»künftig soll letztendlich das Jugendamt entscheiden«
Das klingt nicht gut. Doch wenn die Fachverbände Kritik an einer Gesetzesreform üben, so muss man genau hinschauen.
Mehr Staat muss nicht falsch sein, es sei denn, er will hauptsächlich an den Interessen von Kindern und Jugendlichen vorbei Sparmodelle durchsetzen, – und so sieht es aus: »sofern „infrastrukturelle Angebote“ den Bedarf decken könnten, also etwa der günstigere Besuch von Mütter-Kind-Treffs, sollen diese vor individuell zugewiesenen Sozialarbeitern bevorzugt werden. Für junge Volljährige soll die allgemeine Jugendsozialarbeit, wie beispielsweise Ausbildungshilfen, sogar regelhaft Einzelhilfen ersetzen. Und Kleinstheime, in denen eine familienähnliche Lebenssituation besteht, sollen laut Hammer nicht mehr als Einrichtung zählen, sondern als schlechter finanzierte Pflegefamilie.«[1]
Kein Wunder, dass die Fachverbände sturm laufen, – weniger Geld, weniger Macht auch für sie. »Länder und Kommunen könnten dann nach Gutdünken Standards absenken, Angebote und Hilfen streichen. … „Die Träger der freien Jugendhilfe werden de facto rechtlos gestellt“«.
Wenn die Fachverbände an die Kandare der Evidenzbasierung von Jugendhilfe-Maßnahmen gelegt würden, hätte das durchaus Vorteile für die Kids – und auch für die Gesellschaft. Die Fachverbände haben in der Vergangenheit eine für sie vorteilhafte Lobby-Arbeit geleistet und ihre Rechtsbestände gesichert, so dass den vielgescholtenen Jugendämtern oft nicht einmal die Möglichkeit von fachlichen Vorgaben, geschweige denn effektiven Kontrollen offen steht. Die Sozialministerin aus Schleswig-Holstein hat sich eine blutige Nase geholt, als sie versuchte hier durchzugreifen.[2]
Fazit: Die Interessen von Kindern und Jugendlichen – und ihren Familien – werden wieder einmal Fremdinteressen untergeordnet. Politik ist die Kunst des Machbaren. Da bleibt für die Kids nur das Nachsehen.
[1] alle Zitate aus: http://www.taz.de/Neufassung-Kinder–und-Jugendgesetz/!5344434/
[2] Die Zahnlosigkeit der Gesetze zum Recht von Schutzbefohlen, 24. Juni 2015, https://dierkschaefer.wordpress.com/2015/06/24/die-zahnlosigkeit-der-gesetze-zum-recht-von-schutzbefohlen/
Kinderwunsch und Kindeswohl
Es gibt leider nicht viele Eltern, deren Umgang für die Kinder ein Segen ist[1]. So die Beobachtung von Marie von Ebner-Eschenbach. Damals kamen natürlich nur miteinander verheiratete Eltern infrage. Das ist heute anders. Geheiratet wird immer weniger, auch wenn Kinder da sind.[2] Und wenn trotz aller „klassischen“ Versuche keine kommen? Dafür gibt es die „Kinderwunschbehandlung“. Ein schönes Wort für eine strapaziöse – und teure – Angelegenheit. Doch die Kasse zahlt – bis zu drei Versuchen.
Nun hat es doch das Bundessozialgericht gewagt, dafür einen Unterschied zu machen zwischen Eheleuten und nicht miteinander verheirateten Paaren. Geld nur für Ehepaare. Als ich das gestern im Radio hörte, fiel mir nur „shitstorm“ ein. Heute brach er los. Zwar hat DIE ZEIT noch weitgehend nüchtern das Urteil referiert[3], doch das Leserbriefforum kochte über. Die political correctness für liberale Formen des Zusammenleben und gegen die „veraltete“ Ehe brach sich Bahn. So wie der Bauch einer jeden Frau allein ihr gehört, so hat sie unabhängig von den Rahmenbedingungen auch ein Recht auf ein Kind in ihrem Bauch. Nach dem Kindeswohl fragt in beiden Fällen niemand, und wenn, wird es zum unbestimmten Rechtsbegriff erklärt, was ja auch stimmt, und zum Totschlagargument – das stimmt nicht, verkürzt aber die Diskussion.
Die FAZ brachte in ihrer Printausgabe einen vernünftig distanzierenden Artikel[4]. Zum einen ist das Gericht der Rechtslage gefolgt. Zum andern: Kinder können gute oder schlechte Eltern haben, jeder kennt genug Fälle für beides. Frage ist nur, wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, gute Eltern vorzufinden? Welche Rolle spielt der Ehestatus? Die Ehe, schreibt die FAZ, »ragt da allenfalls noch wie ein alter Monolith in die neue Zeit hinein. Der Trauschein ändert doch nichts an der Beziehung? Auch wenn schon seit Jahren weder Trauzeugen noch Aufgebot vorgeschrieben sind, so bleibt die Ehe als prinzipiell ewiger Bund ein Schritt, den man nicht unbedacht geht. Man weiß um rechtliche Bindungen, die Unmöglichkeit, es sich sogleich wieder anders zu überlegen. Natürlich kann echte Solidarität nicht eingeklagt werden; aber man ist einander auch rechtlich verpflichtet. Schon das macht die Beziehung stabiler. Deshalb muss kein Paar die Kosten für eine künstliche Befruchtung selbst tragen. Es kann ja heiraten. Im Sinne des Kindeswohls ist das nicht zu viel verlangt.«
Das sehe ich auch so und habe noch die Auskunft eines Sozialarbeiters im Ohr. Er sagte auf meine Frage, wie es Kindern in einer „Patchworkfamilie“ gehe: „Beschissen. Von den eigentlichen Eltern sei zuweilen niemand mehr da, die Kinder würden einfach weitergegeben.“ Das ist sicherlich nur ein Ausschnitt. Auch manchen Kindern in einer Ehe, besonders aber Scheidungskindern geht es oft „beschissen“[5]. Es fragt sich nur, wo die Chancen für die Kinder größer sind. Doch dieser Kindeswohlfrage wird nicht nachgegangen. Es geht immer nur um Elternrechte und dem Mainstream, der sich nicht nur in Foren äußerst, sondern in solchen Fragen PolitikerInnen findet, die den Mainstream für ihre Karriere nutzen.
[1] Marie von Ebner-Eschenbach http://de.wikipedia.org/wiki/Marie_von_Ebner-Eschenbach Sie selbst hatte es besser. Als ich in Anlehnung an Felix Schottlaender, Die Mutter als Schicksal. Erfahrungen eines Psychotherapeuten. Hamburg 1967, „Eltern sind Schicksal, manchmal auch Schicksalsschläge“ zum Tagungsthema machte, hörte ich manchen Seufzer.
[2] Die verständnisvolle, oft aber auch diskriminierende Redewendung „Die mussten ja heiraten“, dürften viele allenfalls aus Erzählungen kennen, und der Hintergrund des Ausdrucks abkanzeln, im Sinne einer Rüge von der Kanzel herab wegen eines vorehelich gezeugten Kindes ist nicht einmal bei Google hervorzukitzeln. Und das ist gut so.
[3] http://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2014-11/kuenstliche-befruchtung-krankenkasse-kosten/komplettansicht
[4] FAZ, Donnerstag, 20. November 2014, S. 10. Leider darf ich aus ©-Gründen meinen Scan hier nicht wiedergegeben. Für 1,00 € kann man ihn hier herunterladen: http://fazarchiv.faz.net/document/showSingleDoc/FAZT__FD2201411204427999?KO=&timeFilter=&dosearch=new&sext=0&crxdefs=&NN=&BC=&q=Krankenversicherung%2C+gesetzliche&sorting=&CO=&submitSearch=Suchen&maxHits=&CN=&toggleFilter=&&annr=170&highlight=\eJxzs9Li0rPKLkrMy07NK0stKs5MzkgtKs1LV1AAiqenFqeWVOWAxIB8N6t4otUCACbDHZI%3D\
Arbeitsskript dierk schaefer
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