Wenn man schon sterben muss: Einfach wegdämmern …
… wer möchte das nicht nach einem weithin zufriedenstellend gelebten Leben? Auch wenn’s kein „erfülltes“ war, aber keine Erfüllung mehr zu erwarten ist. Wir müssen ohnehin einmal sterben, dann doch lieber so. Besser als der letale Schlaganfall, denn das Fallen könnte man noch merken. Doch nur wenige möchten, dass ihr Dämmerzustand über Wochen hinweg verlängert wird durch die künstliche Aufrechterhaltung ihres Stoffwechsels. Einfach wegdämmern können ist angesichts der Alternativen die beste aller denkbaren Möglichkeiten.
Schlimmer noch, wenn der Dämmerzustand von schmerzhaften Phasen unterbrochen wird und man nicht mehr die Kraft hat zu rufen: Schwester, ich habe Schmerzen! Oder wenn die Ausweglosigkeit bei vollem Bewusstsein durchlitten werden muss.
Ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts[1] hat die Periletalexperten aufgescheucht. Die EKD-Mitteilung nennt sie und schreibt vorsichtshalber, sie wolle »zu dem Fall erst dann Stellung nehmen, wenn der Text des Urteils vorliegt. Generell wies eine Sprecherin darauf hin, dass die evangelische Kirche das menschliche Lebens als Gabe Gottes betrachte, das auch bei starken Einschränkungen und Leiden seine Würde nicht verliere. Wichtig sei zudem, die palliativmedizinische Versorgung von schwer kranken und sterbenden Menschen zu verbessern. Auch die Kirche stehe vor der Herausforderung, die „Seelsorge an Schwerkranken und Sterbenden zu verstärken“« [2].
Was hat die Periletalexperten so aufgescheucht? Es ging um die Frage der professionellen Beihilfe zum Suizid. Der „Zugang zu einem Betäubungsmittel, das eine schmerzlose Selbsttötung ermöglicht, darf in extremen Ausnahmesituationen nicht verwehrt werden“, so der Tenor der Gerichtsentscheidung. Die verknüpft damit das allgemeine Persönlichkeitsrecht[3]. Dieses umfasse „auch das Recht eines schwer und unheilbar kranken Patienten, zu entscheiden, wie und zu welchem Zeitpunkt sein Leben beendet werden soll, vorausgesetzt, er kann seinen Willen frei bilden und entsprechend handeln. Daraus kann sich im extremen Einzelfall ergeben, dass der Staat den Zugang zu einem Betäubungsmittel nicht verwehren darf, das dem Patienten eine würdige und schmerzlose Selbsttötung ermöglicht.“
Die Menschenwürde, auch die des Sterbenden, ist kein unbestimmter Rechtsbegriff wie das vielstrapazierte Kindeswohl. Doch es wird versucht, Menschenwürde besserwisserisch oder gar im eigenen Geschäftsinteresse gegen den Willen des Würdeträgers zu definieren und diese Definition auch durchzusetzen. Dies geschah am 3. Dezember 2015 durch ein Änderungsgesetz zu Paragraf 217 StGB, seit dem 10. Dezember ist es in Kraft. [4]
»Das Gesetz hat damals die Debatte um die Sterbehilfe, Suizidbeihilfe und Palliativmedizin zu beenden versucht, indem es von allen diskutierten Vorschlägen den restriktivsten, freiheitsfeindlichsten und obrigkeitsstaatlichsten umsetzte. Wie üblich geschah dies unter großem Moralin- und Argumentationsaufwand und natürlich mit den allerbesten Absichten. Es gab (mindestens) drei Gesetzesvorschläge mit unterschiedlich restriktiver Handhabung. Der am meisten rückwärtsgewandte, am meisten bevormundende, am wenigsten menschenfreundliche wurde Gesetz. Eine breite Mehrheit der Bürger hätte sich – laut zahllosen Umfragen und Untersuchungen – anders entschieden. So viel Vertrauen in die Vernunft ihrer Untertanen aber wollten die GesetzgeberInnen nicht aufbringen.«[5]
Und nun stört das Bundesverwaltungsgericht den gegen die Bürger durchgesetzten Rechtsfrieden – die Moralinstanzen und Geschäftsinteressenten maulen.
Klar, dass sich die verfasste Ärzteschaft wehrt; auch die Palliativmediziner sehen ihr Geschäftsmodell bedroht[6], doch manche Ärzte werden sich nicht dadurch vertreten sehen.[7]
Geschäftsmodelle sind ethisch zunächst neutral zu bewerten. Wer wird einem Bäcker vorwerfen wollen, dass er mit unserem Hunger sein Geld verdient. Wir als Kunden von wem auch immer können für unser gutes Geld eine professionelle Dienstleistung bzw. qualitativ gute Ware und ein angemessenes Preis-Leistungs-Verhältnis erwarten. Das gilt auch für die Begleitung in der Lebensendphase. Die Palliativmedizin ist ein wichtiger Dienstleister, der allerdings Mühe hatte, sein Geschäftsmodell durchzusetzen.[8] Eine beabsichtigte Lebensverkürzung wurde jedoch zugunsten des assistierten Dahindämmerns ausgeschlossen.[9]
Die anerkannten Dienstleister dulden keine Konkurrenz, jedenfalls keine geschäftsmäßige, also professionionelle, die – horribile dictu – vielleicht noch durch die Stiftung Warentest zertifiziert werden könnte. Doch warum eigentlich sollen wir nicht nur bei der palliativen Sterbebegleitung, sondern auch bei der Suizidassistenz Professionalität einfordern?[10] Schließlich soll auch der Suizid „gelingen“, wenn ich ihn denn schon will und akzeptable Gründe dafür habe?
In meine Vorstellungen von Menschenwürde mischen sich ungefragt Moralinstitutionen ein, die mir sagen wollen, wie ich würdig zu sterben habe. Die evangelische Kirche betrachtet das menschliche Lebens als Gabe Gottes, heißt es in der EKD-Mitteilung. Nikolaus Schneider, der ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hat erklärt, er werde seine an Krebs erkrankte Frau, wenn sie Sterbehilfe wolle, auch in die Schweiz begleiten. Er distanziert sich damit privat von dem, was die Kirchen gern als absolute Schöpfungsordnung hinstellen.[11] »Das Leben, das Gott gegeben hat, dürfe der Mensch nicht beenden. Das sei „Gottes gnädigem Ratschluß“ vorbehalten, wie es immer noch in Traueranzeigen heißt. Diese Meinung ist zu respektieren. Wer aber diese Sicht anderen aufoktroyieren will, egal mit welchen Methoden, der ist nicht ehrlich, wenn er nicht zugleich deutlich macht, daß in der Geschichte der Menschheit bis in unsere Tage diese Sicht der „letzten Dinge“ zumeist keine Berücksichtigung fand beim von oben verordneten Tod. Die Machthaber aller Zeiten spielten Potentaten-Schach und opferten ihre „Bauern“ ganz nach Kalkül und Bedarf im Krieg. Die Justiz verhängte Todesurteile, nicht nur in Hexen- und Ketzerprozessen. Kriege und Todesurteile, diese Todeszuteilung von oben bekam in aller Regel Zustimmung und Assistenz durch „Feldgeistliche“, und auch keine Hinrichtung ohne seelischen Beistand eines Priesters. Über das Lebensende wurde nicht von ganz oben, durch den Allmächtigen verfügt, sondern durch die „Oberen“ in Staat und Justiz.«[12]
Ich vermisse in der Kirchenmeinung den Respekt vor dem Menschen, der sterben will und dazu in seinem „Angewiesensein als Grunddimension des Menschseins“ die Hilfe verständiger Mitmenschen erbittet. Sicherlich wird man nicht jeden Sterbewunsch unverzüglich erfüllen wollen und können. Sicherlich wird man auch fragen müssen, wer sonst noch aus einer wie auch immer unerquicklichen Situation „erlöst“ wird (Mitleiden, Pflegeaufwand, Kosten, Erbschaft). Doch nach reiflicher Überlegung wird man das „Mach End, o Herr, mach Ende“ auch ganz innerweltlich verstehen und den Arzt um Hilfe bitten dürfen.
Der „Tod als Erlösung“ brachte am 5. März 2017 bei Google „10.500 Ergebnisse“.
„Die letzten drei Monate hätten nicht mehr sein müssen“, sagten die Angehörigen. „Da hat er sich nur noch gequält“.
Gott sei uns gnädig und gebe uns einen gnädigen Arzt.[13]
Nachtrag 1
Philipp Greifenstein referiert in seinem differenzierten Beitrag[14] auch die Veröffentlichung von Friedrich Wilhelm Graf, emeritierter Professor für Systematische Theologie und Ethik.[15] Die Frist für den kostenlosen Download habe ich leider verpaßt. (Wer ihn hat, schicke ihn mir bitte per Mail!) Doch die Web-Seite des Merkur spendiert immerhin einige Zitate aus dem Essay: „In einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hat Reinhard Kardinal Marx, der neue Vorsitzende der Bischofskonferenz, ernsthaft gesagt: »Gebt uns die Sterbenden, denn wir sind ganz besonders für die Leidenden und Sterbenden da.« Warum eigentlich? Weil Jesus von Nazareth einen grausamen Kreuzestod gestorben ist? Oder weil Caritas und Diakonie sich einbilden, in Sachen palliativer Sterbebegleitung kompetenter zu sein als andere Akteure, etwa säkulare Hospizvereine? Sind »die Leidenden und Sterbenden« vielleicht auch aus finanziellen Motiven für Caritas und Diakonie eine interessante Klientel?“ (Hervorhebung von mir)
Nachtrag 2
Ein Kollege kommentiert das Verwaltungsgerichtsurteil unter dem Titel Ein seltsames Urteil zur Suizidhilfe.[16] Merkwürdig, weil nicht berücksichtigt worden sei, dass andere, legale Möglichkeiten bestanden hätten, den gewünschten Tod herbeizuführen. Ich schickte ihm einen schon älteren Leserbrief, den ich im Pfarrerblatt zum Thema geschrieben hatte, und leitete provozierend ein mit den Worten: „man muss sich schon auskennen, im irrgarten zur korrekten selbsttötung. da sind doch das gute alte aufknüpfen am fensterkreuz oder der sprung vom dach übersichtlicher gewesen. wer hat, der nimmt ein schießeisen und steckt es in den mund.“
Das war ihm wohl zu starker Tobak. Er hat meinen Kommentar nicht freigeschaltet.
Nachtrag 3
Aus unserer Patientenverfügung: Generell erscheint uns beiden der Zustand eines Wesens, das auf die Aufrechterhaltung seines Stoffwechsels reduziert ist, ähnlich wie bei einem Baby, doch ohne Perspektive, menschenunwürdig.
Fußnoten
[1] http://www.bverwg.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilung.php?jahr=2017&nr=11
[2] http://www.ekd.de/aktuell_presse/news_2017_03_03_03_verbaende_kritik_sterbehilfe-urteil.html
[3] Art. 2 Abs.1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG
[4] § 217 Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung
(1) Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger des in Absatz 1 genannten anderen ist oder diesem nahesteht. – zitiert nach: Fischer im Recht, http://www.zeit.de/gesellschaft/2017-02/sterbehilfe-vom-leben-und-vom-tod-fischer-im-recht/komplettansicht
[5] http://www.zeit.de/gesellschaft/2017-02/sterbehilfe-vom-leben-und-vom-tod-fischer-im-recht/komplettansicht
[6] https://www.tagesschau.de/inland/kritik-urteil-bverwg-101.html
[7] http://www.zeit.de/2015/09/sterbehilfe-aerzte-brechen-tabu/komplettansicht
[8] Ich hatte die Ehre, eine Podiumsdiskussion mit Cicely Saunders, der „Urmutter“ der Hospizbewegung zu moderieren. Sie hätte den Begriff Geschäftsmodell sicherlich zurückgewiesen. Doch wie wohl alle humanitär inspirierten Initiativen unterliegt auch die Hospizbewegung den Gesetzmäßigkeiten und Zwängen der Institutionalisierung. Man wehrt sich gegen Konkurrenz.
[9] https://de.wikipedia.org/wiki/Hospizbewegung
[10] Ob man effektive Schmerzmittel bekommt, ist ohnehin nicht gesichert: https://dierkschaefer.wordpress.com/2015/09/28/gott-sei-uns-gnaedig-und-gebe-uns-einen-gnaedigen-arzt/
[11] Das tun auch andere frei denkende, dem christlichen Glauben verbundene Zeitgenossen: https://www.publik-forum.de/Wissen-Ethik/prominente-theologen-fuer-sterbehilfe#. Den hier genannten wäre auch Prof. Friedrich Wilhelm Graf hinzuzufügen.
[12] https://dierkschaefer.wordpress.com/2014/07/21/demokratisierung-der-todeszuteilung/
[13] https://dierkschaefer.wordpress.com/2015/09/28/gott-sei-uns-gnaedig-und-gebe-uns-einen-gnaedigen-arzt/
[14] Wie hältst Du es mit dem Sterben? http://www.theologiestudierende.de/2015/06/20/wie-haeltst-du-es-mit-dem-sterben/
[15] Friedrich Wilhelm Graf, Apodiktische Ethik mit Lügen . Die deutschen Kirchen und der ärztlich assistierte Suizid: Merkur, Jahrgang 69, Heft 792, Heft 05, Mai 2015.
[16] https://einwuerfe.wordpress.com/2017/03/02/ein-seltsames-urteil-zur-suizidhilfe/ Veröffentlicht am 2. März 2017 von michaelcoors
Demenz? Die Medikamente dafür wurden an Heimkindern getestet.
Heimkinder dienten als Versuchskaninchen für Nazi-Ärzte und Pharma-Firmen. Die Nazi-Ärzte sind tot, die Pharmafirmen waschen die Hände in Unschuld. Das Franz von Sales-Haus[1] in Essen entlässt den Gärtner, der in Frontal 21 zu Wort kommt.
Ob die Handlangerin von Kirche und Staat wußte, warum sie sich am Runden Tisch nur mit den Verbrechen in Kinderheimen befasste und nicht auch mit denen in Behinderteneinrichtungen? Das Thema von Medikamententests tauchte schon am Runden Tisch auf bis hin zu Elektroschock-Therapie am Penis eines Bettnässers. Nun wissen wir mehr. In den Behinderteneinrichtungen und Jugendpsychiatrien scheinen Medikamententests systematisch gewesen zu sein. Hier nur ein paar Auszüge aus dem SPIEGEL-Bericht[2] als Vorbereitung auf den Beitrag von Frontal 21[3]. Wer Phantasie hat, braucht dann keinen Horror-Film mehr.
»„Ich habe mehrfach in Dokumenten gefunden, dass Ärzte berichteten: ‚Wir haben das Medikament in Tierversuchen getestet, wir müssen das jetzt am Menschen testen.’ Und da hat man Heimkinder dafür benutzt.“«
»Heimkinder waren bis in die Siebzigerjahre weitgehend rechtlos und daher als Testpersonen den Pharmafirmen und Ärzten hilflos ausgeliefert. Die involvierten Konzerne lehnen auf Anfrage jedoch jede Verantwortung für die damaligen Studien ab. Merck etwa verweist auf die damals andere Gesetzeslage zur Dokumentation von Medikamententests: „Wir können uns nicht für etwas entschuldigen, was nicht in unserer Verantwortung lag. Sollten sich Dritte nicht entsprechend Gesetzeslage verhalten haben, bedauern wir das selbstverständlich.“ Auch die Troponwerke sehen sich nicht in der Verantwortung. Ihnen lägen keine Informationen vor.«
»Die Pharmazeutin Sylvia Wagner hat bisher 50 Studien mit Heimkindern gefunden, die im Auftrag oder in Kooperation mit Arzneimittelfirmen entstanden. Sie sagt, das sei nur die Spitze eines Eisbergs. „Ich habe in keinem einzigen Fall einen Hinweis gefunden, dass die Kinder aufgeklärt wurden oder überhaupt gefragt wurden. Auch die Eltern wurden nicht gefragt.“«
»Innerhalb eines Dreivierteljahrs mussten die Kinder des Kinderheims insgesamt über 37.000 Pillen schlucken, darunter allein 13.000 Tabletten Truxal. Der Test wurde nur deshalb aktenkundig, weil der langjährige Heimarzt den extrem hohen Einsatz von Psychopharmaka ablehnte und unter Protest zurücktrat.«
»Der Versuch fand in Kooperation mit der herstellenden Pharmafirma Merck statt. Der Darmstädter Konzern brachte das Medikament 1963 auf den deutschen Markt, es wird heute als Antidemenzmittel verkauft. Die Ergebnisse der Studie veröffentlichte Heinze in einer medizinischen Fachzeitschrift – einer der wenigen bisher bekannten Belege für Medikamententests mit Heimkindern.«
»Das Psychopharmakon wird in der Fachinformation nur für Erwachsene empfohlen, damals wurde es aber an Kindern des Heims Neu-Düsselthal erprobt.«
»Chef der Kinder- und Jugendpsychiatrie Wunstorf war bis Anfang der Sechzigerjahre Hans Heinze, ein skrupelloser Arzt mit Nazivergangenheit. Während der NS-Zeit war er Gutachter des Euthanasie-Mordprogramms T4, bezeichnete unzählige Kinder als „lebensunwert“ und schickte sie in den Tod. Nach 1945 konnte er seine Karriere in Wunstorf fortsetzen.«
Keiner will die Verantwortung übernehmen – sehen wir einmal von der christlichen Reaktion des Franz-von-Sales Hauses ab.
Wie wär’s mit der Bundesärztekammer? Schließlich waren es Ärzte, die als Erfüllungsgehilfen der Pharma-Unternehmen die Verantwortung trugen – und wohl gut daran verdienten. Ja, ich weiß, die sind tot. Aber könnte neben die Kollektivscham nicht auch eine Kollektivverantwortung treten? Den Kirchen wird sie zugeschrieben und viele der damals in kirchlichen Einrichtungen misshandelten Heimkinder sind ausgetreten. Das ist verständlich. Wie kann man es den staatlichen Einrichtungen, den Ärzten und den Pharmafirmen „heimzahlen“?
Ich fürchte, die sind noch mehr „fein raus“ als die Kirchen.
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Franz_Sales_Haus
[2] http://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/medikamententests-in-deutschland-das-lange-leiden-nach-dem-kinderheim-a-1075196.html
[3] http://www.zdf.de/frontal-21/medikamententests-deutscher-pharmafirmen-in-kinderheimen-42014560.html
Hier ist Bundesrichter Fischer voll im Recht. Danke für den Klartext!
Fischers Stellungnahme zur Sterbehilfe sollte man unbedingt lesen, das gilt auch für meine theologischen Kollegen[1].
»Selten ist der dezidierte Wille der Mehrheit des „Volks“ (sagen wir: der selbstbestimmungsfähigen Bevölkerung) so eklatant missachtet und in sein Gegenteil verkehrt worden.«[2] [3]
»Die ganze Debatte, die nun ganz dringend in eine gesetzliche Regelung münden soll, ist nichts anderes als ein Versuch des „Rollback“, ein von konservativen und (teilweise) kirchlichen Kreisen betriebener Versuch[4], die eigene Anschauung von Ethik und Moral durchzusetzen und der Bevölkerungsmehrheit mittels Strafrecht aufzuzwingen.«
»Ich weise darauf hin, dass die gesamte Diskussion stattfindet auf der Basis von Begriffen, die nichts anderes sind als Beschönigungen, Tabuisierungen, Verschleierungen und Verdrehungen von Tatsachen – also vorsätzliche Lügen.«[5] [6]
»Der Staat – wie wir ihn verstehen – ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Staat.[7] Wir haben daher keine („staatsbürgerliche“) Pflicht, mit unserer Existenz und unserem Leben oder Leiden dafür einzustehen, dass das Staat „stabil“, der „öffentliche Friede“ gesichert, der fiktive Durchschnittsbürger beruhigt sei. Daher hat der Gesetzgeber überhaupt keine Kompetenz, über die Selbstbestimmungsfähigkeit und Selbstbestimmungsberechtigung des einzelnen Bürgers – mittels Strafrecht! – zu bestimmen. Die Würde des Menschen (Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz) ist kein Recht, dessen „Ausgestaltung“ dem Staat anheimgegeben ist. Zur „Würde“ gehört zuallererst die Selbstbestimmung über die eigene Existenz: Was sonst?«
[1] Alt-Bischof Huber wird sich wohl kaum von einem einfachen Alt-Pfarrer angesprochen fühlen https://dierkschaefer.wordpress.com/2015/09/23/sterbehilfe-und-der-hoffnungslose-fall-krebs-im-endstadium-schmerzmittel-wirken-nicht/
[2] Alle Zitate aus: http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015-09/bundestag-gesetzentwuerfe-sterbehilfe Mittwoch, 30. September 2015
[3] Nicht nur der Wille der Mehrheit des Volkes. Auch Ärzte denken anders über Sterbehilfe: http://www.zeit.de/2015/09/sterbehilfe-aerzte-brechen-tabu/komplettansicht
[4] dazu: https://dierkschaefer.wordpress.com/2013/10/02/diozese-distanziert-sich-von-sterbehilfe-planen-des-theologen-kung/
[5] Mein Beitrag im Blog https://dierkschaefer.wordpress.com/2015/09/28/gott-sei-uns-gnaedig-und-gebe-uns-einen-gnaedigen-arzt/ sollte ursprünglich einen anderen Titel haben: Lügen, Lügen, lauter Lügen. Ich sehe mich bestätigt.
[6] Die Lügen lenken nur ab: https://dierkschaefer.wordpress.com/2015/05/15/aktive-sterbehilfe-sicherlich-keine-luxusdebatte-aber-sie-lenkt-ab/
[7] In vorsäkularen Zeiten hat das schon ein anderer gesagt: Jesus. Nicht der Mensch ist für den Sabbat da, sondern der Sabbat für den Menschen: Markus 2,27
Aus dem Nähkästchen plaudern? Nein, das tut er nicht, kann aber viel aufzählen zum Vertrauen im Arzt-Patienten-Verhältnis.
»Das Vertrauen, das die Bundesärztekammer postuliert wie eine geschuldete Vorleistung auf Heilung, unterscheidet sich in Nichts von dem Vertrauen, das Priester von Ihnen fordern, bevor sie Ihnen eine Befreiung von der „Erbsünde“ in Aussicht und Rechnung stellen. Im Krankheitssystem, liebe Patienten, besteht die Erbsünde in der bloßen Tatsache, dass Sie leben, vergehen und sterben.«[1]
»Das „Arzt-Patienten-Verhältnis“ … ist, nach Ansicht des Hartmannbundes und des Großen Senats, derart bestimmt von innig-einseitigem Vertrauen, dass jede Analogie zu schnöden Marktverhältnissen abwegig sei. Mag sie gelten für Ingenieure, den TÜV, Seilbahnunternehmen und Luftverkehrsgesellschaften, für wen auch immer –nicht aber für leibhaftige Vertragsärzte! Der Unterschied zwischen einem Rechtsanwalt und einem Kassenarzt ist, dass der Kunde den Arzt notgedrungen liebt, den Rechtsanwalt naturgesetzlich hasst. Und sind wir nicht alle in der Hand des Hippokrates?«
Vergnüglich und bedrückend zugleich zu lesen. Doch so ist sie, unsere Gesellschaft. Auch wir, die wir gern korrumpierbar wären, aber leider nicht so einen hohen korruptiven Marktwert haben.
[1] Alle Zitate aus http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015-08/aerzte-bestechung-korruption-pharmaindustrie/komplettansicht
Aktive Sterbehilfe? Sicherlich keine Luxusdebatte, aber sie lenkt ab.
Sehr breit wird sie geführt, diese Debatte. Soll aktive Sterbehilfe überhaupt erlaubt sein? Sollen Sterbehilfevereine in Aktion treten dürfen oder sollen die Ärzte das machen? Die verschiedenen Interessengruppen mischen sich ein: Die Kirchen mit ihrer Meinung, der Mensch sei zum Leben verpflichtet – und sie vergessen ihre Rolle in der Vergangenheit[1].
Die Ärzte wollen keine Todesengel sein, doch befragt man einige von ihnen, so sieht das etwas diffenzierter aus[2] [3]. Und die Sterbehilfevereine? Die schon gar nicht, denn niemand soll am Tod verdienen, als ob Geschäftemacherei nicht zu unserem Leben gehörte, auch bei Gesundheit und Tod. Doch die Palliativmedizin und die Hospize[4] sollen gestärkt werden, was sicherlich richtig ist, aber nicht alle Probleme löst. Hier liegt der Blick auf dem dafür „idealen“ Patienten. Er soll von der Gerätemedizin entkoppelt werden und schmerzbefreit würdig, weil gut betreut, seinem Tod entgegenliegen.
Die Debatte lenkt ab, steht in der Überschrift. Inwiefern?
Wie steht es mit den Alten- und Pflegeheimen? Warum wollen die Leute möglichst nicht dorthin? Dafür gibt es viele Ursachen. Wie steht es mit der Versorgung alter Leute? Man schaue sich die Erreichbarkeit ärztlicher Notdienste an, aber auch die der Einkaufsmöglichkeiten? Ach, Sie können nicht mehr autofahren, nicht mehr dies und nicht mehr jenes? Dann sollten Sie besser in ein Heim gehen. Wer Heime kennt, weiß zumeist, dass er dort nicht hinmöchte. Wer nicht die Gnade der totalen Verkindlichung durch Alzheimer&Co. erfährt, bevor er im Heim wie ein Kind gehalten wird, der wehrt sich.
Der Theologe Küng nennt solche Gründe.[5] Wir müssten also nicht nur die Hospizarbeit gut ausstatten, sondern auch die Heime und dem Personal mehr Zeit für die Patienten einräumen.
Und dennoch: Eine alte Dame in Frankreich, bei uns ist es nicht anders, doch ich will beim konkreten Fall bleiben, die alte Dame also beklagte sich, dass sie in ihrem Heim keine Gesprächspartner finde und vereinsame. Klar, sie war gebildet und noch hellwach – und alle anderen – ich habe sie gesehen – nein, die kamen wirklich nicht infrage. Was können wir also für die geistig noch Fitten tun in Einrichtungen mit ihren weithin infantilisierten oder nur noch halblebigen Bewohnern?
Diese Debatte führen wir nicht – denn sie würde teuer.
Um „Butter an die Fische“ zu tun:
Ich schrieb über Gedenkrituale, die nur ablenken[6] und erhielt von einem Leser einen passenden Kommentar. Er sei hier wiedergegeben:
»Wir können gedenken, bis uns schwarz vor Augen wird. Denn eins ist klar: Euthanasie feiert heute wieder fröhliche Urstände. Es ist die Euthanasie durch die Hintertür. In den Heimen für schwerstbehinderte Männer und Frauen und in Pflegeheimen für alte Leute wurde das Personal im letzten Jahrzehnt so zusammengestrichen, dass für ein Wort zwischendurch gar keine Zeit mehr ist. Einmal umarmen, trösten, am Sterbebett sitzen: Alles gestrichen. So stirbt die Seele. Und wenn die Seele gestorben ist, so habe ich gelernt, dann stirbt auch schnell der Körper. Herr Schäfer kann das sicher besser erklären, als ich.
Gewalt an behinderten Menschen erleben sie auch durch Behörden. Überall werden ihnen Leistungen verweigert. Wer seine Rechte nicht kennt, wird zusätzlich bestraft. Gesetzlich verbriefte Aufklärungspflicht durch die Behörden findet in der Regel nicht statt. Ich habe – ist schon länger her – einer behinderten Frau zur Sozialhilfe verholfen. Sie hat ein halbes Jahr nichts bekommen. Fehler: Sie hat keinen Antrag bei der Post gestellt, bei der sie als Hinterbliebene eines Postbeamten soziale Zuschüsse hätte erhalten können. Aktuell verweigert eine Krankenkasse einer behinderten Dame orthopädische Hilfsmittel und häusliche Krankenpflege. Sie fiel aus dem Rollstuhl, hat sich danach ein Bein gebrochen und musste erst einmal auf die Lagerungsschiene warten. Permanent wurde sie abgewimmelt.
Die Latte der Opfer, derer wir schon heute gedenken müssten, ist meterlang.«
Da führen wir auf hohem Niveau aber mit unterschiedlicher Interessenlage eine Sterbehilfedebatte. Sicher ist das kein Luxus und die Problematik vertrackt.[7] Wir müssen das Thema zu einem erträglichen Ende bringen, das von möglichst vielen getragen und verantwortet werden kann.
Doch vor dem menschenwürdigen Sterben sollte das menschenwürdige Leben kommen. (s. sterbehilfe für Frau Biermann)
[1] https://dierkschaefer.wordpress.com/2014/07/21/demokratisierung-der-todeszuteilung/
[2] http://www.zeit.de/2015/09/sterbehilfe-aerzte-brechen-tabu/komplettansicht
[3] Immerhin wäre die Aufgabe bei den Ärzten in professionellen Händen. Wir wollen doch alle keinen Pfusch, erst recht nicht beim Sterben.
[4] Auch dieses sind Geschäftsmodelle, das Bäckerhandwerk auch.
[5] https://dierkschaefer.wordpress.com/2013/10/02/diozese-distanziert-sich-von-sterbehilfe-planen-des-theologen-kung/ http://daserste.ndr.de/annewill/archiv/transskript101.pdf http://www.youtube.com/watch?v=lP_gUCEVl_s
[6] https://dierkschaefer.wordpress.com/2015/05/14/verdrangung-der-aktualitat-gedenkrituale-lenken-nur-ab/
Deutschland misshandelt seine Kinder
Deutschland misshandelt seine Kinder[1]
Den Film zum Sachverhalt gab es gestern Abend im ZDF[2].
„Eltern, die einen Säugling auf eine heiße Herdplatte setzen, Zigaretten auf der Haut ihres Kindes ausdrücken oder es in ein verdrecktes Kellerloch sperren. Zwei Rechtsmediziner dokumentieren Fälle von Kindesmissbrauch, die sprachlos machen – und zeigen, wie groß das Problem in Deutschland ist.“[1]
„Ärztinnen und Ärzte sind Schlüsselpersonen um Anzeichen für Misshandlungen oder Vernachlässigungen bei Kindern und Jugendlichen zu erkennen und zu diagnostizieren“, schreibt die Bundesärztekammer. „Damit haben sie die Chance, den Opfern frühzeitig Schutz, geeignete Interventionen und notwendige Therapien zukommen zu lassen. … Bei Vorliegen eines rechtfertigen Notstandes gemäß § 34 StGB, der umgehendes Handeln erfordert, ist der Arzt/die Ärztin auch weiterhin befugt, sich unmittelbar an die zuständigen Behörden zu wenden, ohne damit die ärztliche Schweigepflicht nach § 203 StGB zu verletzen[3]“
Das ist noch ziemlich neu[4]. Doch das Ärzteblatt schreibt: „Der Auffassung des OLG Frankfurt (OLG Frankfurt; 2000 MedR 196) muss jedoch widersprochen werden, das nicht ein Offenbarungsrecht des Arztes, sondern sogar eine Offenbarungspflicht in diesen Fallkonstellationen abgeleitet hatte. Die Folge wäre dann aber eine völlig uferlose Verlagerung des allgemeinen Lebensrisikos zulasten des Arztes mit einschneidenden haftungsrechtlichen Konsequenzen.[5] Und auf mißhandelte Kinder geht das Ärzteblatt in diesem Zusammenhang gar nicht erst ein.
So wird es wohl noch dauern, bis wir eine gut definierte Anzeigepflicht der Ärzte bei dringendem Verdacht auf Mißhandlung bekommen. Da ist für die Toten besser gesorgt. Bei Verdacht auf einen unnatürlichen Tod muß der Arzt dies auf dem Totenschein[6] vermerken und die Rechtsmedizin[7] verständigen. Anzeigepflicht also erst, wenn das Kind totgeprügelt ist.
[1] So der Buchtitel von Michael Tsokos und Saskia Guddat.
[3] http://www.bundesaerztekammer.de/page.asp?his=1.117.6920
[4] „Ärzte dürfen beim Verdacht von Kindesmisshandlung ihre Schweigepflicht brechen. Das berichten die „Neue Juristische Wochenschrift“ (Heft 9/2014) sowie das „Deutsche Ärzteblatt“ unter Berufung auf ein Urteil des Kammergerichts Berlin. Nach Meinung der Richter gilt dies auch dann, wenn sich der Verdacht später als unbegründet herausstellt. Denn es sei nicht Sache der Ärzte, zu ermitteln, ob der Verdacht zutrifft oder nicht.“ (Az.: 20 U 19/12).http://www.spiegel.de/gesundheit/schwangerschaft/bei-verdacht-auf-kindesmisshandlung-arzt-darf-schweigepflicht-brechen-a-966845.html
[5] https://www.aerzteblatt.de/archiv/artikel?id=45243
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