Dierk Schaefers Blog

Traumatisierende Erinnerungen – Ein Dilemma

Er bürge dafür, sagte Detlev Zander, dass ihm Missbrauchsopfer aus Korntal berichtet haben, ihnen seien Gutscheine als Kompensation für erlittenes Unrecht angeboten worden. Aber Zander ist selber Partei in einer Situation nicht völlig klarer Konfliktlinien, schließlich ist auch die Opferseite gespalten. Von dort kommt auch die Schlussfolgerung: Wenn Zander niemand benennen kann, stimmen seine Vorwürfe nicht.

Dies ist ein altes Dilemma in der Heimkinder – und Missbrauchsdiskussion. Erinnerungen können triggern und Retraumatisierungen auslösen. Das erklärt zum einen das lange Schweigen oft über Jahrzehnte hinweg; das erklärt auch die Zurückhaltung nun, in der allgemeinen Aufarbeitungsphase, seine Erfahrungen offen vorzutragen. Doch mit anonym bleibenden Vorwürfen kann man vieles behaupten, sagen nicht nur die Gegner, die nicht zahlen wollen.

Streng genommen kommt man aus diesem Dilemma nicht heraus. Wer fordert muss erkennbar sein – oder klein beigeben.

Nimmt man es nicht so streng, wäre eine Vertrauensperson eine Hilfe, eine Vertrauensperson, der beide Seiten vertrauen, dass sie nicht falsch spielt, die aber nach beiden Seiten hin ihre Kritikfähigkeit bewahrt. Doch so wie ich das sehe, würde eine solche Person heftig unter Beschuss genommen, wenn sie ihre Kritikfähigkeit fallweise unter Beweis stellt. Doch oft werden Personen, die für diese Aufgabe in Blick genommen oder sogar beauftragt werden, schon vorher „verbrannt“.

Eine halbe Wahrheit ist eine ganze Lüge

Posted in Geschichte, Kirche, Kriminalität, Menschenrechte, Politik, Theologie by dierkschaefer on 16. Dezember 2013

Dieses amerikanische Sprichwort fiel mir beim Spaziergang durch die Gartenanlage der Diakonie Kork ein[1]. Ein ästhetisch ansprechendes Denkmal erinnert an „113 Menschen, Erwachsene und Kinder“ die 1940 „unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft weggeholt und umgebracht [wurden], weil sie behindert waren“[2]. Dieses wird wohl korrekt dargestellt sein. Auf der Homepage der Einrichtung ist nichts darüber zu finden. „Unsere Einrichtung wurde im Jahr 1892 als „Heil- und Pflegeanstalt für epileptische Kinder“ gegründet. Entsprechend der begrenzten Möglichkeiten einer medikamentösen Beeinflussung von Anfällen stand über viele Jahrzehnte der Pflegeaspekt im Vordergrund“. Und dann geht es nahtlos über zu 1967: „Eine neue Ära begann 1967…“[3].

Aus der Ära davor stammt der Wandspruch Gott der Herr ist Sonne und Schild [4]. War er aber nicht für die Heim-Insassen. Die waren zwar Schutzbefohlene, und doch wurden sie damals nicht geschützt, sondern weggeholt, ins Gas oder zur Todesspritze. Wer sie wegholte, ist klar, aber warum wurden diese 113 Menschen, Erwachsene und Kinder, von niemandem geschützt?

Es geht hier nicht um Anklagen gegen die Generation, die in einer fürchterlichen Zeit lebte und den nötigen Mut nicht aufgebracht hat. Wir wissen nicht, ob wir mutiger gewesen wären. Aber: Warum gehen die heute Verantwortlichen der Einrichtung nicht mutiger mit dieser Geschichte um?

Wir bilden aus, wir bilden weiter, heißt es auf der Homepage. Eine „Evangelische Fachschule für Heilerziehungspflege“ ist Bestandteil der Diakonie Kork.[5] Wenn die Auszubildenden nicht erfahren, was der Anteil der Anstalt an der Verschleppung und Ermordung der anvertrauten hilflosen Personen ist, wie sollen sie dann ihre Verantwortung ermessen, die weiter gefaßt sein kann, als die jeweils aktuelle Gesetzeslage und die Machtverhältnisse es nahelegen?

 

„Wir lassen uns mahnen, das von Gott Gegebene zu achten, zu lieben und zu fördern, gerade wenn es schwach und krank ist“, steht auf der anderen Seite der Stele. Doch ein ansprechend gestaltetes Denkmal „klingt“ hohl, wenn die Schuldseite aus der Vergangenheit schamhaft verschwiegen wird.


Der Fortschritt ist eine Schnecke – …

Posted in Geschichte, Gesellschaft, heimkinder, Kinderrechte, Politik, Psychologie, Soziologie by dierkschaefer on 10. März 2013

… der Fortschritt der Erkenntnis auch.

Im Artikel heißt es: »Elbert beschäftigt sich mit diesen Fragen seit Ende der neunziger Jahre. In einem Urlaub in Zimbabwe traf er ein Team von Ärzte ohne Grenzen. Schnell entspann sich eine Debatte darüber, dass man doch so wenig über Kriegstraumata wisse, eigentlich müsse sich mal einer der Frage annehmen.«

http://www.spiegel.de/unispiegel/jobundberuf/der-konstanzer-psychologethomas-elbert-begeistert-seine-studenten-a-883388.html

 

Entgegen der Kenntnis der hier genannten Ärzte sind Kriegstraumata spätestens seit dem Ersten Weltkrieg bekannt. Die Betroffenen wurden „Kriegszitterer“ genannt und als Simulanten postwendend an die Front geschickt. Spätestens im Vietnam-Krieg tauchte das Thema wieder auf und wurde ansatzweise erstmals ernstgenommen. Für meine Tagung „Kriegskinder gestern und heute“ im April 2000 konnte ich eine Reihe von Referenten gewinnen, die seit Jahren zu der Thematik arbeiteten. Die Journalistin Sabine Bode berichtete dort von einem internationalen Kongreß in Hamburg im Jahre 1993 über „Kinder als Opfer von Krieg und Verfolgung“. Seit 1994 gibt es die beeindruckende Publikation von Peter Heinl „Maikäfer flieg, dein Vater ist im Krieg – Seelische Wunden aus der Kriegskindheit“, und die Psychotherapeutin Herta Betzendahl beschäftigte sich schon in den 80er Jahren mit der „Psychotherapie lange zurückliegender Traumen“.

Warum die Beschweigung von Kriegstraumen in der  deutschen Wahrnehmung und deutschsprachigen Wissenschaft? Das Thema rührte schmerzhaft an die eigene Geschichte. Da Deutschland dank der Nazis am Krieg und den Greueln schuld war, wurden die eigenen Traumatisierungen verdrängt. Prof. Radebold referierte auf der Folgetagung „Kriegsbeschädigte Biographien und öffentliche Vergangenheitsbeschweigung“ im Jahr 2001, er sei zusammen mit seinem Lehrtherapeuten in 300 Sitzungen nie auf das Thema seiner eigenen Kriegstraumatisierung gekommen, sie beide seien blind dafür gewesen.

Die späte Erkenntnis über Kriegstraumata ist die Folie für den Umgang mit den Kinderheimtraumatisierungen: Erst wollte sie keiner offenbaren, wegen der gefühlten Retraumatisierungsgefahr, dann wollte man sie nicht wahrnehmen (die Heime waren doch o.k.), dann möglichst nicht wahrhaben (denn das hätte Konsequenzen gehabt), und jetzt, so peu à peu, hat man Augen und Ohren dafür, drückt sich aber um die finanziellen Konsequenzen.

Auch die Veteranen der US-Kriege werden zumeist mit billigen Pillen abgespeist – und die entlastende Gedenkstätte für unsere Afghanistan-Veteranen wurde auch schon installiert.