Dierk Schaefers Blog

Wer Augen hat zu lesen, der lese …

Posted in Bürokratie, Deutschland, Geschichte, Menschenrechte, Politik by dierkschaefer on 8. September 2015

… und ihm werden die Augen aufgehen. Ein emeritierter Professor[1] für alte Sprachen (Richard) gerät eher zufällig, dann aber recherchierend in Kontakt mit schwarzafrikanischen Flüchtlingen. Er entdeckt dabei nicht nur sie, ihre Länder und die dortigen Lebens- und Fluchtbedingungen, entdeckt nicht nur die hiesigen Lebensbedingungen für schwarzafrikanische Flüchtlinge, sondern er entdeckt auch seine Lebensbedingungen in diesem immer merk- und fragwürdiger erscheinenden Deutschland.

Von Jenny Erpenbeck sachkundig und faszinierend geschrieben. Sollte man unbedingt lesen, denn dabei gehen einem die Augen auf – Zyniker und andere Menschenverächter ausgenommen.

[1] (mit DDR-Hintergrund)

Hier ein Auszug:

Jenny Erpenbeck

GEHEN, GING, GEGANGEN

Roman

Die Afrikaner müssen ihre Probleme in Afrika lösen, hat Ri­chard in letzter Zeit häufig Leute sagen hören. Hat Leute sagen hören: Dass Deutschland überhaupt so viele Kriegsflüchtlinge aufnehme, sei sehr großzügig. Im gleichen Atemzug sagen sie: Aber wir können nicht ganz Afrika von hier aus ernähren. Und sagen außerdem: Die Armutsflüchtlinge und Asylbetrü­ger nehmen den wirklichen Kriegsflüchtlingen, das heißt also den Kriegsflüchtlingen, die auf direktem Wege nach Deutsch­land kommen, die Plätze in den Asylbewerberheimen weg.

Die Probleme lieber in Afrika lösen. Richard stellt sich einen Moment lang vor, wie ein Erledigungszettel für die Männer, die er in den letzten Monaten hier kennengelernt hat, dann aussehen müsste.

Während auf seinem eigenen Zettel zum Beispiel stünde:

  • Monteur für Reparatur Geschirrspüler bestellen
  • Termin beim Urologen ausmachen
  • Zähler ablesen

würde auf der Erledigungsliste für Karon stattdessen stehen:

  • Korruption, Vetternwirtschaft und Kinderarbeit in Ghana abschaffen

Oder bei Apoll:

  • Klage gegen den Konzern Areva (Frankreich) einreichen
  • neue Regierung in Niger einsetzen, die sich durch aus­ländische Investoren nicht bestechen oder erpressen lässt
  • unabhängigen Tuareg-Staat Azawad gründen (mit Yussuf besprechen)

Und bei Raschid stünde da:

  • Christen und Muslime in Nigeria miteinander versöhnen
  • Boko Haram davon überzeugen, die Waffen niederzu­legen

Zuletzt sollten Hermes, der Analphabet mit den goldenen Schuhen, und Ali, der zukünftige Krankenpfleger, sich ge­meinsam um diese beiden Aufgaben kümmern:

  • Verbot von Waffenlieferungen an Tschad (USA und China)
  • Verbot, im Tschad Erdöl zu fördern und außer Landes zu bringen (USA und China)

Sag einmal, fragt Richard Karon, wie groß müsste ein Grund­stück in Ghana sein, von dem sich deine Familie dort selb­ständig ernähren könnte?

Karon überlegt einen Moment und sagt dann: Ein Drittel vom Oranienplatz etwa.

Und wieviel würde das kosten?

Karon überlegt wieder und sagt: Ich denke, zwischen 2000 und 3000 Euro.

Noch im Sommer vor anderthalb Jahren hätte Richard sich beinahe ein Surfbrett gekauft (1495,- Euro), aber be­vor er sich hatte entscheiden können, war schon der Herbst dagewesen, und im letzten Sommer, nachdem der Mann im See ertrunken und nicht mehr aufgetaucht war, hatte ihm natürlich nichts ferner gelegen als der Kauf eines Surfbretts. Dagegen wäre der Kauf eines staubsaugenden Roboters (799,- Euro) sicher auf jeden Fall eine gute Idee, auch einen …

S. 252f

Knaus-Verlag, München, 2015

Eine Flüchtlingspfarrerin und eine „Weihnachtsgeschichte“.

Posted in Geschichte, Politik by dierkschaefer on 1. Dezember 2014

Bei der Asylpfarrerin ist die Kirchensteuer am rechten Platz[1].

 

Wie das mit dem Alter so kommt (und bevor Alois Alzheimer zuschlägt): So viel Neues unter der Sonne sehe ich doch nicht.

1992, vor 22 Jahren, kam das damals neue Asylgesetz und ich schrieb an meine damalige Klientel einen Weihnachtsgruß, die Scans unten.

Der besseren Lesbarkeit wegen sei der „weihnachtliche“ Text hier wiedergegeben:

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es begab sich aber in unserer zeit, daß ein gebot von den parteien vorbereitet wurde, daß unsere welt geschützet werde.

und diese schutzmaßnahme war die allererste seit der zeit, in der bei uns menschen verfolgt und vergast wurden. wer damals es schaffte davonzukommen, flüchtete durch länder und meere und fand oft keine duldung.

und unsere väter zogen daraus die lehre, daß asyl für politisch verfolgte grundrecht sein müsse.

doch dann machte sich auf in unseren tagen eine menge von menschen aus aller despoten und kriegsherren länder, auf daß sie sich schützen ließen, viele davon mit frau und kind.

auch aus den armen ländern der welt, von den reichen geplündert, kamen viele, gelockt durch unseren reichtum und durch die versprechungen ihrer schlepper, auf daß sie sich geben ließen, was wir durch klugheit und fleiß und unrechte handelsbedingungen und die macht unserer handlanger vor ort trickreich und wohlfeil erworben.

und als sie allhier waren, kamen sie in lager und schlichtwohnungen, denn wir hatten schon keinen raum für die eigenen armen im lande, an denen seit jahren der reichtum vorbeifloß.

dazu kamen noch die menschen der neuen länder, wie ein fauler apfel uns in den schoß gefallen, weil ihr system in konkurs ging.

und die vom abstieg bedrohten der alten und neuen länder des bundes suchten sündenböcke und setzten flammen­zeichen der braunen vergangenheit: gegen die fremden, gegen alle nutzlosen fresser!

 

da sprachen die mächtigen hierzulande: seht ihr die zeichen ? das land wird unregierbar. wir brauchen ein gesetz, das uns die fremden vom hals schafft.

und so entdeckten sie einen cordon sanitaire:

ein rettungsring von sicheren staaten, die nicht verfolgen, umschließt uns fast völlig, der soll uns schützen. wer zu uns kommt durch diesen ring, soll dahin zurück.

doch wer direkt uns erreicht aus einem land, das verfolgt, der darf für sich um aufnahme heischen, so bleibt das recht auf asyl in seinem wortlaut erhalten, und unser gewissen besänftigt.

 

doch welcher verfolgte kann schon ganz regulär, mit paß, visum und geld seinen häschern entkommen und hier bei uns landen? denn nur der luft- und der seeweg vermeiden den listig erklärten juristischen schutzwall.

es werden wohl nur noch die herren aus dem morgenland an unserer krippe erscheinen, – wenn eines tages sich ihre völker erheben, doch diese politisch verfolgten fallen uns kaum je zur last, denn sie bringen mit sich den reichtum der völker, die sie beraubt.

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In den vergangenen 22 Jahren ist nichts besser geworden.

[1] http://evangelischesfrankfurt.de/2014/11/das-kreuz-unter-der-kleidung/

asyl 1992-1 - Kopie

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

asyl 1992-2 - Kopie