Dierk Schaefers Blog

Todessehnsüchtige junge Männer[1]

Posted in Kriminalität, Kriminologie, Kultur, Medien, Moral, News, Psychologie, Soziologie, Täter, Terrorismus, Tod by dierkschaefer on 12. Oktober 2019

Sie lieben den Tod. Er soll sie groß machen und über ihre dürftige Existenz hinwegheben.

[2]

In der Erklärung der Motive von Amoktätern sind wir schon weiter. Eine vermeintliche oder tatsächliche Kränkung ist der Ausgangspunkt ihrer Rache, möglichst an denen, die sie für schuldig halten. Im Fall der Amoktäter ist es meist ihre persönliche Umwelt: die Schule, in der sie versagt haben.[3]

Die Kriminologin Britta Bannenberg nennt als Persönlichkeitsmerkmale[4]:

Täterpersönlichkeit 1

  • Ängstliche stille Kinder
  • Aufmerksamkeitsprobleme
  • In der Grundschule bereits: Angst vor Gleichaltrigen, Lern- und Konzentrationsschwierig­keiten („Träumer“)
  • Später „verstummt“, starren im Unterricht vor sich hin, Versetzungen aus Mitleid und als Belohnung für Wohlverhalten

Täterpersönlichkeit 2

  • Rückzüglich, still, nicht aggressiv auffällig
  • Verdacht oder Diagnose erheblicher Persönlichkeitsstörungen (narzisstische Persönlichkeits­störung – depressive Phasen abgelöst von starken Hass- und Rachephantasien; Schwelgen in der Tatplanung)
  • Die Täter wissen, dass etwas nicht mit ihnen stimmt (Hinweise, etwa Faltblatt …)

Täterpersönlichkeit 3

  • Tagebücher, Aufzeichnungen, Äußerungen gegenüber Mitschülern, Gleichaltrigen …
  • Einzelgänger – täuscht teilweise, da in der Schule zwingend Kontakt
  • Äußerungen zu Suizid, Amok, großem Abgang … „ich werde es tun und nehme noch jemanden mit!“

Täterpersönlichkeit 4

  • Unangemessene Kränkbarkeit – sie fühlen sich gemobbt, werden aber nicht gemobbt
  • Hass, Ablehnung anderer, Rache – scheint nie nachvollziehbar und aufgesetzt
  • Pubertäre Probleme vermischt mit grandiosen Ideen eigener Gewalt
  • Zum Teil lange Tatplanung, Todeslisten, gedankliche Vorwegnahmen der Tathandlungen (die zum Teil auch ausgeführt werden) – sich steigernde Phasen

Täterpersönlichkeit 5

  • Probleme im Umgang mit Mädchen und Sexualität – aus Schüchternheit und Wünschen nach Beziehungen wird Ablehnung und Hass
  • Eltern wissen oder ahnen,
  • dass ihr Sohn psychische Probleme hat, unternehmen aber nichts
  • Lehrer bemerken Probleme nicht (unauffällige Schüler) oder sehen aus Hilflosigkeit über die schlechten Leistungen der verstummten Schüler hinweg

„Es scheint mir beim Phänomen Amok im Wesentlichen um Suizid (Bilanz-Suizid) zu gehen, allerdings mit oft gezielt-aggressiv-tödlicher „Mitnahme“ Anderer. Motiv oft: Vom nobody zum somebody![5]

Die gilt nicht nur für Amoktäter,

sondern auch für

  • die aktuellen Terrorangriffe [6]
  • für Prominenten-Stalking mit Tötung
  • für Kriegsbegeisterung

Bleiben wir bei den aktuellen Terrorangriffen mit vermeintlichen Feindbildern, vermeintlich, weil auf mehr oder weniger kollektiven Mythen aufsitzend. Die Täter sind nicht in erster Linie Antisemiten[7] oder Hasser des westlichen Lebensstils. Sie greifen nur die in ihrer Phantasiewelt gängigen Mythen und Schuldzuweisungen auf, um ihr Ungenügen und ihren Hass zu begründen.[8]

Helene Bubrowski und Constantin van Lijnden beschreiben «ein Radikalisierungsprogramm für erfolg- und orientierungslose junge Männer. … „Im Tod haben Mitglieder von Project Mayhem einen Na­men“, heißt es im Film Fight Club, wo ori­entierungslose junge Männer sich unter Aufgabe ihrer Individualität für Zerstö­rungs­aktionen gegen die Gesellschaft zu­sammen­schließen, um ihrem Leben einen Sinn zu geben – wer dabei umkommt, den ehren die Ver­bliebenen, indem sie ihn wie­der als Person anerken­nen statt als bloße Nummer….

Doch bald wird er [B.] sich dort buchstäb­lich einen Namen machen. Bald, wenn er erst genügend Juden ermordet hat und schließlich selbst getötet wird, werden die anderen Anons[9] wissen, wie er wirklich heißt, und werden ihm einen Platz einräu­men neben den anderen „Heiligen“« [Doch er hats verkackt:] »Sein Plan zerrinnt ihm in den Händen, als er die Tür zu seinem Anschlagsziel, einer Synagoge in Halle, verschlossen findet und stattdessen zu­nächst wahllos eine Passantin und so­dann einen Mann in einem Dönerladen erschießt. „ER VERSAUTS TOTAL, AA-AHHH Ist das unbeholfen“, schreibt ein „Anon“, der das Video live betrachtet, … „Oh man, das ist wie eine Slap-stick-Komödie“, meint ein anderer.« [10]

Bubrowski und van Lijnden erwähnen auch den sexuellen Aspekt. Auf B. warten, ähnlich wie auf die Märtyrer im islamischen Paradies, Frauen: »in seinem Manifest fabuliert er von sexuell gefügigen japanischen Animefiguren, die ihn nach seinem Tod in „Valhalla“ erwarten würden, sogenannten „Wai-fus“. Der Begriff ist eine Verballhornung des Englischen „Wife“ (Ehefrau) und bringt die ganze traurige Einsamkeit der In­cels[11] auf einen Punkt: Die „Waifus“, an de­ren Seite sie sich imaginieren, sind in ihrer Vorstellung ein Leben lang treue, hinge­bungsvolle, „echte“ Frauen, von denen sie mit großen Augen angehimmelt werden, die es aber auch mit gönnerhafter Fürsorge zu behandeln gilt. So verklärt und aus der Zeit gefallen dieses Frauenbild wirkt, so verquer sind auch die Vorstellungen dar­über, wie man sich die Gunst seiner „Wai-fu“ zu verdienen habe: Wie ein „echter Mann“ nämlich, im mutigen und siegrei­chen Kampf mit dem Feind, den Juden. Das alles mag vollkommen bizarr klin­gen, ist aber letztlich nur das Produkt von geringer Sozialkompetenz und niedrigem Selbstbewusst­sein[12], die in digitalen Echo­kammern über Jahre verstärkt, mit frauen- und fremdenfeind­lichen Vorstellungen an­gereichert und schließlich zur mörderi­schen Reife gebracht werden.«

Wie bei manchen School-shootings gibt es auch von diesen Hass-Tätern Manifeste, die sie hinterlassen oder schon vor der Tat ins Netz stellen. Oder sie zwingen uns neuerdings gar per Webcam beim Angriff die Tat mit ihren Augen zu sehen.

Im Hintergrund haben wir in der Regel jedoch sich selbst bedauernde Individuen, die den großen Abgang planen. Den sollten wir ihnen nicht gönnen, sondern in den Medien ihre Erbärmlichkeit in den Vordergrund stellen, in der Hoffnung, dass dies mehr abschreckt als die ins Auge springende fürchterliche „Großartigkeit“ ihrer Taten. Es sind im Grunde arme, gekränkte „Würstchen“, in den Tod verliebt, der ihnen die Größe verleihen soll, die ihnen – wie sie meinen – zusteht.


[1] Zweite, erweiterte Auflage

[2] Arnold Böcklin, Die Pest

[3] Amok als Form der Kommunikation

Finale Kommunikation / Schlussabrechnung

  • Jugendliche – School-shoting
  • Familientragödien

[4] Britta Bannenberg, Amoklauf – Kriminologische Erkenntnisse über ein spezielles Phänomen von Tötungsdelikten

[5] Ausführliche Literatur beim Verfasser

[6] Dazu sollte auch der „Todesflieger“ gezählt werden https://dierkschaefer.wordpress.com/2015/03/28/das-lachen-der-tater/ Dazu auch: https://dierkschaefer.wordpress.com/2015/03/24/manner-morden-lachelnd/

[7] Remko Leemhuis schreibt auf Twitter: Die Mutter des Terroristen von #Halle: „Er hat nichts gegen Juden in dem Sinne, er hat was gegen die Leute, die hinter der finanziellen Macht stehen. Wer hat das nicht?“

[8] Thomas-Theorem: „If men define situations as real, they are real in their consequences“

Wenn Menschen Situationen für real halten, dann sind sie in ihren Konsequenzen real. https://de.wikipedia.org/wiki/Thomas-Theorem

[9] Anons, die noch Anonymen

[10] FAZ, 12.10.2019, S. 3

[11]»„Incels“ nennen sich dort Nutzer, die keine Frauen abbekom­men, von „involuntary celibacy“, ungewoll­tes Zölibat. Zu ihren Merkmalen zählen weinerliches Selbstmitleid bei gleichzeiti­gem Selbsthass und ein unerfülltes An­spruchsdenken gegenüber Frauen, das schnell in Vergewaltigungs- oder Gewalt­fantasien umschlägt.« FAZ, 12.10.2019, S. 3

[12] Dirk Lorenz schreibt auf Twitter: »Die Frage nach psychologischen Motiven stellt sich tatsächlich niemand, soweit ich das sehe. Dabei wurden im Haus des Täters mehrere Zettel mit der Aufschrift „Niete“ gefunden. Er selbst nannte sich in der Videoübertragung „Verlierer“. Think about it.«

„Aufrecht“ sterben – Fragen an den Gesundheitsminister –Zweite Runde, Präzisierungen

Posted in Deutschland, Ethik, Gesellschaft, Justiz, Moral, Politik, Psychologie, Recht, Religion, Seelsorge, Soziologie, Staat, Theologie, Tod by dierkschaefer on 2. April 2019

Die erste Runde war mein offener Brief an Gesundheitsminister Spahn[1] und die Antwort von Dr. Riehl „im Auftrag. [2]

Nun geht es in die zweite Runde, weil noch Fragen offengeblieben waren oder einfach übergangen wurden.

Also der nächste Offene Brief[3] – und die Antwort soll wieder hier im Blog erscheinen.

Sehr geehrter Herr Minister Spahn, sehr geehrter Herr Dr. Riehl,

es ist nicht vorwerfbar, wenn ein Ministerium rechtspositivistisch argumentiert. Allerdings wird hier ein höchstrichterliches Urteil ignoriert. Ich zitiere aus dem in meinem Offenen Brief[4] genannten Artikel: »Das Bundesverwaltungsgericht hatte im März 2017 letztinstanzlich entschieden, dass Schwerkranke in einer unerträglichen Leidenssituation vom BfArM ausnahmsweise eine Erlaubnis zum Erwerb tödlich wirkender Betäubungsmittel erhalten können. Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) weigert sich jedoch, das Urteil umzusetzen, da es den Staat zur Suizidassistenz verpflichte.«[5]

Der Verweis auf den Gesetzgeber ist ebenso unzureichend wie der auf das Di Fabio-Gutachten. Das Parlament mag Gesetze erlassen, doch die unterliegen der Rechtsprechung, besonders wenn sie höchstinstantlich von einem Bundesgericht kommt – und: Gutachten kann man viele einholen – bis sie genehm sind. Es geht also offenbar um ein politisches, oder besser um ein ideologisches Anliegen.

Es war jedoch nicht die persönliche Meinung von Herrn Spahn, die ich „ethisch verwerflich“ genannt habe, sondern dass „Sterbende mit ihren existentiellen Anliegen auf die lange Bank des Hinhaltens oder der Nichtbefassung“ geschoben werden „und dies mit allen Mitteln, die der bürokratische Abschiebebahnhof bietet, noch dazu, wenn sie rechtlich zumindest problematisch sind.“[6]

Meine grundlegende Frage ist jedoch nicht aufgegriffen oder nicht verstanden worden.

Darum will ich sortieren:

Die Sterbehilfedebatte hat – wie auch der Minister – den Patienten in seiner schon länger andauernden Sterbephase im Blick, der „nicht wieder wird“, wie man zu sagen pflegt. Er liegt schon nicht mehr auf der Intensivstation, sondern wird so gut es geht sediert, damit die Schmerzen erträglich gehalten werden können.[7] Da hilft die Palliativmedizin. Und wenn das den Vorstellungen, den geäußerten Wünschen des Patienten entspricht, ist das auch gut so. Irgendwann taucht dann im Gespräch mit ihm selbst oder seinen Angehörigen die Frage auf: Es ist aussichtslos. Wie lange soll er noch leiden? Nun kann man stärker sedieren und weiß, dass dies – ohne Absicht – zum Tod führen könnte, die Schmerzbehandlung hat Vorrang. Doch nach all meinen Erfahrungen will – wenn sterben denn unser unabwendbares Schicksal ist – kaum jemand ein solches Ende, sondern es ist – Paul Gerhard verkürzt – der Wunsch vorherrschend: Mach End, o Herr, mach Ende mit aller unsrer Not[8] Gleiches gilt für den oft geäußerten Wunsch, nicht aussichtslos von Apparaten am Leben gehalten zu werden, auch nicht als lebende Organbank. Auch das Bundesverwaltungsgericht dachte nur an diese beiden Gruppen von Sterbenden. Es hatte darum „letztinstanzlich entschieden, dass Schwerkranke in einer unerträglichen Leidenssituation vom BfArM ausnahmsweise eine Erlaubnis zum Erwerb tödlich wirkender Betäubungsmittel erhalten können.“[9]

Nicht im Blick hat man die andere Gruppe: Menschen, die angesichts einer mehrfach professionell abgesicherten Letaldiagnose den Zeitpunkt ihres Todes frei bestimmen und mit einer realistischen Bilanzsuizid „das Zeitliche segnen“ wollen.

Dies aber war der Ausgangs­punkt meines Offenen Briefes. Da gibt es jemanden – und nicht nur einen – der, wie ich es nannte „aufrecht“ sterben will. Er will nicht die oben beschriebene Endphase erleiden, selbst wenn sie schmerzfrei gestaltet werden könnte, sondern er hält einen solchen Zustand mit seiner Menschenwürde nicht vereinbar. Wenn wir wegen einer akuten Erkrankung im Krankenhaus auf die Bettpfanne gesetzt werden, ist das etwas anderes, als bis zum Tod gewickelt zu werden wie ein Säugling.[10]

Es wäre zynisch zu sagen, das muss man mögen. Aber muss man’s erdulden, wenn man’s vermeiden kann? Muss man dafür – so war meine Frage – einen anderen Rechtsraum aufsuchen? Hier hilft natürlich die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nicht weiter, weil die „unerträgliche Leidenssituation“ noch nicht eingetreten ist.

Nun meine Fragen:

1. Wie steht es mit der freiwilligen Mitwirkung eines Arztes? Darf er einem Sterbewilligen Pentobarbital oder ein ähnlich wirksames Medikament verschreiben, wenn dieser bei vollem Bewusstsein und Darlegung seiner nachvollziehbar aussichtslosen Situation ihn darum bittet? Macht er dann – als Profi – dieses „berufsmäßig“?[11]

2. Falls er darf – wie komme ich an seine Adresse, besser eine Liste von erfahrenen Ärzten, die bereit sind, einem Sterbewilligen in dieser Stunde seiner Entscheidung hilfreich und professionell beizustehen?

Haben wir hier eine Analogie zum Werbeverbot für Ärzte, zu deren Leistungsangebot die Abtreibung[12] gehört? Ein Fötus wird – in der Regel – gegen seine wohlverstandenen Interessen getötet. Warum gilt das nicht für den Sterbewilligen, der diesen Willen glaubhaft bekundet? Wo kann er in Deutschland professionelle Hife bekommen?

Die beiden Zeichnungen stammen von Christof Breuer entnommen aus: Dierk Schäfer und Werner Knubben, … in meinen Armen sterben? Vom Umgang der Polizei mit Trauer und Tod, Hilden, 19962

Sie waren dem Vorab-Mail nicht beigefügt.

Fußnoten


[1]  „Aufrecht“ sterben – Fragen an Gesundheitsminister Spahn – Ein offener Brief in einer Angelegenheit von öffentlichem Interesse https://dierkschaefer.wordpress.com/2019/02/20/aufrecht-sterben-fragen-an-gesundheitsminister-spahn-ein-offener-brief-in-einer-angelegenheit-von-oeffentlichem-interesse/

[2] https://dierkschaefer.wordpress.com/2019/04/01/aufrecht-sterben-meine-fragen-an-den-gesundheitsminister/

[3] gestern vorab per Mail übermittelt an Gesundheitminister Spahn und Dr. Riehl

[4] , https://dierkschaefer.wordpress.com/2019/02/20/aufrecht-sterben-fragen-an-gesundheitsminister-spahn-ein-offener-brief-in-einer-angelegenheit-von-oeffentlichem-interesse/

[5] https://www.tagesspiegel.de/politik/gesundheitsminister-ignoriert-urteil-jens-spahn-verhindert-sterbehilfe/24010180.html

[6] siehe Fußnote 3

[7] Beim „Leichenschmaus“ hört man dann: „Die letzten Monate hätten nicht sein müssen“.

[8] Ich will hier keine theologische Diskussion eröffnen, kann das auf Wunsch aber gern tun.

[9] siehe Fußnote 3

[10] Auf die Malessen des Alters und ihre Begleiterscheinungen durch die gar nicht mal böswillige Behandlung in Alters- oder gar Pflegeheimen will ich hier nicht eingehen und verweise nur auf die Erkennisse der Altenpfle­gerin Heinisch https://dierkschaefer.wordpress.com/2011/07/24/nur-ein-fall-von-meinungsfreiheit/

[11] Überhaupt ist die Vorstellung, Sterbehilfe dürfe nicht berufsmäßig ausgeführt werden, mehr als merkwürdig. Überall wollen wir professionelle Hilfe, gerade im gesundheitlichen Bereich. Und jetzt sollen wir uns Dilettanten anvertrauen – in so einer wichtigen Operation? Oder sollen wir – ebenso unerfahren – selber Hand an uns legen? Wer klar denkt, kann das nicht wollen.

[12] Ich verwende hier den klinisch sauberen Ausdruck für das, was eigentlich Fötucid genannt werden sollte.