Flach auf den Boden gelegt
Flach auf den Boden gelegt
»Vor dem Altar des Osnabrücker Doms hat sich Bischof Franz-Josef Bode gestern flach auf den Boden gelegt. Als erster katholischer Bischof in Deutschland legte Bode in einem Bußgottesdienst teils mit bewegter Stimme ein Schuldbekenntnis für Missbrauchsfälle in der Kirche ab«.
Helmut Jacob befragte mich zu dem Vorgang und zitiert mich in seinem Blog.
http://helmutjacob.over-blog.de/article-osnabrucker-bischof-bode-legt-im-dom-schuldbekenntnis-fur-missbrauchsfalle-ab-62010175.html mit den Worten:
„wenn ich das richtig sehe, lieber herr jacob, ist die demutsgeste an gott gerichtet. bode hätte sich glaubwürdiger in einer veranstaltung mit opfern den opfern zu füßen legen sollen, dann hätte wenigstens die symbolhandlung gestimmt. es ist ein jammer, allerdings nur zweiten grades, daß menschen mit liturgischer bildung mit symbolen nicht richtig umgehen können. der größere jammer ist allerdings, was menschen mit biblischer bildung ihren mitmenschen angetan haben.“
Für den unwahrscheinlichen Fall, daß Theologen oder gar Bischöfe, vielleicht sogar Bischof Bode eine Begründung für meine Aussage suchen und das – noch unwahrscheinlicher – in meinem Blog, so sei diese hier nachgereicht:
In der Bergpredigt lesen wir bei Matthäus (5,24): »Darum, wenn du deine Gabe auf dem Altar opferst und wirst allda eingedenk, daß dein Bruder etwas wider dich habe, so laß allda vor dem Altar deine Gabe und gehe zuvor hin und versöhne dich mit deinem Bruder, und alsdann komm und opfere deine Gabe.«
Hier wird von der damals üblichen Form des Gottesdienstes ausgegangen, einem Opfer, das man Gott darbringt. Es geht um das Verhältnis des Einzelnen zu Gott. Fällt dem Menschen jedoch ein, daß „sein Bruder“, will sagen „jemand“ etwas gegen ihn hat, das Verhältnis zu einem Mitmenschen also gestört ist, dann hat der Gottesdienst zurückzutreten. Erst soll der Gläubige also das Verhältnis zu seinem Mitmenschen in Ordnung bringen, bevor er vor Gott treten darf.
In der Meldung des Osnabrücker Zeitung heißt es: »Bode trägt einen Chormantel in Violett, der liturgischen Farbe der Buße. Bewusst hat er als Termin für den Bußgottesdienst den ersten Adventssonntag gewählt, den Beginn des neuen Kirchenjahres. „Wir können uns nicht auf dem Weg zum Weihnachtsfest machen, ohne all das mitzunehmen, was uns in den vergangenen Monaten bewusst geworden ist“, sagt der Bischof. Damit meint er das Leid der Opfer von Missbrauch und Gewalt und die Schuld der Täter.« …»„Was hier an Menschen, an jungen und jüngsten Menschen durch Personen der Kirche getan worden ist, muss vor Gott ausgesprochen werden“, sagte Bode und bat die Opfer erneut um Vergebung.«
Ich will und mag Bischof Bode nicht die Ehrlichkeit seiner Bußhandlung absprechen. Die Bitte um Vergebung ist wichtig und kann helfen, die Wunden in der Seele, in der Psyche der Opfer vernarben zu lassen. Doch viele der Opfer leben in miserablen finanziellen Verhältnissen. Wieder „gut“ machen kann man in diesen Fällen nichts, aber den Opfern in dieser Lage finanziell helfen. Schließlich war die Situation in den Kinderheimen eine wesentliche Ursache für die miserable Lage. Erst wenn diese Lage verbessert wird, erhalten Symbolhandlungen ihre Glaubwürdigkeit und können die Wunden vernarben.
»Darum, wenn du mir die Ehre geben willst, vergiß nicht, daß dein Bruder, an dem du dich versündigt hast, in Not lebt. Lindere zunächst die Not deines Bruders, erst dann komm zu mir.«
Am Buß- und Bettag vorigen Jahres habe ich einen Bußaufruf an die beiden Großkirchen in Deutschland gerichtet
Am Buß- und Bettag vorigen Jahres habe ich einen Bußaufruf an die beiden Großkirchen in Deutschland gerichtet und an die ihnen zugerechneten Einrichtungen in Diakonie und Caritas, dazu auch an die Ordensgemeinschaften. Im Internet hatte ich dafür eine Petitionsliste aufgelegt.
Text und Unterzeichnerliste: http://www.petitiononline.com/heimkids/petition.html
Als Termin für einen Bußakt hatte ich den diesjährigen Buß- und Bettag genannt, wahlweise den Tag der unschuldigen Kindlein.
In meinen beiden neuesten Blog-Einträgen informiere ich über die Ergebnisse, die meine Erwartungen weitgehend bestätigt haben.
Unter dem Link https://dierkschaefer.wordpress.com/2010/11/08/das-kapieren-die-kirchen-leider-nicht/ finden Sie ein Interview über die Ergebnisse. Dort hatte ich auch einen weiteren Beitrag angekündigt, den ich nun in den Blog stelle. Dieser Beitrag unter dem Titel „Dies irae“ (Tag des Zorns) bedient sich der Form eines Triptychons, wie auch der Bußaufruf als solcher eine klassische Form aufgreift.
Sie finden hier zunächst die Gesamtansicht.
Wegen der besseren Lesbarkeit habe ich die einzelnen Tafeln als PDF-Dateien von links nach rechts hinzugefügt. Soweit Sie daran Interesse haben, sind Sie herzlich eingeladen, sich alles anzuschauen.
Dies irae – 1 Dies irae – 2.1 Dies irae – 2.2 Dies irae – 3
Natürlich kann eine solche Darstellung nicht den Regeln eines förmlichen Diskurses folgen. Doch es steht ja noch der Schlußbericht des Runden Tisches aus. Ich gehe wohl nicht fehl in der Annahme, daß dieses Ergebnis, wenn überhaupt ein gemeinsam getragenes zustande kommen sollte, eher dürftig ausfallen wird. Doch wie dem auch sei: Ich werde es kommentieren und publizieren.
Ein neues Stuttgarter Schuldbekenntnis
Es muß eine schaurig-schöne Feier gewesen sein.
Beim Treffen des Lutherischen Weltbundes (LBW) hat dieser „in einer bewegenden Zeremonie“ am vergangenen Donnerstagabend in Stuttgart „Abbitte bei den Mennoniten für grausame Verfolgung der Täuferbewegung durch Lutheraner geleistet.“ „Auf Knien und unter Gebet“, wie die FAZ am Sonnabend berichtet. Die Zitate sind der FAZ-Meldung entnommen.
Schaurig, weil der Anlaß zwar 500 Jahre zurückliegt, aber an fürchterliche Greueltaten erinnert. Die FAZ druckt als (nicht direkt treffendes) Beispiel ein Photo der Käfige an der Münsteraner Lambertikirche ab, in denen die Leichen der grausam gefolterten und hingerichteten Wiedertäufer zur Abschreckung aufgezogen waren. Doch das ist eine Geschichte für sich, für die nicht die Lutheraner verantwortlich waren. Aber die Grundtendenz ist richtig, den Wiedertäufern erging es in lutherischen Gefilden nicht besser.
Schön, weil dieser kirchliche Schlußstrich unter eine üble Vergangenheit in kirchlich-würdiger Weise gezogen wurde, wenn auch säkularisierte Zeitgenossen dieser Symbolik kaum noch etwas abgewinnen dürften.
Das erste Stuttgarter Schuldbekenntnis handelte vom kirchlichen Versagen in der Zeit der Naziverbrechen. Die Kirche hatte ja nicht einmal ihre Pfarrer jüdischer Herkunft geschützt.
Wenn man dieses Schuldbekenntnis liest, können einem auch schaurig-schöne Schauer über den Rücken laufen. Schön, weil man sich ergriffen fühlt von der Geste des Schuldeingeständnisses, das um so mehr ergreift, wie die Schuld abgrund-tief ist. Schaurig, wenn man daran denkt, welche Verbrechen im deutschen Teil des christlichen Abendlandes möglich waren. Schaurig aber auch, wenn mein alter Kollege und Zeitzeuge Recht hat mit seiner Bemerkung: „Ohne das Schuldbekenntnis hätte es keine CARE-Pakete gegeben.“ Gewiß, dieser Kollege war ein Zyniker und andere Kollegen sehen diesen Zusammenhang nicht. Es mag also sein, daß das erste Stuttgarter Schuldbekenntnis durch und durch ehrlich war, ohne Hintergedanken. Tatsache ist jedoch, daß das Bekenntnis ertragreich war. Es ist wirklich nicht vorstellbar, daß die amerikanischen Kirchen so schnell zur Hilfe bereit gewesen wären.
Das zweite Stuttgarter Schuldbekenntnis bringt jedenfalls nichts ein, kostet aber auch nichts, denn die ermordeten Wiedertäufer sind schon lange tot und erheben keine Entschädigungsansprüche. Die ergreifende Geste reicht.
Eine Geste reicht bei der aktuellen Schuld von Kindesmißhandlungen an Heim- und an Schulkindern nicht.
Mein Bußaufruf an die Kirchen (Buß- und Bettag 2009: http://www.petitiononline.com/heimkids/petition.html) forderte nicht nur die Geste, sondern auch Entschädigung – und er verhallte. Bestenfalls verwies man auf den Runden Tisch, dessen Ergebnisse man abwarten wolle. Die von einigen Kirchenführern bekundete Betroffenheit ging nicht so weit, daß man wenigstens den am Hartz-IV-Existenzminimum lebenden ehemaligen Heimkindern vorab eine Opferrente bewilligen würde.
Vergangenheitsbewältigung ist nur dann glaubhaft, wenn man bereit ist, für die Opfer auch Opfer zubringen.
Symbolhandlungen und ihre Glaubwürdigkeit – Und die Opfer zweiter Klasse
Symbolhandlungen und ihre Glaubwürdigkeit – Und die Opfer zweiter Klasse
»In den Karfreitagsgottesdiensten der katholischen Kirche soll eigens für die Opfer sexueller Übergriffe gebetet werden. Der Beauftragte der Deutschen Bischofskonferenz für Fälle sexuellen Missbrauchs, der Trierer Bischof Stephan Ackermann, regte am Mittwoch an, in die traditionellen Fürbitten eine Bitte „für die Kinder und Jugendlichen“ einzufügen, denen „in der Gemeinschaft der Kirche, großes Unrecht angetan wurde, die missbraucht und an Leib und Seele verletzt wurden“«.
http://www.faz.net/s/Rub79FAD9952A1B4879AD8823449B4BB367/Doc~EA931EBCD1A0C4F01822D792AB0BF1E55~ATpl~Ecommon~Scontent~Afor~Eprint.html Donnerstag, 1. April 2010
Zweierlei Maß auch hier? https://dierkschaefer.wordpress.com/2010/04/01/zweierlei-mas/
Oder schließt » missbraucht und an Leib und Seele verletzt« auch die ehemaligen Heimkinder ein?
Doch nehmen wir einmal an, die Kirche, in diesem Fall die katholische, wolle für alle in ihrem Verantwortungsbereich mißhandelten Kinder ein Zeichen der Buße setzen, so ist das zunächst ein gutes Zeichen. Am Buß- und Bettag vergangenen Jahres veröffentlichte ich in diesem Blog einen „Bußaufruf an die Kirchen in Deutschland“. Ich bekam auch einige Antworten von kirchenleitenden Personen, die mein Engagement lobten, aber ansonsten hauptsächlich auf den Runden Tisch verwiesen.
Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Nachdem nun die Mißbrauchsenthüllungen – ja, ich weiß, nicht nur kirchliche Einrichtungen sind betroffen, auch andere – nachdem nun immer neue Enthüllungen zur täglichen Lektüre des Zeitungslesers geworden sind und die Kirche, hier speziell die katholische, in Bedrängnis gebracht haben, da besinnt sich die Kirche auf etwas mehr als „Betroffenheitsgestammel“: Sie setzt ein Zeichen: Wir beten für die Opfer! – Morgen, am Karfreitag, dem christlichen Opferfest.
Ein Symbol ist hohl, wenn es keine Entsprechung im Leben hat. Ein Gebet wird zur Heuchelei, wenn es tätige Reue ersetzen soll.
Von der tätigen Reue ist immer noch nichts zu sehen. An getrennten Runden Tischen sollen gleichgeartete Verbrechen abgehandelt werden. Die Opfer zweiter Klasse werden seit einem Jahr hingehalten, während „ihr“ Runder Tisch längst Bekanntes zusammenträgt. Mehr dazu: http://www.gewalt-im-jhh.de/Kappeler_zu_ZB_RTH.pdf .
Die Kirchen haben sich in die Situation gebracht, daß Entschädigungszahlungen nur noch den Charakter von Strafzahlungen annehmen können; kaum jemand wird noch an Umkehr und Reue denken – da können die Kirchen noch so sehr beten lassen. Diese Entwicklung schmerzt.
»Die deutschen Kirchen sind stark vermachtete und verfilzte Organisationen mit viel Pfründenwirtschaft zur Alimentierung von Funktionären, die gern unter sich bleiben und miteinander in einem verquasten Stammesidiom kommunizieren, das für Außenstehende unverständlich bleibt – der ideale Nährboden für Schweigekartelle und Wagenburgmentalität.« Dies schreibt Friedrich Wilhelm Graf, der heute eine erhellende Analyse vom ehemaligen Glanz und heutigen Elend der Kirchen vorgelegt hat. http://www.faz.net/s/Rub117C535CDF414415BB243B181B8B60AE/Doc~E1B34F6F7FBC44C9EBB2877C9A10ACA36~ATpl~Ecommon~Scontent~Afor~Eprint.html
Wenn man das liest, kann man sich so manche unangemessene Reaktion der Kirchen auf die Vorwürfe, sei es von mißhandelten Heimkindern oder von mißbrauchten Domspatzen erklären bis hin Verschwörungstheorie des Vatikans.
Graf schreibt weiter: »Die Kirchen sind hoch narzisstisch und fortwährend auf sich selbst fixiert. Es fehlt ihnen zunehmend an überzeugendem Personal, speziell an gebildeten Führungskräften, sieht man einmal von Karl Kardinal Lehmann und Wolfgang Huber ab. Sie kennen keine diskursive Kultur des offenen argumentativen Austrags interner Konflikte. In Tausenden von Ausschüssen, Kommissionen, Kammern und beratenden Gremien wird viel geredet, aber nichts gesagt und noch weniger verbindlich entschieden. Die eitle Neigung, sich zu allem und jedem zu Wort zu melden, unterminiert die religiöse Glaubwürdigkeit.«
Graf nennt Karl Kardinal Lehmann. Dies sicherlich mit Recht. Auch Lehmann ist heute mit einem Artikel vertreten. Wer ihm und seiner Kirche übel will, wird sagen, da habe man einen elder churchman vorgeschickt, um die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Das sehe ich nicht so. Lehmann ist zwar umsichtig genug, um die über die katholische Kirche hinausreichende Allgemeinheit des Problems aufzuzeigen. Doch anders als bei seinen Kollegen wirkt er sachlich und glaubwürdig. Und eines ist ganz neu: Er spricht nicht nur von über Heiligkeit der Kirche, sondern auch von ihrer und Sündigkeit.
Das Vokabular gehört zwar zum verquasten Stammesidiom, eröffnet aber einen für die katholische Kirche unerhörten Ansatz, Kirche differenzierter zu denken und zu gestalten. Dies wird und muß die ehemaligen Heimkinder nicht interessieren. Für sehr viele von ihnen ist das Kapitel Kirche bestenfalls abgeschlossen, soweit nicht die noch offenen Rechnungen im Vordergrund sind. Wenn die Kirche diese Rechnungen beglichen hat, wird sie auch wieder Symbole setzen können.
Graf schreibt zum Schluß seines Artikels: » Niemand kennt den Preis, den eine freiheitliche Bürgergesellschaft auf lange Sicht zu zahlen hat, wenn ihre religiösen Institutionen und Organisationen erodieren. Er dürfte sehr viel höher sein als von vielen vermutet, und deshalb bedarf es nun einer politischen Debatte über Aufgabe und Zustand der Kirchen. Sie sind zu wichtig, als dass man sie ihren eigenen, wahrlich „exzentrischen“ Funktionseliten überlassen darf.« Dem möchte ich nichts hinzufügen.
Wie kann man heute noch Buße tun?
Gestern, am Buß- und Bettag, gab es im SDR2/Forum eine Diskussion zum Thema:
»Der Sinn der Seelenhygiene – Wie kann man heute noch Buße tun?«
Dort erzählte Hermann Kügler, Ordenspriester und Pastoralpsychologe in Leipzig, eine Begebenheit aus dem Beichtstuhl:
Ein Jugendlicher hatte im Kaufhaus etwas gestohlen, ihn plagte das Gewissen und er beichtete.
Er habe, so Herr Kügler, nicht gleich die Absolution erteilt, sondern mit dem Jungen die Frage der Wiedergutmachung besprochen.
So ist es richtig. Keine Absolution ohne Wiedergutmachung.
In Australien denkt die Kirche offenbar für die mißhandelten Heimkinder nur an den Dialog und die Begleitung, was auch immer das ist.
»Die katholische Kirche setzt sich für die Begleitung ehemaliger Heimkinder und fördert den Dialog mit allen die durch einen Heimaufenthalt geschädigt wurden.«
Es ist immer gut, über die eigene Schuld zu reden. Das hilft der Seelenhygiene.
Doch reden allein macht nichts wieder gut und reicht für eine echte Buße nicht nicht aus.
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