Dierk Schaefers Blog

Betreuungsrecht hebelt Eheversprechen aus

Posted in BRD, Ethik, Kirche, Recht, Staat, Theologie by dierkschaefer on 10. November 2015

„In Freud und Leid – bis dass der Tod uns scheidet“? Pustekuchen. Das Betreuungsgericht nimmt uns die Verantwortung ab.

Das Seniorenmagazin stellt einen Fall vor.[1]

Ein 85-jähriger Pensionär erlitt »an einem Wo­chenende einen Schlagan­fall. Ganz selbst­verständ­lich begehrte die Ehefrau vom behandelnden Arzt Auskunft über die Folge der Erkrankung. Sie bat den Arzt, den Willen ihres Mannes, keinen operativen Eingriff vorzunehmen, zu respektieren.

Da sie weder eine Patien­tenverfügung noch eine Vorsorgevollmacht vorwei­sen konnte, erteilte der Arzt ihr weder Auskunft noch entsprach er dem Wunsch nach Unterlassen ärztlicher Eingriffe. Er ver­langte die Vorlage einer Entscheidung des Betreu­ungsgerichtes. Das Betreu­ungsgericht aber lehnte die 83-jährige Ehefrau als Betreuerin mit der Begrün­dung ab, sie sei wegen ih­res hohen Alters „ungeeig­net“ für die Übernahme dieser Aufgabe. Es setzte stattdessen einen Behör­den- beziehungsweise Be­rufsbetreuer ein. Eine Ent­scheidung, die für die Ehe­frau nach fast 60-jähriger Ehe und für ihre Familie unfassbar war. Die Folge war eine über Monate an­dauernde rechtliche wie verbale Auseinanderset­zung mit Gericht und Be­treuer.

Die Ehefrau war davon ausgegangen, dass die nach Art. 6 Grundgesetz unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung stehende Ehe und Familie die gegenseiti­ge Fürsorge ausdrücklich umfasse. In der Auseinan­dersetzung mit dem Ge­richt berief sie sich auf § 1353 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), wo­nach Eheleute einander zur ehelichen Lebensgemein­schaft verpflichtet sind; sie tragen füreinander Verant­wortung.«

Der Autor zieht das Fazit, dass der Normalfall offenbar nicht das Vertrauen auf die Ange­hörigen ist , sondern das Misstrauen. Liege keine entsprechende Vollmacht vor, werde das seinen Grund haben, nämlich dann – so die Unterstellung – sei das ein Misstrauensbeleg.

Fazit der betroffenen Frau nach der monate­langen Auseinanderset­zung: »„Man hat mit dem Betreuungsrecht die ,Ent­mündigung der Betroffe­nen’ nach altem Recht be­seitigt, gleichzeitig aber die Angehörigen entmün­digt“. Sie vertritt die Auf­fassung: „Fehlt eine schriftliche Willenserklä­rung, könne unterstellt werden, dass es der vor­rangige Wille des Ehepart­ners beziehungsweise der Kinder ist, dass eine Be­treuung durch die engsten Familienmitglieder ausge­übt wird“.«

Das Seniorenmagazin schlussfolgert: »Das geltende Recht schließt eine automatische gesetzliche Vertretung, ei­ne Handlungsvollmacht zwischen Ehepartnern oder mit Kindern aus. Nach Bekundung vieler unserer Mitglieder ist der Grund­satz: „Ohne Vollmacht kei­ne Vertretung“ eine Fehlinterpretation der Grund­rechtslage. Der Umkehr­schluss sollte gelten: Nur eine Vollmacht ändert den Automatismus. Es ist zu fordern, dass im Fall der Geschäftsunfähig­keit beziehungsweise der Unfähigkeit, seinen Willen frei zu äußern beziehungs­weise danach zu handeln, der noch handlungsfähige Ehepartner beziehungs­weise die Kinder durch das Eheversprechen oder infol­ge der Blutsverwandt­schaft automatisch eine rechtsgültige Vertretungsbefugnis erhalten. Nur im Falle einer abweichenden Willenserklärung sollte diese Erklärung Vorrang haben.«

Diese aufgezeigte Rechtslage betrifft nicht nur die kirchliche Eheschließung[2] mit ihrer besonders deutlichen Verantwortungsformel für Ehepaare, sondern auch alle Ehen[3] und darüber hinaus auch die eingetragenen Partnerschaften. Denn all diesen Verbindungen werden staatlicherseits Vorteile eingeräumt mit der berechtigten Vermutung, dass durch die Verant­wor­tungsübernahme dem Staat auch Vorteile erwachsen.

Doch wie es aussieht, ist dabei wohl nur an die finanzielle Mithaftung gedacht.

Unsere Kirchenleitungen sollten schon aus dem Interesse an theologisch begründeter Sozialverantwortung hier Einspruch erheben.

Allerding vertraue ich unseren Kirchenleitungen nicht mehr als den staatlichen Organen. Insofern wird wohl jeder selber tätig werden müssen um die staatlich gewollte Auseinander­dividierung anerkannter Lebensgemeinschaften und damit die Individualisierung ihrer Mit­glieder zu unterlaufen: Man gebe seinen Lieben[4] die Vertretungsvollmacht. Das gilt für alle Lebensalter, denn man kann schon sehr früh durch Unfall oder Krankheit zum Pflegefall werden.

Wer dann nicht durch einen Bürokraten kostenpflichtig vertreten werden will, der beuge vor.

[1] Zitate aus: Dieter Berberich, „Das Anliegen: Die Bedürfnisse aller Betroffenen berücksichtigen – Seniorenverband fordert Änderung im Betreuungsrecht“, in: Seniorenmagazin öffentlicher Dienst Baden-Württemberg, November 2015, S. 4-6

[2] Etwas weltfremd idealisiert, doch theologisch korrekt arbeitet Eberhard Schockenhoff, Professor für Moraltheologie, das grundlegende Füreinander von Lebensgemeinschaften heraus, und schließt dabei alle Lebensgemeinschaften ein, auch homosexuelle, die sich diesem Ideal verpflichtet sehen. Das wird ihm seine Kirche, die katholische, sicherlich übelnehmen.   http://www.thpq.at/2015/quartal_04/339-346%20Schockenhoff%20%28ThPQ%204_2015%29s.pdf

[3] In den säkularen Trauungsansprachen von Standesbeamten wird, wie ich gerade kürzlich wieder Zeuge war, auch darauf abgehoben, dass die Eheleute einander zur ehelichen Lebensgemein­schaft verpflichtet sind und füreinander Verant­wortung tragen.

[4] Wohl jeder kennt Fälle, in denen „die Lieben“ sich nicht als solche erwiesen haben. Erbengemeinschaften sind häufig ein Beispiel für Individual-Egoismus. Doch man achtet dabei – wie auch sonst – auf die negativen Fälle, denn nur die schlechte Nachricht ist eine Nachricht. Das große „normale“ Feld verantwortlichen Verhaltens ist nicht der Rede wert.

Der chemische Holzhammer

Posted in heimkinder, Justiz, Menschenrechte by dierkschaefer on 28. Juni 2014

Der chemische Holzhammer kommt auch ehemaligen Heimkindern bekannt vor. Es gibt ihn noch:

»Jeder zweite Heimbewohner in München erhält beruhigende Medikamente – meist zu Heilungszwecken, oft aber auch nur zur Sedierung. … Einen Pflegebedürftigen mit Psychopharmaka ruhigzustellen, gilt als freiheitsentziehende Maßnahme, gleichzusetzen mit Fixierung. … Ob die leichtfertige Gabe von Psychopharmaka oft auch dem überforderten Personal geschuldet ist, bleibt umstritten.« [1]

 

[1] http://www.ovb-online.de/heime-jeder-zweite-wird-ruhiggestellt-3661777.html