Und wandle neu belebt und jung …
Todesanzeigen werden normalerweise nicht kommentiert; doch sie sind eher eine Information für die Öffentlichkeit als nur Trauerarbeit der Hinterbliebenen.
Am 7. Juli starb der ehemalige Leiter der Odenwaldschule. Dieser Tod wurde bedauert und betrauert. Bedauert von vielen ehemaligen Schülern seiner Schule, denen es wichtig war, daß der Schulleiter persönlich Stellung nimmt zu den gegen ihn erhobenen Mißbrauchsvorwürfen.
Betrauert wurde dieser Tod, wenn man eine Traueranzeige als Ausdruck von Trauer nehmen darf, von den Unterzeichnern der Anzeige. So weit, so gut. Gut, weil es verständlich ist, daß für Familienangehörige und Freunde die persönliche Beziehung zum Verstorbenen und damit die Trauer im Vordergrund stehen.
Doch dieser Todesanzeige ist ein Motto vorangestellt, das man vielleicht der Familie zubilligen mag, nicht aber einem Unterzeichner, der als der Reformpädagoge Deutschlands gilt und der bis heute sich nicht angemessen zu den Mißständen an der Schule geäußert hat, die seinen Reformvorstellungen von Schule wohl am ehesten entsprach. Es wäre auch ein Wort zur Alltagstauglichkeit seiner Reformvorstellungen zu erwarten.
Das Motto ist „gut“ ausgesucht:
„Die Feinde, die bedrohen dich,
Das mehrt von Tag zu Tage sich;
Wie dir doch gar nicht graut!“
Das seh’ ich alles unentwegt,
Sie zerren an der Schlangenhaut,
Die längst ich abgelegt.
Und ist die nächste reif genug,
Abstreif’ ich die sogleich,
Und wandle neu belebt und jung
Im frischen Götterreich.
Goethe
Die Anzeige erschien am 12. Juli 2010 in der FAZ.
Mir scheint, mit dieser Anzeige wird den Opfern des Schulleiters noch eine lange Nase gedreht.
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