„DER START ZU EINEM JUSTIZSKANDAL, DEN ES SO NOCH NICHT GEGEBEN HAT!“
Dieser Text erreichte mich per Mail.
Ich poste ihn zunächst im Original und werde ihn im Anschluss kurz kommentieren.
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Hier zunächst der Text[2]:
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Ulvi Kulac
1 Std. ·
DER START ZU EINEM JUSTIZSKANDAL, DEN ES SO NOCH NICHT GEGEBEN HAT!
Anmerkungen zu den weiteren Entwicklungen im Mordfall Peggy K.
Teil 1 von Thomas H e n n i n g
Nachdem gegen Manuel S. ein Haftbefehl erlassen – (und wohl) erst Wochen später dann vollstreckt wurde – wird dieser am 24.12. 2018 aufgrund der Haftbeschwerde seines Verteidigers aus der Untersuchungshaft entlassen. Würde es nicht um den Tod eines Kindes gehen, könnte man den gesamten Ermittlungen umfassend attestieren, dass diese sich nahtlos in die Show Pleiten, Pech und Pannen einreihen ließen. Am 7. Mai 2001 verschwand die neunjährige Peggy Knobloch aus Lichtenberg, aus der Sicht der Ermittler, auf dem Heimweg von der Schule aus der Sicht vieler anderer, weil das Kind noch spät abends gesehen wurde, ein Trugschluss fehlerhafter Ermittlungen? Diese gründen sich darauf, dass im Zuge der Ermittlungen, eben jener Zeitpunkt „auf dem Heimweg von der Schule“ konstruiert werden musste, damit man einen Täter der Öffentlichkeit präsentieren konnte. Es ist der damals in Lichtenberg lebende Ulvi K., geistig schwerst behindert, vollkommen wehrlos, gutmütig und im Rahmen des gegen ihn geführten Ermittlungsverfahrens, bis hin zu seiner Verurteilung, so gut wie nicht verteidigt, einem System ausgeliefert, welches sich soweit von allen rechtsstaatlichen Grundsätzen entfernt hat, dass es faktisch nicht mehr existiert. Es verwundert nur, dass nahezu alle die daran mitwirken, das für vollkommen normal und selbstverständlich halten. Es ist der politische Wille der, wie das bei schrecklichen Taten und des spurlosen Verschwindens von Kindern, klar und deutlich macht. Ein Täter muss her. Und hat man keinen Täter (aber einige Verdächtige) dann erschafft man einen Täter. Dies ist nicht neu aber hat in diesem Fall eine „besondere Qualität“. Es ist nicht nur eine grandiose Inszenierung der bayrischen Justiz, sondern es ist vielleicht der größte Justizskandal seit dem Bestehen der BRD. Das Kind Peggy wächst unter, freundlich formuliert, schwierigen Umständen auf. Das macht natürlich die Ermittlungen besonders schwierig, weil ein 9 Jahre altes Kind, welches möglicherweise schon sehr früh sehr eigenständig ist, schon ein gutes Stück weit, weil es tagsüber eben oft alleine ist, ein eigenes Leben lebt, von dem die anderen so arg viel nicht wissen. An dem Tag des Verschwindens ist an sich nur gesichert, dass das Kind in der Schule war, es etwas später dann kurz vor der Haustüre von einer Freundin noch gesehen wurde., Erst als dann die Mutter spätabends bemerkte, dass das Kind nicht da war, beginnt die Suche. Diese Suche wird mit einem nicht unerheblichen Aufwand betrieben, gefunden wird das Kind nicht. Die erste Sonderkommission arbeitet den „Fall“ nach den hierfür vorgesehenen Rastern ab. Abklärung des familiären Umfeldes, Befragungen etc.. Im Rahmen dieser Ermittlungen, die zu diesem Zeitpunkt wohl noch vollkommen offen geführt werden, geraten dann mindestens zwei Verdächtige in den Focus der Ermittler. Der eine Verdächtige ist Manuel S. der andere Ulvi K.. Ulvi K. ist ein geistig schwerbehinderter junger Mann, ein Geschichtenerzähler, liebenswert, stets freundlich und in einem liebevollen Zuhause großgeworden. Man kann schon sagen, dass er verhätschelt wurde. Er gerät in den Focus der Ermittlungen, weil es hin und wieder mal zu sexuell motivierten Handlungen gekommen sein soll, mit anderen Kindern. Allerdings, ist dies nichts Besonderes im Sinne dessen, dass geistig Behinderte eben eine andere Form von Entwicklung haben. Und exhibitionistische Handlungen sind kein Verbrechen. Ulvi K. wird dann wie viele andere in Lichtenberg auch befragt, hinsichtlich des Verschwindens des Kindes. Ulvi K. hat für den Tag ein lückenloses Alibi, insbesondere ab dem späten Nachmittag. Der Geschichtenerzähler Ulvi K. freut sich immer darüber wenn an ihm Interesse gezeigt wird. Das findet er gut. Er ist gerne jemand, der wichtig ist, wichtig sein will. Natürlich kann er weder verstehen noch kann er es begreifen, dass das jetzt gerade der falsche Zeitpunkt ist. Hinzu kommt, dass aufgrund der sexuell motivierten Handlungen, die keineswegs gravierend sind, man Handlungsbedarf sieht. Für die Soko Peggy, die in einem dichten Nebel herumstochert, angetrieben von einer Vielzahl von Vermutungen, die von einer Entführung des Kindes in die Türkei, einer Verbringung des Kindes in Bereiche der Kinderpornographie etc. nahezu alles widerspiegeln, was man sich eben so vorstellen kann.
Der Geschichtenerzähler begreift dann, dass man an ihm interessiert ist, wenn er etwas, was scheint vollkommen ohne Bedeutung, zu über und um das verschwundene Kind erzählt. Tatsächlich hatte Ulvi K. so gut wie keinen Kontakt zu der Peggy K. die dann urplötzlich seine Freundin ist und die er sehr gut kannte. Es ist schwierig zu analysieren, was die Ermittler tatsächlich bewogen haben kann, sich auf dieses Geschichtenerzählen überhaupt einzulassen. Denn eines zwingt sich geradezu jedem auf, dass das was Ulvi K. erzählt nicht stimmen kann. Die Ermittler blenden dies vollständig aus. Ulvi K. erzählt, er habe am Donnerstag vor dem Verschwinden mit dem Kind „Verkehr gehabt“. Selbstverständlich findet eine grandiose Spurensicherung an dem Ort, der Wohnung von Ulvi K. statt und es wird nichts gefunden. Spätestens zu diesem Zeitpunkt ist klar, es stimmt nicht was er erzählt. Zumal, an dem besagten Donnerstag, Ulvi K. dem Kind weder begegnet sein kann und das Kind auch nicht bei ihm in dessen Wohnung gewesen sein kann.
Ulvi K. ist wenn er Geschichten erzählt unbeirrbar in der Gestaltung und Ausschmückung. Er hat ein gutes Gespür dafür, dass wenn er etwas sagt und dann dieses für interessant befunden wird, zu erkennen. Das alles muss man natürlich unter der Rubrik sehen, dass er Geschichten deshalb erfindet, weil diese ihn interessant machen und zugleich aber kann der geistig Behinderte natürlich nicht begreifen, worum es wirklich geht. Das nicht zu erkennen ist von Seiten der Soko Peggy einer der gravierendsten Ermittlungsfehler überhaupt.
Auch gegen Manuel S. wird ermittelt. Er gerät durch die Geschichten von Ulvi K. in den Focus der Ermittler, denn Ulvi K. erzählt, wenn auch immer in verschiedensten Formen Geschichten, darunter auch die, er habe Manuel S. erzählt dass er etwas mit Peggy gehabt hätte. Das Problem hierbei und von den Ermittlungen vollkommen ausgeblendet, ist: Ulvi K. und Manuel S. hatten so gut wie gar keinen Kontakt zueinander, sind sich aus dem Weg gegangen. Es gab also keinerlei Grund dafür, dass Ulvi K. Manuel S. irgendetwas erzählt haben könnte. Vor allen Dingen, dies geht vollständig unter, müsste dann ja Ulvi K. dies dem Manuel S. innerhalb der drei Tage nachdem es angeblich passiert ist erzählt haben. Das passt nicht, denn wie bereits angeführt, die beiden sind sich aus dem Weg gegangen.
Manuel S. ist an dem Tag des Verschwindens von Peggy K. im Urlaub, er hat Geburtstag. Selbstverständlich hat er im Gegensatz zu Ulvi K. (unterstellt man tatsächlich er habe etwas mit dem verschwinden des Kindes zu tun) ein Auto, kein Alibi, Ortskenntnis und hinzu tritt noch, dass er betrunken gesagt haben soll, er habe etwas mit der verschwinden des Kindes zu tun und als Mitglied der Feuerwehr war er auch an der Suche nach dem Kind beteiligt. Das würde bei neutralen Ermittlungen ihn selbstverständlich in den Focus der Ermittlungen rücken.
Die Ermittlungen hinsichtlich des verschwundenen Kindes, sind trotz eines großen Umfanges sehr schnell festgefahren. Das Kind taucht nicht mehr auf. Es gibt von allen Seiten Vermutungen Theorien, aber im Tatsächlichen gibt es keine wirkliche Spur.
So etwas kann es nicht geben, nicht in Bayern. Es wird, davon muss ausgegangen werden, ein ganz erheblicher Druck von Seiten der politisch Verantwortlichen auf die mit der Ermittlung befassten Beamten/innen ausgeübt.
Man erstellt eine TATHERGANGSHYPOTHESE, die man dann, wie ein Drehbuch zielgerichtet umsetzt. Den Ermittlern wird sehr schnell klar, dass Ulvi K. von seiner Familie beschützt wird. Parallel dazu befindet sich ein Informant der Polizei in einem Bezirkskrankenhaus, in das man dann Ulvi K. einstweilig unterbringen lässt. Damit sind der Weg für die Umsetzung des Drehbuches frei, jetzt hat man jederzeit Zugriff auf den geistigen Behinderten, nicht etwa nur durch hochfrequente Vernehmungen, die überwiegend ohne anwaltlichen Beistand erfolgen, sondern insbesondere auch über den V-Mann, der Ulvi K. ausspähen soll, insbesondere bezüglich seiner Lieblingsworte und seines Verhaltens.
Das Drehbuch wird nun auch noch in Form von Filmen umgesetzt. Unter Ausblendung der tatsächlichen Aktenlage, man hat da recht gut vorgearbeitet. Peggy ist, nach Ansicht der Ermittler, plötzlich an jenem Tag, dem Tag ihres Verschwindens unmittelbar nachdem sie den Bus verlassen hat, auf Ulvi K, getroffen. Das Alibi von Ulvi K. er habe einem Bekannten beim Holz machen geholfen, wird von den Ermittlern schon im Vorfeld mit allen Möglichkeiten angegangen. Es wird gegenüber allen, die die Angaben von Ulvi K, bestätigen, soweit es nur möglich ist, unterstellt sie hätten sich bezüglich des Tages geirrt etc.. Insbesondere der Mutter von Manuel S. die sich urplötzlich daran erinnern will, sie habe Ulvi K. auf einer Bank sitzen sehen, am Tag des Verschwindens von Peggy K und die nachweislich gelogen hat, kommt nunmehr eine tragende Bedeutung zu. Denn es ist tatsächlich das überaus enge Zeitfenster, dass den Ermittlern ganz erhebliche Probleme bereitet. Denn nur dann, wenn Peggy K. unmittelbar nach dem verlassen des Busses verschwunden ist, besteht die Möglichkeit Ulvi K. als Täter zu präsentieren.
Zwischenzeitlich hat der Geschichtenerzähler in einer Vielzahl von Vernehmungen seine Rolle gelernt. Eine Rolle die er dann aber doch nicht auszufüllen vermag. Irgendwann hält der Wehrlose dann dem Druck nicht mehr stand. Er hatte auch niemals eine Chance. Hätte er einen Strafverteidiger gehabt, der ihn angemessen verteidigt hätte, wäre Ulvi K. nicht wehrlos gewesen.
Angeblich dann, selbstverständlich ohne, dass dies aufgenommen wird, soll Ulvi K. dann gestanden haben das Kind getötet zu haben.
Es ist das Ziel der Ermittler, ein Geständnis, um jeden Preis zu erwirken, einen Täter zu präsentieren, der es nicht gewesen sein kann.
Der geistig schwerst Behinderte Ulvi K. ist jetzt besonders wichtig, er spielt also die Rolle, auch wenn er nicht in der Lage ist sie wirklich auszufüllen. Also führt er die Ermittler an den Ort wo man angeblich das tote Kind hinverbracht haben will. Nur das Kind befindet sich nicht dort.
Die beiden auf Video aufgenommenen Tatrekonstruktionen finden unter dem Einsatz direkter Regieanweisungen der mitwirkenden Kriminalbeamten statt. Ulvi K. glänzt nicht in seiner Rolle. Es bedarf einer Vielzahl von Einwirkungen und Strukturierungen auf den geistigen Behinderten, damit überhaupt etwas zustande kommt.
Danach wird das „Geständnis“ widerrufen.
Damit wäre an und für sich, bei objektiven Ermittlungen, der Fall bezüglich Ulvi beendet gewesen
Doch hier ist es nicht das Ende dieser „Posse“ aus Bayern sondern der Start zu einem Justizskandal, den es so noch nicht in der BRD gegeben hat.
Wenn man einen Haufen Müll hat, dann wirft man diesen am besten in eine Mülltonne. Die Staatsanwaltschaft hätte dies tun müssen. Üblicherweise ist es ja auch so, dass man bevor man jemanden vernimmt (soweit Zweifel an dessen Aussagetüchtigkeit bestehen) man diese durch einen Sachverständigen vorher abklären lässt. Nun in Bayern gehen die Uhren anders. Man beauftragt erst nach dem Abschluss der Inszenierung einen Sachverständigen. Der Kriminalpsychiater K r ö b e r kommt nun ins Spiel. K r ö b e r, einer der „renommiertesten Sachverständigen“ dessen Ruf zwischenzeitlich derart beschädigt ist, dass man durchaus sich die Frage stellen kann, wieso er überhaupt noch mit Gutachten beauftragt wird. K r ö b e r nimmt den Gutachterauftrag an. Warum er das getan hat weiß man nicht. Vielleicht war er einfach zu arrogant zuzugeben, dass er nicht über die erforderlichen Voraussetzungen verfügte, ein solches Gutachten einerseits bezüglich der Aussagetüchtigkeit und andererseits bezüglich der Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Geschichten des Geschichtenerzählers, überhaupt erstellen zu können. Denn diese hatte er offenkundig nicht.
Kröbers Baustellen sind Gutachten zur Frage der Schuldfähigkeit, zu Fragen der Kriminalprognose, der Wiederholungsgefahr. Die Glaubhaftigkeitsbeurteilung von Aussagen ist ein Bereich den speziell ausgebildeten Psychologen, (ständig fortgebildet) ausfüllen und genau das ist K r ö b e r nicht. S t r a t e hat K r ö b e r nach dem Skandal im Fall M o l l a t h als Scharlatan bezeichnet.
Weshalb K r ö b e r aber gerade in zwei Fällen In Bayern, an denen er maßgeblich mitwirkte, derart skandalös agierte, muss natürlich hinterfragt werden.
Die Glaubhaftigkeit von Aussagen zu beurteilen, erfordert neben dem Gebot einer strikten Neutralität, an allererster Stelle, alles das zur Kenntnis zu nehmen, was mit diesen Angaben zusammenhängt. Es erfordert viel Zeit, die Entwicklung eines Konzeptes, eine analytische Vorauswertung und vieles mehr. K r ö b e r der zunächst nur für die Fragestellung der Aussagetüchtigkeit von Ulvi K. beauftragt worden war, reißt den aussagepsychologischen Teil, der an sich von Prof. S t e l l e r beurteilt werden sollte aus Zeitgründen an sich und merkt dazu an, er habe diesen Teil in enger Zusammenarbeit mit Prof. S t e l l e r gestaltet.
K r ö b e r ist ein Westfale, er gilt als stur, fokussiert und derart von sich selbst überzeugt, dass er vollkommen ohne Diplomatie agiert, an Anderen wenig Gutes lässt. K r ö b e r publiziert bereits über die von ihm gewonnenen Erkenntnisse bezüglich Ulvi K. im Rahmen einer Publikation vor dessen Verurteilung (KrimZ Band 43). Dort schreibt K r ö b e r (man beachte vor der Verurteilung) „nach jetzigem vorläufigen (und unstreitigem) Kenntnisstand eine Vielzahl von Sexualdelikten…..“. K r ö b e r hatte bereits zu dem Zeitpunkt der Erstellung seines Gutachtens mit dem Grundsatz der strikten Neutralität gebrochen. Ein Sachverständiger, der etwas für unstreitig erachtet, hat in einem Strafverfahren keinen Platz mehr, denn er ist befangen.
Der oberste Grundsatz des Neutralitätsgebotes ist es, dass man keine Position bezieht. Das man vollkommen abstrakt, wertneutral und vor allen Dingen wissenschaftlich vorgeht. Das man sich nicht auf einen geringen Teil von Aussagen fokussiert, sondern erkennt und begreift, dass der Versuch die Glaubhaftigkeit von Aussagen zu beurteilen, zu einem Bereich zählt, der ohnehin mit einer nicht geringen Fehlerquote behaftet ist, insbesondere bei der Beurteilung der Aussagen von Kindern. Ganz anders verhält sich dies bei der Beurteilung in Bezug auf einen geistig schwer behinderten jungen Mann. Die Trennung zwischen „Wahrheit“ und „Unwahrheit“ ist da, bezogen auf diesen „Fall“ mit den üblichen Verfahren an sich gar nicht möglich und war es hier auch nicht. Insbesondere nicht unter diesem Zeitfenster, welches sehr eng war, bezüglich der Tatsache, dass Kröb e r so schnell wie nur möglich attestierte Ulvi K. sei nicht nur aussagetüchtig gewesen, sondern man könne einige Teile seiner Angaben sogar glauben.
Erstaunlicherweise, dies wäre die Aufgabe der Verteidigung und insbesondere auch des Gerichtes gewesen, hat offenkundig niemals ein Abgleich des Gutachtens mit dem Inhalt der Vernehmungen von Ulvi K. stattgefunden.
Dies erklärt dann auch, dass K r ö b e r in seinem Gutachten verschweigen konnte, dass das von ihm so hochgelobte Realkennzeichen, wie der Schulranzen kraft physikalischer Gesetzmäßigkeit, nach dem angeblichen Sturz des Kindes, vor dem Kind zum liegen gekommen ist, wie es der Geschichtenerzähler doch so anschaulich bei der Tatrekonstruktion gezeigt hatte, eben jenen Schulranzen im Rahmen des Vernehmungsmarathons, werfen konnte. K r ö b e r sagt deshalb auch dass es keinerlei Anzeichen gegeben habe, dass Ulvi K. etwas gezeigt habe, was er nicht selbst erlebt hat. Das Problem ist nur, dass wenn K r ö b e r dies in sein Gutachten aufgenommen hätte, dass Ulvi K. den Flug des Schulranzens, angehalten von den Ermittlern, im Rahmen einer Vernehmung selbst vornahm, dann wäre dieses von K r ö b e r benannte Realkennzeichen, eben keines gewesen. Mal unabhängig davon dass es kein Realkennzeichen ist.
Also hat K r ö b e r es verschwiegen.
K r ö b e r hält sich an keinerlei wissenschaftliche Grundlagen mehr und hat sich im Rahmen der Begutachtung wohl nie an solche gehalten. Das Geständnis ist zu dem Zeitpunkt seiner Exploration widerrufen. Was in den ersten Explorationen stattgefunden hat, kann man nicht nachprüfen, weil Kröber es tunlichst unterlässt, diese wie vom BGH vorgeschrieben, aufzuzeichnen.
Im Rahmen der letzten Exploration, diese ist aufgezeichnet, sagt er zu Ulvi. Er solle doch jetzt mal „akribisch“ alles erzählen. Das tut Ulvi. Aber das was Ulvi erzählt kann K r ö b e r nicht gefallen, denn Ulvi erzählt den Tagesablauf am Montag so wie er war. Darin kommt keine Peggy vor, nichts von dem was im Drehbuch der Polizei steht. Also geht K r ö b e r hin und fordert Ulvi das Drehbuch zu erzählen. K r ö b e r lässt es sich nicht nur erzählen, sondern er tut das, was ein redlicher wissenschaftlich arbeitender Sachverständiger niemals tun würde, er zwingt Ulvi K in die Rahmenbedingungen des widerrufenen Geständnisses mit einer Suggestibilität die ihresgleichen sucht.
Der in jeder Beziehung wehrlose geistig schwerst Behinderte ist dem nicht gewachsen, ab einem bestimmten Zeitpunkt derart wehrlos, dass er sofort seinen Anwalt anrufen will, was K r ö b e r weder zulässt, sondern rigoros übergeht.
K r ö b e r ist, wohl angetrieben von dem Grundsatz seiner eigenen Unfehlbarkeit, da schon längst kein neutraler oder unabhängiger Sachverständiger mehr, er ist lediglich und nur noch, ein nicht so ganz billiger Erfüllungsgehilfe der bayrischen Justiz.
Ulvi K. wird zu einer lebenslangen Strafe verurteilt. Aber hin und wieder, passiert es eben, dass ein Verfahren damit nicht zu Ende ist, dass es für jene, die maßgeblich an der Verurteilung mitgewirkt haben, zu einem dauerhaften stellen der Frage nach dem „WARUM“ führt. K r ö b e r wird auch im Wiederaufnahmeverfahren von Ulvi K. als Gutachter beauftragt. Weshalb? Die Einholung eines weiteren Gutachtens hätte dazu geführt, dass – eine andere Möglichkeit gibt es tatsächlich nicht – dieses Gutachten von K r ö b e r zerrissen worden wäre. Das will man natürlich nicht. Also eröffnet man K r ö b e r so die Möglichkeit, wenn auch nur bedingt, einigermaßen unbeschadet aus der Sache herauszukommen. Zu diesem Zeitpunkt aber hat K r ö b e r schon M o l l a t h eingeholt. Es gehört wohl zu den Besonderheiten von K r ö b e r, hier auch noch eine Tagung anzusetzen im 17. Forensischen Fallseminar und da dann den Tagungspunkt „Unser Gustl: Realität, Wahn Justiz und Medien“ anzukündigen und sich selbst als Referent anzugeben.
Auch im Wiederaufnahmeverfahren hält er an seinem Gutachten weiterhin fest. In der Zeit kann man dazu lesen, „im Lichte neuer Forschung und nun bekanntgewordener Fakten (dem Verdächtigen war von der Polizei ein möglicher Tatablauf vorgehalten worden) „sei es nicht mehr ausschließbar, dass Herr K. ein aussagepsychologisch recht gutes,, aber falsches Geständnis vorzubringen imstande war“.
Dies ist natürlich ein schlechter Witz. K r ö b e r hatte alle Vernehmungen von Ulvi K. vorliegen. Das Ulvi K. ein Tatablauf vorgehalten wurde und mit diesem strukturiert erarbeitet wurde, ergibt sich zwingend aus diesen Vernehmungen. K r ö b e r versucht sich zu retten und reitet sich damit zugleich immer tiefer in seine abstruse Vorstellungswelt, getragen von seiner angeblichen Unfehlbarkeit. Er versucht es nunmehr taktisch. In dem Beitrag „Unter Anklage“ ist ausgeführt: „Kröber sagt: „Die Qualität der Aussage war hoch. Ulvi K. zu verurteilen war ein juristischer Fehler. Ein aussagepsychologisches Gutachten allein darf einem Gericht bei Mordverdacht nicht ausreichen.“ Doch er halte es bis heute für „die wahrscheinlichste aller Varianten“, dass K u l a c Peggy getötet habe. Ulvi K. zu verurteilen, war also nunmehr der Fehler des Gerichtes.
Es wird sicherlich kein Fehler des Landgerichtes Berlin sein K r ö b e r zu verurteilen.
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Mein Kommentar
- Ich habe in den Text nicht eingegriffen, obwohl mich die Schriftsperrung der Eigennamen und mancher emotionaler Unterton stört, auch wenn er verständlich ist.
- Die Originalakten sind mir nicht zugänglich. Ich gehe davon aus, dass der Sachverhalt korrekt wiedergegeben wurde. Über den „Mordfall Peggy K.“ wurde vielfach in den Medien berichtet. Ich habe damals einige Berichte gelesen, sie aber nicht mehr in greifbarer Erinnerung.[3] Darum konzentriere ich mich auf die „Merkwürdigkeiten“, die beim dargestellten Sachverhalt auffallen und setze sie zu meinen Erfahrungen mit Gutachten und Gutachtern in Beziehung. Dazu kommen meine Erfahrungen als Polizeipfarrer mit diversen Mordfällen, den SOKOs und dem Vorgehen mir bekannter Kriminalbeamter.
- Die „Merkwürdigkeiten“
3.1 Der Zeitpunkt
Da gibt es zunächst den ungelösten Widerspruch über die Zeit, zu der Peggy zuletzt gesehen wurde: auf dem Heimweg von der Schule oder noch spät abends? Der Text erklärt die Festlegung auf den ersten Termin so: „Diese gründen sich darauf, dass im Zuge der Ermittlungen, eben jener Zeitpunkt „auf dem Heimweg von der Schule“ konstruiert werden musste, damit man einen Täter der Öffentlichkeit präsentieren konnte.“ Diese Schlussfolgerung halte ich ohne Überprüfung der Zeugenausagen für nicht zwingend, aber durchaus für möglich.
Weiter heißt es: „Peggy ist, nach Ansicht der Ermittler, plötzlich an jenem Tag, dem Tag ihres Verschwindens unmittelbar nachdem sie den Bus verlassen hat, auf Ulvi K, getroffen. Das Alibi von Ulvi K. er habe einem Bekannten beim Holz machen geholfen, wird von den Ermittlern schon im Vorfeld mit allen Möglichkeiten angegangen. Es wird gegenüber allen, die die Angaben von Ulvi K, bestätigen, soweit es nur möglich ist, unterstellt sie hätten sich bezüglich des Tages geirrt etc..“ Ein, wenn es stimmt, sehr merkwürdiger Umgang mit Zeugenaussagen.
Dann kommt noch die Mutter von Manuel S.[4] ins Spiel, ihr, „die sich urplötzlich daran erinnern will, sie habe Ulvi K. auf einer Bank sitzen sehen, am Tag des Verschwindens von Peggy K und die nachweislich gelogen hat, kommt nunmehr eine tragende Bedeutung zu. Denn es ist tatsächlich das überaus enge Zeitfenster, dass den Ermittlern ganz erhebliche Probleme bereitet. Denn nur dann, wenn Peggy K. unmittelbar nach dem verlassen des Busses verschwunden ist, besteht die Möglichkeit Ulvi K. als Täter zu präsentieren“.
Ich denke an einen Kriminalbeamten, der einen Verdächtigen mit unsicherem Alibi im Auto durch die fragliche Gegend fuhr, bis dieser sagte: Hier ist das Haus, in dem das Außenlicht anging und ein Besucher verabschiedet wurde. Der Beamte stieg aus, klingelte und überprüfte die Angabe und der Verdächtige hatte ein Alibi. Der Beamte sagte mir, er sei froh gewesen, dass er den Verdächtigen vom Vorwurf entlasten konnte.
3.2 Die Verdächtigen
Das Vorgehen der ersten Sonderkommission (SOKO) ist völlig normal für solche Fälle. Sie arbeitet den „Fall“ nach den hierfür vorgesehenen Rastern ab. Abklärung des familiären Umfeldes, Befragungen etc.. Im Rahmen dieser Ermittlungen, die zu diesem Zeitpunkt wohl noch vollkommen offen geführt werden, geraten dann mindestens zwei Verdächtige in den Focus der Ermittler.
Der eine Verdächtige ist Manuel S. der andere Ulvi K..
Zu Ulvi K. lesen wir, er sei ein geistig schwerbehinderter junger Mann, ein Geschichtenerzähler, liebenswert, stets freundlich und in einem liebevollen Zuhause großgeworden. Man kann schon sagen, dass er verhätschelt wurde. Er gerät in den Focus der Ermittlungen, weil es hin und wieder mal zu sexuell motivierten Handlungen gekommen sein soll, mit anderen Kindern. … Ulvi K. wird dann wie viele andere in Lichtenberg auch befragt, hinsichtlich des Verschwindens des Kindes. Ulvi K. hat für den Tag ein lückenloses Alibi, insbesondere ab dem späten Nachmittag.
So weit, so gut. Nun kommen die Besonderheiten, für die man Erfahrungen mit geistig behinderten Personen haben muss. Absolut nicht untypisch ist das beschriebene Verhalten: Der Geschichtenerzähler Ulvi K. freut sich immer darüber wenn an ihm Interesse gezeigt wird. Das findet er gut. Er ist gerne jemand, der wichtig ist, wichtig sein will. Natürlich kann er weder verstehen noch kann er es begreifen, dass das jetzt gerade der falsche Zeitpunkt ist. Hinzu kommt, dass aufgrund der sexuell motivierten Handlungen, die keineswegs gravierend sind, man Handlungsbedarf sieht. Man muss auch wissen, dass diese Handlungen gerade bei einem geistig behinderten Jungen kein Verbrechen, sondern allenfalls öffentlichesÄrgernis sein können; genannt werden exhibitionistische Handlungen. Ich verstehe schon, dass die Ermittler die auschmückenden Erzählungen von Ulvi K. überprüft haben, sie haben nur nicht die richtigen Schlussfolgerungen gezogen. Im Text: Denn eines zwingt sich geradezu jedem auf, dass das was Ulvi K. erzählt nicht stimmen kann. Die Ermittler blenden dies vollständig aus. Ulvi K. erzählt, er habe am Donnerstag vor dem Verschwinden mit dem Kind „Verkehr gehabt“. Selbstverständlich findet eine grandiose Spurensicherung an dem Ort, der Wohnung von Ulvi K. statt und es wird nichts gefunden. Spätestens zu diesem Zeitpunkt ist klar, es stimmt nicht was er erzählt. – Jedenfalls sind seine Aussagen mit Vorsicht zu nehmen. Dies geschieht offensichtlich nicht, von Seiten der Soko Peggy einer der gravierendsten Ermittlungsfehler überhaupt.
Zum anderen Verdächtigten, Manuel S., nur so viel: „Manuel S. ist an dem Tag des Verschwindens von Peggy K. im Urlaub, er hat Geburtstag. Selbstverständlich hat er im Gegensatz zu Ulvi K. … ein Auto, kein Alibi, Ortskenntnis und hinzu tritt noch, dass er betrunken gesagt haben soll, er habe etwas mit der verschwinden des Kindes zu tun und als Mitglied der Feuerwehr war er auch an der Suche nach dem Kind beteiligt. Das würde bei neutralen Ermittlungen ihn selbstverständlich in den Focus der Ermittlungen rücken.“
Da hätten doch bei der SOKO alle Alarmglocken läuten müssen.
Stattdessen erfolgen „hochfrequente Vernehmungen, die überwiegend ohne anwaltlichen Beistand …, sondern insbesondere auch über den V-Mann, der Ulvi K. ausspähen soll, insbesondere bezüglich seiner Lieblingsworte und seines Verhaltens.“
Überwiegend ohne anwaltlichen Beistand – das geht natürlich nicht bei einer nicht zurechnungsfähigen Person, die nicht in der Lage ist, einen Anwalt anzufordern. Damit sind sämtliche „Aussagen“ nicht verwertbar.
Ein „V-Mann, der Ulvi K. ausspähen soll, insbesondere bezüglich seiner Lieblingsworte und seines Verhaltens.“ Äh? Was soll das bringen? Zumindest: welche Qualifikation hat dieser V-Mann für den Umgang mit Menschen mit Behinderung?
„Zwischenzeitlich hat der Geschichtenerzähler in einer Vielzahl von Vernehmungen seine Rolle gelernt. Eine Rolle die er dann aber doch nicht auszufüllen vermag. Irgendwann hält der Wehrlose dann dem Druck nicht mehr stand.“ So kommen auch sonst manche falschen Geständnisse zustande, die sich schließlich als Justizirrtum erweisen; Geständnisse in der Regel von nicht geistig behinderten Verdächtigten.
3.3 Der Gutachter
„Üblicherweise ist es ja auch so, dass man bevor man jemanden vernimmt (soweit Zweifel an dessen Aussagetüchtigkeit bestehen) man diese durch einen Sachverständigen vorher abklären lässt.“ Ja, so sollte es sein. Wenn man ihn erst nach Abschluss der Vernehmungen beauftragt, muss man ihm Ton-, besser noch Video-Aufnahmen von den Vernehmungen zur Verfügung stellen. Doch die gab es offenbar nicht.
Der Kriminalpsychiater Kröber[5] sei einer der „renommiertesten Sachverständigen“. Allerdings wurde er nach dem spektakulären Justizskandal im Fall Mollath vom Strafverteidiger Gerhard Strate[6] als Scharlatan bezeichnet.[7]
Da Kröber die Schuldfähigkeit von Ulvi K. bejaht, obwohl er ihn erlebt hat, darf bezweifelt werden, dass er Erfahrungen mit der Einschätzung von Aussagen von Menschen mit Behinderung hat.
Ich selber habe das Gutachten eines Universitätspsychiaters zerrissen, der – in diesem Fall – keine Ahnung hatte von geistigen Behinderungen, vom Betreungsrecht, vom Kindschaftsrecht und auch nicht – wie sollte er auch – von Religionswissenschaft.
Noch ein anderer Gutachter wird genannt, doch der kam nicht zum Zuge: „Es erfordert viel Zeit, die Entwicklung eines Konzeptes, eine analytische Vorauswertung und vieles mehr. Kröber der zunächst nur für die Fragestellung der Aussagetüchtigkeit von Ulvi K. beauftragt worden war, reißt den aussagepsychologischen Teil, der an sich von Prof. Steller beurteilt werden sollte aus Zeitgründen an sich und merkt dazu an, er habe diesen Teil in enger Zusammenarbeit mit Prof. Steller gestaltet.[8]“
Für Familiengerichte ist der Vorwurf bekannt: „Es gibt teilweise katastrophale Seilschaften im Rahmen der Auswahl von willfährigen Gutachtern, die nicht wirklich unabhängig und nicht selten unqualifiziert sind.“[9] Dies kann ich auch aus vielen Kontakten mit Familienrichtern bezeugen. Ob dies auch für Strafgerichte gilt, weiß ich nicht, verweise aber auf Anmerkung 6.
3.4 Die Vernehmungen und die Tathergangshypothese
Dass die Vernehmungen nicht verwertbar sein dürfen, habe ich bereits oben genannt, ebenso, dass Ulvi K. beeinflussbar ist und gern eine Rolle spielt, in der er wichtig ist.
Was bedeutet nun der Vorwurf an die Untersucher, sie hätten eine Tathergangshypothese gehabt?
Dass die Beamten aufgrund des Anfangsverdachtes und des Verlaufs der Vernehmungen sich hypothetisch überlegt haben, wie die Tat abgelaufen sein könnte, ist normal und nicht vorwerfbar. Sie hätten allerdings wissen müssen, dass solche Hypothesen dazu anregen, sie zu bestätigen und die Vernehmungen darauf abzustellen – was im Falle eines suggestiblen Verdächtigen verheerend ist – bis hin zum falschen Geständnis, das die Richtigkeit der Hypothese besiegelt. Es ist nicht die Aufgabe der Staatsanwaltschaft und ihrer Hilfsbeamten, der Polizei, ausschließlich Belastendes zu sammeln, sondern auch Entlastendes.[10] Hier hat die Polizei eindeutig versagt. Sie hätte auch Alternativhypothesen entwickeln und überprüfen müssen. Doch sie hielten an der einmal gefassten Meinung fest und ihre suggestiven Befragungen eines suggestiblen und intellektuell überforderten Verdächtigen führten nach der Methode „Koste es, was es wolle!“ zum Erfolg. Auf der Stecke blieben Ulvi K. und das Ansehen von Polizei und Justiz. Professionalität sieht anders aus.
Fußnoten
[1] photo: dierk schäfer https://www.flickr.com/photos/dierkschaefer/8577129580/in/photolist-e4W2Nu-eUwpJz-eFwbAF-9qTBFY-aeV1Qr-dazZzF-SYmJus-6GeiLT-b2vhPR-bbiFuF-bG5R9M-eXVsqf-2xkZyn-bG5Rn2-fKmADY-7pEiJH-23BBhJz-4xUoEW-7avxJX-dDzzw1-RYfVGm-2aXRbu5-od91Yu-pP6S15-iHtppd-7bJsTr-7m8sLy-qhZaUN-oCE1dg-4BSzc1-bbnoaV-kghxsP-BTx6au-bmNJzt-hTcFse-dMW6zm-7azkaW-4mKe5h-9bbsAt-jqkWMA-q7aTqG-aBso6t-6jG2Ba-fp9wXX-Wn8iB2-f2WdMo-bQAapn-WiQ8Kb-rhPg2a-oUSKei
[2] Der Text ist auch hier zu finden, ich habe den Link aber nicht überprüft: https://www.facebook.com/ulvi.kulac.9/photos/a.321451884719138/991890901008563/?type=3&__xts__%5B0%5D=68.ARCZkyCsAjTkogrcvQc-m1wesVHCqucGGwBIcncYmE_fzWvP8LDU3I4D6NU6Wd9ti8OhvIh_f9jO6cOUZYDIaiw7zJplhnUX0AALi82SFvQvQOGlvpzmHRE2ejgWzbJfr9cmibtIe3UsD3iIRxxpbY-czqK3F2zivQcPNnEvXmYVDEDfuSB5wcOMFOa3nd6tZ_QUP5xGsT-_aGdaSu7d1-MW_6Z19P934NyUvpALf1xf6M09vTy2k4anVa-aSzV_UDaOQHMEYAS5SkML9hfN6wAlu3odLMRVakpvkR-1L94-TK1tRvSuHChCdosw1a42xT80sUOrytH36uMeI009NGo&__tn__=-R
[3] Bei Wikipedia ist der Fall und eine Fülle von Mediennachrichten aufgeführt. Ich habe sie für diese Darstellung nur flüchtig eingesehen. https://de.wikipedia.org/wiki/Fall_Peggy_Knobloch . Eine ausführliche Darstellung des Falles ist auch unter http://www.ulvi-kulac.de/index.html zu finden.
[4] Die Mutter eines Verdächtigten kann wohl kaum als unvoreingenommene Zeugin angesehen werden, wenn sie zur Belastung eines anderen beiträgt.
[5] „nach mehreren spektakulären Justizfällen hat Kröber bei der Begutachtung von Straftätern mitgewirkt. Im Fall Peggy Knobloch kam er in einem Gutachten zum Ergebnis, dass das widerrufene Geständnis des Angeklagten Ulvi Kulaç glaubwürdig sei; Kulaç wurde 2004 zu lebenslanger Haft verurteilt,[4] nach einer Wiederaufnahme des Verfahrens im April 2014 jedoch freigesprochen.[5] Christoph Lemmer, Co-Autor des Buches Der Fall Peggy, ist der Ansicht, dass Kröber von der Polizei unvollständig und falsch informiert worden sei. Anders als von Kröber dargestellt, habe es durchaus eine Tathergangshypothese gegeben, auf deren Grundlage die Polizei ein Geständnis habe suggerieren können.“ https://de.wikipedia.org/wiki/Hans-Ludwig_Kr%C3%B6ber#Im_Fall_Peggy_Knobloch
[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Gerhard_Strate
[7] Mollaths Rechtsanwalt Gerhard Strate warf Kröber im November 2013 im Zusammenhang mit seinen Äußerungen zum Fall Mollath „Verfälschung der Wahrheit“ sowie „Realitätsverlust“ vor. Auch in seinem 2014 erschienenen Buch „Der Fall Mollath – Vom Versagen der Justiz und Psychiatrie“ beschäftigt sich der Hamburger Strafverteidiger mit dem Gutachten Hans-Ludwig Kröbers. Unter der Überschrift „Die Allzweckwaffe aus der Hauptstadt“ schreibt er: „Grundsätzlich fällt auf, dass sich die Arbeitsergebnisse des Hans-Ludwig Kröber mit den mutmaßlichen Wünschen seiner Auftraggeber nicht nur in diesem Falle decken. Die von Wilfried Rasch kritisierte Anpassungsbereitschaft der forensischen Psychiatrie an die politisch jeweils vorherrschende Meinung zeigt sich auch im Kleinen, nämlich in dem sicheren Gespür des beauftragten Psychiaters für die Erwartungen des Auftraggebers.“ https://de.wikipedia.org/wiki/Hans-Ludwig_Kr%C3%B6ber#Gustl_Mollath
[8] Prof .Steller ist nun tatsächlich ein Fachmann für Fragen der Suggestion und unsachgemäßer Beweisführung. https://dierkschaefer.wordpress.com/2015/11/02/politisch-korrekt-ist-dieses-buch-ganz-und-gar-nicht/ Er war auch ein wichtiger Gewährsmann für das Gutachtenurteil des BGH „11. Anforderungen an Glaubhaftigkeitsgutachten StPO § 244 IV 2, Wissenschaftliche Anforderungen an aussagepsychologische Begutachtungen (Glaubhaftigkeitsgutachten), abgedruckt in aus NJW 1999, Heft 37, S. 2746-2751
[9] https://www.welt.de/wirtschaft/article169405842/Filz-bei-Gericht-treibt-Kosten-bei-der-Scheidung.html
[10] Dies im Unterschied zum Parteienprozess in den USA.
Helmut Jacob ist tot – Ein Nachruf
Er war ein unerschütterlicher Kämpfer für die Sache der ehemaligen Heimkinder – und er war selber eins. Doch trotz eigener Betroffenheit war er abgewogen in seinem Urteil und auch in den Verurteilungen. Das habe ich an ihm geschätzt und ich bin traurig, dass er so früh, mit 67 Jahren, an seinem Geburtstag, gestorben ist. Noch sechs Tage vor seinem Tod schrieb er einen Nachruf auf Lisa P., und beschrieb damit auch seinen Einsatz für sie.[1]
Gesehen habe ich ihn nie, ein- oder zweimal mit ihm telefoniert. Aber unser Mailkontakt war sehr rege. Hauptthema natürlich die ehemaligen Heimkinder, wie man damals mit ihnen umgegangen ist und wie sie von den Vertretern aus Staat, Kirchen und ihren Sozialeinrichtungen mit der willigen Hilfe von Frau Dr. Antje Vollmer, Pfarrerin, über den Runden Tisch gezogen wurden.
Die Stimme der geschlagenen Kinder, nannt ihn die Westfalenpost. Sein Leserbrief an die kirchliche Wochenzeitung „Unsere Kirche“ im Frühjahr 2006 hatte die Lawine los getreten. „Die Hölle von Volmarstein“ lag plötzlich nicht mehr im Verborgenen. »Helmut Jacob aus Wengern erinnerte an die wehrlosen Kinder, die in der damaligen Krüppelanstalt an Leib und Seele misshandelt worden waren. Übertriebene Fantasien eines Opfers, späte Rache oder einfach nur Nestbeschmutzung? Ein paar Jahre später bescheinigten zwei Historiker, dass es in der Hölle von Volmarstein noch schlimmer zugegangen war als von Helmut Jacob geschildert. Das Buch liegt vor, dutzende von Leidensberichten auch. Und doch geht der Kampf weiter, den die Freie Arbeitsgruppe Johanna-Helenen-Heim 2006 vor ziemlich genau zehn Jahren aufgenommen hat. … Helmut Jacob war selbst einer von denen, die in dem Heim von Diakonissen klein gemacht wurden. „Der Umfang der Gewalttätigkeiten reichte vom morgendlichen Blauschlagen kleiner Finger mit dem Krückstock bis dahin, dass die Kinder ihr eigenes Erbrechen essen mussten.“ Neben fünf äußerst gewalttätigen Schwestern „war der allerschlimmste Satan eine schwerstbehinderte Lehrerin, die mit ihrem orthopädischen Hilfsmittel, dem Krückstock, die Kinder manchmal bis zur Besinnungslosigkeit schlug.“«[2]
Erst spät konnte Helmut Jacob sich dazu durchringen, das Almosen zu akzeptieren, das von den Medien immer fälschlich „Entschädigung“ genannt wird. In unserem Urteil über die mafiöse Kumpanei von Staat und Kirchen waren wir uns einig. Doch aus der Kirche trat er erst aus, als auch sein Gemeindepfarrer sich als große Enttäuschung erwies. Trotz all dieser Erfahrungen verstand er sich als Christ[3] und hätte gern eine Kirche gehabt, die über „Betroffenheitsgestammel“ hinaus (seine Wortschöpfung) sich durch Taten wieder ehrlich macht. Doch niemand raffte sich auf, den ehemaligen Heimkindern die Angst zu nehmen, wieder in ein Heim, nun Alten- oder Pflegeheim zu kommen, sondern durch Assistenzleistungen in vertrauter und nicht fremdbestimmter Umgebung bleiben zu können.
Durch seinen frühen Tod blieb er davor bewahrt.
Das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung. Als die erste Homepage der Volmarsteiner Heimkinder[4] „voll“ war, wies ein Eintrag auf die zweite hin[5] (inzwischen sind es drei[6]): »Diese „alte” Homepage bleibt im Netz. Sie ist ein Dokument der Zeit. Sie dient der Forschung und Mahnung. Freie Arbeitsgruppe JHH 2006« Die Daten der ersten Homepage wurden der Veröffentlichung über Volmarstein[7] als CD beigelegt. Helmut Jacob wollte nicht, dass die Erinnerung an die Demütigungen, Misshandlungen und den sexuellen Missbrauch verschwinden, auch nicht die Verweigerung von Bildung. Seine Texte im Internet sind das würdige Denkmal für diesen unerschrockenen, einsatzbereiten Menschen, für Helmut Jacob.
Fußnoten
[1] http://jacobsmeinung.over-blog.com/2017/10/lisa-p.ist-tot-mein-personlicher-nachruf.html
[2] https://www.wp.de/staedte/herdecke-wetter/stimme-der-geschlagenen-kinder-aus-volmarstein-id11882715.html
[3] So bat er mich regelmäßig um einen Weihnachtsgruß an seine Volmarsteiner Gruppe. Hier der von 2016: https://dierkschaefer.wordpress.com/2016/12/08/weihnachten-eine-illusion-ein-weihnachtsgruss-fuer-kirchengeschaedigte/
[4] http://www.gewalt-im-jhh.de/
[5] http://www.gewalt-im-jhh.de/hp2/index.html
[6] http://www.gewalt-im-jhh.de/hp3/index.html
[7] Rezension: https://dierkschaefer.wordpress.com/2010/03/21/im-herzen-der-finsternis/
Die methodische Zurichtung des Menschen
Was für eine Aufregung! Ich hatte in ein Wespennest gestochen, als ich den Hinweis auf youtube[1] kommentierte mit: „klar, das ist umprogrammierung. wenn’s hilft, so what?“ Ich hatte auf einen Tweed geantwortet. Dann lief’s twittertypisch frei nach Schiller „Und, wie im Meere Well auf Well, so läuft’s von Mund zu Munde schnell“. Die Tweeds und Retweets eroberten mein Postfach. Das Gute an Twitter: Es regt an, sich mit den Hintergründen zu beschäftigen. Das Schlechte: Nach dem Freund-Feind-Schema wird man schablonenhaft eingeordnet – und läuft Gefahr, dieses auch zu tun.
Es ging um eine behavioristische Behandlungsmethode[2] für autistische Kinder, um sie aus ihrer krankheitsbedingten Abkapselung herauszuholen.
Was war bei youtube zu sehen? Eine nervige Therapeutin, nein, eine Therapeutin mit nerviger Methode war bemüht, dem Kind Aufmerksamkeit abzuverlangen und Interaktion aufzudringen; es sollte aufmerksam sein und ihre Gesten nachmachen. Das Ganze sehr hektisch, das Kind eher langsam, doch es wirkte nicht unglücklich. Ich bin kein klinischer Psychologe, darum muss ich mich auf die Ergebnisse solcher Therapien konzentrieren – und die auch kritisch betrachten. Das soll hier angesichts der Vielfalt und Komplexität des Krankheitsbildes Autismus[3] nicht geschehen. Doch der Schlagabtausch auf Twitter wurde grundsätzlich – und ideologisch: »„Programmierung“ ist Mind Control und niemand sollte dieser Gewalt ausgesetzt werden! #noABA / @_Kinderrechte_ @dierkschaefer @QuerDenkender.«
Zunächst zu Programmierung und Mind Control. Da gibt es tatsächlich Überschneidungen.
Das Stichwort Programmierung erinnerte mich an die 70er Jahre, in denen Jugendliche in die Fänge von „Jugendreligionen“ geraten und dort völlig umgepolt waren mit Methoden, die man Gehirnwäsche [4] nannte. Es kam vor, dass Eltern daraufhin ihre Kinder kidnappten und Fachleuten übergaben, um diese Programmierung durch Umprogrammierung rückgängig zu machen.[5]
Das Bild von einem programmierbaren Menschen hat etwas Unheimliches an sich.[6]
Doch wenn es um anerkannte Krankheiten geht und man keinen anderen Zugang findet, könnte Programmierung ja eine Möglichkeit sein, wenn sie es ermöglicht, ein zufriedenstellendes Leben in dieser Gesellschaft zu führen. Schließlich ist Programmierung keine Lobotomie. Doch die Fundamentalkritik richtet sich nicht nur an die bewußt-gezielte Formung menschlichen Denkens. So hat Snowweird einem grundlegenderen Tweed zustimmt: „Wenn doch Erwachsene Erwachsene heißen u. nicht Erzogene, können wir dann aufhören, Kinder zu erziehen, u. sie dafür einfach wachsen lassen?“[7]
Dahinter stecken romantisch-naturverbundene Vorstellungen, ein Kind entwickele sich (wie ein Tier?) von allein. Einfach wachsen lassen … nicht einmal pädagogische Anregungen und Förderungen sind vorgesehen. Man muss das Kind wohl nur satt und sauber halten. Das reicht. Damit kann man sich nicht einmal auf Rousseau berufen, der immerhin meinte, man müsse ein Kind „durch die Notwendigkeit der Dinge erziehen“.[8] Zur Notwendigkeit der Dinge zähle ich auch manches, was Kinder nicht mögen und noch nicht verstehen, wie z.B. Impfungen, Operationen, den Zahnarzt, aber natürlich nicht Beschneidungen oder Ohrstechen, auch nicht das forcierte Training für sportliche oder musikalische Höchstleistungen.
Schwierig wird’s mit den Themen 1. Behinderungen und 2. psychiatrische Diagnosen. Manche fassen diese Dinge ja auch als Auszeichnung auf.
Ad 1: Da wird die Tochter zur „Trägerin des Down-Syndroms“ stilisiert.[9] Ja, geht’s denn noch? Ich komme regelmäßig in eine Einrichtung für Menschen mit Behinderung und sehe was dort los ist: Überwiegend sympathische Menschen unterschiedlichen Alters, die mich teils mit großem HALLO begrüßen, manche reagieren auch gar nicht. Doch auch die Freundlichkeit hat mit den Einschränkungen, hat mit Distanzlosigkeit zu tun. Sie leben in einem Schonraum. Wer Inklusion fordert, ist ahnungs- oder herzlos.
Ad 2: Macht man sich auf die Suche nach Therapiemöglichkeiten für psychisch Kranke, wird man schnell entmutigt. Es gibt eben nur das, was sich auch rechnet. Angefangen von Medikamenten für seltene Krankheitsbilder[10] bis zur Findung einer erkennbar dafür fachkundigen Therapeutin, die nicht nach Beginn der Therapie im ihr zustehenden Mutterschutz verschwindet. Die prinzipielle Austauschbarkeit behavioristischer Therapeuten hat auch ihre Vorteile, – doch auch diese sind ausgebucht. – Kommen aber geistige Behinderung und psychiatrische Erfordernisse zusammen, wird man kaum jemand finden, der hinreichend sachkundig ist. Und wenn, dann beträgt die Wartezeit zuweilen zwei Jahre.
Wozu erziehen wir Kinder – wenn wir sie denn erziehen wollen?[11] Sie sollen lebensfähig gemacht werden für die Welt, in die sie hineinwachsen. Die hat sich gegenüber früher deutlich verändert. Aber immer sind es wirtschaftliche Notwendigkeiten, die über eine erfolgreiche Anpassung entscheiden, früher wie heute.
Entwicklung der Moderne am Beispiel der Lebensgemeinschaft… Hier ist viel Platz und Notwendigkeit für Systemkritik.[12]
Doch abgesehen von den Notwendigkeiten geschieht Erziehung auch unbemerkt. Die Formung der Persönlichkeit beginnt bereits während der Schwangerschaft. Das muss hier nicht näher ausgeführt werden; darüber wurde in der letzten Zeit viel publiziert, angefangen vom Speisezettel bis hin zum Musikgeschmack der werdenden Mutter. Einschneidender ist ihr Drogenkonsum. Die Tatsache, dass kaum noch Trisomiekinder geboren, weil sie abgetrieben werden, ist als Negativauswahl und damit Vorläufer des Designer-Babys[13] zu sehen. Da dürfte in absehbarer Zukunft die Auswahl schwierig werden für das Nobelpreis-Komitee und für die Miss-Germany-Wahl, an die Miss-World gar nicht zu denken.
Wie Kinder für unsere Gesellschaft passend gemacht werden, mit unserem Zutun aber ohne bewußtes Ziel, zeigen die Wissenssoziologen Berger und Luckmann an einem banalen Beispiel. Wie lernt ein Kind, dass es mit der Suppe nicht kleckern soll?[14] Ich weiß; manche Eltern meinen, ihr Kind dürfe, ja müsse mit allem rumschmieren – und machen sich zum Sklaven. Auch das ist Erziehung – aber keine gute. Doch man kann jedes andere Beispiel nehmen: Die Kinder ahmen nach, was man ihnen vorlebt, im Guten wie im Schlechten. Das wird erst mit der Pubertät anders – und diese Freiheit sollte im Erziehungsverständnis enthalten sein, was allerdings in fundamentalistischen Familen recht selten sein dürfte. Fundamentalismus hat viele Spielarten, nicht nur klassisch religiöse.
Selbstverständlich übernehmen unsere Kinder auch unser Wertesystem und unsere Weltanschauung, sei sie liberal, sozial, konservativ, fromm, bigott – oder wie auch immer. Sie lernen an unserem Vorbild und wir freuen uns, wenn sie so werden wie wir. Das ist normal; so reproduziert sich Gesellschaft.
Die Spitze war, dass jemand dieser namhaften Twitterer[15] in meinem Profil gesehen hatte, dass ich – nicht nur, aber auch – Pfarrer bin. Eine gewisse Angie R.[16] twitterte:
„Kinder sollten überall auf der Welt geschützt werden von Religion, Politikern & Pädophilen“. Damit war alles klar und ich fand mich in illustrer Gesellschaft. Pfarrer sind wie Pädophile. Sie missbrauchen Kinder[17], wenn nicht körperlich, so doch seelisch mithilfe von Religion. Religion formt, sie deformiert das Kind, und das darf nicht sein. Wenn schon Religion, dann soll das Kind später selber entscheiden können, ob und wie religiös es sein will. Denn Religion ist Entscheidungssache wie der Kleiderkauf. Paßt der Islam zu mir, oder der Buddhismus, vielleicht Hindu oder Stammesreligion, wenn Islam, dann Sunna oder Schia, oder vielleicht doch das Christentum, aber welche Konfession? [18]Bei der unübersichtlichen Auswahl, lassen wir’s vielleicht doch lieber gleich ganz. – Ich vermute Zustimmung.
Zu dieser Naivität, fast hätte ich gesagt sancta simplicitas, gesellt sich seit einiger Zeit und besonders im Netz, eine Geisteshaltung, die ich nur als gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit auffassen kann.[19] Wurden Pfarrer früher eher als weltfern-fromme Naivlinge hingestellt, so begegnet uns im Netzdiskurs zudem eine zunehmende Feindseligkeit, die sich nicht nur auf die Rolle der Kirchen beschränkt, sondern Christentum und Religion allgemein ins Fadenkreuz nimmt. Die Diffamierung im genannten Tweed ist aber nicht weiter erstaunlich. Da sehr viele, wenn nicht die meisten Menschen, von Religion und Theologie wenig oder keine Ahnung haben, können sie nicht wissen, dass ein Theologiestudium eine gute Grundlage abgibt, ideologiekritisch zu werden, auch gegenüber der eigenen Weltanschauung.
So bastelt man naiv und munter seine eigene Ethik, völlig unbeleckt von der Spannung zwischen Gesinnung und Verantwortung: Es komme nicht auf den Erfolg einer Therapie an, sondern auf ihre Ethik. Es ist ja lobenswert, dass Ethik als nötig erachtet wird. Selbstverständlich rechtfertigt der Zweck nicht jedes Mittel. Wenn man aber erfolgreiche Alternativen hat, die ethisch besser sind, um so besser – doch nur dann.
[1] https://www.youtube.com/watch?v=SLBLnNxzftM
[2] „Applied Behavior Analysis“ (ABA), https://de.wikipedia.org/wiki/Applied_Behavior_Analysis Man beachte den Hinweis auf die Diskussionsseite
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Autismus Ich zitiere Wikipedia, von dort aus kann man weitersuchen.
[4] Gehirnwäsche https://de.wikipedia.org/wiki/Gehirnw%C3%A4sche
[5] Hier greife man auf ein Beispiel von programmierenden Erziehern zurück: https://de.wikipedia.org/wiki/In_den_F%C3%A4ngen_einer_Sekte
[6] Die scientologische Parallelwelt: https://dierkschaefer.wordpress.com/2013/09/02/gefangen-in-der-parallelwelt/
[7] Glory Illmore @_machtworte 18. Dez. 2014
[8] https://de.wikipedia.org/wiki/Emile_oder_%C3%BCber_die_Erziehung
[9] Defizite darf man nicht sehen oder gar als solche ansprechen. Dazu https://de.wikipedia.org/wiki/Ableism .
[10] Es geht nicht nur um Ökonomie. So werden für Kinder die Medikamente der Erwachsenen meist nur unter Berücksichtigung von Alter oder Körpergewicht angepasst, also off label angewendet, denn an Tests mit Kindern wagt man sich heute nicht mehr heran.
[11] »Hätten nicht die neuen Generationen unaufhörlich gegen die ererbte Tradition revoltiert, würden wir noch heute in Höhlen leben; wenn die Revolte gegen die ererbte Tradition einmal universell würde, werden wir uns wieder in den Höhlen befinden.« Leszek Kolakowski
[12] Empfohlen sei: Hubert Treiber/Heinz Steinert, Die Fabrikation des zuverlässigen Menschen – Über die „Wahlverwandtschaft“ von Kloster- und Fabrikdisziplin, München 1980, neu: Münster 20051
[13] Die Präimplantationsdiagnose und das Embryo-Screening könnten zu einer regelrechten sexuellen und genetischen Selektion führen (sog. Designer-Babys). Wenn Eltern in die Lage versetzt werden, bestimmte Eigenschaften ihrer künftigen Kinder auszuwählen, dann würden sie dies ausnutzen, um intelligentere, größere und schönere Kinder zu haben. : https://de.wikipedia.org/wiki/Francis_Fukuyama
[14] Die primäre Sozialisation bewirkt im Bewußtsein des Kindes eine progressive Loslösung der Rollen und Einstellungen von speziellen Anderen und damit die Hinwendung zu Rollen und Einstellungen überhaupt. Für die Internalisierung von Normen bedeutet zum Beispiel der Übergang von »Jetzt ist Mami böse auf mich« zu »Mami ist immer böse auf mich, wenn ich meine Suppe verschütte« einen Fortschritt. Wenn weitere signifikante Andere – Vater, Oma, große Schwester und so weiter – Mammis Abneigung gegen verschüttete Suppe teilen, wird die Gültigkeit der Norm subjektiv ausgeweitet. Der entscheidende Schritt wird getan, wenn das Kind erkennt, daß jedermann etwas gegen Suppeverschütten hat. Dann wird die Norm zum »Man verschüttet Suppe nicht« verallgemeinert. »Man« ist dann man selbst als Glied einer Allgemeinheit, die im Prinzip das Ganze einer Gesellschaft umfaßt, soweit diese für das Kind signifikant ist. Das Abstraktum der Rollen und Einstellungen konkreter signifikanter Anderer ist für die Sozialpsychologie der generalisierte Andere9. Das Zustandekommen solcher Abstraktion im Bewußtsein bedeutet, daß das Kind sich jetzt nicht nur mit konkreten Anderen identifiziert, sondern mit einer Allgemeinheit der Anderen, das heißt mit einer Gesellschaft. Nur kraft dieser allgemeinen Identifikation gewinnt seine eigene Selbstidentifikation Festigkeit und Dauer. Es hat nun nicht nur eine Vis-à-vis-Identität diesem oder jenem signifikanten Anderen gegenüber, sondern überhaupt Identität, die es subjektiv als gleichbleibend erfährt, welchen anderen, signifikant oder nicht, es auch begegnet. Diese von nun an kohärente Identität vereinigt in sich all die verschiedenen internalisierten Rollen und Einstellungen – unter anderem auch die Selbstidentifizierung als jemand, der seine Suppe nicht verschüttet. Das erwachende Bewußtsein für den generalisierten Anderen markiert eine entscheidende Phase der Sozialisation. Sie bedeutet, daß die Gesellschaft als Gesellschaft mit ihrer etablierten objektiven Wirklichkeit internalisiert und zugleich die eigene kohärente und dauerhafte Identität subjektiv etabliert wird. Gesellschaft, Identität und Wirklichkeit sind subjektiv die Kristallisation eines einzigen Internalisierungsprozesses. Diese Kristallisation ergibt sich im Gleichschritt mit der Internalisierung von Sprache. Sprache ist aus Gründen, die nach unseren einschlägigen Erörterungen evident sein dürften, sowohl der wichtigste Inhalt als auch das wichtigste Instrument der Sozialisation. – aus: Peter L. Berger, Thomas Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, Eine Theorie der Wissenssoziologie, in der Reihe: Conditio humana, Ergebnisse aus den Wissenschaften vom Menschen, Herausgegeben von Thure von Uexküll, Ilse Grubrich-Simitis, Frankfurt 19744
[15] Da gibt es ganz ehrenwerte Namen wie: Erdrandbewohner, Sandra M., Butterblumenland, Querdenkender, AleksanderKnauerhase, AnitaWorks, Phodopus Sungorus, Sternensucher, Aad Aspie, Robo, Martschl, Denise Linke, Fusselchen, Herr Bräsicke, Laura Gentile, Snowweird, die Buddy-Photos wie auch die Twitter-Adressen sind in hohem Grade aussagekräftig.
[16] Ihr Profil bei Twitter zeigt ein Ei auf grünem Hintergrund, die Angabe weiblich, NRW und ihre Tweed-Adresse: https://twitter.com/Libelle2000R . Dort kann man auch ihre sonstigen Beiträge sehen.
[17] Das lesen wir ja fast täglich in der Zeitung und die katholische Kirche darf man sogar ungestraft Kinderficker-Sekte nennen. http://www.vaticanista.info/2012/02/16/katholikenfeindliches-urteil-rechtskraftig/
[18] Ich bitte um Entschuldigung, dass ich nicht alle Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften aufgeführt habe, und gebe zu, dass dies Diskriminierung zugunsten der Mainstream-Religionen ist.
[19] https://de.wikipedia.org/wiki/Gruppenbezogene_Menschenfeindlichkeit
„Schnelle Entschädigung für ehemalige Heimkinder mit Behinderung nötig“
Da ist schon einmal das Wort Entschädigung falsch. Denn die gibt es nicht, auch nicht für ehemalige Heimkinder, die ohne Behinderung von ihren kirchlichen und staatlichen Erziehern fürs Leben behindert wurden.
Was ist noch falsch? Die Piraten haben die Forderung erhoben[1]. Piraten, das ist so, wie wenn es die LINKE gefordert hätte. Das ist für die ehrenwerten anderen Interessenvertreter, äh, die Vertreter anderer Interessen im Bundestag – na ja, was ist das schon?!
Das kann ja nix werden.
[1] http://www.kobinet-nachrichten.org/de/1/nachrichten/31290/Schnelle-Entsch%C3%A4digung-f%C3%BCr-ehemalige-Heimkinder-mit-Behinderung-n%C3%B6tig.htm
“ EINE UNGLAUBLICHE GESCHICHTE“
Aus einem Mail von Uve Werner:
Heute haben wir , mit weiteren 2 ehemaligen Heimkindern, einer geistig und körperlich behinderten Frau geholfen und ihr einen Kleiderschrank ein Wohnzimmertisch und ein Bett besorgt und aufgebaut.
Sie war seinerzeit in „Schloß Dillborn“ bei Viersen in einem Heim.
Trotz ihrer Behinderung, ist sie jeden Tag ehrenamtlichg in der Küche einer Schule tätig.
Nachdem wir fertig waren, erfuhren wir bei Kaffee und Kuchen, etwas mehr über sie. z.B. das sie trotz ihrer Behinderung jahrelang nur auf einer Matratze geschlafen hat. Weil diese für sie zu niedrig war, verständlich, hat sie noch Steppdecken unter die Matratze gelegt, damit sie etwas höher lag.
Den Wohnzimmertisch, welchen sie vorher hatte, war ausgeliehen und so hat sie mit ihrem ganzen Stolz, den neuen Tisch für uns gedeckt gehabt.
Sie wohnt in einer Sozialwohnungs-Siedlung, mit einem hohen Ausländeranteil in Mönchengladbach. Auffallend war jedoch, dass dort viele hochwertige Autos geparkt waren. Welch ein krasser Gegensatz! Sozial-u.Flüchtings-Wohnungen, aber Mercedes, VAN, Audi… bester Klasse! Daneben ein deutsches ehemaliges Heimkind, mit mal gerade dem notdürftigsten ausgestattet.
Ich habe sie beim Hilfsfond in Köln angemeldet, sodass sie wohl auch nach Monate langer Wartezeit 10.000 Euro erhält, für dass, was man, wie vielen anderen HK auch, an Leid zugefügt wurde.
Wer diese Frau heute gesehen hätte, wie sie vor Stolz über die Möbel, geweint hat und dennoch von dem wenigen Geld uns bewirtet hat und ein unwahrscheinlich nettes Wesen an sich hat, der kann eigentlich nur noch wütender werden, auf Staat und Kirche.
Stolz bin ich aber auch, auf die beiden ehemaligen Heimkinder aus Mönchengladbach, welche trotz eigener Behinderung, geholfen haben und hinterher gesagt haben:
„Es hat uns Stolz gemacht, dass wir dieser Frau heute helfen konnten.“
Anträge an das Jobcenter, Versorgungsamt, Rentenversicherung usw. gehen Montag raus!!!
Ich schreibe dies, weil diese Frau, wieviele andere auch, damals als Heimkind Opfer war und heute erneut Opfer eines ungerechten Sozialstaates ist.
Ich musste dies jetzt schreiben, weil man so ein Erlebnis wie heute, nicht alleine verdauen kann und ich dazu ermahnen möchte, generell zu helfen, wo Hilfe dringend nötig ist.
Diese Frau gehört nicht zur Kategorie „Sozialschmarotzer“ und für dass damalige erlittene Leid in den Heimen, ein Recht darauf hat, heute und für den Rest ihres Lebens, menschenwürdig und sorgenfrei leben zu dürfen.
Daher poste ich solche Geschichten immer und immer wieder, als MAHNUNG und Forderung!!!
Antragsmeldefrist für den Heimfond ist für:
HK Ost 30.September 2014
HK West 31. Dezember 2014
NICHT VERGESSEN UND WEITERSAGEN!!! Liken und Teilen
Mißbrauch Behinderter – Ein Fall, der Fragen aufwirft
»Der 14-jährige Tobias gab seiner Mutter nach einem Vormittag mit einem Betreuer zu verstehen, dass sexuelle Handlungen vorgefallen waren – aber die Staatsanwaltschaft stellte ihre Ermittlungen wegen sexuellen Missbrauchs ein und verzichtete auf eine Anklage«[1].
Hier nur kurz die Falldarstellung, wie sie sich aus dem Zeitungsbericht ergibt, Zitate in kursiv:
Tobias kann nicht sprechen. Er versteht, was man ihm sagt, verständigt sich aber nur mit Lauten, den Händen, den Augen und einem Sprachcomputer. Als seine Mutter an diesem Vormittag zurückkam, wollte er ihr zeigen, was er gelernt hatte. Er sah sie an, dann griff er sich zwischen die Beine und rieb durch die Hose an seinem Geschlechtsteil, ging zum Betreuer und fasste auch ihm in den Schritt. „Tobias hat mich strahlend und stolz angesehen“, sagt die Mutter. Er habe das als Spiel begriffen … bis die Mutter das „Spiel“ unterbrach. Tobias verstand nicht und fing an zu weinen.
Die Mutter schaltete die Polizei ein und erhob Anzeige. Die Staatsanwaltschaft wusste nicht so recht mit Tobias’ Behinderung umzugehen und beauftragte eine Rechtspsychologin, die den Jungen einschätzen sollte. Gute zwei Stunden beobachtete sie ihn – ohne ihn nennenswert zu testen. Die meiste Zeit spielte er mit ihrem Handy. Danach sprach sie nochmals mit der Mutter und fällte ihr schriftliches Urteil auf knappen neun Seiten: Tobias könne wegen der geistigen Behinderung „keine verlässlichen Angaben“ machen.
Cornelia Orth, selbst Gutachterin und im Vorstand der Sektion Rechtspsychologie des Berufsverbands Deutscher Psychologinnen und Psychologen (sagt): Fünf- bis zehnmal so viele Seiten, umfassendere Erörterungen und Vergleichsproben wären nötig für eine schlüssige Begründung, warum Tobias nicht aussagetüchtig sei – das nämlich sei sehr selten. Und bei geistig Behinderten müsse man den Anspruch senken. „Es ist ähnlich wie mit kleinen Kindern“. Zeit aber haben sich weder die Staatsanwaltschaft noch die Rechtspsychologin genommen. Deren dünne Beurteilung reichte der Behörde schließlich, um auf eine Anklage zu verzichten – trotz all der Hinweise auf einen möglichen Missbrauch.
Soweit der Fall, und nun zu den Fragen
1. Die Justiz
Hier wurde die Sorgfaltspflicht verletzt. Die Staatsanwaltschaft hat den bequemen Weg gewählt, einen komplizierten Fall vom Tisch zu bekommen. Sie war nicht in der Lage oder nicht willens, die Dürftigkeit des Gutachtens zu erkennen. Genauer noch: Sie hat von Beginn an, schon bei der Auswahl der Gutachterin, sachunangemessen entschieden und nicht erkannt, daß auch ein Mensch mit Behinderung vor dem Gesetz gleich sein sollte, auch wenn es schwieriger ist, mit ihm zu reden. Fremdsprachlern stellt man ja auch einen Dolmetscher, weil dies zu den Grundrechten gehört, nämlich einem Verfahren folgen und sich selbst verständlich machen zu können. Das Denken, nach dem Inklusion Aufwand und Kosten verursachen darf, ist bei dieser Staatsanwaltschaft noch nicht angekommen.
2. Die Psychologen/Gutachter
Wer je auf der Suche nach Psychologen oder Gutachtern für spezielle Fallkonstellationen war, kennt das Problem. Man muß sich selber ein Bild zu machen versuchen, wer für den jeweiligen Fall infrage kommen könnte. So kenne ich es von der Suche nach speziell qualifizierten Traumatherapeuten, aber auch von der Suche nach Therapeuten, die sich mit Menschen mit geistiger Behinderung auskennen. Es gibt nur Selbstauskünfte, aber keine unabhängigen Qualifikationshinweise, verbunden mit der Verpflichtung zu einschlägiger Fortbildung, wie wir es immerhin bei den Fachanwälten haben. Hier ist der Berufsverbands Deutscher Psychologinnen und Psychologen aufgerufen, Transparenz zu schaffen[2]. Bis dahin können sich Staatsanwaltschaften und Gerichte darauf berufen, jeden psychologischen Gutachter nach eigenem Gusto für qualifiziert zu halten.
3. Nun kommt der heikelste Punkt. Darum eine Vorbemerkung: Nach dem Zeitungsbericht gehe ich davon aus, daß ein Mißbrauch stattgefunden hat und daß er sanktioniert gehört. Daß die Staatsanwalt hier nicht mit der nötigen Sorgfalt ermittelt hat, ist nicht hinnehmbar, ist skandalös. Unabhängig davon ist zu fragen, ob die Mutter nicht für die größere Verstörung gesorgt hat. „Tobias hat mich strahlend und stolz angesehen“, sagt die Mutter. Er habe das als Spiel begriffen … Es wäre in einem Fall wie diesem vielleicht besser gewesen, sie hätte es dabei belassen und der Lebenshilfe einen Hinweis auf ihren ehrenamtlichen Helfer gegeben.
Was mir wichtiger erscheint ist die Frage, wie wir als Gesellschaft, wie wir in den Familien mit der Sexualität von Menschen mit Behinderung umgehen. Das wird besonders schwierig, bei geistigen Behinderungen. Da können wir nicht ohne weiteres „Beglückungsprogramme“ starten. Schwierig aber auch bei Menschen mit Behinderungen, die von ihrer Mobilität her nicht in der Lage sind, ohne Hilfe sexuelle Befriedigung zu erfahren, dazu gehört auch die Finanzierbarkeit sexueller Dienstleistungen. Es scheint uns noch nicht hinreichend bewußt zu sein, daß wir von solchen Menschen eine Art Zwangszölibat erwarten, obwohl auch sie ein Recht auf sexuelle Erfüllung haben[3], denn dieses Recht gehört zu den Grundrechten, niedergelegt in der US-amerikanischen Unabhängigkeitserklärung: „Life, Liberty and the pursuit of Happiness“. „Wir halten diese Wahrheiten für ausgemacht, daß alle Menschen gleich erschaffen wurden, daß sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten begabt wurden, darunter Leben, Freiheit und das Bestreben nach Glückseligkeit.“[4] Diese Frucht der Aufklärung stieß und stößt zwar immer noch auf den Widerstand von Religion und Kirche, doch das sollte uns nicht abhalten, sie einzufordern, auch für Menschen mit Behinderung, soweit diese es wollen.
[2]Unabhängig davon: Hat man schließlich einen vermutlich qualifizierten Menschen gefunden, so stößt man oft (meist?) auf eine Warteliste von bis zu zwei Jahren.
[3] Helmut Jacob, Dierk Schäfer, Unfreiwillig im Zölibat, wird demnächst veröffentlicht.
[4] Hervorhebung vom Verfasser
Die Illusion der Inklusion
„Inklusion heißt: Schmetterlinge im Bauch“, so steht es, lesen wir, auf einem Plakat, das für Inklusion wirbt. Es zeigt ein hübsches Mädchen, das einen Jungen anlächelt. Der sitzt im Rollstuhl, das Mädchen nicht. Ein Reklameplakat. Doch zwischen Reklame und Realität liegen, wie wir wissen, oft Welten.
Was also ist Inklusion? »Inklusion heißt der Ansatz, behinderte und nicht behinderte Kinder zusammen zu unterrichten«.
Eine ähnliche Diskussion kennen wir, und sie ist noch nicht abgeschlossen. Dort geht es um die Gesamtschule oder zumindest um eine Gemeinschaftsschule bis zu Klasse 10, an die sich dann eine gymnasiale Oberstufe anschließen kann. Dahinter steht die Illusion, daß mehr Kinder zum Abitur geführt werden können, wenn man sie nicht bereits nach der vierten Klasse nach Leistungsstand und Prognose voneinander trennt und sie den klassischen drei Schultypen zuweist. Das führt zu heterogenen Lerngruppen, denen dann innerhalb einer Klasse Rechnung zu tragen ist, damit die lernschwachen wie die hochbegabten Schüler eine ihnen angemessene Förderung erhalten. Wer auf dies Problem hinweist, bekommt zur Antwort, daß die Lehrer eben in der Art einer Binnendifferenzierung darauf eingehen müssen. Das erfordert häufig eine dreifache Vorbereitung der Lehrer – die warten geradezu auf Lernverhältnisse, wie sie in zwei- oder gar einklassigen Volksschulen geherrscht haben. Doch wir haben hier eine ideologische Konfrontation zwischen rot-grün und schwarz-gelb, und angesichts der Popularität des Gedankens, Kinder seien Kinder und dürften nicht auseinanderdividiert werden, wird die CDU-Volkspartei nachgeben, letztlich zum Schaden nicht angemessen geförderter Kinder und unseres Wirtschaftsstandortes. Doch die nächsten Wahlen sind immer näher als die Zukunftsperspektiven.
Heftiger zeigen sich die Probleme bei der Inklusion. Der ausführliche Artikel von Dorit Kowitz[1] zeigt das Hauptproblem auf. Kinder sollen auf das Leben vorbereitet werden, und das Leben kennt keine Inklusion. Die Chancen von Kindern mit Behinderung werden durch die Inklusion, je nach Art der Behinderung nur sehr bedingt besser. Doch die Ideologen sehen Behinderung ausschließlich unter dem Aspekt, daß Menschen nicht behindert sind, sondern erst behindert werden.[2] Darin liegt die Illusion, koste sie, was sie wolle. Um die Finanzierung streitet man ohnehin noch und wird sie zulasten der für die Inklusion geforderten Qualität lösen. Wichtiger aber: Zulasten der Kinder, behindert oder nicht.
Der Junge im Rollstuhl wird mutmaßlich weniger Chancen bei der Bewerbung haben, als seine Klassenkameraden, sei es um den Arbeitsplatz, sei es bei der Partnerwahl. Er wird es wahrscheinlich aber schon wissen und den Traum, den Andere für ihn träumen, gar nicht erst mitträumen. Ich weiß leider, wovon ich spreche.
Egal, ob Gemeinschaftsschule oder Inklusion: Warum trainiert der VfB-Stuttgart eigentlich nicht mit dem Bad Boller Fußballverein?
[1] Dorit Kowitz, Behinderte Schüler: Wie viel anders ist normal? http://www.zeit.de/2013/13/Inklusion/komplettansicht
„Du kannst das nicht – du bist behindert“
Eine mehr als beeindruckende Lebensleistung! Dirk Bergen, durch Spastik behindert, belegt in seinem Buch [1]und mit seinem Leben die Relativität des Begriffs „Behinderung“.
Nun kennt man den Slogan, ein Mensch sei nicht behindert, sondern er werde behindert. Das ist eine üble Vereinfachung und ein Affront für alle Menschen mit Behinderung, die nicht über die Lebensenergie und den Durchsetzungswillen von Dirk Bergen verfügen.
Ulrike Winkler geht in ihrer neuen Studie [2]für den Begriff Behinderung von den Disability Studies aus. „In Abgrenzung zum medizinischen Modell des Behindert-Seins als individuelles körperliches Defizit, aber auch in Weiterentwicklung des soziologischen Modells des Behindert-Werdens als Ausdruck sozioökonomischer Strukturen und Prozesse fasst die kulturalistisch angelegte Disability History Behinderung als soziokulturelle Konstruktion. … Körperliche und psychische Einschränkungen haben selbstverständlich Anteil an der Konstruktion von „Behinderung“, aber hinter jeder sichtbaren oder unsichtbaren Materialität stehen immer auch kulturelle Werte, Erwartungen, Narrative, Diskurse, Gewohnheiten, emotionale Ressourcen und Praktiken. Insofern hat „Behinderung“ neben einer materiellen immer auch eine diskursive Dimension, eine Dimension, die in einem zeit- und wertgebundenen Prozess von der Gesellschaft und vom Einzelnen konstruiert wird“.
Ein Behinderung genanntes Defizit einer Person ist also der Anknüpfungspunkt für die weitere Behinderung und Einschränkung der Lebensmöglichkeiten der betreffenden Person. Damit wird „Behinderung“ zu einer Aufgabe, die dem Menschen mit Behinderung um so besser gelingt, wenn die Menschen in seinem Umfeld, wenn die Gesellschaft im weiteren Sinne und die staatlichen Einrichtungen die Aufgabe erkennen und als solche annehmen. Wenn das gelingt, kommt es nicht zur Exklusion aus Gesellschaft, politischer Teilhabe, Beschäftigung, oder gar aus der Familie.
[1] http://www.badische-zeitung.de/liebe-familie/dirk-bergens-kampf-fuer-ein-selbstbestimmtes-leben-mit-behinderung–70303954.html [Freitag, 29. März 2013]
[2] Ulrike Winkler „Es war eine enge Welt“ Menschen mit Behinderungen, Heimkinder und Mitarbeitende in der Stiftung kreuznacher diakonie, 1947 bis 1975
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