„Betreutes Wohnen“ – ein Etikettenschwindel
Keine Orte, keine Namen, es kann überall sein.
Sie wollten eine altengerechte barrierefreie Wohnung, City-nah und hatten nicht nur den Mietvertrag unterschrieben, sondern auch den daran gekoppelten Dienstleistungsvertrag mit einem Sozialkonzern. Dieser Dienstleistungsvertrag sollte sogar ermöglichen, bei Bedarf auf Wunsch in der eigenen Wohnung bleiben zu können, auch wenn inzwischen Pflegedienste nötig sein sollten, was wohl nur selten auf Dauer funktionieren dürfte.
Aus diesem Traum erwachten sie, als sie merkten, daß sie im verpflichtenden Basispaket eine Notrufanlage gebucht hatten und mit ihrem monatlichen Beitrag von 128,00 € (Einzelperson) auch ein Beratungsangebot finanzierten, das je nach Bedarf Wahlleistungen vermittelt, wie Hauswirtschaftliche Dienste (z.B. Speisenversorgung, Wohnungsreinigung, Wäschedienst, Einkauf und Besorgung), dazu allgemeine Angebote wie Begleitung außer Haus (Arzt, Veranstaltungen, Spaziergänge). Die Wahlleistungen kosten extra, wie die Sonderausstattung beim Auto. Zum Basispaket gehört noch der Anspruch, auf Wunsch vorzugsweise Aufnahme zur Kurzzeitpflege oder Dauerpflege in einer stationären Altenhilfeeinrichtung des Sozialkonzerns zu erhalten, dieses dann wieder kostenpflichtig.
Der Vertrag mit dem Sozialkonzern ist so gut wie unkündbar. Er endet mit Erlöschen des Mietvertrages – und steht die Wohnung dadurch eine Zeitlang leer, muß der Besitzer für die Sozialrate aufkommen.
Wir hatten eine heftige aber gesittete Veranstaltung – und der Sozialkonzern zieht sich aus dem Vertrag zurück. Zu viele Bewohner opponierten gegen die Leistungen, die sie (noch) nicht brauchen und bemängelten die Qualität dieser Leistungen.
Die Vertreter des Sozialkonzerns argumentierten, der Vertrag sei völlig normal und entspreche dem Konzept wohl aller Anbieter im Sozialmarkt. Auch die Koppelung von Mietvertrag und Betreuungsvertrag sei das Modell, das allen Konzeptionen für betreutes Wohnen zugrunde liege. Und: Die Anbieter müßten vom Ertrag ihrer Arbeit auch leben können, früher hätte man „standesgemäß“ hinzugefügt.
Dem mochte und möchte ich nicht widersprechen. Doch gerade die Normalität solcher Verträge zeigt die allgemeine Problemlage auf.
Im Werbeprospekt wird „Betreutes Wohnen“ angeboten“. Man unterschreibt aber einen „Dienstleistungsvertrag“, der neben der Notrufanlage hauptsächlich nur die Beratung zu weiteren, zusätzlich kostenpflichtigen Dienstleistungen eröffnet. Das Basispaket bietet dem Sozialkonzern eine Monopolstellung in der Wohnanlage. Man kann die Leistungen weder ablehnen noch alternativ nach günstigeren Anbietern suchen. Der Wettbewerb ist ausgeschaltet. Erst die Wahlleistungen geben den Anbietermarkt frei, doch die Beratung wird, und das ist nicht verwerflich, in Richtung der Angebote dieses einen Sozialkonzerns gehen. Ein solcher Vertrag mag üblich sein, ist jedoch sittenwidrig.
Das Grundkonzept gehört überdacht. Zunächst sollte man die irreführende Werbung mit dem Begriff „Betreutes Wohnen“ aufgeben. Der weckt Wünsche, die nicht erfüllt werden können, jedenfalls nicht zum Basistarif.
Außerdem: Betreuung wird von „Betreuern“ geleistet in Fällen, in denen sie behördlich eingesetzt werden, um für Menschen, die nicht mehr in allen Dingen geschäftsfähig sind, zu ihrem Schutz einen kompetenten Betreuer/Vertreter in genau diesen Sachbereichen zur Seite zu stellen. Er muß darüber auch Rechenschaft ablegen, bei uns in Baden-Württemberg beim Notariat, das die Funktion des Vormundschaftsgerichts hat. Betreuung ist also eine Einschränkung der Mündigkeit. Wer noch voll mündig ist und für sich verantwortlich handeln kann, braucht keine Betreuung und sollte sich daran erinnern lassen, daß Betreuung die Form von Terror ist, für den man auch noch dankbar sein muß. So Dolf Sternberger im „Wörterbuch des Unmenschen“. Wer sich für altengerechtes Wohnen mit Barrierefreiheit und im Bedarfsfall garantierten Hilfeleistungen entscheidet, ist noch voll geschäftsfähig und sollte nicht durch Verträge geknebelt werden. Wenn man einen Betreuer braucht, dann gibt es den zusätzlich und der paßt (hoffentlich) auf, daß man von niemandem über den Tisch gezogen wird.
Dienstleistungsverträge für „Betreutes Wohnen“ werden anscheinend von allen Sozialkonzernen zu etwa denselben Bedingungen angeboten. Es drängt sich der Eindruck auf, daß wir es mit einem, wenn auch unabgesprochen, kartellartigen Marktverhalten zu tun haben. Zielgruppe sind die nicht ganz so armen Alten, die neben einer teuren Wohnung (barrierefrei, Aufzüge, automatische Türöffner, Versammlungsraum, angenehme Raumgestaltung auch im Zugangsbereich) auch noch eine Art Sozialbeitrag leisten sollen für die Grundlasten der Sozialkonzerne. Die genannten Annehmlichkeiten gehören erklärtermaßen zum Konzept „Betreutes Wohnen“. Die Sozialkonzerne heften sich das stolz an die Brust, ohne zu erwähnen, daß diese Vorteile über die Miete bezahlt werden und nicht über den Dienstleistungsvertrag.
Solche Mogelpackungen gehören aufgeschnürt und die Kalkulation der Sozialkonzerne auf eine seriöse Basis gestellt.
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