Kirchenzucht in den 60er Jahren
Ein Hamburger Hauptpastor hatte seinen naiven Glauben verloren, wurde entlassen und reiste nun, Ende der 60er Jahre, durch Deutschlands Universitäten, um seinen Verlust und den Grund dafür kundzutun. Der Hörsaal war voll. Direkt vor mir in der Reihe zwei renommierte Theologieprofessoren. Sie tauschten sich hörbar aus über die Naivität des gewesenen Hauptpastors. Die wissenschaftlichen Ergebnisse der beiden hatten durchaus auch etwas mit dem „Glaubensverlust“ des nun ehemaligen Pastors zu tun. Ihre Sarkasmen erregten meinen Abscheu. Heute wäre ich nachsichtiger mit ihnen, aber nur etwas. Doch immerhin hatten sie einen eleganteren Weg gefunden für die Überwindung ihres naiven Kinderglaubens.
Die Hannoversche Allgemeine Zeitung berichtete am HAZ 20. März 1979
„Kirchenrebell“ Paul Schulz darf nicht länger Pfarrer bleiben
Nach mehrjährigem Lehrbeanstandungsverfahren verliert der ehemalige Pastor von St. Jacobi in Hamburg alle seine Kirchenämter
Hannover (epd/dpa/idea) Der seit Oktober 1976 beurlaubte Hamburger Pastor Paul Schulz darf nicht länger Pfarrer bleiben. Zu dieser Entscheidung, die am Montag in Hannover bekanntgegeben wurde, kam das siebenköpfige Spruchkollegium der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) unter Vorsitz des hannoverschen Landesbischofs Eduard Lohse. Das Urteil wurde gefällt auf Grund der mündlichen Verhandlungen in dem mehrjährigen Lehrbeanstandungsverfahren gegen den Theologielogen. Mit der Zustellung des Spruchs an Paul Schulz am Montag ist das Verfahren abgeschlossen.
Der von Lohse im lutherischen Kirchenamt bekanntgegebene Spruch lautet: „Pastor Dr. theol. Paul Schulz ist öffentlich durch Wort und Schrift in der Darbietung der christ-lichen Lehre in entscheidenden Punkten in Widerspruch zum Bekenntnis der evangelisch-lutherischen Kirche getreten und hält daran beharrlich fest. Er ist mithin nicht mehr fähig, eine amtliche Tätigkeit im kirchlichen Dienst auszuüben.“
Dies bedeutet nach dem Pfarrergesetz der VELKD den Verlust aller Rechte aus der Ordination. Schulz verliert danach das Recht zur Wortverkündigung und zur Sakramentsverwaltung, zum Führen der Amtsbezeichnung und zum Tragen des Talars. Auch aller besoldungs- und versorgungsrechtlichen Ansprüche geht Schulz verlustig, doch kann dem ehemaligen Pastor ein widerruflicher Unterhaltszuschuß in Höhe des bisher erdienten Ruhegehalts — rund 2130 DM – gezahlt werden, betonte ein Sprecher der VELKD. Er deutete an, daß die nordelbische Kirchenleitung von dieser Möglichkeit Gebrauch machen werde.
Paul Schulz war seit 1970 Pastor an der Hauptkirche St. Jacobi in Hamburg. Er wurde nach einer umstrittenen Predigtreihe, in der er u. a. zentrale christliche Begriffe wie Gott und Auferstehung sowie die Verbindlichkeit der Bibel in Frage gestellt hatte, 1975 zunächst beurlaubt und im Jahr darauf vom Dienst suspendiert. Gleichzeitig wurde ein sogenanntes Lehrzuchtverfahren gegen ihn eröffnet.
Bei seiner Entscheidung berief sich das Spruchkollegium u. a. auf die Auffassungen von Schulz zur Gotteslehre. Das Reden von Gott als Person komme für Schulz aus einem völlig überholten Denkmodell. Auch mit der Lehre von Jesus trete Schulz in entschei-denden Widerspruch zu Schrift und Bekenntnis. Denn Jesus habe für ihn nicht die Bedeutung als Erlöser, wie sie alle Schriften des Neuen Testaments und die reforma-torischen Schriften als den zentralen Inhalt des Evangeliums herausstellten.
Das Spruchkollegium kritisierte auch die Auffassungen von Schulz zur Frage einer Hoffnung über den Tod hinaus und zur Auffassung von Kirche und ihrer Bekenntnisse. Im Gegensatz zu seinem bei der Ordination abgelegten Gelübde propagiere Schulz eine Lehre, in der es den Willen Gottes nicht gebe, Christus keine Bedeutung habe und Schrift und Bekenntnis historische, aber nicht aktuelle Größen seien.
Lohse erklärte, die kirchlichen Gremien hätten ein Höchstmaß an Geduld bewiesen, um außerhalb eines Feststellungsverfahrens eine Einigung zu erzielen. Die Kirche habe keinesfalls die Absicht, die Freiheit des theologischen Denkens einzuschränken. Man wolle nicht „mit der Meßlatte durch die Gegend gehen und die Rechtgläubigkeit der einzelnen Pastoren messen“.
Die verfassungsrechtlichen Bedenken, die der Rechtsbeistand von Schulz gegen das Verfahren geltend gemacht hatte, wurden von dem Spruchkollegium zurückgewiesen. Eine Revisionsmöglichkeit besteht nach Angaben Lohses nicht. Denkbar sei aber, daß ein Weg zum Bundesverfassungsgericht gesucht werde.
Die theologisch konservativen Protestanten haben das Urteil im Fall Schulz begrüßt. Die evangelische Kirche solle sich in ähnlicher Weise von anderen „Irrlehrern“ trennen, erklärte der Vorsitzende der Konferenz Bekennender Gemeinschaften in den evangelischen Kirchen Deutschlands, Superintendent George (Berlin).
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