Betreuungsrecht hebelt Eheversprechen aus
„In Freud und Leid – bis dass der Tod uns scheidet“? Pustekuchen. Das Betreuungsgericht nimmt uns die Verantwortung ab.
Das Seniorenmagazin stellt einen Fall vor.[1]
Ein 85-jähriger Pensionär erlitt »an einem Wochenende einen Schlaganfall. Ganz selbstverständlich begehrte die Ehefrau vom behandelnden Arzt Auskunft über die Folge der Erkrankung. Sie bat den Arzt, den Willen ihres Mannes, keinen operativen Eingriff vorzunehmen, zu respektieren.
Da sie weder eine Patientenverfügung noch eine Vorsorgevollmacht vorweisen konnte, erteilte der Arzt ihr weder Auskunft noch entsprach er dem Wunsch nach Unterlassen ärztlicher Eingriffe. Er verlangte die Vorlage einer Entscheidung des Betreuungsgerichtes. Das Betreuungsgericht aber lehnte die 83-jährige Ehefrau als Betreuerin mit der Begründung ab, sie sei wegen ihres hohen Alters „ungeeignet“ für die Übernahme dieser Aufgabe. Es setzte stattdessen einen Behörden- beziehungsweise Berufsbetreuer ein. Eine Entscheidung, die für die Ehefrau nach fast 60-jähriger Ehe und für ihre Familie unfassbar war. Die Folge war eine über Monate andauernde rechtliche wie verbale Auseinandersetzung mit Gericht und Betreuer.
Die Ehefrau war davon ausgegangen, dass die nach Art. 6 Grundgesetz unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung stehende Ehe und Familie die gegenseitige Fürsorge ausdrücklich umfasse. In der Auseinandersetzung mit dem Gericht berief sie sich auf § 1353 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), wonach Eheleute einander zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet sind; sie tragen füreinander Verantwortung.«
Der Autor zieht das Fazit, dass der Normalfall offenbar nicht das Vertrauen auf die Angehörigen ist , sondern das Misstrauen. Liege keine entsprechende Vollmacht vor, werde das seinen Grund haben, nämlich dann – so die Unterstellung – sei das ein Misstrauensbeleg.
Fazit der betroffenen Frau nach der monatelangen Auseinandersetzung: »„Man hat mit dem Betreuungsrecht die ,Entmündigung der Betroffenen’ nach altem Recht beseitigt, gleichzeitig aber die Angehörigen entmündigt“. Sie vertritt die Auffassung: „Fehlt eine schriftliche Willenserklärung, könne unterstellt werden, dass es der vorrangige Wille des Ehepartners beziehungsweise der Kinder ist, dass eine Betreuung durch die engsten Familienmitglieder ausgeübt wird“.«
Das Seniorenmagazin schlussfolgert: »Das geltende Recht schließt eine automatische gesetzliche Vertretung, eine Handlungsvollmacht zwischen Ehepartnern oder mit Kindern aus. Nach Bekundung vieler unserer Mitglieder ist der Grundsatz: „Ohne Vollmacht keine Vertretung“ eine Fehlinterpretation der Grundrechtslage. Der Umkehrschluss sollte gelten: Nur eine Vollmacht ändert den Automatismus. Es ist zu fordern, dass im Fall der Geschäftsunfähigkeit beziehungsweise der Unfähigkeit, seinen Willen frei zu äußern beziehungsweise danach zu handeln, der noch handlungsfähige Ehepartner beziehungsweise die Kinder durch das Eheversprechen oder infolge der Blutsverwandtschaft automatisch eine rechtsgültige Vertretungsbefugnis erhalten. Nur im Falle einer abweichenden Willenserklärung sollte diese Erklärung Vorrang haben.«
Diese aufgezeigte Rechtslage betrifft nicht nur die kirchliche Eheschließung[2] mit ihrer besonders deutlichen Verantwortungsformel für Ehepaare, sondern auch alle Ehen[3] und darüber hinaus auch die eingetragenen Partnerschaften. Denn all diesen Verbindungen werden staatlicherseits Vorteile eingeräumt mit der berechtigten Vermutung, dass durch die Verantwortungsübernahme dem Staat auch Vorteile erwachsen.
Doch wie es aussieht, ist dabei wohl nur an die finanzielle Mithaftung gedacht.
Unsere Kirchenleitungen sollten schon aus dem Interesse an theologisch begründeter Sozialverantwortung hier Einspruch erheben.
Allerding vertraue ich unseren Kirchenleitungen nicht mehr als den staatlichen Organen. Insofern wird wohl jeder selber tätig werden müssen um die staatlich gewollte Auseinanderdividierung anerkannter Lebensgemeinschaften und damit die Individualisierung ihrer Mitglieder zu unterlaufen: Man gebe seinen Lieben[4] die Vertretungsvollmacht. Das gilt für alle Lebensalter, denn man kann schon sehr früh durch Unfall oder Krankheit zum Pflegefall werden.
Wer dann nicht durch einen Bürokraten kostenpflichtig vertreten werden will, der beuge vor.
[1] Zitate aus: Dieter Berberich, „Das Anliegen: Die Bedürfnisse aller Betroffenen berücksichtigen – Seniorenverband fordert Änderung im Betreuungsrecht“, in: Seniorenmagazin öffentlicher Dienst Baden-Württemberg, November 2015, S. 4-6
[2] Etwas weltfremd idealisiert, doch theologisch korrekt arbeitet Eberhard Schockenhoff, Professor für Moraltheologie, das grundlegende Füreinander von Lebensgemeinschaften heraus, und schließt dabei alle Lebensgemeinschaften ein, auch homosexuelle, die sich diesem Ideal verpflichtet sehen. Das wird ihm seine Kirche, die katholische, sicherlich übelnehmen. http://www.thpq.at/2015/quartal_04/339-346%20Schockenhoff%20%28ThPQ%204_2015%29s.pdf
[3] In den säkularen Trauungsansprachen von Standesbeamten wird, wie ich gerade kürzlich wieder Zeuge war, auch darauf abgehoben, dass die Eheleute einander zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet sind und füreinander Verantwortung tragen.
[4] Wohl jeder kennt Fälle, in denen „die Lieben“ sich nicht als solche erwiesen haben. Erbengemeinschaften sind häufig ein Beispiel für Individual-Egoismus. Doch man achtet dabei – wie auch sonst – auf die negativen Fälle, denn nur die schlechte Nachricht ist eine Nachricht. Das große „normale“ Feld verantwortlichen Verhaltens ist nicht der Rede wert.
Kinderwunsch und Kindeswohl
Es gibt leider nicht viele Eltern, deren Umgang für die Kinder ein Segen ist[1]. So die Beobachtung von Marie von Ebner-Eschenbach. Damals kamen natürlich nur miteinander verheiratete Eltern infrage. Das ist heute anders. Geheiratet wird immer weniger, auch wenn Kinder da sind.[2] Und wenn trotz aller „klassischen“ Versuche keine kommen? Dafür gibt es die „Kinderwunschbehandlung“. Ein schönes Wort für eine strapaziöse – und teure – Angelegenheit. Doch die Kasse zahlt – bis zu drei Versuchen.
Nun hat es doch das Bundessozialgericht gewagt, dafür einen Unterschied zu machen zwischen Eheleuten und nicht miteinander verheirateten Paaren. Geld nur für Ehepaare. Als ich das gestern im Radio hörte, fiel mir nur „shitstorm“ ein. Heute brach er los. Zwar hat DIE ZEIT noch weitgehend nüchtern das Urteil referiert[3], doch das Leserbriefforum kochte über. Die political correctness für liberale Formen des Zusammenleben und gegen die „veraltete“ Ehe brach sich Bahn. So wie der Bauch einer jeden Frau allein ihr gehört, so hat sie unabhängig von den Rahmenbedingungen auch ein Recht auf ein Kind in ihrem Bauch. Nach dem Kindeswohl fragt in beiden Fällen niemand, und wenn, wird es zum unbestimmten Rechtsbegriff erklärt, was ja auch stimmt, und zum Totschlagargument – das stimmt nicht, verkürzt aber die Diskussion.
Die FAZ brachte in ihrer Printausgabe einen vernünftig distanzierenden Artikel[4]. Zum einen ist das Gericht der Rechtslage gefolgt. Zum andern: Kinder können gute oder schlechte Eltern haben, jeder kennt genug Fälle für beides. Frage ist nur, wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, gute Eltern vorzufinden? Welche Rolle spielt der Ehestatus? Die Ehe, schreibt die FAZ, »ragt da allenfalls noch wie ein alter Monolith in die neue Zeit hinein. Der Trauschein ändert doch nichts an der Beziehung? Auch wenn schon seit Jahren weder Trauzeugen noch Aufgebot vorgeschrieben sind, so bleibt die Ehe als prinzipiell ewiger Bund ein Schritt, den man nicht unbedacht geht. Man weiß um rechtliche Bindungen, die Unmöglichkeit, es sich sogleich wieder anders zu überlegen. Natürlich kann echte Solidarität nicht eingeklagt werden; aber man ist einander auch rechtlich verpflichtet. Schon das macht die Beziehung stabiler. Deshalb muss kein Paar die Kosten für eine künstliche Befruchtung selbst tragen. Es kann ja heiraten. Im Sinne des Kindeswohls ist das nicht zu viel verlangt.«
Das sehe ich auch so und habe noch die Auskunft eines Sozialarbeiters im Ohr. Er sagte auf meine Frage, wie es Kindern in einer „Patchworkfamilie“ gehe: „Beschissen. Von den eigentlichen Eltern sei zuweilen niemand mehr da, die Kinder würden einfach weitergegeben.“ Das ist sicherlich nur ein Ausschnitt. Auch manchen Kindern in einer Ehe, besonders aber Scheidungskindern geht es oft „beschissen“[5]. Es fragt sich nur, wo die Chancen für die Kinder größer sind. Doch dieser Kindeswohlfrage wird nicht nachgegangen. Es geht immer nur um Elternrechte und dem Mainstream, der sich nicht nur in Foren äußerst, sondern in solchen Fragen PolitikerInnen findet, die den Mainstream für ihre Karriere nutzen.
[1] Marie von Ebner-Eschenbach http://de.wikipedia.org/wiki/Marie_von_Ebner-Eschenbach Sie selbst hatte es besser. Als ich in Anlehnung an Felix Schottlaender, Die Mutter als Schicksal. Erfahrungen eines Psychotherapeuten. Hamburg 1967, „Eltern sind Schicksal, manchmal auch Schicksalsschläge“ zum Tagungsthema machte, hörte ich manchen Seufzer.
[2] Die verständnisvolle, oft aber auch diskriminierende Redewendung „Die mussten ja heiraten“, dürften viele allenfalls aus Erzählungen kennen, und der Hintergrund des Ausdrucks abkanzeln, im Sinne einer Rüge von der Kanzel herab wegen eines vorehelich gezeugten Kindes ist nicht einmal bei Google hervorzukitzeln. Und das ist gut so.
[3] http://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2014-11/kuenstliche-befruchtung-krankenkasse-kosten/komplettansicht
[4] FAZ, Donnerstag, 20. November 2014, S. 10. Leider darf ich aus ©-Gründen meinen Scan hier nicht wiedergegeben. Für 1,00 € kann man ihn hier herunterladen: http://fazarchiv.faz.net/document/showSingleDoc/FAZT__FD2201411204427999?KO=&timeFilter=&dosearch=new&sext=0&crxdefs=&NN=&BC=&q=Krankenversicherung%2C+gesetzliche&sorting=&CO=&submitSearch=Suchen&maxHits=&CN=&toggleFilter=&&annr=170&highlight=\eJxzs9Li0rPKLkrMy07NK0stKs5MzkgtKs1LV1AAiqenFqeWVOWAxIB8N6t4otUCACbDHZI%3D\
Arbeitsskript dierk schaefer
Sex ist am wichtigsten
Was in der katholischen Dogmatik zählt, ist Sex, … ob ja oder ob nein.
Luzide und in erfrischender Offenheit nimmt der Bonner katholische Kirchenrechtler Norbert Lüdecke die „Handreichung“ für „die kommenden Jahre“, herausgegeben vom Erzbischöflichen Seelsorgeamt Freiburg als eine „Orientierung für die pastorale Praxis“ unter die dogmatische Lupe.[1]
Es geht um die Verweigerung der Sakramente für geschiedene und wiederverheiratete katholische Gläubige. Deren geschiedene Ehe ist nach katholischem Recht nicht geschieden, denn die Ehe ist ein Sakrament[2] und als solches dauerhaft gültig. Eheleute können getrennt von Tisch und Bett leben, die Ehe bleibt gültig und steht daher einer neuen Eheschließung im Wege. Wer dennoch wieder heiratet, lebt in der Sünde, früher nannte man es Konkubinat[3], weltlich gesprochen wäre es ein Fall von Bigamie.
Unter bestimmten Umständen, so Lüdecke, könne die Kirche ein solches nicht von der Kirche gebilligtes Zusammenleben tolerieren und den „Zugang zu den bislang zu verweigernden Sakramenten, … insbesondere zu Beichte, Kommunion und Krankensalbung“ ermöglichen. So, „wenn aus einer solchen neuen Verbindung bestimmte sittliche Verpflichtungen entstanden sind, die es moralisch nicht zulassen, das zu tun, wozu die neuen Partner verpflichtet wären, nämlich sich voneinander zu trennen.“, seien Kinder der Grund oder die Krankheit eines Partners. Doch diese Ausnahme gilt nur, „wenn die beiden Partner bereit sind, auf das zu verzichten, was eben nur in der Ehe erlaubt ist: den Sex.“
In der „Handreichung ist von „der Pflicht zur Enthaltsamkeit … nicht die Rede. Das bedeutet: Von der bislang ausnahmslos geltenden moralischen Norm und damit von einer wichtigen kirchlichen Lehre, deren Bezweiflung bislang etwa für Theologielehrende gravierende Konsequenzen haben konnte, wird für diese Paare eine Ausnahme gemacht. Galt früher ausnahmslos: „Kein legitimer Sex außerhalb einer kirchlich gültigen Ehe!“, so ist nun außerehelicher Sex unter bestimmten Bedingungen moralisch zulässig. Was lehramtlich bislang strikt zurückgewiesen wird, gilt jetzt partiell als zulässig.“
Damit bräche wirklich eine Weltordnung zusammen, denn dann „müssten auch Pastoralreferenten und Pastoralreferentinnen nach einer Wiederheirat nicht mehr entlassen werden. Geschiedene, die sich zum Beispiel in Pfarrgemeinderäten engagieren, könnten sich als nicht nur geduldet, sondern anerkannt fühlen.“
Prof. Lüdecke ist auch aus anderen Veröffentlichungen als Hardliner bekannt. Er rechtfertigt Zensur und die Kontrolle von Exegeten (Bibelauslegern) als „Heilsdienst“, mit dem Gläubige vor Irrlehren geschützt werden.
All dies zeigt deutlich und überzeugend, daß in einer Weltanschauung, in der es auf das jenseitige Heil ankommt, das Recht des Pursuit of Happyness[4] in dieser Welt dahinter zurücktreten muß. Das war auch das Prinzip in den kirchlichen, nicht nur in den katholischen Erziehungseinrichtungen.
Das Erzbischöfliche Seelsorgeamt Freiburg hat mit seiner Handreichung allerdings seinen Erzbischof in die Bredouille gebracht. Ist doch Herr Zollitsch[5] in der kommenden Woche in Rom, um in der causa Limburg für Abhilfe zu sorgen. Da ist es außerordentlich störend, wenn aus seinem Hause dogmatisch unzulässige Vorstöße kommen. Schließlich ist Loyalität gegenüber Rom ausschlaggebend für sonstige Beinfreiheit – übigens auch in sexualibus.[6]
Beispielhaft für das, was im positiven Sinne Protestantismus ist.
»Es ist eine ihrer umstrittensten Veröffentlichungen der letzten Zeit, die die Evangelische Kirche in Deutschland EKD in der vergangenen Woche in Berlin vorgestellt hat. „Zwischen Autonomie und Angewiesenheit“ heißt die Schrift, der Untertitel verspricht „Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken“. In den 160 Seiten der Orientierungshilfe verberge sich nichts weniger als ein Kurswechsel in Sachen Familienpolitik, kündigte Nikolaus Schneider an, der Ratsvorsitzende der EKD. Und das war nicht tief gestapelt«.
Sicherlich ist es ein Kurswechsel. Ich schrieb von einem U-Turn. Kirsten Dietrich vom Deutschlandradio hat sich mit einer der Autorinnen getroffen, mit Christine Bergmann. Sie »war Familienministerin im Kabinett von Gerhard Schröder und Bundesbeauftragte zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs. Sie leitete drei Jahre lang die sogenannte Ad-hoc-Kommission, die die familienpolitische Orientierungshilfe für die evangelische Kirche in Deutschland verfaßte«. Kirsten Dietrich hat »mit Christine Bergmann über die Kritik an dem Papier gesprochen – und wollte auch wissen, ob es denn auch Reaktionen gab, über die sie sich gefreut hat«.
Ein zentraler Auszug aus dem gesamten Interview[1]
Bergmann: »Die Verbindlichkeit des Miteinander-Lebens, diese liebevolle Zuwendung, die Fürsorge füreinander, die ist uns wichtig. Und wenn diese Normen in anderen familiären Beziehungen gelebt werden – genau das wollen wir eigentlich. Wir wollen, dass Menschen so miteinander umgehen, unabhängig davon, in welcher Form das jetzt passiert«.
Doch bevor diese Sichtweise sich durchsetzt gegen konservative Kritik, wird es wohl auf beiden Seite noch viele Blessuren geben.
[1] http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/religionen/2160099/ Sonntag, 30. Juni 2013
»Eine geschiedene Ehe ist eine geordnete Sünde« …
… sagte Eduard Thurneysen[1], Professor für Praktische Theologie, in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts.
Ein solcher Spruch ist heutzutage befremdend, sind doch die Scheidungszahlen so radikal gestiegen wie das Sündenbewußtsein gesunken.
Doch gilt das ausnahmslos?
Jain!
Viele meinen, Pfarrer dürften sich eigentlich nicht scheiden lassen und erinnern an das Eheversprechen bis daß der Tod uns scheidet. Andererseits aber reichen die Scheidungsquoten evangelischer Pfarrer vermutlich an das Scheidungsverhalten der übrigen Bevölkerung heran – so genau wird das allerdings bisher nicht erhoben.[2]
Auch in anderen Verhaltensbereichen kann man ja erleben, daß Pfarrer verschärften moralischen Anforderungen genügen sollen. Sie sollen für alle beispielhaft sein, die dafür dann das Sündigen besorgen.
Da meinen manche, der Bundespräsident, ein Pfarrer, solle seine Familienverhältnisse „ordnen“, eine geschiedene Bischöfin sei nicht tragbar usw. usw. Ähnlich rigorose Anforderungen gelten für vorehelichen Geschlechtsverkehr, besonders im Pfarrhaus, oder gar gleichgeschlechtliche Liebe.
Doch bleiben wir bei der Ehe, zunächst bei der Ehe von Nicht-Pfarrern. Auch ich halte es für problematisch, angesichts der Scheidungshäufigkeit bei der Trauung die übliche liturgische Formel zu verwenden. Wir wissen doch, daß in der Hälfte aller Fälle nicht der Tod, sondern der Scheidungsrichter scheidet. Wie können wir guten Gewissens diese Realität, die ihre Gründe hat, ignorieren? Als Pfarrer, der fast sein ganzes Berufsleben mit Sonderaufgaben betraut war, habe ich nicht viele Trauungen[3] durchgeführt, aber immer gefragt, ob das Brautpaar diese Formel will. Zweimal erhielt ich zur Antwort: Nein. Wir wollen auf immer und ewig. Nun, wer meint, auch in diesen Angelegenheiten Verfügungen für die Zeit nach dem Tod treffen zu können, mag das tun. Doch es ist nun einmal so, daß in der Zeit des Honeymoons die Leute nicht ans Scheitern denken. In Frankreich allerdings werden Eheverträge geschlossen, die auch Regelungen für eine vorzeitige Beendigung der Ehe vorsehen.
Und nun zur Pfarrerehe und der Vorbildverpflichtung. Daß Pfarrerehen nicht unbedingt länger halten, als andere, würde ich nicht moralisch bewerten wollen. Da bei der Trauung in der Regel die Formel bis daß der Tod benutzt wird, ist in diesem Sinne eine Scheidung tatsächlich eine Sünde, aber eine geordnete. Da wir alle Sünder und auf Vergebung angewiesen sind, muß es auch für geschiedene Pfarrer einen – demütigen – Neuanfang geben, doch keine Demütigung durch andere, seien es Kirchenleitungen oder Gemeinden. Für die Vorbildwirkung scheint mir etwas anderes wichtiger: Wie geht die Scheidung vonstatten? Ist sie fair, gibt es so etwas wie ein – wenn auch mühsam erarbeitetes – Einverständnis, oder gab es ein Schlachtfeld mit lauter Blessierten oder gar einen Sieger auf der einen und einen wirtschaftlich und emotional am Boden zerstörten Verlierer auf der anderen? Hier darf man Anforderungen stellen, doch die sollten nicht nur für Pfarrersehen gelten, sondern ganz allgemein für den Umgang von Eheleuten miteinander.
Der Kirche ist vorzuwerfen, daß sie keine liturgische Begleitung für den Trennungs- und Scheidungsfall entwickelt hat. Sie diskriminiert damit Menschen, die ohnehin schon miteinander ihre liebe Not haben.[4]
[2] http://www.christundwelt.de/detail/artikel/ist-der-pfarrer-noch-vorbild/ Mittwoch, 5. Juni 2013
[3] Es ist übrigens ein Irrtum, daß Ehen in der Kirche geschlossen werden. Dafür ist das Standesamt da. Bei der Trauung bittet man um den Segen Gottes für diese Ehe. Daß in romantischer Verklärung Ehen im Himmel geschlossen werden, steht auf einem anderen Blatt.
[4] Wer als Pfarrer in dieser Weise Stellung bezieht, wird gefragt werden, ob er nicht in eigener Sache spricht. Das ist nicht der Fall. Meine Frau und ich sind seit langem und in erster Ehe verheiratet. Wir haben bei unserer Trauung ganz bewußt auf die Todesformel verzichtet.
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