Hier ist Bundesrichter Fischer voll im Recht. Danke für den Klartext!
Fischers Stellungnahme zur Sterbehilfe sollte man unbedingt lesen, das gilt auch für meine theologischen Kollegen[1].
»Selten ist der dezidierte Wille der Mehrheit des „Volks“ (sagen wir: der selbstbestimmungsfähigen Bevölkerung) so eklatant missachtet und in sein Gegenteil verkehrt worden.«[2] [3]
»Die ganze Debatte, die nun ganz dringend in eine gesetzliche Regelung münden soll, ist nichts anderes als ein Versuch des „Rollback“, ein von konservativen und (teilweise) kirchlichen Kreisen betriebener Versuch[4], die eigene Anschauung von Ethik und Moral durchzusetzen und der Bevölkerungsmehrheit mittels Strafrecht aufzuzwingen.«
»Ich weise darauf hin, dass die gesamte Diskussion stattfindet auf der Basis von Begriffen, die nichts anderes sind als Beschönigungen, Tabuisierungen, Verschleierungen und Verdrehungen von Tatsachen – also vorsätzliche Lügen.«[5] [6]
»Der Staat – wie wir ihn verstehen – ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Staat.[7] Wir haben daher keine („staatsbürgerliche“) Pflicht, mit unserer Existenz und unserem Leben oder Leiden dafür einzustehen, dass das Staat „stabil“, der „öffentliche Friede“ gesichert, der fiktive Durchschnittsbürger beruhigt sei. Daher hat der Gesetzgeber überhaupt keine Kompetenz, über die Selbstbestimmungsfähigkeit und Selbstbestimmungsberechtigung des einzelnen Bürgers – mittels Strafrecht! – zu bestimmen. Die Würde des Menschen (Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz) ist kein Recht, dessen „Ausgestaltung“ dem Staat anheimgegeben ist. Zur „Würde“ gehört zuallererst die Selbstbestimmung über die eigene Existenz: Was sonst?«
[1] Alt-Bischof Huber wird sich wohl kaum von einem einfachen Alt-Pfarrer angesprochen fühlen https://dierkschaefer.wordpress.com/2015/09/23/sterbehilfe-und-der-hoffnungslose-fall-krebs-im-endstadium-schmerzmittel-wirken-nicht/
[2] Alle Zitate aus: http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015-09/bundestag-gesetzentwuerfe-sterbehilfe Mittwoch, 30. September 2015
[3] Nicht nur der Wille der Mehrheit des Volkes. Auch Ärzte denken anders über Sterbehilfe: http://www.zeit.de/2015/09/sterbehilfe-aerzte-brechen-tabu/komplettansicht
[4] dazu: https://dierkschaefer.wordpress.com/2013/10/02/diozese-distanziert-sich-von-sterbehilfe-planen-des-theologen-kung/
[5] Mein Beitrag im Blog https://dierkschaefer.wordpress.com/2015/09/28/gott-sei-uns-gnaedig-und-gebe-uns-einen-gnaedigen-arzt/ sollte ursprünglich einen anderen Titel haben: Lügen, Lügen, lauter Lügen. Ich sehe mich bestätigt.
[6] Die Lügen lenken nur ab: https://dierkschaefer.wordpress.com/2015/05/15/aktive-sterbehilfe-sicherlich-keine-luxusdebatte-aber-sie-lenkt-ab/
[7] In vorsäkularen Zeiten hat das schon ein anderer gesagt: Jesus. Nicht der Mensch ist für den Sabbat da, sondern der Sabbat für den Menschen: Markus 2,27
Gott sei uns gnädig und gebe uns einen gnädigen Arzt.
„Ich habe noch nie jemanden so fürchterlich sterben sehen“, sagte sie.
Jahrzehnte hatten wir uns nicht gesehen. Sie hatte uns im Eiscafe entdeckt und setzte sich an unseren Tisch. Vor einem Jahr war ihr Mann gestorben, auf der Intensivstation in der Uniklinik. Lungenkrebs im Endstadium. Ja, er hatte geraucht. Ich frage behutsam nach. Qualvoll sei es für ihn gewesen. Nein, die Schmerzmittel hätten nicht ausgereicht, hätten nicht geholfen. Geschrien habe er, soweit er noch konnte. Aber man habe in dieser Woche noch eine Thrombose-OP gemacht und ein Katheter gelegt; er habe sich vergeblich dagegen gewehrt. Von den Füßen her sei er nach oben hin immer kälter geworden, immer weiter blau angelaufen. „Sehen Sie denn nicht, was los ist?“, habe sie die Ärzte gefragt. „Sie müssen ihm doch helfen!“ Schließlich habe man ihm ein stärker sedierendes Mittel gegeben und sie nach Hause geschickt.
Da diskutieren Ethikkommissionen, da palavern Bundestagsfraktionen über Sterbehilfe.[1] Manche wollen sie überhaupt nicht, andere mit der Einschränkung, sie dürfe nicht geschäftsmäßig betrieben werden. Kein Gedanke daran, dass vielfach in den Krankenhäusern, auf den Intensivstationen geschäftsmäßig kurzfristig lebensverlängernde Eingriffe unternommen werden – unter ungenügender Sedierung werden die Qualen Sterbender verlängert.
„In fast allen Fällen können einem Sterbenden die Schmerzen genommen werden“[2], heißt es. Wo bleibt der Untersuchungsausschuss, der Zahlen/Daten/Fakten vorlegt, wie es denn tatsächlich läuft auf den geschäftsmäßig betriebenen Endstationen unseres irdischen Lebens, die Pflegeheime und die Hospize inbegriffen?
Ein Blick auf die Realität wäre wegweisend. „Todkranken Patienten beim Suizid beizustehen ist ein Tabu. Dennoch passiert es immer wieder“, auch gegen die Interessen der Standesvertretungen der Ärzte. „Ich empfinde Druck, mich entgegen der offiziellen Position der Bundesärztekammer zu äußern. Die Mehrheit der Ärzte denkt wie wir, aber kaum jemand traut sich, offen zu reden. Deshalb habe ich Sorge um Missverständnisse.“ – „So weit ist es schon gekommen, dass Ärzte sich fürchten, eine öffentliche Debatte über ein Thema zu führen, das große Teile der Bevölkerung umtreibt.“ – „Auch ich habe noch nie mit einer Kollegin oder einem Kollegen öffentlich über ärztliche Hilfe zum Suizid gesprochen.“ [3]
Die Überschrift zu diesem Blog-Artikel zeigt, dass es sich bei der – wirklich nicht einfachen – Frage zum ärztlich assistierten Suizid nicht nur um eine gesellschaftliche, sondern auch um eine theologische Frage handelt[4]. Einhellig hören wir in der laufenden Luther-Decade, dass Luther den uns gnädigen Gott entdeckt hat, der sich uns ohne Vorleistungen zugewandt und uns erlöst hat von Todesängsten. Diese Ängste haben wir nun nicht mehr, doch dafür andere. Wer es kann, und die Ärzte können es, sollte uns von solchen Sterbensängsten erlösen dürfen.
Bei Ethikkommissionen fallen mir immer gleich die Pestsäulen ein. [5] Hoch-abgehoben ist das innertrinitarische Gespräch dargestellt: Gott-Vater, Gottes-Sohn (er hat zwar sein Kreuz dabei, doch scheint er sich seiner Qualen als Mensch nicht mehr zu erinnern) und darüber schwebt, noch abgehobener, der Heilige Geist, der doch unser Tröster[6] sein sollte. Unter der Säule Maria, hier auch recht abgehoben gezeigt[7], Doch Maria ist, als Pietà in der Trauer um ihren geliebten Sohn, menschlicher[8] als der gotteslästerlich dargestellte Vater, der mimisch unbewegt seinen geopferten Sohn präsentiert[9].
Gott sei uns gnädig und gebe uns einen gnädigen Arzt.
[1] https://dierkschaefer.wordpress.com/2015/05/15/aktive-sterbehilfe-sicherlich-keine-luxusdebatte-aber-sie-lenkt-ab/
[2] https://dierkschaefer.wordpress.com/2015/09/23/sterbehilfe-und-der-hoffnungslose-fall-krebs-im-endstadium-schmerzmittel-wirken-nicht/
[3] So berichten Ärzte in: http://www.zeit.de/2015/09/sterbehilfe-aerzte-brechen-tabu/komplettansicht
[4] und die kirchlichen Funktionäre heulen auf. Siehe dazu: https://dierkschaefer.wordpress.com/2013/10/02/diozese-distanziert-sich-von-sterbehilfe-planen-des-theologen-kung/
[5] https://www.flickr.com/photos/dierkschaefer/8254628897/
[6] Johannes 14:26
[7] https://www.flickr.com/photos/dierkschaefer/8255705660/
[8] https://www.flickr.com/photos/dierkschaefer/7973029452/
[9] https://www.flickr.com/photos/dierkschaefer/15097604507/
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