Ehemalige Heimkinder im Wiener Parlament!
Ehemalige Heimkinder im Wiener Parlament!
Zwar war es nur das Gebäude des österreichischen Parlaments, in das ehemalige Heimkinder am 5. März 2010 eingeladen hatten.
Doch das hatte einen mehrfach symbolischen Charakter.
Zum einen galt die Veranstaltung jenem Jenö Alpár Molnár, der dem österreichischen Staat zu verdanken hat, daß seine Herkunft verschleiert blieb und er nach einer fürchterlichen Zeit in österreichischen Heimen ohne Papiere und damit auch ohne Staatsangehörigkeit auf der Straße stand. Zum anderen wurde durch das Schicksal von Herrn Molnár erstmals in Österreich, und dies sogar im Parlamentsgebäude öffentlich gemacht, wie es in den dortigen Heimen zuging. Nicht anders als in Deutschland: Kinder wurden gedemütigt, mißhandelt und manche auch mißbraucht. Es fehlte an Bildungsangeboten und als Lehrberufe kamen nur solche infrage, die für die Jugendämter, also für den Staat, nichts kosteten, das war vielfach die Bäckerlehre.
Zu Herrn Molnár verweise ich auf meine Rezension seines Buches hier im Blog:
https://dierkschaefer.wordpress.com/2010/02/18/geschichte-einer-geraubten-kindheit-rezension/
Das Podium im Budget-Saal des Parlaments war fachkundig besetzt und zur Überraschung der meisten entpuppte sich Prof. Dr. Bauer, Kommunikationswissenschaftler an der Wiener Universität als Heimkamerad von Herrn Molnár. Er war der lebendige Beweis dafür, daß Heimkinder sogar in Spitzenpositionen gelangen können, doch die Umwege zum Erfolg waren, wie Herr Bauer nicht ohne innere Bewegung vorbrachte, nicht „zielführend“, wie man heute sagt, denn sie führten durch Obdachlosigkeit und den Kampf ums nackte Überleben. Im Publikum saßen noch mehr Menschen, die Zeuge waren für die damals üblichen Menschenrechtsverletzungen in den Heimen.
Ich muß die Veranstaltung hier nicht ausführlich beschreiben, denn sie wurde komplett dokumentiert vom ORF, dem österreichischen Fernsehen, und von Peter Henselder, der seine Videoaufnahme ins Netz stellen wird. Sobald ich den Link habe, werde ich ihn hier einfügen.
Die Frage ist: Was wurde erreicht, was sind die nächsten Schritte?
Erreicht wurde, daß die Heimkinderdiskussion nun auch in Österreich angekommen ist. Im Unterschied zu Deutschland waren die meisten Heime in staatlicher Hand.
Dieser Staat muß nun seine Verantwortung erkennen und Entschädigung leisten – eine Klage ist auf dem Weg. Die österreichische Gesellschaft muß sich fragen (lassen), wie man angesichts der schuldhaften Verstrickung des Staates und dem eigenen damaligen Wegsehen nun Strukturen schafft, die einerseits den Familien helfen, ihrer erzieherischen Verantwortung gerecht zu werden, aber im Falle eines anhaltenden familiären Versagens Kindern und Jugendlichen so zu Hilfe kommt, daß sie in die Lage versetzt werden, erwachsen geworden ihr Leben zu „meistern“. Das wird der Staat nicht allein schultern können, sondern hier ist die Gesellschaft zur Mitwirkung aufgerufen, freundliche soziale Kontrolle zu leisten, Pflegschaften zu übernehmen, Lehrstellen zu bieten, Talente zu fördern und nicht zuletzt, den Aufwand über Steuern zu finanzieren. Das wird um so bereitwilliger geschehen, wenn wir endlich lernen, Ausgaben für Kinder und Jugendliche nicht als Unkosten zu begreifen, sondern als Investitionen, ein Lernfortschritt, den wir in Deutschland auch noch nicht erreicht haben.
Eigentlich wäre es ganz einfach. Am Wiener Parlament ist Artikel 1 der Menschenrechte eingemeißelt.
Problem ist nur, daß dieser repräsentative Eingang des Parlaments nicht mehr benutzt wird. Man betritt das Gebäude heutzutage ein Stockwerk tiefer, auf der Erdgeschoßebene. Also müßte das Menschenrecht im wahrsten Sinne des Wortes etwas tiefer gehängt werden, tief genug, daß man es lesen, tief genug aber auch, daß man nicht drunterdurch schlüpfen kann.
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