Dierk Schaefers Blog

Alle Vorgaben eingehalten? #Kinderrechte und der Fall Gladbeck

Posted in Erlebnispädagogik, Gesellschaft, Kinder, Kinderheime, Kinderrechte, Pädagogik by dierkschaefer on 27. Juni 2015

Eine intensivpädagogische Maßnahme mit Unterbringung im Ausland und mit intensiver pädagogischer Begleitung ist zuweilen eine Art letztes Mittel, um einem Jugendlichen die sozialen Überlebensregeln zu vermitteln. Dazu gehört auch der Entzug von Sicherheiten, die wir für normal und berechtigt halten. Das aber immer unter der Voraussetzung einer intensiven pädagogischen Begleitung, das heißt oft: ein Pädagoge und ein Jugendlicher. Strukturell gleicht ein solches Setting einer geschlossenen Unterbringung und muss – müsste! – vom Vormundschaftsgericht erlaubt werden.

Das ist aber selten der Fall. So gibt es viele Segeltörns oder ungarische/polnische Bauernhöfe, die zuweilen auch ohne jede Fachpädagogik sozial unterlegte Pubertätsschwierigkeiten beenden. Doch wer sich allein darauf verlässt, handelt verantwortungslos.

Diese Maßnahmen sind in Verruf geraten. Ich hörte von Fällen, in denen nicht klar war, ob da ein Pädagoge mit einem Jugendlichen durch Sibirien wandert, oder ob der Jugendliche die Führung übernommen hat. Es gibt lustige Segeltörns, klimatisch begünstigte Aufenthalte in Mittelmeerländern und karge Bedingungen auf östlichen Bauernhöfen. Die Maßnahme allein soll’s bringen.

Als Problem kommt die Arbeitsleistung hinzu. Gewiss kann es persönlichkeitsfördernd sein, sich mit anderen gemeinsam als tatkräftiges Team auf einem Bauprojekt zu erleben, besonders wenn dieses Projekt auch noch einen sozialen Anstrich hat. Doch wem gehört nach Projektende das fertiggestellte „Produkt“? Bleibt es gemeinnützig oder hat man einem Aussteiger-Pädagogen-Pärchen die Hütte gerichtet?

Die Vorgaben seien im Fall Gladbeck eingehalten worden[1]. Doch wie die waren, wurde nicht öffentlich gesagt.

Außerdem wissen wir dank des Gutachtens einer Hamburger Kanzlei[2], dass freien Trägern überhaupt keine Vorgaben gemacht werden dürften und die Heimaufsicht eine rein formale zu sein hat.

Immerhin könnte man – rein formal – nachfragen, ob das Vormundschaftsgericht eingeschaltet wurde.

[1] http://www.derwesten.de/staedte/gladbeck/ungarn-bericht-nicht-oeffentlich-vorgelegt-id10823397.html

[2] https://dierkschaefer.wordpress.com/2015/06/24/die-zahnlosigkeit-der-gesetze-zum-recht-von-schutzbefohlen/

„Wir wussten zu wenig, was dort mit unseren Jugendlichen passiert“[1]

Posted in Gesellschaft, heimkinder, Pädagogik, Politik by dierkschaefer on 5. Juli 2013

Mal wieder so richtig dumm gelaufen.

 

»In der Vergangenheit waren die Heime negativ aufgefallen. „Es gab danach zahlreiche Auflagen vom Landesjugendamt“.«

 

Wie kam es mal wieder dazu?

 

»Abgeordnete bezweifelten, ob die Kontrollen ausreichen. Für landesweit etwa 400 Einrichtungen seien lediglich drei Mitarbeiter im Landesjugendamt zuständig, kritisierte Grünen-Abgeordnete Marie Luise von Halem«.

 

Doch wer trägt die Hauptverantwortung?

 

»Die Kinder und Jugendlichen in den Heimen«. Sie »haben teils etliche Stationen der Jugendhilfe durchlaufen. Sie kommen aus 14 Bundesländern«.

 

Doch was hilft der Blick zurück, der nur das Versagen der vielen Stationen aufdecken könnte? Der Blick in die Zukunft rechtfertigt sogar  die vorläufigen Endstationen dieser von Kinderzeiten an mißratenen Jugendlichen. Die – oder wir? – sollen doch froh sein, denn es kann nur schlimmer kommen.

»„Was können wir diesen Menschen bieten, wenn wir die Einrichtungen schließen“, fragte die SPD-Abgeordnete Ina Muhß. Die Alternativen seien Psychiatrie oder Gefängnis, warnte sie«.

 

So sehen Offenbarungseide aus.


»Im Qualitätsdialog mit dem Landesjugendamt Brandenburg«

Das Boxcamp von Lothar Kannenberg[1] ist eine geradezu paradiesische Einrichtung im Vergleich zu den Heimen der Haasenburg GmbH.[2] Darum will ich mich nicht weiter über den vom damaligen hessischen Ministerpräsidenten geförderten und vom damaligen Bundespräsidenten ausgezeichneten Herrn Kannenberg auslassen,[3] obwohl er weiter sein Geschäft betreibt, sondern mich auf die Haasenburg GmBH beschränken; die TAZ berichtete gestern darüber.[4] Zitate aus dem Artikel. Man sollte ihn in Gänze lesen, auch die Leserkommentare.[5] Wer allerdings durch Heimerziehung vorgeschädigt ist, muß mit Flashbacks rechnen und sollte sich auf diesen Blogeintrag beschränken.

 

Beschränken ist allerdings das richtige Stichwort für diese Einrichtung:

»In dem undatierten Dokument, das der taz vorliegt, heißt es unter „Neuaufnahme Stufe 1“: „Totale Unterordnung (3 bis 10 Tage)“; „keinerlei Diskussion über Maßnahmen“, „räumliche Distanz gegenüber Erziehern bei Betreten des Zimmers (d.h. sofort Aufstehen und am Tisch stehenbleiben)“; „Tägliche Leibesvisitationen“; „Toilettengang ist nur in Begleitung von 2 Personen“ erlaubt; „Bei Fehlverhalten sofortiges Eingreifen mit barschem Ton und Anwendung rigider Maßnahmen (Anti-Agressionsmaßnahmen= erst Einschluss, dann AA-Raum, evtl. Fixierung)“«.

»Ein Psychologe, dem Auszüge und das pädagogische Modell bekannt sind, sagt, es gehe in dieser Einrichtung offensichtlich darum, junge Menschen zu brechen«.

Das geht ganz nach dem Psychologie-Lehrbuch fürs Konditionieren[6], Modell Pawlow’scher Hund: »In einem Dokument ist von „Löschung“ des Verhaltens die Rede: „entziehe ich einer positiv verstärkten Verhaltensweise den positiven Verstärker, wird dieses Verhalten zukünftig weniger oft angezeigt.“ Als „Fehlverhalten“ reicht „widersprechen, lautes Lachen bei Kritik“. Zur „Löschung“ zählt auch die „Bestrafung“. Hier gilt: „auch körperliche Aktion … denkbar“.«

Nachdem man das unerwünschte Verhalten ausgetrieben hat, Parallelen zur Teufelsaustreibung[7] und zur Gehirnwäsche[8] sind unverkennbar, regelt »die Haasenburg GmbH auch den „Aufbau von Verhalten“. Für jedes Kind wird in einer Liste das erwünschte und das unerwünschte Verhalten festgehalten«.

»Eigentliche Aufsichtsbehörde ist das Landesjugendamt. Für die Behörde antwortet Ministeriumssprecher Stephan Breiding. Er bedauert, dass weder Jugendliche noch Mitarbeiter der Haasenburg GmbH „bisher bereit waren, mit dem Landesjugendamt über ihre Beobachtungen … zu sprechen“.«

Aber die Finanzierung stimmt. Die »Haasenburg GmbH macht Millionen-Gewinne. Das geht auch aus drei Rechnungen hervor, die die Haasenburg GmbH an Jugendämter verschickte und die der taz vorliegen: 300,28 Euro fallen als Tagessatz an, dazu 25 Euro für die schulische Föderung und 17 Euro für „Körperwahrnehmung“. Das sind 123.220,80 Euro im Jahr pro Kind.«

Solange in Deutschland die Heimaufsicht nicht unabhängig und transparent und in beide Richtungen sanktionsbewehrt geregelt ist, das gilt für Heimunterbringungen jeglicher Art, solange wird die gewinnorientierte Mißhandlung von Schutzbefohlenen auch weiterhin möglich sein und auch vorkommen. Mögen die „Konzepte“ der Mißhandler noch so falsch sein. In Brandenburg wird sich wohl so schnell nichts ändern – wie in manchen anderen Einrichtungen, von denen hier im Blog bereits zu lesen war.