an-eingefadelter-betrug/

[5] Die Medien sprachen und sprechen unisono bei Zahlungen an ehemalige Heimkinder stets von Entschädigungen. Sie scheinen bis heute nicht kapiert zu haben, dass es erklärtermaßen keine Entschädigungen sein sollten, weil es sonst einen Rechtsanspruch gegeben hätte.

[6] Mit Staat sind hier alle involvierten staatlichen Einrichtungen gemeint, egal auf welcher Verwaltungsstufe.

[7] Diese Angaben sind entnommen aus https://www.sueddeutsche.de/politik/missbrauch-kirche-entschaedigung-1.4615849?reduced=true

[8] https://dierkschaefer.wordpress.com/2011/05/27/die-bordellisierung-misbrauchter-kinder/