Dierk Schaefers Blog

Politisch korrekt ist dieses Buch ganz und gar nicht.

Posted in Geschichte, Justiz, Kriminalität, Kriminologie by dierkschaefer on 2. November 2015

Täterschutz werden „Opferverbände und einschlägige Rechtsanwälte“ argwöhnen[1]. Bereits die Rezension in der FAZ[2] hatte mich an eine turbulente Tagung erinnert und ich bestellte das Buch[3]. Der Name des Autors war mir geläufig. Max Steller gehörte zu den maßgeblichen Gutachtern für das Urteil des Bundesgerichtshofs[4], mit denen 1999 die Standards für die Glaub­haftig­keits­begutachtung festgelegt wurden. Steller war auch führend beteiligt an den Freisprüchen in den damaligen Massen-Missbrauchsprozessen.[5]

Sein Lebensthema ist die Aussagepsychologie: Wie glaubhaft ist die Aussage eines „Täters“ oder eines „Opfers“, wenn es keine Indizien gibt und nur Aussage gegen Aussage steht? Im Klartext: Wer lügt? Oder Wer erinnert sich falsch und wie kommt er dazu? Die Brisanz liegt in der zweiten Frage, in der sich unheimliche Abgründe auftun[6]. Da ist jemand ehrlich davon überzeugt, missbraucht zu sein, und wird damit konfrontiert, dass es nicht stimmt, in manchen Fällen auch gar nicht stimmen kann. Doch bis dahin hatte man dem „Opfer“ geglaubt. Steller nennt die Gründe dafür.

Einerseits die „Aufdeckungsarbeit“ nach Anleitung von Prof. Dr. Tilmann Fürniss[7], der Kindergärtnerinnen und Lehrer sensibilisierte, hinter harmlosen Kinderzeichnungen und Kindesäußerungen Missbrauch zu vermuten, der in vielen Befragungen aufzudecken ist. Steller: Ein Kind kann zwar noch nicht gekonnt lügen, aber man kann ihm Erlebnisse suggerieren, die es dann für wahr hält. Man müsse untersuchen, ob das Kind den Missbrauchsvorwurf spontan erhoben hat oder ob und durch wen das Kind nach vielen Befragungen vielleicht erst darauf gebracht wurde, bis es schließlich fest von seinem Missbrauch überzeugt sei.

Was mit Kindern geht, funktioniert andererseits auch mit Erwachsenen, die in vielen Therapiesitzungen zu der Lösung kommen, die ihr Therapeut als Standard- oder Resthypothese für ihren Fall parat hat: Frühe Missbrauchserfahrung, ins Unbewusste verdrängt, werden nun endlich bewusst gemacht; damit ist zugleich ein Schuldiger gefunden für all die Beschwerden. In solchen Fällen müsse man einen kritischen Blick auf die Persönlichkeit des Menschen und seine Geschichte eventueller psychischen Auffälligkeiten richten.

Der unreflektierte Glaube an den Wahrheitsgehalt von Kinderaussagen war damals in der Öffentlichkeit noch ungebrochen, soweit es um sexuellen Missbrauch ging. Aufdeckungsarbeit war angesagt. Die Methoden von „Beratungsstellen“ wie Zartbitter[8] und Wildwasser[9] galten als unbezweifelbar, stand dahinter doch ein veritabler Professor, der in Fortbildungskursen auch Kindergärtnerinnen und Lehrerinnen in „Aufdeckungsarbeit“ schulte. Wenn ein Kind „anatomisch korrekte“ Puppen[10] richtig zusammensteckte und seine Zeichnungen nach Meinung der „Experten“ sexuelle Hinweise enthielten, war das ein Beleg für sexuelle Erfahrung.

In dieser aufgeheizten Situation lud ich zu einer Tagung ein: „Sexueller Mißbrauch in der Familie. Ein Vorwurf und seine Folgen.“ Schlimmeres hätte ich nicht tun können. „Das ist kein Vorwurf, das ist ein Verbrechen“, befand eine aufgebrachte Kollegin. In der weithin Feminismus-geneigten Kollegenschaft war ich isoliert. Eine Leserbriefwelle der Empörung rollte an und wir überlegten, ob wir die Tagung unter Polizeischutz stellen sollten. Das „technische“ Personal unsere Akademie reagierte nüchtern, wie man reagieren sollte. Ich druckte –wohl erstmalig in der Geschichte der Akademie – kleine Karten mit der Aufforderung, das Akademiegelände unverzüglich zu verlassen und die Akademieleitung setzte mir die Ehefrau eines Kollegen zur Kontrolle in die Tagung, was ich durchaus auch als Dokumentationsschutz in meinem Interesse sah.

Was die allgemeine Empörung hervorrief war, dass ich Missbrauchsbeschuldigten zu einem Podium verholfen hatte und damit auch dem Thema Missbrauch mit dem Missbrauch.[11] Denn jeder dieser Beschuldigten hatte ungeprüft als Täter zu gelten.

Die Tagung wurde turbulent. Im Publikum saßen viele „Täter“, Väter und Ehepaare, denen man die Kinder weggenommen hatte, Großeltern, die ihr Enkelkind in der Dusche missbraucht haben sollen. „Aber wir haben gar keine Dusche“. Die meisten waren gegen Wände gelaufen, trotz der Unhaltbarkeit der Vorwürfe, so wie die Eltern in den zeitgleich laufenden Wormser Prozessen[12]. Den Ehefrauen der „Täter“ hatte das Jugendamt die Scheidung empfohlen. Erst dann würden sie ihre Kinder zurückbekommen. Ich hatte neben forensischen Psychologen auch einige Betroffene zum Referat gebeten, so auch den Verfasser des Buches „Mißbrauch des Mißbrauchs“[13]. Schon der Titel war eine Provokation, meinte die Gegenseite. Eine Teilnehmerin hielt es nicht aus, bekannte sich als traumatisiert und verließ die Tagung. Auch die referierenden renommierten Psychologieprofessoren wurden der Täterseite zugeschlagen: „Tätervertreter“. Denn: „Kinder lügen nicht.“

So ist auch ein ganzes Kapitel im Buch von Max Steller überschrieben. Kinder, schreibt er, lügen auch, doch sie können das noch nicht richtig, denn Lügen will gekonnt sein. Aber man kann Kindern Erlebnisse suggerieren, die sie nie gehabt haben, dann aber phantasievoll ausschmücken. Eben bis zum Missbrauch in der nicht vorhandenen Dusche.[14]

Nachtrag

Eine gute Zusammenfassung der damaligen Atmosphäre liefert eine Studienarbeit aus dem Jahr 1997.[15] Übrigens: Meine Tagung hatte Folgen. Durchweg positiv. Hier sei nur die Zusammenarbeit mit der Esslinger Hochschule für den „Anwalt des Kindes“ zu nennen. Auch meine „Tagungsreihe Kinderkram“ war letztlich ein Ergebnis der auf der Tagung geknüpften Kontakte. Darüber hinaus gab es viele Einzelkontakte beraterischer Art[16], vielfach auch seelsorgerlich. Unangenehm war, dass meine Akademie aus politischen Gründen meinte, ein Nachgespräch ansetzen zu müssen unter der Moderation der landeskirchlichen Frauenbeauftragten. Da hatte man den Bock zum Gärtner gemacht – oder muss ich das „gendern“? Gärtnerin ginge ja noch, aber der Bock?[17]

PS: Dank der Mithilfe des Verlags ist das Buch von Max Steller auch für Laien spannend und sehr gut lesbar. Zwei Passagen gefallen mir überhaupt nicht. Darauf werde ich noch eingehen. Und auf die Brisanz des Sachverhaltes im Zusammenhang mit ehemaligen Heimkindern und der Forderung nach Aufhebung der Verjährung.

[1] http://www.mittelbayerische.de/kultur-nachrichten/hysterie-verstellt-den-blick-aufs-wahre-21853-art1290931.html Dienstag, 6. Oktober 2015

[2] Manfred Lütz, Wer sich als Opfer ausgibt, hat oft schon gewonnen, FAZ, Freitag, 2. Oktober 2015, S. 12

[3] Max Steller: „Nichts als die Wahrheit“ – Warum jeder unschuldig verurteilt werden kann. Heyne Verlag, München 2015. 288 S., geb. 19,99 €.

[4] http://www.hrr-strafrecht.de/hrr/1/98/1-618-98.php3, Pressemitteilung: http://archiv.jura.uni-saarland.de/Entscheidungen/pressem99/BGH/strafrecht/glaubhft.html

[5] Montessori-Prozess: https://de.wikipedia.org/wiki/Montessori-Prozess , Wormser Prozesse: https://de.wikipedia.org/wiki/Wormser_Prozesse , dazu Gisela Friedrichsen, Nachlese zu den legendären Wormser Missbrauchsprozessen, http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-39523432.html, von Gisela Friedrichsen auch eine Fall-Beschreibung: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-7851222.html

[6] https://dierkschaefer.wordpress.com/2011/04/06/unheimlich/

[7] https://de.wikipedia.org/wiki/Tilman_F%C3%BCrniss

[8] https://de.wikipedia.org/wiki/Zartbitter_%28Verein%29 

Nachtrag: Die Nennung von Zartbitter ist nicht falsch, allerdings war es nicht Zartbitter/Köln, sondern Zartbitter/Coesfeld. Zartbitter/Köln distanziert sich von Zartbitter/Coesfeld und den Methoden von Prof. Fürniss energisch. S. dazu meinen Artikel „Missbrauch mit dem Missbrauch?“ https://dierkschaefer.wordpress.com/2019/08/12/missbrauch-mit-dem-missbrauch/ Dort gehe ich auf den Mailwechsel mit Frau Enders von Zartbitter/Köln ein, den sie unter dem Betreff: „Verleumderische Informationen über Zartbitter“ begonnen hat.

[9] https://de.wikipedia.org/wiki/Wildwasser_%28Verein%29

[10] http://www.inhr.net/artikel/puppenspiele-fuer-missbrauchs-aufdeckung-sehr-bedenklich

[11] https://de.wikipedia.org/wiki/Missbrauch_mit_dem_Missbrauch. Der Autor des gleichnamigen Buches referierte auf der Tagung „seinen Fall“.

[12] Wormser Prozesse, vorangegangen war der Montessori-Prozess. S. Anmerkung 5. Noch gab es allerdings nicht das Urteil des Bundesgerichtshofs, s. Anmerkung 4, das ausführlich nicht nur auf untaugliche Testverfahren einging, sondern auch auf das Thema Suggestion.

[13] Thomas Alteck, Mißbrauch des Mißbrauchs. Neu, aber auch vergriffen unter dem Titel: Unsere Kinder siehst DU nicht! – Die Falldarstellung auf der Webseite von Thomas Alteck (Pseudonym) http://www.alteck.de/alteck_show.cfm?CFID=cc708de0-7f56-4d81-b3bc-996e487728e4&CFTOKEN=0&xx=start_beschluss.cfm ist erhellend und in Grundzügen leider typisch für manche Missbrauchsvorwürfe. Manche Fälle gehen „besser“ aus. Aber „ich habe die (Er-)lebenszeit mit meiner Tochter verloren“, so ein Vater, dessen Tochter sich nach ihrer Pubertät aus der psychischen Umklammerung ihrer Mutter befreien konnte.

[14] Einen ähnlichen Fall konnte ich später begleiten. Erst ein Ortstermin brachte Klarheit. Der Erstgutachter hatte sich auf Aussagen verlassen und Glaubhaftigkeit attestiert: http://www.zeit.de/2003/26/Verdacht. Der Sozialarbeiter hatte das Versagen des Jugendamtes in diesem Fall öffentlich gemacht und wurde versetzt.

[15] Ein Abstract ist zu finden unter http://www.hugendubel.de/de/buch/laura_dahm-sexueller_missbrauch_der_missbrauch_mit_dem_missbrauch-6781372-produkt-details.html

[16] z.B. Anmerkung 13

[17] Leider muss ich aus datenschutzrechtlichen Gründen auf die Nennung des Familiennamens der Dame verzichten. In diesem Zusammenhang trüge er sehr zur Belustigung bei.

#Hephata – aus Tradition!

Posted in Geschichte, heimkinder, Kinderrechte, Kirche, Kriminalität by dierkschaefer on 27. Dezember 2014

Hephata macht große Sprünge, von der Gründung gleich ins Heute.

»Die Gründung des diakonischen Unternehmens Hephata 1901 war die Geburtsstunde unserer Gemeinschaft. Männer mit einer gewerblichen Berufsausbildung waren in der Einrichtung tätig und wurden zugleich pädagogisch und theologisch zu Diakonen ausgebildet. Sie lebten zusammen im Brüderhaus und bildeten anschließend eine Brüderschaft.

Heute gehören der Diakonischen Gemeinschaft 470 Frauen und Männer an. Sie arbeiten in sozialen Handlungsfeldern und im Bildungsbereich der Kirchen, der Diakonie und bei anderen Trägern in ganz Deutschland. Viele von ihnen haben eine kirchliche Zusatzqualifikation absolviert und sind in das Amt der Diakonin/des Diakons eingesegnet.«[1]

 

Wenn man sich auf der Webseite von Hephata umschaut, gibt es doch noch einen kleinen Zwischenstop:

»Etwa 385 Bewohner wurden im 2. Weltkrieg ermordet. Eine bedrohliche Zäsur in der diakonischen Arbeit stellte ab 1933 die nationalsozialistische Diktatur dar. In dieser Zeit wurde Hephata, wie andere diakonische Einrichtungen auch, von der nationalsozialistischen Führung unter Druck gesetzt. Diese beabsichtigte, die Eigenständigkeit des Hephata e.V. zu beenden. Es konnte nicht verhindert werden, dass bereits 1937 und in den Folgejahren etwa 385 Bewohner und Bewohnerinnen aus Hephata abtransportiert und in staatliche Einrichtungen verlegt und dann ermordet wurden.«[2] Ja, die bösen Nazis haben Hephata unter Druck gesetzt. Doch »nur wenige Wochen nach Kriegsende erlangte Hephata große Bedeutung. Im August 1945 wurde durch eine Konferenz wichtiger, kirchlicher Persönlichkeiten die Evangelische Kirche in Deutschland gegründet. Gleichzeitig rief man hier das Evangelische Hilfswerk ins Leben, das mit zahlreichen Programmen in allen Teilen Deutschlands für die Versorgung der Bevölkerung, insbesondere der Flüchtlinge, Kriegsversehrten, Witwen und Waisen und durch den Aufbau von Notkirchen tätig wurde.«

Hephata war wohl immer auf dem guten Weg Gottes, denn »der christliche Grundgedanke, das selbst erfahrene Heil Gottes in der Lebensgestaltung mit anderen zu teilen, ist erhalten geblieben und prägt bis heute die Arbeit.«

 

Ein Kommentar von Martin Mitchell/Australien beruft sich auf einen Artikel in der FAZ.[3]:

»In Hephata (Schwalmstadt/Treysa) hielt die Diakonie nach dem Zweiten Weltkrieg [in den 1950er/1960er Jahren] 2000 Insassen – Kinder und Jugendliche – , die angeblich „schwachsinnig“ waren. Für jeden „Schwachsinnigen“ in Hephata erhielt die Diakonie vom Staat „[pro Woche] eine Mark mehr“ als für „normale“ Schutzbefohlene.

Indem man seine Schutzbefohlenen als „schwachsinnig“ begutachtete und deklarierte, konnte man seine Gewinne steigern, bei 2000 Insassen im Jahr um 104.000 DM!

Über zehn Jahre hinweg macht das bei 2000 „schwachsinnigen Insassen“ eine zusätzliche beträchtliche Summe von 1.040.000 DM aus (eine Million und vierzig Tausend Mark!) !

So wurde es dann auch gehandhabt von der Diakonie in Hephata über einen Zeitraum von 20, 30 oder gar 40 Jahren hinweg!! Und nicht nur in Hephata!!!«

 

Der Vorgang der gewinnträchtigen Einstufung von Heimkindern als schwachsinnig erinnert an die Auffüllung der leergemordeten psychiatrischen Einrichtungen für Kinder[4], bei dem Gutachter aus der Nazizeit wenigstens finanziell den Einrichtungen aus der Verlegenheit helfen konnten, in die sie zuvor von dengleichen Gutachtern gebracht wurden – um es einmal zynisch auszudrücken: Eine Form von Wiedergutmachung.

[1] http://www.hephata.de/gemeinde-und-gemeinschaft/aus-tradition.php

[2] http://www.hephata.de/wir-ueber-uns/geschichte-14.php

[3] http://www.faz.net/aktuell/rhein-main/misshandelte-heimkinder-der-zeitgeist-ist-eine-schlechte-entschuldigung-13328032.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2

[4] https://dierkschaefer.wordpress.com/2014/07/04/nachkriegskinder-als-frischfleisch-fur-die-psychiatrien/

Beweise

Posted in heimkinder by dierkschaefer on 8. November 2014

In diesem Mailwechsel geht es um Glaubhaftigkeitsgutachten. Angeblich, was ich nicht überprüfen konnte, wurden vorgelegte Beweise nicht im ablehnenden Gutachten gewürdigt. Da ich weder das Gutachten noch die Sachlage kenne, habe ich die Petition nicht unterschrieben und nun ist die Petentin verschnupft.

 

Hier der Original-Mailwechsel, in chronolischer Reihenfolge, dabei das älteste zuletzt.

 

 

Die sollten Sie sich schnell aneignen, denn ich werde sicher nicht das einzige ehemalige Heimkind bleiben, das unter einem Glaubhaftigkeitsgutachten zu leiden hat, das aufgrund vorgelegter Beweise gar nicht nötig gewesen wäre.

 

Mir ging es zudem auch darum, den Link für meine Petition bekannt zu machen, aber auch hier gibt es zwei Möglichkeiten – ja oder nein. Ob Sie mitzeichnen, entscheiden Sie natürlich auch selbst.  Der Vorschlag hierzu kam von Frau Dettinger und ich war bisher auch der Meinung, Sie setzen sich für die Belange der ehemaligen Heimkinder ein. Nun, ich habe mich da wohl geirrt.

 

Daher beende ich nun den Kontakt wieder.

 

Freundliche Grüße

Karoline Viebahn

 

 

Von: ds <ds@dierk-schaefer.de>
Datum: Samstag, 8. November 2014 09:50
An: Karoline Viebahn <karoline.viebahn@web.de>
Betreff: Re: Bitte um Ihre Mithilfe

 

eine nein-stimme ist es nicht, nur eine enthaltung mangels sachkenntnis

Am 07.11.2014 22:46, schrieb Karoline Viebahn:

Sehr geehrter Herr Schäfer,

 

eine korrekte Plausibilitätsprüfung hätte meine vorgelegten Dokumente und Zeugenaussagen berücksichtigen müssen und ich hätte ganz sicher nichts dagegen gehabt. Trotz vorgelegter Beweise ein Gutachten nach der Nullhypothese anzustrengen, ist menschenverachtend. Es mag durchaus sein, dass Ihnen meine Angaben zu allgemein sind, das kann ich nicht ändern. Ich war einfach davon ausgegangen, dass gerade Sie dafür Verständnis gehabt hätten, denn die Empfehlung, mich an Sie zu wenden, kam von Frau Dettinger vom VeH.

 

Jeder kann natürlich selbst entscheiden, ob er / sie mitzeichnen möchte und ich akzeptiere selbstverständlich auch Neinstimmen.

 

Freundliche Grüße

Karoline Viebahn

 

 

Von: ds <ds@dierk-schaefer.de>
Datum: Freitag, 7. November 2014 21:32
An: Karoline Viebahn <karoline.viebahn@web.de>
Betreff: Re: Bitte um Ihre Mithilfe

 

Sehr geehrte Frau Viebahn,

 

so generell, wie Sie möchten, kann ich Ihre Petition nicht unterstützen. Es ist vorstellbar, dass einer Behörde bzw. dem Sachbearbeiter auch beim besten Willen Zweifel an einer „Fall“darstellung aufkommen können. In solchen Fällen greift man auf eine Begutachtung zurück.

Allerdings kann und darf es nicht um eine Glaubwürdigkeits-, sondern nur um ein Glaubhaftigkeitsgutachten gehen. Dieses muss die Glaubhaftigkeit des vorgetragenen Sachverhalts und damit seine Plausibilität überprüfen, muß also auf den Sachvortrag eingehen und nicht auf die Person, dies allenfalls sekundär.

Zur Überprüfung des Sachverhalts ist es erforderlich zu sehen, ob die Darstellung in sich logisch und damit nachvollziehbar ist, ob sie zu den sonstigen Daten über das Heim und die damaligen Zustände paßt, ob die Darstellung faktengesättigt oder nur vage ist. Dazu sind Rückfragen möglich und nötig. Wertvoll sind Zeitzeugen wie auch Aktenbefunde. Wenn sie fehlen, muß das jedoch nicht gegen die Darstellung sprechen.

 

Soweit ich weiss, sind für das OEG Plausibilitätsprüfungen ausreichend.

 

In Fällen der Gefahr von posttraumatischen Reaktionen ist allerdings mit sehr viel Umsicht bei der geforderten Falldarstellung und Überprüfung vorzugehen und man sollte lieber eine falsche positive als eine falsche negative Entscheidung treffen. D.h., der Gutachter muß nachweisbar mit dem Phänomen der posttraumatischen Störung vertraut sein.

 

Sie dürfen mein Schreiben in seinem vollen Wortlaut gern nach Belieben verwenden.

 

Mit freundlichem Gruß

Dierk Schäfer

 

 

Am 07.11.2014 20:44, schrieb Karoline Viebahn:

Sehr geehrter Herr Schäfer,

 

heute wende ich mich an Sie, da ich bei Ihnen um Hilfe dahingehend bitten möchte, meine Petition zu unterstützen und diese bekannt zu machen. Was ist passiert?

 

Im Dezember 2010 habe ich bezüglich meiner  Heimkindersituation einen Antrag nach dem OEG gestellt. Von mir wurden viele Aussagen eingefordert und ich habe diverse Kopien von Dokumenten als Beweise mitgeliefert. Sogar Zeitzeugen konnte ich auftreiben (zunächst jedoch nur eine Zeugin). Auch von ihr wurde eine Aussage eingefordert.

 

Die für mich zuständige Stelle hat die Aussagen und Beweise als nicht ausreichend deklariert und stattdessen ein Glaubwürdigkeitsgutachten in Auftrag gegeben. Dieses Gutachten vermittelt den Eindruck, ich hätte meinen Antrag berechnend und mit Hilfe wissentlicher oder unwissentlicher Falschaussagen gestellt. Meine bereitliegenden Beweise wollte die Gutachterin nicht einmal sehen. Sie gibt ihrem Gutachten zwar einen wissenschaftlichen Anstrich, jedoch kann keiner ihrer Literaturhinweise tatsächlich ihre Annahmen belegen.

 

Ich würde mich freuen, wenn Sie den Link zu meiner Petition weiterleiten würdet. Er lautet:

https://www.openpetition.de/petition/online/kein-glaubwuerdigkeitsgutachten-beim-antrag-nach-dem-oeg

 

Zusätzlich habe ich meine Petition auch beim Bundestag selbst online gestellt. Ich warte nun ab, ob diese tatsächlich veröffentlicht wird.

 

Freundliche Grüße

Karoline Viebahn

 

Mehr Qualität bei Gutachten im Familienrecht gefordert

Posted in Justiz, Psychologie by dierkschaefer on 30. Juni 2014

Mehr Qualität bei Gutachten im Familienrecht gefordert

 

Das paßt ja gerade ganz gut zu den vorherigen Artikel hier im Blog:

»In einer kürzlich abgeschlossenen Studie wurden gravierende Qualitätsmängel familienrechtspsychologischer Gutachten aufgedeckt. Am eklatantesten stachen die mangelnde psychologische Fundierung des gutachterlichen Vorgehens und der Einsatz fragwürdiger Diagnoseinstrumente hervor. Anlässlich einer Besprechung im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz am 8. Juli 2014 zur Qualität von Gutachten im Familienrecht fordert Prof. Jürgen Margraf, Präsident der DGPs, den Vorschlag einer verpflichtenden Zertifizierung zum Fachpsychologen für Rechtspsychologie zu diskutieren«[1].

 

[1] https://www.dgps.de/index.php?id=143&tx_ttnews[tt_news]=1518&cHash=9b99153314964e6e9b450aceff505392

Das Opferentschädigungsgesetz und die Verjährungsfrage

Posted in heimkinder, News by dierkschaefer on 12. Mai 2010

Dies ist keine Rechtsberatung im Sinne des Rechtsberatungsgesetzes. Ich gebe nur wieder, was ich heute in der Kriminologie-Vorlesung gehört habe.

Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen hat am 18. März 2010 eine wichtige Entscheidung zum Opferentschädigungsgesetz (OEG) getroffen.

http://cdl.niedersachsen.de/blob/images/C63275640_L20.pdf [Mittwoch, 12. Mai 2010]

Es geht zwar um einen Stalking-Fall, doch der zweite Absatz der nichtamtlichen Leitsätze könnte für ehemalige Heimkinder wichtig sein.

» Dem Entschädigungsanspruch steht nicht entgegen, dass die Handlungen vor dem 31. März 2007 begangen wurden und daher wegen des absoluten Rückwirkungsverbotes nach Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB nicht als strafbare Nachstellungen im Sinne von § 238 StGB bestraft werden könnten. Bei der opferentschädigungsrechtlichen Beurteilung sind vielmehr auch die zwischenzeitlichen Rechtsentwicklungen zu berücksichtigen«.

http://www.amtsgericht-hannover.niedersachsen.de/master/C63275984_L20_D0_I5210490_h1.html [Mittwoch, 12. Mai 2010]

Auf Nachfrage sagte mir der Dozent, analog müsse das auch für die Anwendung des OEG auf die Heimkinderfälle gelten. Allerdings ist die Entscheidung noch nicht rechtskräftig.

Das heißt: ehemalige Heimkinder sollten mit ihrem Anwalt besprechen, ob sie unter Berufung auf diese Entscheidung Anträge nach dem OEG stellen können.

Apropos Anwalt

Aus dem Vorlesungsskript:

  • Opfer können nach § 406f Abs. 2 StPO bei einer Vernehmung durch eine private Vertrauensperson unterstützt werden.
  • Nach § 149 StPO ist die Unterstützung durch den Ehegatten oder Lebenspartner in der Hauptverhandlung möglich.
  • Es gibt auch eine professionelle Opferunterstützung durch einen anwaltlichen Opferbeistand (§ 406 f, Abs. 1 StPO). Die Möglichkeiten der Akteneinsicht sind durch §406 StPO, s. auch §68b StPO geregelt.
  • Besonders deutliche Opferunterstützung durch einen anwaltlichen Opferbeistand ist auch in der Hauptverhandlung Opfern als Nebenklägern (§397 Abs. 2 StPO) sowie bei nebenklagebefugten Opfern möglich (§§ 406g Abs. 1 und 2 StPO).
  • Die intensivste und die meisten Befugnisse gewährende Unterstützungsform – unter bestimmten Umständen – ist die Bestellung eines von Staats wegen finanzierten Opferanwalts für Nebenkläger (§397a Abs. 1 StPO) und für nebenklagebefugte Opfer (§406g Abs. 3 StPO).

[Fettdruck und Unterstreichung wie im Vorlesungsmanuskript].

Und da ich schon bei Rechtsangelegenheiten bin:

Kürzlich hörte ich von einem Fall, bei dem der Richter trotz begründeten Mißtrauensantrags an einem Gutachter festhielt, obwohl der kein spezialisierter Gutachter für sexuelle Traumatierungen ist.

Die Vorgabe des BGH [BGH, Urt. v. 30. 7. 1999 – 1 StR 618198 (LG Ansbach)] lautet dagegen:

»Hält ein Prozeßbeteiligter die wissenschaftlichen Anforderungen [eines Gutachtens] dagegen für nicht erfüllt, wird er noch in der Tatsacheninstanz auf die Bestellung eines weiteren Sachverständigen hinzuwirken haben. Will das Gericht einem dahingehenden Beweisantrag nicht entsprechen, bedarf es – wie dargelegt – einer ausführlichen Begründung des Ablehnungsbeschlusses regelmäßig nur dann, wenn der Antragsteller einen Mangel des Erstgutachtens konkret vorgetragen hat. Ist dies geschehen, wird es aber vor einer Entscheidung über einen derartigen Antrag naheliegen, den Erstgutachter zu dem behaupteten Mangel zu hören und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben«.


Nun, Mängel des Erstgutachtens wurden konkret vorgetragen.

photo: dierkschaefer