»Wer finanziell darbt, sollte etwas erhalten«
Kann sein, dass es in der Schweiz[1] anders läuft als bei uns, – wäre gut.
Da Gerechtigkeit in der Entschädigung für ehemalige Heimkinder – aus welcher Sorte Heim auch immer – nicht zu erreichen ist, wäre neben der symbolischen Anerkennung für alle eine angemessene Entschädigung wenigstens für die Bedürftigen ein Kompromiss gewesen. Wer im Heim war und heute ein Einkommen hat, das nicht mehr als 100,00 € über dem Sozialhilfesatz liegt, bekäme eine monatliche Ausgleichszahlung von bis zu 300,00 €. Man hätte die Bedürftigkeit ganz einfach als Beleg für die behinderten Startchancen ins Leben nehmen können.
Ja, es hätte einen Aufschrei gegeben.
- „Ich will 20.000,00 € von der Kirche (die sein Arbeitgeber ist). Mir geht es finanziell gut, aber ich bin unfähig gemacht worden für Partnerschaften“. – Recht hat er, den ich hier nur als Beispiel anführe. Aber Recht wird er allenfalls vor Gericht bekommen.
- „Warum kriegen DIE einen Zuschlag zur Stütze? Ich war nicht im Heim, bin aber auch bedürftig und bin nicht schuld daran“. – Auch der mag Recht haben, kann es aber nicht kriegen, weil er eine Lawine lostreten würde.
Gerechtigkeit ist ein unerreichbares Ziel. Wäre man etwas großzügiger gewesen, wäre man ihr aber etwas näher gekommen.
[1] http://www.derbund.ch/bern/kanton/Wer-finanziell-darbt-sollte-etwas-erhalten——/story/25756970
Na nu, gibt es doch einen Rechtsanspruch auf milde Gaben?
»„Mach Deinen Anspruch geltend! Bis spätestens 31.12.2014!“ Diese Plakataktion von Prof. Dr. Peter Schruth hat zum Ziel, alle Betroffenen auf den Ablauf der Antragsfrist für den Fond Heimerziehung am 30.09.2014 im Osten und am 31.12.2014 im Westen aufmerksam zu machen.«[1]
Schruth ist Professor, also ein gelehrter Mann. Er muss es wissen. Es gibt also einen Anspruch auf die Leistungen des Fonds Heimerziehung. Das sind kurz vor Toresschluss völlig neue Töne – oder gar Rechtsgrundlagen?
Ist ja eigentlich logisch. Nur Rechtsansprüche (und Straftaten) verjähren, Almosen können zeitlich unbegrenzt verteilt werden. Da schafft man flugs eine Rechtsgrundlage und schafft sich spätere Bittsteller vom Hals. Schruth ist wirklich ein kluger Mann – aber in wessen Diensten?
[1] http://westuffeln.de/nachrichtendetails/fond-heimerziehung-melde-dich-an-kampagne.html
Von Staat und Kirchen Geld zu nehmen für ergaunerte Gewinne ist keine Schande!
Da mußte auch ich erst über meinen kleinbürgerlichen Schatten springen. „Von den Täterorganisationen nehme ich keine Almosen, das ist unter meiner Würde“, so denken und handeln manche und ich habe immer noch Verständnis dafür.
Doch die andere Gangart ist überzeugender:
»Schnöder Mammon? Mal eben „in die Tonne” zu treten, um seinen Stolz, seine Ehre zu pflegen? Sagen Sie mal einem am Hungertuch nagenden Menschen, dass er kein Brot von seinen Lebenszerstörern annehmen darf, wenn er seine „Ehre” behalten wolle. Der antwortet dann mit dem Hinweis, dass er bei Aldi mit Ehre bezahlen wollte und ausgelacht wurde.« … »Ihre Argumente kann ich teilweise sehr gut nachvollziehen, auch ich hatte Momente, in denen ich so dachte und empfand wie Sie und andere Fonds-Ablehner. Dem gegenüber standen dann aber die Realitäten in Form von den Mitmenschen, die am Existenzminimum lebten, die Hungerrenten beziehen – und für die 7 (SIEBEN!!!) Jahre Rentenersatzleistung = 25.200,00 € eine kaum vorstellbare Summe sind. Hinzu kamen 10.000,00 € Sachmittelleistung, macht also 35.200,00 €. Wenn er / sie auch noch Sexualopfer im Bereich der Landeskirche Hannover war und z.B. 20.000,00 € „in Anerkennung des Ihnen zugefügten Leides” bekam, dann steht da ein Betrag, der nichts mehr mit Almosen zu tun hat.« (Beide Zitate von Erich Kronschnabel. Und er fügt hinzu:
»DIE „ALMOSENEMPFÄNGER” bekamen nur einen Bruchteil des Geldes, das man aus deren Kinderarbeit gewonnen hatte! Ist es ehrlos, rechtmäßig erworbenes aber von Betrügern entwendetes Eigentum nach Jahrzehnten wenigstens teilweise in Besitz zu nehmen?«
Nein, es ist nicht ehrlos, es ist keine Schande.
Ich möchte hiermit alle ehemaligen Heimkinder ermutigen, ihren Antrag noch vor Ablauf der trickreichen Frist bei den Anlaufstellen einzureichen. Notfalls mit „Begründung folgt“. Wichtig ist das Eingangsdatum des Antrags.
Wer dies tut, ist frei darin, seine Almosengeber weiterhin zu verachten, und er/sie tut Recht daran.
Schieflage
Wollen sie es nicht kapieren oder können sie es nicht?
Es ist für viele ehemalige Heimkinder ein absolutes Unding, bei den Nachfolgern der Täter vorstellig zu werden, um irgendein Almosen zu erhalten. Täternachfolger triggern, d.h. sie lösen heftigste Erinnerungen an erfahrenes Leid aus. Die Bedingungen, die zum Beispiel von der Troika Westfälische Landeskirche und Konsorten gestellt werden, sind für viele ehemalige Heimkinder unannehmbar. Es ist, als müßte eine von Gewalttätern auf dem U-Bahnhof zusammengeschlagene Person einen Antrag an die Täter stellen, mit genauer Schilderung des Tathergangs, um etwas Geld für ihre zerrissene Kleidung zu erhalten.
Im Fall der erwähnten Troika kommt noch das widerwärtige Sparmodell hinzu. Man bleibt mit dem – vielleicht – erhältlichen Sachleistungsangebot weit hinter der Summe zurück, die eine andere Landeskirche zahlt.
So werden Täternachfolger selber zu Tätern und negative Vorbilder praktizierten Christentums. Manchmal wünsche ich mir Feuer und Schwefel über diese Brut – doch nein, das wäre ebenso abscheulich.
Hier der Kommentar eines ehemaligen Heimkindes im Wortlaut:
Es wird noch viele ehemalige Heimkinder geben, die keine Anträge stellen, da sie sich zu beschämt fühlen mit den Täter-Nachfolgeorganisationen zu sprechen. Ein Jugendamt, dass meine Heimeinweisung besorgte, soll nun befähigt sein, darüber zu befinden, ob ich Hilfe brauche. Ich teilte dem Jugendamt per E-mail mit, dass es ausreichen müsse, wenn mein Psychotherapeut den Antrag für mich ausstellt. Das Jugendamt lehnte ab und wollte noch eine persönliche Vorsprache. Nein danke, ihr Täter von damals und heute. Ihr als Täter könnt mir nicht helfen, ich als Opfer weiß nur, wer mir helfen kann. Also konsequenterweise bin ich aus der Kirche ausgetreten und finanziere mir nun von meiner ersparten Kirchensteuer meine Therapien sowie natürlich auf Kosten der Allgemeinheit. .
Wenz, denn die Täter können nicht helfen.
Tafelgeschäfte: Almosen sind keine angemessene Kompensation für Rechte.
Lauter Zitate aus einem guten Artikel:
Für viele ist Hartz-IV die existentielle Entlassungsurkunde aus der Mehrheitsgesellschaft. …
Das Menschenrecht auf soziale und kulturelle Teilhabe ist offensichtlich in Deutschland ebenso beschädigt, wenn Bürgerinnen und Bürger mit Sachleistungen abgespeist werden. Almosen sind keine angemessene Kompensation für Rechte.
So charmant die Tafelidee auf den ersten Blick wirkt, so problematisch sind Tafeln. Sie sind weder sozial noch nachhaltig. Wenn Freiwillige Verantwortung in hoheitlichen Bereichen (Existenzgrundlage, Teilhabe) übernehmen, droht bei den politisch Handelnden der Sorgereflex zu erschlaffen. Durch Freiwilligkeit werden soziale Schutzfunktionen des Staates immer weiter von einer öffentlich-rechtlichen in eine privat-ehrenamtliche Sphäre verlagert. In dieser Sphäre werden Bürgerrechte durch personelle Abhängigkeiten und Schutzgarantien durch Willkür ersetzt.
So haben Tafeln für viele einen bitteren Beigeschmack, denn das dort Erlebte wiegt das Erhaltene nicht auf. Bei Tafeln haben viele das Gefühl, nicht im Mittelpunkt zu stehen, sondern eher im Weg. Tafeln sind schambesetzte Stressräume, in denen um kleinste Gaben konkurriert wird. Sozial ist das alles nicht. Sozial ist etwas, auf das ein Anspruch besteht. Almosen sind, auch bei aller Freundlichkeit und Nettigkeit, gerade nicht sozial. Letztlich sind Tafeln eine wirtschaftliche und politische, aber keine soziale Lösung. Tafeln sind nichts anderes als gesellschaftlich arrangierte Bedürftigkeit. Sie sind Verharmlosungsagenturen, die nicht für Gerechtigkeit sorgen, sondern das Bedürfnis nach Verdrängung bedienen.
Problematisch ist nur, dass die für die Lebensmittelindustrie imagefördernde und kostensparende Entsorgung von Lebensmittelüberschüssen an Tafeln weder das Überschuss- noch das Armutsproblem ursächlich löst. Die Lebensmittelkonzerne und weitere Unterstützer erkaufen sich mithilfe der liebgewonnenen Tafeln lediglich Ruhe, damit sie ihrem Kerngeschäft, der Gewinnmaximierung, nachgehen können. „Social Washing“ in Zeiten inszenierter Solidarität.
Der Boom der Tafeln zeigt, dass das soziokulturelle Existenzminimum mit der derzeitigen Mindestsicherung (ALG II/Grundsicherung) nicht gedeckt ist.
Vom Almosengeben
An der Figur des Sankt Martin hat sich in Freiburg ein Streit entzündet, wie wir heute in der Printausgabe der FAZ lesen. Die Leser dieses Blogs haben eine eigene Auffassung vom Almosen geben bzw. empfangen. Darum dürfte der Freiburger Streit interessieren.
Das Martinstor in Freiburg ziert nicht etwa der Heilige Martin, sondern ein das Logo einer Fast-food-Kette. Das ist unpassend. Man will etwas tun. Doch was?
Es gibt den Entwurf eines Martinstor-Freskos aus dem achtzehnten Jahrhundert. Sozialkitsch nennen es die Grünen. Sie sind gegen die Darstellung des römischen Soldaten, der vom hohen Roß herab mit herablassender Geste seinen Mantel mit dem demütig knieenden Bettler teilt und denken dabei offensichtlich an die Hartz-IV-Empfänger.
Sankt Martin ein Vorbild oder ein Problem fürs Almosen-Geben?
Schon die Quellenlage ist problematisch. http://de.wikipedia.org/wiki/Martin_von_Tours Die Mantelteilung ist eine – durchaus schöne – Legende. Weil sie so schön ist, gibt es eine unübersehbare Zahl von Darstellungen in Bild und Skulptur. Martin auf dem Pferd wendet sich dem Bettler im Schnee zu, hält in der einen Hand ein Ende seines Mantels und schneidet ihn mit dem Schwert durch. Eine noble Geste. Aber Stoff kann man nicht mit einen Schwert teilen, noch dazu ohne jede Unterlage. Doch nehmen wir ruhig die Legende, wie sie erzählt wird, und schauen uns an, was daraus geworden ist.
Die Darstellungen mit Martin auf dem Pferde sitzend waren früher nicht anstößig. Doch das hat sich geändert. Mir ist aber bisher nur eine Version von Martin und dem Bettler auf Augenhöhe bekannt. Sie steht in Rottenburg und ist eine eindeutige Abkehr der überkommenen Ikonographie: http://www.flickr.com/photos/dierkschaefer/7300522972/ auch
http://www.flickr.com/photos/dierkschaefer/4948063715/ .
Doch die Darstellung „hoch zu Roß“ ist die schlimmste nicht. Am Ulmer Münster und im Dom zu Xanten wird der Bettler zur Fußnote gemacht. Sankt Martin braucht hier kein Pferd. Stolz abgeklärt blickt er ins Publikum http://www.flickr.com/photos/dierkschaefer/8239345614/ und http://www.flickr.com/photos/dierkschaefer/7727027136/ . Der Martin vom Xantener Dom muß nicht einmal mehr seinen Mantel teilen: https://dierkschaefer.files.wordpress.com/2010/11/dies-irae-1.pdf Eine Münze tut’s auch.
Der historische Martin kann nichts dafür, was die Nachwelt aus ihm gemacht hat. „Tue Gutes und rede darüber“, wird wohl nicht seine Maxime gewesen sein. Das Neue Testament hält auch nichts davon: Matthäus 6, 1-3: Habt Acht auf eure Frömmigkeit, dass ihr die nicht übt vor den Leuten, um von ihnen gesehen zu werden; ihr habt sonst keinen Lohn bei eurem Vater im Himmel. Wenn du nun Almosen gibst, sollst du es nicht vor dir ausposaunen lassen, wie es die Heuchler tun in den Synagogen und auf den Gassen, damit sie von den Leuten gepriesen werden.
Und heute? In Freiburg will man die Menschenwürde des sozial Bedürftigen achten. Der großherzige Martin soll im Verborgenen bleiben. Das ist zwar Geschichten-Klitterung aber doch ehrenvoll.
Wenig ehrenvoll ist es, wenn kirchliche Einrichtungen gern und laut darauf verweisen, daß sie aus freien Stücken in den Heimkinderfonds eingezahlt haben. Sie brüsten sich und meinen, die Flecken auf ihrer Weste damit weggebürstet zu haben. Wenn du nun Almosen gibst, sollst du es nicht vor dir ausposaunen lassen, wie es die Heuchler tun in den Synagogen und auf den Gassen, damit sie von den Leuten gepriesen werden.
1 comment