Dierk Schaefers Blog

Heinrich Heines vergleichende Religionswissenschaft

Posted in Literatur, Religion by dierkschaefer on 27. August 2015

Für den Islam findet Heine in „Die Narren der Bäder von Lucca“ nur wenige Worte: „Die Orientalen sind ein gescheutes Volk, sie verehren einen Verrückten wie einen Propheten, wir aber halten jeden Pro­pheten für verrückt.“

Dafür läßt er Herrn Hyazinth alias Hirsch über die christlichen Konfessionen mehr sagen, bevor dieser zum Lob der jüdischen Religion ansetzt, bei der es aber auch konfessionelle Unterschiede gibt.[1]

«Und Sie, Herr Hyazinth, … sind Sie etwa kein Freund von der katholischen Religion?»

«Ich bin ein Freund davon, und bin auch wie­der kein Freund davon», antwortete jener mit bedenklichem Kopfwiegen. «Es ist eine gute Religion für einen vornehmen Baron, der den ganzen Tag müßig gehen kann, und für einen Kunstkenner; aber es ist keine Religion für einen Hamburger, für einen Mann, der sein Geschäft hat, und durchaus keine Religion für einen Lot-teriekollekteur. Ich muß jede Nummer, die ge­zogen wird, ganz exakt aufschreiben, und denke ich dann zufällig an Bum! Bum! Bum! an eine katholische Glock, oder schwebelt es mir vor den Augen wie katholischer Weihrauch, und ich verschreib mich, und ich schreibe eine unrechte Zahl, so kann das größte Unglück daraus ent­stehen. Ich habe oft zu Herren Gumpel gesagt: ,Ew. Ex. sind ein reicher Mann und können katholisch sein so viel Sie wollen, und können sich den Verstand ganz katholisch einräuchern lassen, und können so dumm werden wie eine katholische Glock, und Sie haben doch zu essen; ich aber bin ein Geschäfts­mann, und muß meine sieben Sinne zusammenhalten, um was zu ver­dienen.’ Herr Gumpel meint freilich, es sei nötig für die Bildung, und wenn ich nicht katholisch würde, verstände ich nicht die Bilder, die zur Bildung gehören, nicht den Johann v. Viehesel, den Corretschio, den Carratschio, den Carravatschio — aber ich habe immer gedacht, der Corretschio und Carratschio und Carravatschio können mir alle nichts helfen, wenn niemand mehr bei mir spielt, und ich komme dann in die Patschio. Dabei muß ich Ihnen auch gestehen, Herr Doktor, daß mir die katholische Religion nicht einmal Vergnügen macht, und als ein ver­nünftiger Mann müssen Sie mir Recht geben. Ich sehe das Plaisir nicht ein, es ist eine Religion, als wenn der liebe Gott, gottbewahre, eben ge­storben wäre, und es riecht dabei nach Weih­rauch, wie bei einem Leichenbegängnis, und dabei brummt eine so traurige Begräbnismusik, daß man die Melancholik bekömmt — ich sage Ihnen, es ist keine Religion für einen Ham­burger.»

«Aber, Herr Hyazinth, wie gefällt Ihnen denn die protestantische Religion?»

«Die ist mir wieder zu vernünftig, Herr Dok­tor, und gäbe es in der protestantischen Kirche keine Orgel, so wäre sie gar keine Religion. Unter uns gesagt, diese Religion schadet nichts und ist so rein wie ein Glas Wasser, aber, sie hilft auch nichts. Ich habe sie probiert, und diese Probe kostet mich vier Mark vierzehn Schil­ling —»

«Wie so, mein lieber Herr Hyazinth?»

«Sehen, Herr Doktor, ich habe gedacht: das ist freilich eine sehr aufgeklärte Religion, und es fehlt ihr an Schwärmerei und Wunder; in­dessen, ein bißchen Schwärmerei muß sie doch haben, ein ganz klein Wunderchen muß sie doch tun können, wenn sie sich für eine honette Reli­gion ausgeben will. Aber wer soll da Wunder tun, dacht ich, als ich mal in Hamburg eine pro­testantische Kirche besah, die zu der ganz kahlen Sorte gehörte, wo nichts als braune Bänke und weiße Wände sind, und an der Wand nichts als ein schwarz Täfelchen hängt, worauf ein halb Dutzend weiße Zahlen stehen. Du tust dieser Religion vielleicht Unrecht, dacht ich wieder, vielleicht können diese Zahlen ebensogut ein Wunder tun wie ein Bild von der Mutter Gottes oder wie ein Knochen von ihrem Mann, dem hei­ligen Joseph, und um der Sache auf den Grund zu kommen, ging ich gleich nach Altona, und besetzte eben diese Zahlen in der Altonaer Lot­terie, die Ambe[2] besetzte ich mit acht Schilling, die Terne mit sechs, die Quaterne mit vier, und die Quinterne mit zwei Schilling — Aber, ich versichere Sie auf meine Ehre, keine einzige von den protestantischen Nummern ist herausgekom­men. Jetzt wußte ich, was ich zu denken hatte, jetzt dacht ich, bleibt mir weg mit einer Religion, die gar nichts kann, bei der nicht einmal eine Ambe herauskömmt — werde ich so ein Narr sein, auf diese Religion, worauf ich schon vier Mark und vierzehn Schilling gesetzt und ver­loren habe, noch meine ganze Glückseligkeit zu setzen?»

«Die alt jüdische Religion scheint Ihnen gewiß viel zweckmäßiger, mein Lieber?»

«Herr Doktor, bleiben Sie mir weg mit der altjüdischen Religion, die wünsche ich nicht meinem ärgsten Feind. Man hat nichts als Schimpf und Schande davon. Ich sage Ihnen, es ist gar keine Religion, sondern ein Unglück. Ich vermeide alles, was mich daran erinnern könnte, und weil Hirsch ein jüdisches Wort ist und auf deutsch Hyazinth heißt, so habe ich sogar den alten Hirsch laufen lassen, und unter­schreibe mich jetzt: ,Hyazinth, Kollekteur, Operateur und Taxator‘. Dazu habe ich noch den Vorteil, daß schon ein H. auf meinem Petschaft steht und ich mir kein neues stechen zu lassen brauche. Ich versichere Ihnen, es kommt auf dieser Welt viel darauf an wie man heißt; der Name tut viel. Wenn ich mich unterschreibe: ,Hyazinth, Kollekteur, Operateur und Taxator’, so klingt das ganz anders als schriebe ich Hirsch schlechtweg, und man kann mich dann nicht wie einen gewöhnlichen Lump behandeln.»

«Mein lieber Herr Hyazinth! Wer könnte Sie so behandeln! Sie scheinen schon so viel für Ihre Bildung getan zu haben, daß man in Ihnen den gebildeten Mann schon erkennt, ehe Sie den Mund auftun, um zu sprechen.»

«Sie haben recht, Herr Doktor, ich habe in der Bildung Fortschritte gemacht wie eine Riesin. Ich weiß wirklich nicht, wenn ich nach Hamburg zurückkehre, mit wem ich dort um-gehn soll; und was die Religion anbelangt, so weiß ich was ich tue. Vorderhand aber kann ich mich mit dem neuen israelitischen Tempel noch behelfen; ich meine den reinen Mosaik-Gottes­dienst, mit orthographischen deutschen Gesängen und gerührten Predigten, und einigen Schwärmereichen, die eine Religion durchaus nötig hat. So wahr mir Gott alles Guts gebe, für mich verlange ich jetzt keine bessere Reli­gion, und sie verdient, daß man sie unterstützt. Ich will das Meinige tun, und bin ich wieder in Hamburg, so will ich alle Sonnabend, wenn kein Ziehungstag ist, in den neuen Religion-Tempel gehen. Es gibt leider Menschen, die diesem neuen israelitischen Gottesdienst einen schlechten Na­men machen, und behaupten, er gäbe, mit Respekt zu sagen, Gelegenheit zu einem Schisma — aber ich kann Ihnen versichern, es ist eine gute reinliche Religion, noch etwas zu gut für den gemeinen Mann, für den die alt jüdi­sche Religion vielleicht noch immer sehr nützlich ist. Der gemeine Mann muß eine Dummheit haben, worin er sich glücklich fühlt, und er fühlt sich glücklich in seiner Dummheit. So ein alter Jude mit einem langen Bart und zerrissenem Rock, und der kein orthographisch Wort sprechen kann und sogar ein bißchen grindig ist, fühlt sich vielleicht innerlich glücklicher als ich mich mit all meiner Bildung. Da wohnt in Hamburg, im Bäckerbreitengang, auf einem Sahl[3], ein Mann, der heißt Moses Lump, man nennt ihn auch Mo­ses Lümpchen, oder kurzweg Lümpchen; der läuft die ganze Woche herum, in Wind und Wet­ter, mit seinem Packen auf dem Rücken, um seine paar Mark zu verdienen; wenn er nun Freitag abends nach Hause kömmt, findet er die Lampe mit sieben Lichtern angezündet, den Tisch weiß gedeckt, und er legt seinen Packen und seine Sorgen von sich, und setzt sich zu Tisch mit seiner schiefen Frau und noch schie­feren Tochter, ißt mit ihnen Fische, die ge­kocht sind in angenehm weißer Knoblauchsauce, singt dabei die prächtigsten Lieder vom König David, freut sich von ganzem Herzen über den Auszug der Kinder Israel aus Ägypten, freut sich auch, daß alle Bösewichter, die ihnen Böses getan, am Ende gestorben sind, daß König Pharao, Nebukadnezar, Haman, Antiochus, Titus und all solche Leute tot sind, daß Lümp­chen aber noch lebt und mit Frau und Kind Fisch ißt — Und ich sage Ihnen, Herr Doktor, die Fische sind delikat und der Mann ist glück­lich, er braucht sich mit keiner Bildung abzu­quälen, er sitzt vergnügt in seiner Religion und seinem grünen Schlafrock, wie Diogenes in seiner Tonne, er betrachtet vergnügt seine Lichter, die er nicht einmal selbst putzt — Und ich sage Ihnen, wenn die Lichter etwas matt brennen, und die Schabbesfrau, die sie zu putzen hat, nicht bei der Hand ist, und Rothschild der Große käme jetzt herein, mit all seinen Maklern, Diskonteuren, Spediteuren und Chefs de Comptoir, womit er die Welt erobert, und er spräche: ,Moses Lump, bitte dir eine Gnade aus, was du haben willst, soll geschehen — Herr Doktor, ich bin überzeugt, Moses Lump würde ruhig antworten: ,Putz mir die Lichter!’ und Roth­schild der Große würde mit Verwunderung sa­gen: ,Wär ich nicht Rothschild, so möchte ich so ein Lümpchen sein!’»

Heinrich Heine, Bäder von Lucca. 1829

[1] Die folgenden Anmerkungen sind heutigen Datums, die Hervorhebungen dienen der besseren Übersicht.

[2] Lotto, Lotterie. Ersteres, die Zahlenlotterie, ist eine Erfindung der Genuesen und eins der verderblichsten Glücksspiele, das namentlich bei den ärmern Klassen beliebt ist, jetzt aber in den meisten Staaten nicht mehr geduldet wird. Jeder Spieler wählt sich von 90 Nummern mehrere, und besetzt dieselben mit einer beliebigen Summe. Die Gewinne werden, wenn 2 Nummern besetzt wurden, Amben, bei drei Nummern Ternen, bei 4 Quaternen, bei 5 Quinternen genannt. In der Ambe wird der Einsatz 240 mal, in der Terne 4800 mal, in der Quaterne 60,000 mal bezahlt, verlockend genug, um Gewinnsüchtige das Mißverhältniß zwischen Verlust und Gewinn übersehen zu lassen, da bei einer Ambe 399, bei einer Terne 11,347 Nieten etc. auf einen Treffer kommen. Nirgends mag das Lotto wohl tiefer eingedrungen sein als in Rom, wo man auf den Straßen das Volk in großen Haufen vor den Lottobureaus sich zusammendrängen sieht. Die in den meisten Staaten von den Regierungen eingerichteten Klassen-Lotterien sind noch älter als das Lotto, kamen auch zuerst in Italien auf, wanderten von dort nach Frankreich, England, Holland etc. Der Gewinn bei diesen ist wahrscheinlicher und die ganze bekannte Einrichtung solider und reeller. http://www.zeno.org/DamenConvLex-1834/A/Lotto,+Lotterie

[3] Sahl bezeichnet: eine obere Wohnung in einem Sahlhaus, siehe Wohnterrasse #Sahlhäuser, https://de.wikipedia.org/wiki/Sahl