Das war „mein“ Landesbischof[1] seinen Pietisten schuldig: Die Herabstufung der „Orientierungshilfe“ zum „Impulspapier“
»Das Impulspapier der EKD ist keine „Denkschrift“, sagt Landesbischof Frank Otfried July. „Was die EKD vorgelegt hat, ist eine Plattform für Zukunftsdiskussionen“, sagt July. Es beschreibe einen möglichen Prozess, beachte aber die regionalen Unterschiede der Kirchen im Norden und im Süden Deutschlands kaum«.[2]
Als Nachtrag zu bewerten:
http://www.abendblatt.de/hamburg/article117453789/Skandal-legal-normal.html Mittwoch, 26. Juni 2013
[1] Apropos „Landesbischof“: Das Land Baden-Württemberg hat zwei Landesbischöfe. Die sind jeweils nur für einen Teil des Landes zuständig, einer für Baden, einer für Württemberg. Die Kirchen und ihre Amtsbezeichnungen bewegen sich immer noch in den Grenzen, die dereinst Napoleon gezogen hat. Man mag das lächerlich finden oder auch für eine nette historische Huldigung an den Kaiser der Franzosen.
Noch einmal: Lieber Herr Jacob!
Lieber Herr Jacob,
Recht haben Sie, wenn Sie schreiben: Aber hat die Kirche nicht die Aufgabe, ihre Botschaft für alle Verständlich zu übermitteln? Ein Pfarrer muss für alle Menschen verständlich sein.
Für die Predigt gilt das auf jeden Fall, denn sie soll und will die ganze Gemeinde erreichen. Das ist aber etwas, was in der Ausbildung zum Pfarrer zu kurz kommt. Schon mit dem Wechsel aufs Gymnasium wird man der Sprachwelt der „einfachen Leute“ entfremdet. Das Studium verstärkt die Entfremdung und bewirkt in vielen Fällen zudem eine Entfremdung von der Glaubenswelt der „einfachen Gläubigen“. Wir werden eher zu Universitätstheologen ausgebildet, denn zu Pfarrern. Das kann das praxisorientierte Vikariat nur bedingt beheben.
Luther trug wohl zeitlebens den damals üblichen Talar der Universitätslehrer, Vorbild des Pfarrertalars. Und so haben ganze Generationen von Pfarrern ihre steile Theologie Sonntag für Sonntag „Bauernköpfen“ gepredigt. Nicht umsonst gab es „Kirchenwecker“. Die „Frau Pfarrer“ besorgte die Woche über die praktische Seelsorge, während der Herr Pfarrer über seinen Büchern saß. Nun, das ist etwas klischeehaft dargestellt. Schließlich mußten die Pfarrer früherer Zeiten auch nebenbei ihre eigene Wirtschaft betreiben (Acker und Vieh) und waren dadurch der Lebenswelt ihrer Bauern wenigstens zeichenhaft verbunden.
Was für die Predigt gilt, muß nicht für kirchliche Verlautbarungen, wie z.B. Denkschriften gelten. Die dürfen und müssen differenzierter ausfallen als eine Predigt, was nicht heißt, daß Predigten nicht differenzieren sollen, allerdings auf einem anderen Niveau. Belustigend für mich ist allerdings, wie die Zeit manches Differenzierte einebnet. Ich quäle mich gerade durch Max Webers Protestantische Ethik und bin erstaunt bis überfordert zu sehen, welches theologische Filigran unsere Vorväter entfaltet haben. Das hatte zwar nachhaltige Auswirkungen, doch für das Gedankengebäude interessiert sich wohl kaum noch jemand. Webers These von der Verbindung des Calvinismus mit dem Kapitalismus wird zwar immer noch zitiert, doch ich möchte wetten, daß nur sehr selten die Lektüre des Originals dahinter steht.
Da sind wir wieder bei der Frage der Vermittlung komplizierter Erkenntnisse, fast hätte ich Kommunikationsprozeß geschrieben. Die Erkenntnisse müssen verständlich gemacht werden. In der heutigen Medienwelt geschieht das, indem man hauptsächlich das herausgreift, was Neuigkeitswert hat und darum zur Diskussion anreizt, besser noch, Widerspruch hervorruft, der wiederum auf Widerspruch stößt. Dabei sind nicht die Inhalte interessant, sondern die „Klickraten“: Wie viele Personen hat man aus der Reserve gelockt?
So geht es auch mit der neuen Denkschrift. Zwar werden sie nur wenige gelesen haben, doch die zusammenfassenden Thesen waren ausreichend für heftige Kontroversen, so daß der Ratsvorsitzende der EKD schon in Deckung geht. War ja nur ein Diskussionsanreiz.
Ich finde diesen Vorgang spannend und werde ihn vielleicht als Ausgangspunkt für einen Beitrag machen: Vom Elend des Protestantismus soll er heißen. Das Elend zu beschreiben, würde meine Fähigkeiten übersteigen – und auch mit Eingrenzung ist die Aufgabe groß genug, und ich hoffe, daß ich Zeit dafür finde.
Da muß ich die Kirche in Schutz nehmen, lieber Herr Jacob.
Wenn Sie schreiben, »Die Evangelische Kirche Deutschland will mit allen Mitteln verhindern, dass ihre Schrift „Zwischen Autonomie und Angewiesenheit“ gelesen wird. Darum hat sie Ihre „Orientierungshilfe“ auf 162 Seiten aufgeblasen«, dann dürfte das für sämtliche Denkschriften gelten, übrigens auch für alle umfangreichen päpstlichen Verlautbarungen.
Wenn hinter Ihrem Kommentar die Frage steht: Wer liest das schon?, dann haben Sie zwar Recht, doch das schlägt auf alle zurück, die eben nicht lesen. Ganz nebenbei: Wer von den damaligen Zeitgenossen hat Hitlers „Kampf“ gelesen, oder Rosenbergs „Mythos“? Auch heutige Parteiprogramme werden selten vom Wahlbürger gelesen.
Für uns lesen meist nur die Journalisten und Kommentatoren, und wir begnügen uns zumeist damit. Denn es stimmt schon: Wer soll das alles lesen?
Die Humanisten gingen ad fontes, zu den Quellen – und wurden fündig. Das müssen wir bei Meldungen, die uns wichtig sind, auch tun. Zum Glück haben wir jedoch oft auch glaubwürdige Berichterstatter.
Denkschriften der EKD sind in der Regel von Fachgremien sorgfältig erarbeitete Dokumente und kirchliche Stellungnahmen zu komplexen gesellschaftlichen Problemen. Manche haben Geschichte geschrieben, so die „Ostdenkschrift“. Damals allerdings wurden Denkschriften auch noch für denkwürdig gehalten. Das ist heute nicht mehr der Fall, wie man an der von der EKD und der Bischofskonferenz gemeinsam herausgegebenen „Sozialdenkschrift“ sehen konnte. Die paßte den Politikern nicht und sie verschwand in der Versenkung, wie vorauszusehen war.
Die neue Denkschrift wird wohl eher für „das Kirchenvolk“ bedeutsam werden und sorgt bereits für Unmut, weil der U-Turn unvermutet und unvorbereitet kommt. Die „Gesellschaft“ ist weithin schon viel weiter und benötigt den kirchlichen Segen für selbstgewählte Lebensformen nicht mehr. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.
Ich habe bisher nur die zusammenfassenden Thesen der Denkschrift[1] gelesen. Wenn ich den kirchlichen Jargon akzeptiere, ist bisher alles in Ordnung, auch theologisch. Ich werde mir die Mühe machen, und auch den Rest noch lesen, obwohl mir die bisherige Lektüre wohl schon alles Wissenswerte gesagt hat. Also: Ad fontes!
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