Wie weit rechts stehen manche Polizeibeamte?
Die Aktualität einer Vereidigungsansprache von 1992.
»Auch gab es in der Vergangenheit immer wieder Berichte über die Nähe von einzelnen sächsischen Polizisten zur rechten Szene. So wurden insbesondere im Raum Leipzig im vergangenen Jahr mehrere solcher Verdachtsfälle bekannt.«[1]
Es hat wohl nichts mit dem „gottlosen“ Osten zu tun. Auch bin ich nicht der Meinung, dass Vereidigungsansprachen von Polizeipfarrern jeden Polizisten von rechtswidrigem Tun abhalten. Dennoch, als ich in mein Archiv neu ordnete, sah ich, dass meine Ansprache von 1992 noch aktuell ist, leider.
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Bereitschaftspolizei Biberach
Vereidigung – 8. Mai 1992
Wir haben heute den 8. Mai. Heute vor 47 Jahren war der zweite Weltkrieg zu Ende. Nach diesem Tag sind in anderen Ländern Europas Straßen und Plätze benannt. Dieser Tag bedeutete Sieg und Befreiung für die einen und Niederlage für die anderen. Manche haben bis heute nicht verstanden, daß auch für die Verlierer die Niederlage zugleich eine Befreiung sein kann. Es war die Befreiung von einem Regime, das seine Beamten mit einem Treueid auf den Führer verpflichtete. Beamte wurden nach dem Deutschen Beamtengesetz vom 26. Januar 1937 vom Führer ernannt, damit sie den Willen des von der NSDAP getragenen Staates in rücksichtslosem Einsatz und äußerster Pflichterfüllung vollstreckten. Beamter konnte nur werden, wer Reichsdeutscher und deutschen oder artverwandten Blutes war (soweit verheiratet, galt das auch für den Ehepartner). Wir wissen, wohin rücksichtsloser Einsatz und äußerste Pflichterfüllung geführt haben. Auch die Polizei des Deutschen Reiches hat ihre so verstandene Pflicht erfüllt, nachdem man in den Anfangsjahren des Nazi-Terrors demokratisch gesinnte Beamte aus dem Dienst entfernt und braune Hilfstruppen mit Polizeiaufgaben betraut hatte. Es scheint mir nötig, an diese Zusammenhänge zu erinnern, nachdem braunes Gedankengut und Fremdenfeindlichkeit bis hin zu Progromen bei uns zulande wieder Auftrieb haben.
Wir sind gerade Zeitzeugen, wie ein anderes Unrechtsregime auf deutschem Boden sein Ende gefunden hat. Dort wurden die Polizisten vereidigt auf das sozialistische Vaterland und seine Regierung. Sie versprachen treue Ergebenheit bis hin zum Bruch der geschriebenen Gesetze, denn die Parteiräson hatte Vorrang. Die juristische Aufarbeitung des roten Unrechts wird, wie es scheint, schneller und effektiver vorangetrieben, als die des braunen. Die unkomplizierte Übernahme von Beamten, die nach ’45 die Regel war, ist unseren umständlichen Prozeduren gewichen, die wenig darauf Rücksicht nehmen, daß Menschen nach dem Niedergang eines Systems, das sie geprägt hat und für das sie gelebt haben, nur dann diese Niederlage akzeptieren können, wenn man ihnen eine lebenswerte Zukunft eröffnet. Doch bei allen persönlichen Härten hat dieses Verfahren auch sein Gutes. Wir dürfen es allerdings nicht nur benutzen, um dem ideologischen Gegner in Siegerpose unseren Stiefel aufs Haupt zu setzen. Wenn unser System lediglich produktiver war als die Kommandowirtschaft, dann berechtigt uns das noch lange nicht zu rechtlich-moralischer Überheblichkeit, ganz abgesehen davon, daß wir nicht wissen können, wie wir selber uns in einem System bewährt hätten, das seine Menschen total in den sozialistischen Anspruch nahm. Solche Systeme sind allemal ein gutes Beispiel für die Verführbarkeit des Menschen und über die wollen wir heute, am Tag Ihrer Vereidigung, nachdenken. Eine Eidesleistung unter Berufung auf die höchsten Werte, die eine Gesellschaft wie auch der einzelne, der den Eid ablegt, erkennt, ist ja immer eine Verpflichtung, eine Gewissensbindung, eine Impfung gegen die Versuchung, solche Werte zugunsten von persönlichen Vorteilen finanzieller und emotionaler Art mit Füßen zu treten.
Wenn wir uns das einmal anhand der beiden genannten Beispiele aus der deutschen Geschichte betrachten, dann wird eines ganz deutlich: Das ganz große Unrecht ist selten oder nie von der Verfassung oder den Gesetzen abgedeckt. Die Nazi-Diktatur machte zwar von Rechts wegen einen Unterschied zwischen arischen und nichtarischen Staatsangehörigen, doch es gab meines Wissens kein Gesetz, das die Mißhandlung oder gar Tötung von Juden und anderen als Schädlinge betrachteten Menschen erlaubt hätte. Alle Beamten, die im Dritten Reich vereidigt wurden, konnten sich bei diesem Unrecht nicht auf einen Treueid berufen, der sie zu diesem Tun verpflichtet hätte. Doch muß man einräumen, daß die Verpflichtung auf einen Führer und eine Partei alle möglichen Entwicklungen ermöglichte. Dies konnte bei der fatalen Neigung der meisten Menschen zu bedingungslosem Gehorsam, soweit es sie selbst nichts kostet, von den Machthabern entsprechend ausgenutzt werden. In der roten Diktatur waren die Dinge schon etwas schwieriger. Hier lag bei der Vereidigung die Betonung ganz deutlich auf der sozialistischen Rechtsordnung, wenn auch die Regierung mitgenannt wurde. Die Partei blieb beim Eid außen vor. Unrecht war hier kaum rechtlich gedeckt. Zwar wissen wir, daß Ulbricht persönlich Todesurteile schon vor dem Gerichtsverfahren verfügt hatte, doch stehen wir generell vor die Schwierigkeit, daß die Rechtsverletzungen, die Mißachtung des geschriebenen Rechts eher beim Vollzug als bei den die Politik bestimmenden Personen nachgewiesen werden kann. Die Verführung zu praktikablen Gesetzesverstößen geschah weiter unten: Grenzsoldaten wurden bei der Schießausbildung instruiert, daß natürlich Warnschüsse vorgeschrieben seien, man aber notfalls auch den zweiten oder dritten Schuß als Warnschuß ausgeben könne, es müsse nur die Zahl der verschossenen Patronen stimmen. Die ausgesprochene oder unausgesprochene Erwartung, zugunsten der Interessen dieses Staates das Recht zu brechen, wurde meist erfüllt und das Gift dieses Unrechts hat den Staat zersetzt, wir nehmen es heute mit Erschrecken wahr.
Sie werden heute auf die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland und des Landes Baden-Württemberg vereidigt. Die Verführung, diesen Eid zu verletzen, liegt in unserem Staat eher in der Person des Vereidigten selbst. Die Erwartung zu ungesetzlichem Handeln wird an Sie wohl nicht herangetragen werden – und wenn doch (man weiß ja nie, was in den vor Ihnen liegenden mehr als vierzig Dienstjahren alles auf Sie zukommt), wenn man eines Tages doch einmal will, daß Sie Ungesetzliches tun, dann sagen Sie Nein! Und berufen sich auf Ihren Eid, den Sie heute schwören. Dazu braucht es Mut und eine gefestigte Persönlichkeit. Doch die brauchen Sie schon, um gegen die Versuchungen des kleinen Unrechts gewappnet zu sein. Dem Unrecht, das Ihrer Bequemlichkeit oder Ihren Vorurteilen entgegenkommt. Im Klartext: Wer betont langsam zum Einsatz fährt, nur weil der Hilferuf aus einer Asylbewerberunterkunft kommt, und er ohnehin der Meinung ist, daß Asylbewerber raus gehören, der praktiziert Unrecht und bricht seinen Eid. Wer auf einen festzunehmenden Bürger mehr als notwendig einschlägt, wir alle haben das Video aus Los Angeles gesehen, der hat seine eigene Menschenwürde preisgegeben und sich mit Folterern und Totschlägern auf eine Stufe gestellt. Aber wer den Bürger gegen Übergriffe schützt und ihm den gesetzlichen Bewegungsspielraum verschafft, den wir Innere Sicherheit nennen, der befindet sich auf dem Wege des Rechts, gebe Gott, daß es auch der Weg zur Gerechtigkeit ist.
Ich wünsche Ihnen Gottes Segen für Ihren Lebensweg.
Gott möge Sie leiten und schützen.
Er bewahre Sie vor Überheblichkeit
und gebe Ihnen Mut, Ausdauer und Weisheit, dem Unrecht zu wehren.
Biberach, den 8. Mai 1992
[1] http://www.huffingtonpost.de/2016/06/20/sachsische-polizei-soll-einen-jungen-fluchtling-schickaniert-haben_n_10555774.html
Hier ist Bundesrichter Fischer voll im Recht. Danke für den Klartext!
Fischers Stellungnahme zur Sterbehilfe sollte man unbedingt lesen, das gilt auch für meine theologischen Kollegen[1].
»Selten ist der dezidierte Wille der Mehrheit des „Volks“ (sagen wir: der selbstbestimmungsfähigen Bevölkerung) so eklatant missachtet und in sein Gegenteil verkehrt worden.«[2] [3]
»Die ganze Debatte, die nun ganz dringend in eine gesetzliche Regelung münden soll, ist nichts anderes als ein Versuch des „Rollback“, ein von konservativen und (teilweise) kirchlichen Kreisen betriebener Versuch[4], die eigene Anschauung von Ethik und Moral durchzusetzen und der Bevölkerungsmehrheit mittels Strafrecht aufzuzwingen.«
»Ich weise darauf hin, dass die gesamte Diskussion stattfindet auf der Basis von Begriffen, die nichts anderes sind als Beschönigungen, Tabuisierungen, Verschleierungen und Verdrehungen von Tatsachen – also vorsätzliche Lügen.«[5] [6]
»Der Staat – wie wir ihn verstehen – ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Staat.[7] Wir haben daher keine („staatsbürgerliche“) Pflicht, mit unserer Existenz und unserem Leben oder Leiden dafür einzustehen, dass das Staat „stabil“, der „öffentliche Friede“ gesichert, der fiktive Durchschnittsbürger beruhigt sei. Daher hat der Gesetzgeber überhaupt keine Kompetenz, über die Selbstbestimmungsfähigkeit und Selbstbestimmungsberechtigung des einzelnen Bürgers – mittels Strafrecht! – zu bestimmen. Die Würde des Menschen (Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz) ist kein Recht, dessen „Ausgestaltung“ dem Staat anheimgegeben ist. Zur „Würde“ gehört zuallererst die Selbstbestimmung über die eigene Existenz: Was sonst?«
[1] Alt-Bischof Huber wird sich wohl kaum von einem einfachen Alt-Pfarrer angesprochen fühlen https://dierkschaefer.wordpress.com/2015/09/23/sterbehilfe-und-der-hoffnungslose-fall-krebs-im-endstadium-schmerzmittel-wirken-nicht/
[2] Alle Zitate aus: http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015-09/bundestag-gesetzentwuerfe-sterbehilfe Mittwoch, 30. September 2015
[3] Nicht nur der Wille der Mehrheit des Volkes. Auch Ärzte denken anders über Sterbehilfe: http://www.zeit.de/2015/09/sterbehilfe-aerzte-brechen-tabu/komplettansicht
[4] dazu: https://dierkschaefer.wordpress.com/2013/10/02/diozese-distanziert-sich-von-sterbehilfe-planen-des-theologen-kung/
[5] Mein Beitrag im Blog https://dierkschaefer.wordpress.com/2015/09/28/gott-sei-uns-gnaedig-und-gebe-uns-einen-gnaedigen-arzt/ sollte ursprünglich einen anderen Titel haben: Lügen, Lügen, lauter Lügen. Ich sehe mich bestätigt.
[6] Die Lügen lenken nur ab: https://dierkschaefer.wordpress.com/2015/05/15/aktive-sterbehilfe-sicherlich-keine-luxusdebatte-aber-sie-lenkt-ab/
[7] In vorsäkularen Zeiten hat das schon ein anderer gesagt: Jesus. Nicht der Mensch ist für den Sabbat da, sondern der Sabbat für den Menschen: Markus 2,27
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