Eine Jubeldenkschrift zum Firmenjubiläum – Das Stephansstift Hannover, Teil 4 von 4, „Was nicht in der Studie steht“- Die Autorinnen belassen den unwissenden Leser in schandbarer Unwissenheit.
Diese „Rezension“ begann mit einem drastischen Beispiel das nicht in der Studie genannt wird und auch keine vergleichbaren Vorkommnisse. Doch die gab es und man hätte sie unschwer finden können, wenn man wenigstens gegoogelt hätte. Dieses Versäumnis wiegt schwer, weil die Autorinnen aus ihren früheren Untersuchungen wussten, dass Misshandlungen und auch Missbräuche zumindest punktuell zu diesen „totalen Institutionen“ gehörten, in denen die Schutzbefohlenen der Willkür des zumeist nicht pädagogisch ausgebildeten Personals ausgeliefert waren.
Hier das PDF:
Gott wird Kind! Unorthodoxe Gedanken eines Pfarrers zur Weihnachtsgeschichte

Gott wird Kind! Er wird „niedrig und gering“, er begibt sich schutzlos in die Gewalt der Menschen. Das ist der Kern der Weihnachtsgeschichte – was für ein Narrativ! Ein Narrativ? Es dürfte eines der wirkmächtigsten Narrative in der Geschichte der Menschheit sein.
Ein Narrativ, so lesen wir bei Wikipedia, ist eine sinnstiftende Erzählung, es transportiert Werte und Emotionen. Narrative sind keine beliebigen Geschichten, sondern etablierte Erzählungen, die mit einer Legitimität versehen sind. Sie mögen also erfunden sein, aber nicht frei erfunden und erst recht nicht „erstunken und erlogen“, wie manche Kritiker der Bibel pauschal bemängeln. Man möge mir die falsche Etymologie nachsehen: Nur Narren halten Narrative für Narretei. Psalm 53,2: „Es spricht der Narr in seinem Herzen: Es gibt keinen Gott“.
Doch der Reihe nach: Keiner von denen, die bei Jesu Geburt dabei waren, hat die Sensationsmeldung verbreitet: „Gott wird Kind!“. Die Nachricht kam erst postum, nach dem Tod des „Gottessohnes“. Wir müssen also vom Ende her denken, auch zu Weihnachten. Ohne Tod keine Auferstehung und keine Weihnachtsgeschichte.
Der Mensch Jesus, ein Wanderprediger, wurde von seiner Gefolgschaft nicht nur verehrt, sondern für den Sohn Gottes gehalten. Erst sein unfassbarer Verbrechertod am Kreuz und die Erfahrungen seiner Gefolgschaft, er sei noch immer gegenwärtig, ließ sie nachdenken, wie alles angefangen haben könnte. Und so verlängerten sie das im Entstehen befindliche Narrativ von seiner Auferstehung und seinem Wirken als Wanderprediger bis zu seinem Lebensbeginn. Das war logisch – und da es mit Gott zusammenhängt: theo-logisch, und dieses sehr subtil und durchdacht – unter Rückgriff auf Narrative aus dem jüdischen Testament; wir nennen es das alte und schlagen damit einen großen Bogen von einer alten Religionsgeschichte zu einer neuen. So machte es schon Matthäus sehr ausgeprägt. Auf die Probleme will ich hier nicht eingehen.
Das Lukasevangelium schafft eine gar nicht so neue Verknüpfung. Denn schon im „Alten“ Testament war die Geschichte Israels mit der übrigen Geschichte verbunden worden. Lukas verankert die Kindwerdung Gottes in der Profangeschichte: „…es begab sich aber zu der Zeit des Kaisers Augustus, … da Cyrenius Landpfleger in Syrien war…“ Damit ist zwar nichts bewiesen, doch das Narrativ wird geerdet und logisch nachgerüstet: Dem Leben Jesu wird mit der Geburtsgeschichte ein Anfang gegeben – und der steckt, welch Wunder, schon voller Wunder, und voller Theo-Logik.
Gott wird Kind – was bedeutet das? Aus „Herr Gott“ wird das Kind Gott und er zum Vater-Gott. Ein Mensch wird zur Gottes-Mutter. Das hatte bei dem Schürzenjäger Zeus/Jupiter noch keine theologische Bedeutung, sondern gehörte zu den göttlich-allzumenschlichen Eskapaden.
Für mich sind zwei theologische Erkenntnisse wesentlich:
Mit der Menschwerdung Gottes in der Zeit von Augustus und Cyrenius beginnt die Säkularisierung: Gott wird weltlich.
Mit der Kindwerdung Gottes haben wir eine Aufgabe: Schutzlose Kinder um Gottes Willen zu schützen und zu fördern. An Fördern war damals noch nicht zu denken. Kinder wuchsen einfach in das Leben ihrer Eltern und deren Umwelt hinein. Ein Traum heutiger Sozialromantiker: Erziehen? Nein, einfach wachsen lassen! – Wir sind dagegen realistischer: Erziehung und Förderung sind nötig. Aber Fördern wohin, zu was?
Prof. Jürgen Eilert (et al.) beschreiben unter dem sperrigen Titel „Operationalisierbarkeit des Eigenstandsschadens …“ unsere Aufgabe bei Kindern. Der Begriff Eigenstand ist genauso sperrig. Gemeint ist die Stärkung der Persönlichkeit des Kindes, das im Sinne des Grundgesetzes frei – eigenständig – seinen Platz in dieser Gesellschaft einnehmen und behaupten können soll: „Es geht um die schrittweise zu entwickelnde Fähigkeit des Menschen, überhaupt verantwortliche Entscheidungen im Sinne der Ausgestaltung seines Persönlichkeitsrechtes zu fällen.“ Dazu gehört der soziale Aspekt. Nämlich „die schrittweise zu entwickelnde Fähigkeit des Menschen, soziale Verantwortung für den Eigenstand und das Persönlichkeitsrecht anderer Menschen zu übernehmen.“
Auf dem Weg zu dieser Eigenständigkeit kann manches schiefgehen, wenn wir nicht aufpassen. Ein Baby ist, wie wir schon länger wissen, ein „Nesthocker“, eine „physiologische Frühgeburt“. Wichtige Anteile der Reifung finden außerhalb des bergenden Mutterleibes statt und benötigen die Geborgenheit in der Umwelt des Kindes. Dafür gibt es Zeitfenster. Wenn die nicht genutzt werden, schlimmer noch, wenn dann falsche Prägungen erfolgen, dann ist das Fenster zu und eine Nachreifung sehr aufwendig. Wir denken dabei an die Traumatisierungen in Kindheit und Jugend, aktuell an den sexuellen Missbrauch von Kindern.
Gott wird ein schutzloses Kind. Im Narrativ wurde die Szene passend ausgemalt: Der herzlose Wirt, die ärmlichen Hirten, aber dann auch der Chor der Engel und das „Fürchtet euch nicht!“ Die Könige mit ihrem Stern kamen später hinzu – alles gut theologisch. Und schließlich der ganze Weihnachtskitsch. Doch der Kern bleibt: Gott wird Kind und erdet sich – und wir haben hier auf Erden eine Aufgabe – für die Kinder. Das kann auch schiefgehen: „Das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat‘s nicht ergriffen.“ (Jh 1;5).
Nachtrag
Ich habe jetzt ein Narrativ „aufgedröselt“. Ist es damit kaputt? Ich denke nein. Wir in meiner Familie pflegen und erzählen es weiter. Wir bauen die Krippe auf, lesen unseren mittlerweile erwachsenen Kindern die Weihnachtsgeschichte vor, wir „gehen auf Tournee“ mit „Bethlehem, Provence“ als „Szenische Lesung“ der südfranzösischen Weihnachtsgeschichte“, meist einbettet in einen Gottesdienst. Wenn genug Zeit ist, vergleiche ich im Gespräch mit den Zuhörern das Narrativ und die Erzählungen bei Lukas und Matthäus – da gibt es erhebliche Unterschiede. Wir stellen übrigens – ein anderes Narrativ – zum Nikolaustag unsere Stiefel vor die Terrassentür. Wir tauchen ganz bewusst in unsere Kindheitserinnerungen ein, wenn auch die Naivität weg ist: Das Narrativ erinnert an die Kindheit.
So ganz banal ist das Weihnachtsnarrativ nicht. Der geschmückte Weihnachtsbaum ist schön, aber ohne den Gedanken an einen Gott, der als Mensch geboren wurde und seinen Engel verkünden lässt: „Friede auf Erden den Menschen, die guten Willens sind“, ist das alles nur Brauchtum.
Damit bin ich schon wieder im Narrativ. Es ist „unkaputtbar“.
Zur Information zu Eilert (et al.): Ich habe den 29seitigen Essay der Autoren auf gut fünf Seiten „eingedampft“ – und die wenigen Sätze oben sind der Extrakt davon. Man lese nach:
Kindesmissbrauch[1] – Das Suchtverhalten der Täter
Kindesmissbrauch ist endemisch
Kindesmissbrauch ist endemisch, ist tief verwurzelt in der Gesellschaft. Vermutlich war es schon immer so und wurde nur nicht beachtet. Zille beschreibt in seinen „Hurengesprächen“ die „Lutsch-Lise“, und Kindesmissbrauch dürfte sich wohl nicht nur auf sein „Milljöh“ beschränkt haben. Die klerikale Pädokriminalität, die Missbräuche in Familien, Schulen, Sportvereinen usw. haben uns das Ausmaß dieser „Normalität“ vor Augen geführt. Ich wills nicht weiter ausführen.[2]
Was ist neu?
Was ist neu? Die sich in der letzten Zeit häufenden Meldungen über Kindesmissbrauch zeigen uns über die Taten hinaus einen Tauschmarkt für Bilder und Filme von missbrauchten und sadistisch gequälten Kindern. Was früher eher ein Verbrechen in Einsamkeit und Verschwiegenheit war, hat durch die digitale Aufzeichnung und die speziellen Verbreitungskanäle im Internet Marktwert bekommen. Das Internet bietet die Möglichkeit Interessenten zu finden. Der Begriff „Marktwert“ ist irreführend. Es geht nicht so sehr um Geld. „Angesichts der Mengen, die in den Tauschbörsen verbreitet werden, ist der Erwerb von Kinderpornografie im World Wide Web gegen Entgelt eher sinnlos.“ [4]
Eher im Gegenteil. Die Täter erbringen einen hohen Aufwand, wie es gerade der Fall von Münster zeigt.
Der Aufwand besteht zunächst einmal im Arrangement der bloßen Tat. Auch wenn Kriminelle ganz allgemein eher davon ausgehen, nicht erwischt zu werden, so sind Kinder ein Unsicherheitsfaktor für den Täter. Er muss entweder ein Vertrauensverhältnis aufbauen („Das bleibt unser Geheimnis!“) oder eine total einschüchternde Drohkulisse. Außerdem könnten die Kinder unvorhergesehen so laut schreien, dass die Tat entdeckt werden könnte. Hinzu kommt der logistische Aufwand für die Tat und ihre Tarnung. Es hat sich zwar gezeigt, dass die Nachbarschaft und die Personen im „amtlichen“ Umfeld einschließlich Kita, Kindergarten und Schule oft „blind“ sind und/oder nicht kooperieren, so ist die Fehleranfälligkeit dieser Gruppen und Instanzen dennoch nicht kalkulierbar.
Der nächste Aufwand ist mit der Dokumentation der Taten durch die Täter gegeben und mit ihrem Einsatz in den Winkeln des Internets. Die Täter brauchen das Equipment und das Know-how der abgesicherten Verbindung zu anderen Tätern. Der Fall in Münster zeigt den technischen Aufwand für die professionell-verschlüsselte Speicherung der Daten.
Das Problem stellt sich bereits bei der bloßen Speicherung von Kinderpornographie, also auch ohne direkten eigenen Missbrauch. Wer speichert macht sich strafbar und in weiterem Sinne angreifbar. Das musste der Abgeordnete Edathy erfahren, obwohl er Photos gekauft und heruntergeladen hatte, die sich letztlich nicht als strafbar herausstellten. Doch der Verdacht hatte gereicht, um seine politische wie bürgerliche Reputation zu zerstören.[5]+[6]
Werden weitere Personen über das Netz kontaktiert, die anreisen, um sich real an den Kindern und ihren Qualen zu verlustieren, stellen sie die nächste Stufe möglicher Schwierigkeiten dar.
Der ganze Aufwand ist für Außenstehende zunächst ein Rätsel. Warum machen die Täter das, wenn kein Gewinnstreben im Vordergrund steht?
Verhaltenssucht
Wenn keine logischen Gründe erkennbar sind, wird man nach psychologischen suchen müssen. Einen Schlüssel zum Verstehen sehe ich darin, dass der Hauptzweck der Verwertung der Aufzeichnungen im Zugang zu einschlägigen Bildertausch-Netzen liegt. Neben die Erstmotivation der Lust am sexuellen Missbrauch von Kindern tritt also der Zusatzgewinn: Zugang zu ähnlichen, besser noch heftigeren Bildern und Filmen oder gar der Besuch bei anderen Tätern mit anderen Kindern.[7]
Hier ist ein Bogen zu schlagen zu den Auswirkungen des exzessiven Pornokonsums, über die durch das häufigere Vorkommen Erkenntnisse vorliegen.
»In den letzten Jahren hat die Sucht nach Pornographie schwunghaft zugenommen und stellt Therapeuten wie Mediziner vor eine gleichsam hohe Herausforderung. Männer jeden Alters erleben plötzlich gravierende Nebenwirkungen des dauerhaften Konsums kostenlos abrufbarer Pornographie im Internet. … Viele zwanghafte Nutzer von Internet-Pornographie laden fünf oder mehrere Videos gleichzeitig in verschiedenen Browser-Fenstern oder auch Tabs und klicken sich dann in Windeseile durch die verschiedenen Szenen.«[8] »“Mit einem jährlichen Umsatz von 800 Millionen Euro ist Deutschland weltweit der zweitgrößte Pornomarkt“, schreibt die Sozialwissenschaftlerin Esther Stahl. Ein fatales Paradies für Abhängige.« … »Weil die Droge immer und überall zu haben ist, steigt auch die Zahl der Süchtigen. „Während sich früher Personen Pornographie in einer Videothek besorgen mussten, ist die Verfügbarkeit über das Internet viel größer, einfacher und subjektiv anonymer. Dies trägt zur Steigerung des Anteils von Betroffenen bei“« … »So wie es aussieht ist aber die Pornosucht für die Wissenschaft nichts Besonderes. Brand schreibt, bildgebende Verfahren hätten gezeigt, dass die Pornosucht (Brand nennt sie Cybersexsucht) im Prinzip genauso funktioniert wie Substanzabhängigkeiten oder Verhaltenssüchte.« … »„Der Süchtige kann sich nie sicher sein, ob nicht das nächste Video noch besser zu seinen sexuellen Präferenzen passt als das, das er gerade anschaut“, sagt Brand.« … »So entgleitet den Betroffenen die Kontrolle viel schneller. Das ist wohl ein wesentlicher Mechanismus der Pornosucht.«[9]
Das passt zu meinen Erfahrungen. Wohl die meisten (männlichen) Leser dürften schon einmal auf solchen Pornoseiten gewesen sein. Soweit Sie sich auf die Szenen eingelassen haben: Eigentlich ist die meist recht monotone Vorführung des alten Steckspiels langweilig, und doch kommt man nicht gleich davon los. Das ist noch nicht schon Sucht, kann aber sehr leicht eine werden.
Was für Pornographie ohne Kinderbeteiligung gilt, für die man keinerlei Aufwand treiben muss, gilt umso mehr für Kinderpornographie.
Die Gier wächst, weil man glaubt, es gebe noch so viel und noch viel befriedigenderes zu entdecken: »Rund 600 Terabyte Videomaterial haben die Ermittler auf dem Server des IT-Technikers gesichert. Je nach technischem Endgerät bräuchte ein Mensch 30 Jahre, um das gesamte Material zu sichten.«[10] Das Suchtmittel ist also in unermesslichem Umfang immer zur Hand – wenn man in einem solchen Tausch-Club Zutritt erhalten hat – durch Lieferung weiteren „Materials“. Ich habe noch in Erinnerung, wie uns ein Staatsanwalt mit Schwerpunkt Kinderpornographie auf einer Tagung in der Evangelischen Akademie Bad Boll, nicht die Photos, aber die Ordnerstruktur auf dem PC eines Täters vorführte: sorgfältig geführte Dateien-Verzeichnisse zeugten von pingeligster Sammelleidenschaft.[11] Für mich ist der Suchtcharakter (Verhaltenssucht) unverkennbar, er wird allerdings im ICD[12] nicht erfasst. Die Studie von Kutscher et al.[13] hebt zwar hervor, dass Kindesmissbraucher mit der Diagnose einer Pädophilie besondere Beachtung benötigen insbesondere wegen der frühen Manifestation und der lebenslangen Persistenz ihrer sexuellen Ausrichtung auf Kinder, geht aber auf eine mögliche Suchtproblematik nicht ein. Nimmt man diese jedoch an, verschärft sich das Problem sadistischen Kindesmissbrauch und seiner allzeitigen Präsenz in den Tauschbörsen.
Nach meinen Schlussfolgerungen haben wir es mit Abhängigen zu tun, die im Unterschied zu anderen Süchtigen, gemeingefährlich sind. Andere Süchtige schädigen zunächst einmal sich selbst, und ihre Angehörigen leiden mit, fungieren oft als Co-Abhängige, indem sie ihrem „Suchti“ den Rücken freihalten. Das ist hier grundlegend anders. Die Kinderporno-Sucht speist sich durch Opfer, umso schärfer, wenn Sadismus dabei ist.
Viele rufen derzeit nach Strafverschärfung, manche entwickeln dabei nicht ganz unverständliche Ideen, die ihrerseits in Richtung Sadismus gehen. Doch selbst die Rufe nach ziviler Strafverschärfung, einer generellen Hochstufung von Kinderpornographie zum Verbrechenstatbestand sind in manchen Fällen u.U. nicht angemessen. Die Optik jedenfalls ist unbefriedigend, solange Herstellung und Vertrieb von Kinderpornographie nur als Vergehen eingestuft werden. Wir brauchen angemessene Lösungen. Welche könnten das sein?
Strafvollzug?
Strafvollzug allein erscheint der Problemlage nicht angemessen, auch wenn den Tätern dort vielleicht zum ersten Mal ihre Stellung drastisch bewusst gemacht würde.[14]
Für Straftaten unter Drogeneinfluss gibt es das Instrument des Maßregelvollzugs für psychisch Kranke. »Im Maßregelvollzug … werden nach § 63 und § 64 des deutschen Strafgesetzbuches unter bestimmten Umständen psychisch kranke oder suchtkranke Straftäter entsprechend den Maßregeln der Besserung und Sicherung untergebracht.« Es geht um den zweigliedrigen Umgang mit schweren Delikten, Strafe für Tatschuld, Sicherung und Besserung für Schuldunfähigkeit.[15]
»Die Unterbringung im Maßregelvollzug erfordert das Vorliegen einer schweren Straftat, einer chronischen psychischen Erkrankung oder Suchterkrankung, eine deutliche Verbindung zwischen beidem und eine weiterbestehende Gefährlichkeit.«[16]
Diese Bedingungen sind für Kinderpornographie-Suchtkranke gegeben. Es bleibt zu entscheiden, wann und unter welchen Umständen sogenannte Lockerungen des Maßregelvollzugs möglich erscheinen und welche Bedingungen für eine gegebenenfalls erforderliche Überführung in die Sicherheitsverwahrung gelten sollen. Jedenfalls sollte bei einer Verurteilung prophylaktisch die besondere Gefährlichkeit des Täters hervorgehoben werden.
Die Polizei stößt an Grenzen
Das Internet bringt Anbieter und Kunden für die merkwürdigsten und abwegigsten Interessen zusammen.[17] Es finden sich nicht nur Anbieter und Kunden[18], zusammen kommen, wie wir aus den jüngsten Fällen wissen, auch die Neigungen der Täter und die Möglichkeit, damit Zugang zu einschlägigen Netzwerken zu gewinnen. Die Polizei ist in diesem Deliktbereich oft erst durch Zufallsfunde aufmerksam geworden[19] und sie stößt an Grenzen – in Münster an technische, weil die Profi-Verschlüsselung erst zu knacken ist, aber auch an psychische. Denn das Material, was sie finden, verstört auch erfahrene Kriminalisten.[20] Die Zeugnisse der Verbrechen an den Kindern stellen sich als Überforderung derer dar, die solche Beweise sichten, beurteilen und protokollieren müssen. Ich will das nicht näher ausführen, nur ein Beispiel aus der klassischen Tatortarbeit bei Gewaltverbrechen: „Wenn meine Frau wüsste, was diese Hände anfassen müssen,“ der Kriminalbeamte hielt mir seine Hände vors Gesicht, „dann dürfte ich sie nicht mehr anfassen.“[21] Was wird aus den Menschen, die über Tage hinweg mit der Sichtung total morbiden Materials beschäftigt sind. In den „Sozialen Medien“ wird nicht ohne Grund auf die sicher schlimmeren „echten“ Erlebnisse der Kinder hingewiesen und Thomas Fischer spießt unter dem Titel „Das Leiden der anderen“[22] wie immer spitz und sachkundig die öffentliche Klage über die Belastung derer auf, die sich mit dem ganzen „Dreck“ beschäftigen müssen. Dennoch: Wie so oft laufen gesellschaftliche Fehlentwicklungen zunächst bei der Polizei auf – und sie ist nicht darauf vorbereitet.
Was also tun? Das Internet werden wir nicht abschaffen können, auch nicht wollen. Doch auch dort muss die Polizei „Streife fahren“ dürfen, besonders im „Darknet“[23]. Die Netzbetreiber müssen verpflichtet werden, Auffälligkeiten nachzugehen und gegebenenfalls Anzeige zu erstatten. Das heißt, die Betreiber werden, so problematisch das auch ist, Filter einsetzen müssen.[24] Der Gesetzgeber muss die Möglichkeiten dafür schaffen und zugleich einem Machtmissbrauch vorbeugen. Das ist leichter gefordert als umgesetzt.
Kinderrechte
Schließlich, aber nicht zuletzt, müssen wir die Kinder ertüchtigen. In den meisten Fällen werden die Kinder im sozialen Nahraum missbraucht, meist in gestörten, familiären Zusammenhängen.[25]+[26] Das bedingt die Schaffung eines Schutznetzes, dessen Übersicht wohl beim Jugendamt liegen müsste.[27] Das Wohlergehen von Kindern muss abgesichert werden, indem von Geburt an den Eltern auferlegt wird, die Frühuntersuchungen wahrzunehmen, was auch kontrolliert werden muss.[28] Jedes Kind bis zum Alter von etwa 14 Jahren sollte einmal jährlich unbekleidet von einem Arzt in Augenschein genommen und kindangemessen nach seinem Wohlergehen befragt werden,[29] dazu gehört die Meldepflicht ans Jugendamt bei Auffälligkeiten. Wenn Kinder nicht auf dem „Radar“ von Kitas und Kindergärten, später Schulen auftauchen, muss dem nachgegangen werden. Das heißt, dass die Jugendämter ab Geburt eines Kindes eine präventiv-aktive Rolle übernehmen müssen, um zu sehen, ob und wie sie in Elternrechte eingreifen müssen.[30]
Zur Ertüchtigung der Kinder gehört auch ihre Information. Ein grob missbrauchtes Kind wird merken, dass es gequält wird.[31] Doch die Dinge beginnen früher. Wir werden uns daran gewöhnen müssen[32], dass Kinder sehr früh über Sexualität und ihre Bedeutung für die Erwachsenen aufgeklärt werden, damit sie sehr früh wissen, was die Erwachsenen dürfen und was nicht. Leider ist die sexuelle Früherziehung unter die Räder von Ideologen gekommen, die meinten, Kinder müssten lernen, dass es neben den herkömmlichen Formen des Familienlebens auch noch andere gibt – und dabei übergehen, was die statistische Normalität ist. Die Kinder müssen also in den Einrichtungen, die sie besuchen, einschließlich der Grundschule, jährlich einmal in kindangemessener Weise über ihre Rechte und deren Gefährdung informiert werden.
Um die Kinderrechte ist es bei uns allerdings nicht gut bestellt. Der Widerstand gegen ihre Aufnahme ins Grundgesetz ist massiv. Familienverbände wehren sich mit Erfolg. Sie befürchten Eingriffe in ihr Grundrecht; Ängste, die zu berücksichtigen sind. Dennoch sollten Kinder zu – begrenzt – eigenständigen Rechtssubjekten werden, um einen wirksamen, einen wirksameren Kinderschutz als derzeit zu ermöglichen.
Ich habe mich seit mehr als 20 Jahren für eine neue Politik in Kinder- und Jugendlichen-Angelegenheiten eingesetzt[33] – bisher vergeblich. Die Maßnahmen für Kinder sind wirkungslos. So gibt es immer noch keine Fachaufsicht für Jugendämter, deren Versäumnisse in den letzten Missbrauchsfällen überdeutlich geworden sind.[34] Jugendhilfe-Maßnahmen sind oft nicht evidenz-, also erfolgsbasiert und den Jugendämtern sind von den Wohlfahrtsverbänden rechtlich die Hände gebunden.[35]
Hätten Kinder ihren Platz im Grundgesetz, wäre ihre Rechtsposition stärker.
Es gibt durchaus eine Reihe von ehrenamtlichen Aktivitäten für die Belange von Kindern (Personen, informelle Zusammenschlüsse, Vereine), ich habe sie auf meinen Tagungen erlebt, doch ihnen fehlt die Durchsetzungskraft. Darum brauchen Kinder einen Platz im Grundgesetz.
Aber haben wir nicht eine Kinderkommission im Bundestag? Ja, aber die ist – traurig genug – nicht durchsetzungsfähig. „Wie sieht die Arbeit der Kommission praktisch aus?[36] Die Parteien im Bundestag schicken ihre Vertreter zwar dorthin, doch die Empfehlungen der KiKo verpuffen weithin.
Für das spezielle Thema Kindesmissbrauch haben wir noch den UBSKM, den „Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs“[37]. Das Amt ist sehr breit aufgestellt und „Johannes-Wilhelm Rörig [wurde] zum 1. April 2019 für die Dauer von weiteren fünf Jahren erneut zum Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs berufen.“[38] Seine Homepage ist sehr professionell gemacht, und er twittert viel.[39] Es gibt auch Hinweise auf einige Tätigkeiten des UBSKM. Er kündigt Erfolge an, über die Insider sich allerding wundern.[40]+[41] Mir fehlen grundlegende Informationen: Welche Kompetenzen hat er? Etwa wie ein Untersuchungsrichter mit Zugriff auf die Akten in kirchlichen Beständen, die über klerikale Pädokriminalität Auskunft geben könnten? Ich schrieb an seine Pressesprecherin: „Wenn die Rörigkommission einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss mit all den erforderlichen Vollmachten durchsetzt, wenn diese Untersuchungen die Staatsanwaltschaften nötigen, die einschlägigen Archivakten in Jugendämtern, Kirchen, Klöstern und Jugendhilfeeinrichtungen zu beschlagnahmen, und das unabhängig von der Verjährungsfrage, dann dürfte sie auch Unterstützung von den Opfern erwarten.“[42] Doch der UBSKM antwortete nicht.
Für Kinderrechte und Kinderschutz gibt es leider immer noch viel zu tun und Kinder haben keine Lobby,[43] stehen nicht im Grundgesetz, haben kein Wahlrecht – immerhin liefern sie in ihrer Rolle als Opfer zuweilen Sensationsthemen; die Medien und wir Konsumenten wissen es zu schätzen, bevor wir zu Tagesordnung übergehen.
Fußnoten
[1] Es geht in diesem Artikel um die Kombination von gewalttätigem Kindesmissbrauch mit Internetnutzung. Das Phänomen des Cyber-grooming wird umfassend dargestellt bei Adolf Gallwitz, Pädokriminalität – Kinder und Jugendliche als Opfer im Internet https://www.gdp.de/gdp/gdp.nsf/id/_dp200902/$file/DeuPol0902.pdf Seiten 6-17. Dieser Artikel ist schon älter, aber nicht überholt.
[2] Eine Übersicht über das Problemfeld bietet die Polizei von NRW unter: https://polizei.nrw/kinderpornografie
[3] Photo – Dierk Schäfer: https://www.flickr.com/photos/dierkschaefer/2515968357/in/album-72157605161869324/
[4] Der finanzielle Aspekt wird leicht überschätzt. Ein „Milliardenmarkt“ für Kinderpornografie ist nicht erkennbar. Quelle: Hüneke, A. (2012). Das Internet – ein Milliardenmarkt für Kinderpornografie? Abgerufen von https://www.uni-hannover.de/fileadmin/luh/content/alumni/alumnicampus/AC_8_2012/i34-36__hueneke.pdf Zitiert nach: https://polizei.nrw/artikel/studien-zum-thema-kinderpornografie
[5] Es gehört nicht zum engeren Thema, doch der Hintergrund sollte nicht in Vergessenheit geraten: Es wurde mit dem Verfahren gegen Edathy auch der unbequeme Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses gezielt ausgeschaltet: https://www.zeit.de/kultur/literatur/2015-06/sebastian-edathy-nsu-kiyaks-deutschstunde + https://de.wikipedia.org/wiki/Edathy-Aff%C3%A4re beide links: Dienstag, 16. Juni 2020
[6] Ohne politischen Hintergrund war ein Vorfall in meinem Umkreis: Ein Kollege (kein Pfarrer!) hatte mit solchen Photos für seinen Dienst-PC auch Malware ins ganze System heruntergeladen. Das fiel auf. Man entdeckte die Dateien auf seinem PC. Ob er freiwillig ging oder gekündigt wurde, weiß ich nicht. Ich war Datenschutzbeauftragter unserer Einrichtung und richtete eine humorvoll gehaltene Warnung an unsere Beschäftigten, damals (2002) war der ernsthafte Charakter dieser Dinge noch nicht so geläufig:
[7] Ohnehin beschränkt sich der Missbrauch meist nicht nur auf ein Kind – und oft auch nicht auf nur einen Täter: Gruppensex mit Kindern.
[8] https://www.hypnovita.de/hypnose/therapie/sexualstoerungen/pornosucht-nebenwirkungen-loesungen-bei-der-abhaengigkeit-von-pornographie, (Mittwoch, 10. Juni 2020)
[9] https://www.aerztezeitung.de/Medizin/Wenn-der-Sex-Klick-zum-Zwang-wird-286443.html (Samstag, 13. Juni 2020)
[10] Zitiert nach: https://www.merkur.de/welt/kinderpornografie-muenster-razzia-missbrauch-durchsuchung-kindesmissbrauch-erzieherin-verdacht-nrw-zr-13789992.html (Samstag, 13. Juni 2020)
[11] Da die Photos einzeln auf ihre gerichtliche Brauchbarkeit geprüft werden müssen, behalf man sich bei der Vielzahl der Bilder, sie zur Vorabsichtung in die Bereitschaftspolizei zu geben, also an junge Beamte, deren sexuelle Entwicklung oft noch nicht abgeschlossen ist.
[12] https://www.icd-code.de/icd/code/F65.-.html
[13] Tanja Kutscher · Janina Neutze · Klaus M. Beier · Klaus-Peter Dahle, Vergleich zweier diagnostischer Ansätze zur Erfassung der Sexualfantasien pädophiler Männer file:///C:/Users/Dierk%20User/Documents/5%20kriminologie/Kutscheretal_2011_VergleichzweierdiagnsotischerAnsatzezurErfassungderSexualfantasienpadophilerManner.pdf
[14] Gefangene, die sogenannte Sittlichkeitsdelikte begangen haben, werden abfällig „Sittiche“ genannt – sie gelten bei den Mitgefangenen als Abschaum. … „Was ist?“, fragt der Häftling. „Bist du taub? Oder ein Kinderficker?“ „Nein“, sagt Karl. „Es ging nur um Bilder, einen Link und eine Website.“ Im Dienstzimmer hören die Beamten Schreie. Sie eilen heran. „Hier ist ein Kifi“, ruft einer der Häftlinge in den Flur. „Kinderficker!“ https://correctiv.org/recherchen/justiz/artikel/2017/08/16/folge-1-die-ohnmacht-des-anfangs/ t
[15] Ein ausführlicher gut lesbarer Artikel, der auch die Probleme des Maßregelvollzugs beschreibt: https://de.wikipedia.org/wiki/Ma%C3%9Fregelvollzug .Weitere Informationen: https://www.forensik.de/ueber-uns/fachausschuss-forensik.html
[16] http://www.bdk-deutschland.de/arbeitskreise/ak-forensik/665-grundsaetzliches-zur-massregelvollzugsbehandlung
[17] Dort findet auch der Menschenfresser sein williges Opfer: »Ein „deutscher Computertechniker … wurde als „Kannibale von Rotenburg“ bekannt, weil er Teile der Leiche seines Opfers gegessen hatte.« https://de.wikipedia.org/wiki/Armin_Meiwes
[18] https://polizei.nrw/artikel/taeter-und-strafbarkeit-von-kinder-und-jugendpornografie
[19] Denen sie dann gezielt nachgehen kann: https://polizei.nrw/artikel/kinderpornografie-ermittlungen
[20] Münsters Polizeipräsident Rainer Furth: „Wer macht sich eigentlich dabei Gedanken über das Leid, das Elend, das Martyrium der Kinder – begangen von Tätern, Vätern, zum Teil von Müttern der Kinder? Und wer macht sich Gedanken über die Männer und die Frauen bei der Polizei, die Hunderte von Terabytes auswerten müssen von diesem abscheulichen Dreck?“ https://www.merkur.de/welt/kinderpornografie-muenster-razzia-missbrauch-durchsuchung-kindesmissbrauch-erzieherin-verdacht-nrw-zr-13789992.html Freitag, 12. Juni 2020
[21] Eigenbericht aus meiner Arbeit als Polizeipfarrer.
[22] https://www.spiegel.de/panorama/justiz/kinderpornografie-und-strafrecht-das-leiden-der-anderen-kolumne-a-28d03ffc-c7b0-4914-83cb-be0f2003bbd1 Samstag, 13. Juni 2020
[23] https://polizei.nrw/artikel/erfolge-im-kampf-gegen-darknet-plattformen »Die bereits im März 2018 ausgehobene Plattform „Welcome to Video“ funktionierte mit Hilfe anonymer Bitcoin-Zahlungen. Ermittler hätten rund acht Terabyte Daten sichergestellt, darunter rund 250.000 kinderpornografische Videos, hieß es weiter. Fast die Hälfte der Bilder und Videos waren vorher nirgends sonst im Internet aufgetaucht. Bei der Plattform seien rund eine Million Bitcoin-Adressen registriert gewesen, was darauf hindeute, dass es bis zu eine Million Nutzer gegeben haben könnte.« https://www.dw.com/de/gro%C3%9Fe-kinderporno-plattform-im-darknet-gestoppt/a-50861782
[24] Wir kennen die „no-nippels-policy“ von facebook https://noizz.de/lifestyle/no-nipple-policy-sechs-ausnahmen-in-denen-facebook-brustwarzen-fotos-akzeptiert/rd8wv1k
[25] https://polizei.nrw/artikel/kinderpornografie-opfer-und-opferschutz
[26] „Nach kriminologischer Einschätzung … handelt es sich in Fällen sexuellen Missbrauchs von Kindern bei 60 bis 80 Prozent der Täter um Bekannte oder gar Verwandte des kindlichen Opfers.“ Quellle: Hagen, K. R., Olek, K. & Dickgieser, N. (2000). Sexueller Missbrauch eines Kindes. Kriminalistik, 54 (4), 240-242. Zitiert nach: https://polizei.nrw/artikel/studien-zum-thema-kinderpornografie , dort auch eine Aufschlüsselung nach Tätergruppen aus der Studie Laumer, M. (2012). Der Zusammenhang zwischen dem Konsum von Kinderpornografie und sexuellem Missbrauch von Kindern – Eine Übersicht zum aktuellen Forschungsstand. Kriminalistik, 3/2012, 139-144.
[27] Die Übersichtsakte müsste – notwendig zu erwähnen – bei Ortswechsel an das dann zuständige Jugendamt übergehen.
[28] In den Niederlanden hat man dafür die Consultatie-Büros, deren Besuch/Inanspruchnahme verpflichtend ist. https://nl.wikipedia.org/wiki/Consultatiebureau
[29] „Der ist vor meinen Augen an einer normalen Grippe verstorben, weil der Pflegevater prinzipiell alle Ärzte abgelehnt hat, um den sexuellen Missbrauch zu vertuschen.“ https://www.deutschlandfunk.de/missbrauch-von-berliner-pflegekindern-studie-sieht.1773.de.html?dram:article_id=478608 Montag, 15. Juni 2020
[30] Akten haben eine ambivalente Eigenschaft. Sind sie erst einmal in der Welt, können sie immer wieder zur Belastung herangezogen werden. Eine Schutzakte von Kindern müsste also – mit ihrem Einverständnis – spätestens mit Erreichung ihrer Mündigkeit nachweislich vernichtet werden.
[31] Das heißt allerdings nicht, dass man es ihm auch anmerkt: »Die Bild zitiert einen Garten-Nachbarn: „Adrian, die Frau und der Sohn waren oft im Garten. Der Junge kurvte oft mit dem Kettcar durch die Anlage, er war auffallend freundlich und höflich.“« https://www.merkur.de/welt/kinderpornografie-muenster-razzia-missbrauch-durchsuchung-kindesmissbrauch-erzieherin-verdacht-nrw-zr-13789992.html Freitag, 12. Juni 2020
[32] Schließlich hat ja auch die Plakatkampagne von Frau Süßmuth für den Gebrauch von Kondomen zu keinem Aufschrei der Entrüstung geführt.
[33] Wenn es gute Gesetzesvorlagen gibt, werden sie regelmäßig von den Bundesländern aus Kostengründen ausgebremst. https://dierkschaefer.wordpress.com/2011/10/28/kinderschutzgesetz/ . Dazu auch mein gleichnamiges Papier: https://dierkschaefer.files.wordpress.com/2011/10/fc3bcr-eine-neue-politik.pdf
[34] Dazu: https://www.spiegel.de/panorama/justiz/kindesmissbrauch-diskussion-um-strafen-zu-viele-familienrichter-sind-ahnungslos-a-6626a099-78e1-4ec3-8114-85acf11183df Montag, 15. Juni 2020
[35] Die Zahnlosigkeit der Gesetze zum Recht von Schutzbefohlen, https://dierkschaefer.wordpress.com/2015/06/24/die-zahnlosigkeit-der-gesetze-zum-recht-von-schutzbefohlen/
[36] https://www.bundestag.de/ausschuesse/ausschuesse18/a13/kiko/informationen/info2-261950
[37] https://beauftragter-missbrauch.de/
[38] https://beauftragter-missbrauch.de/der-beauftragte/das-amt
[39] Andere, die sich für Kinderrechte einsetzen, twittern auch, die machen das aber unentgeltlich.
[40] https://dierkschaefer.wordpress.com/2020/04/26/wir-insider-wundern-uns/
[41] https://dierkschaefer.wordpress.com/2020/04/29/hat-sich-die-kirche-dem-missbrauchsbeauftragten-unterworfen/
[42] https://dierkschaefer.wordpress.com/2020/04/26/wir-insider-wundern-uns/
[43] Prof. Salgo: „Als Insolvenzrichter muss ich in Deutschland entsprechende Kenntnisse und Fortbildungen nachweisen. Als Familienrichter nicht. Das zeigt auch, wie der Gesetzgeber diese Themen gewichtet. Die Politik sollte da dringend ihre Hausaufgaben machen.“ https://www.spiegel.de/panorama/justiz/kindesmissbrauch-diskussion-um-strafen-zu-viele-familienrichter-sind-ahnungslos-a-6626a099-78e1-4ec3-8114-85acf11183df
Bei Antje Vollmers Tafelrunde / fiel auch was ab für arme Hunde.
Das muss man ihr schon zugute halten.
Der Runde Tisch Heimkinder und der Erfolg der Politikerin Dr. Antje Vollmer
Kinderrechte sollen ins Grundgesetz
Ja, aber ich glaub’s erst, wenn sie drin sind. Beurteilen kann man sie erst, wenn man sie sich kritisch anschaut: 1. Welche Kinderrechte kommen ins Grundgesetz? 2. Welche Chancen haben ihre Umsetzung in Politik, Justiz und Verwaltung? Es wird also noch dauern.
Als jahrelanger Beobachter der Situation kann ich nur gequält schmunzeln über den Fortschritt, der bekanntlich eine Schnecke ist – und ob’s ein Fortschritt wird, sehen wir erst später.[1]
Nun endlich nimmt sich die Politik auf höherer Ebene (Koalitionsvertrag) des Themas an. Eine Zusammenfassung gab es gestern in der Sendung „Hintergrund“ des Deutschlandfunks. Man lese nach![2]
Ob es zu einer 2/3-Mehrheit im Bundestag reichen wird, halte ich für fraglich, denn – wie üblich – werden die Kinder nicht nach ihren wohlverstandenen Interessen gefragt, sondern die Vertreter der Interessen anderer:
- Elternverbände
- Männervereinigungen
- Frauenvereinigungen
- Kirchen
- Parteien
- Sozial- bzw. Jugendhilfeträger
und am wichtigsten:
- die Länder und ihre Kommunen
Die Liste ist wohl nicht vollständig, so habe ich z.B. die Rechtsdogmatiker nicht erwähnt.
Wenn einer Personengruppe, die bisher nur im Paket „Familie“ mitgemeint war, eigene Rechte eingeräumt werden sollen, schmälert das die Rechte und den Einfluss anderer – oder deren Finanzen. Diese anderen werden alle Möglichkeiten nutzen, um ihren Besitzstand zu wahren.
Die Eltern und ihre Verbände werden auf das Elternrecht pochen und darauf verweisen, dass für deren Missbrauch der Staat ein Wächteramt habe. Es ist ja auch richtig, dass der Staat nicht ohne Anlass, also willkürlich/ideologisch in die Familien hineinregieren soll. Autoritäre Staaten in Vergangenheit und Gegenwart sind ein abschreckendes Beispiel, die Hilflosigkeit von Kindern in unserem System in bekanntgewordenen Extremfällen allerdings auch. Es wird also darum gehen müssen, Elternrechte gegen die wohlverstandenen Interessen des Kindes abzuwägen und passende Maßnahme durchzusetzen, wobei unbedingt die Meinung der Kinder erfragt werden muss. Richter sind oft dieser Aufgabe nicht gewachsen. Das sollte also eine unabhängige Fachkraft tun, die den Kindern ihre Entscheidungsmöglichkeiten und auch die Folgen freundlich vor Augen führt. Das bedeutet: qualifizierte Einzelarbeit, die ist teuer. Sind uns die Kinder das wert? Wer soll das bezahlen?
Fragen in Zusammenhang mit Inobhutnahme sind besonders schwierig. Kinder sind zuweilen hinundhergerissen zwischen der Liebe zu ihren Eltern, selbst wenn diese drogenabhängig sind [Parentifizierung] oder sie gar mißhandeln einerseits und andererseits ihren wohlverstandenen Interessen. Hier ist sehr viel Einfühlungsvermögen vonnöten, um den Kindern die Last der Verantwortung und die Schuldgefühle abzunehmen. Zu beachten ist der Zeitfaktor bei einer Unterbringung in einer Pflegefamilie. Oft ist hier eine Bindung entstanden, die stärker ist als manche Vorstellung von Blutsverwandtschaft. Die Vorstellung, dass soziale Elternschaft wichtiger ist als leibliche, ist vielen Menschen fremd. Sie denken nicht daran, dass es Aufgabe jeder Elternschaft ist, eine soziale zu werden.
Kinder bei Trennung und Scheidung sind dann besonders schlecht dran, wenn der Partnerschaftskrieg auf dem Rücken der Kinder ausgefochten wird. Im Hintergrund machen sich Männervereinigungen und Frauenvereinigungen stark. Auch sie folgen zumeist biologischen Denkmustern. Ein Kind gehört zur Mutter/zum Vater oder es hat Anrecht auf beide. Alles ist verheerend für Kinder, wenn die Eltern für das Kind nicht in erster Linie Eltern sein wollen – und es auch können. Zurzeit versuchen – vornehmlich – Männer, die oft unhaltbaren Entscheidungen der Familiengerichte auszuhebeln durch ein im Regelfall verpflichtendes Doppelresidenzmodell. Ob diese Aufteilung der Kinder von Fall zu Fall von den Kindern gewünscht wird und ob es für sie praktikabel ist, diese Frage interessiert nicht. Es kann und sollte in solchen Fällen immer darum gehen, im Einvernehmen mit den Kindern – möglichst auch mit den Eltern – eine kindgerechte, alltagstaugliche Lösung zu finden, die nach Kindesbedarf Flexibilität ermöglicht und auf Wunsch des Kindes auch wieder neu verhandelbar ist. Auch hier ist die Beratung und Begleitung von ideologisch unabhängigen Fachpersonal nötig. Mit der psychologisch-pädagogischen Fachkompetenz der Richter wird man wohl auch zukünftig nicht rechnen können.
Die Kirchen und andere Religionsverbände werden das Elternrecht in dem Sinne verteidigen wollen, dass diese das Recht auf religiöse Erziehung bis zur Religionsmündigkeit behalten sollten. Das ist problematischer als es aussieht. Denn es beinhaltet das Recht auf Beschneidung minderjähriger Jungen, was eindeutig dem Kinderrecht auf Unversehrtheit entgegensteht. Von dort ausgehend machen manche Agitatoren auch Front gegen die Kindertaufe; ein Kind solle unbehelligt von jedweder Religion aufwachsen, bis es sich selber entscheiden kann. Das ist völlig lebensfremd.[3]
Die Parteien sind, wie der Rundfunkbeitrag zeigt, unterschiedlicher Meinung.[4] Nach meiner Einschätzung haben alle kein besonderes Interesse an Kindern, sondern nur an ihren Wählergruppen. Das ist systembedingt. Sie werden jeden Entwurf für Kinderrechte im GG in ihrem Interesse beeinflussen, verwässern und Hintertürchen aufhalten[5]. Also brauchen wir nicht nur die Kinderrechte im GG, sondern auch Wahlrecht für Kinder, das zunächst wohl eine Art Familienwahlrecht wäre bis die Kinder eigene politische Vorstellungen haben. Dann, aber erst dann würden die Parteien Familien und Kinder umwerben und ihnen die Aufmerksamkeit geben, die ihnen gebührt.
Ein schwieriges Kapitel sind die Sozial- bzw. Jugendhilfeträger, denn die Rechte dieser Lobby sind festgezurrt. Ich habe es in einem Beitrag hier im Blog dargestellt.[6]
Am übelsten jedoch ist die Lobby der Länder und ihrer Kommunen, denn die sind – wie die Elternrechte – schon im Grundgesetz verankert und sie wollen nicht zahlen. Darum hintertreiben sie seit Jahrzehnten alle kostenträchtigen Gesetze, auch die, die für das Kindeswohl förderlich sind. Und sie achten auf ihre Hoheit. Besonders sie also sind der Hauptgegner, wenn es um die Umsetzung von Kinderrechten im Grundgesetz geht.
Das sind die Nebenwirkungen des Föderalismus; wir kennen sie aus verschiedenen Bereichen. Ich nenne nur die Schulpolitik und mag gar nicht weiter darauf eingehen. Auch die Pflegeschlüssel sind von Land zu Land unterschiedlich. Ist doch logisch, dass der Pflegebedarf in Bayern ein anderer ist als in Meck-Pomm.
Fußnoten
[1] Einen Katalog von Defiziten und Forderungen habe ich schon in meiner Tagungsreihe Kinderkram publiziert und später, 2011 in meinen Blog gestellt:Dierk Schäfer, Für eine neue Politik in Kinder- und Jugendlichen-Angelegenheiten https://dierkschaefer.files.wordpress.com/2011/10/fc3bcr-eine-neue-politik.pdf
[2] http://www.deutschlandfunk.de/nach-jahrzehntelanger-debatte-kinderrechte-sollen-ins.724.de.html?dram:article_id=416242 Sonntag, 22. April 2018
[3] Dierk Schäfer, Die Zurichtung des Menschen – auch ohne Religion https://dierkschaefer.wordpress.com/2018/04/18/die-zurichtung-des-menschen-auch-ohne-religion/
[4] http://www.deutschlandfunk.de/nach-jahrzehntelanger-debatte-kinderrechte-sollen-ins.724.de.html?dram:article_id=416242
[5] „Also, Herr Referent, der Gummizug ist schon ganz nett, vergessen Sie aber nicht die Verwässerungsanlage und das Hintertürchen.“ Fund: Archiv Dierk Schäfer
[6] Dierk Schäfer, Die Zahnlosigkeit der Gesetze zum Recht von Schutzbefohlen, 24. Juni 2015, https://dierkschaefer.wordpress.com/2015/06/24/die-zahnlosigkeit-der-gesetze-zum-recht-von-schutzbefohlen/
Die Vergewaltigung eines Kindes durch den Rechtsstaat
Erinnern Sie sich noch an den Vorfall? „Ein achtjähriges Kind wurde gegen seinen lebhaft geäußerten Willen vor den Augen seiner Mitschüler, seiner Lehrerin, vielleicht auch der Schulleitung mit Polizeigewalt auf Anordnung und im Beisein eines Gerichtsvollziehers aus dem Unterricht gezerrt und schreiend in ein Polizeiauto verfrachtet. Der Vergleich mit Nazischergen verbietet sich, denn wir leben in einem Rechtsstaat. Darf der so handeln?“[1]
Diese Frage hatte ich zwei Tage zuvor per Mail an den Lt. Polizeidirektor Mario Schwan gerichtet.
Heute erhielt ich die Antwort per Mail, die ich, wie angekündigt, hier im Blog veröffentliche:
Meine Einschätzung: Die Frage in meinem Mail war absichtlich allgemein gestellt. „Es lag keinerlei Gefahr im Verzug vor. Ist – ganz allgemein gefragt, und im Blick auf eventuell kommende Einsätze – die Polizei im Zuge der Amtshilfe verpflichtet, erkennbaren Widerstand (noch dazu eines Kindes) mit körperlicher Gewalt zu brechen? Kann (ich frage nicht: sollte) der Einsatzbeamte sich in solchen Fällen das Remonstrationsrecht berufen?“
In der Antwort verweist der Lt. Polizeidirektor Mario Schwan
- auf ein laufendes strafrechtliches Ermittlungsverfahren. (Gegen wen, würde ich gern wissen.) Dessen Details jedoch werden durch eine Antwort auf meine generelle Frage nicht beeinflusst.
- nimmt er Bezug auf eine „politische Bearbeitung unter Beteiligung verschiedener Ministerien im Landtag des Landes Sachsen-Anhalt“. Deswegen also keine Stellungnahme zum Fall Helbra. Doch nach dem konkreten Fall Helbra hatte ich nicht gefragt, sondern eine allgemein-berufsethische Frage gestellt, ob sich ein Beamter im Zuge der Amtshilfe bei einem Einsatz auf das Remonstrationsrecht berufen könne, wenn er nur mit körperlicher Gewalt durchgesetzt werden kann, auch wenn keine „Gefahr im Verzug“ besteht und ein Kind erkennbar Widerstand leistet.
Das Remonstrationsrecht wird zur Pflicht, wenn der Beamte an der Rechtmäßigkeit der geforderten Diensthandlung zweifelt. Dann sind mehrere Phasen vorgesehen, sofern die Anweisung weiterhin aufrecht erhalten bleibt.
- Die Remonstration gegenüber dem direkten Vorgesetzten/Anweisungsberechtigten,
- die Remonstration beim übernächsten Dienstvorgesetzten. Hat der Beamte damit keinen Erfolg, so hat er der Anweisung zu folgen, ist aber persönlich nicht haftbar zu machen. Es sei denn, die Befolgung der Anweisung wäre eine Verletzung der Menschenwürde.
Der Lt. Polizeidirektor Mario Schwan hätte es sich mit seiner Antwort leicht machen können, wenn er geschrieben hätte, selbstverständlich stehe jedem Beamten das Recht auf Remonstration zu, wenn er die Rechtmäßigkeit einer Anweisung bezweifle. Doch es war ihm wohl zu heikel, überhaupt auf das Thema Remonstration einzugehen. Also der bequeme Hinweis auf ein laufendes Verfahren.
Doch nun zum Fall Helbra: Nach den Medienberichten haben die Beamten gezögert, angesichts des Widerstandes des Mädchens mit der Aktion fortzufahren. Erst der Gerichtsvollzieher habe auf Vollzug bestanden. Sollte dies zutreffen, so kann das Zögern der Polizeibeamten als hilfloser Versuch einer Remonstration verstanden werden, hilflos, weil sie in der Hektik der Situation den Gerichtsvollzieher nicht nur als legalen Auftraggeber, sondern als Dienstvorgesetzten gesehen hätten. Doch nur ihm gegenüber wäre die Remonstration richtig adressiert gewesen. So bekam der Dienstvorgesetzte[2] nicht die Gelegenheit, den ungeheuren Imageschaden zu erkennen, der durch ein gewaltsames Vorgehen gegen ein Kind, das sich mit all seinen Kräften wehrt, unfehlbar eintreten muss.[3] Der Dienstvorgesetzte hätte erkannt – erkennen müssen – dass ein solches Vorgehen in der öffentlichen Meinung als herzlos angesehen werden würde, und dieses auf die Polizei zurückfällt, nicht auf die grauen Eminenzen im Hintergrund, 1. den Gerichtsvollzieher, 2. – nicht vor Ort – den Familienrichter.
Mir ist der Hinweis auf eine „politische Bearbeitung unter Beteiligung verschiedener Ministerien im Landtag des Landes Sachsen-Anhalt“ wichtig, denn eine politische Bewertung von Gewaltmaßnahmen gegen Kinder könnte ein Hoffnungsschimmer sein. Für die Polizeibeamten und den Gerichtsvollzieher war offenbar nicht erkennbar, dass auch ein Kind Recht auf Beachtung seiner Menschenwürde hat, die nicht verletzt werden darf. Die Forderung, Kinderrechte ins Grundgesetz aufzunehmen, stößt bei den Gegnern immer auf das Argument, diese seien durch die allgemeine Menschenwürde-Garantie mit abgedeckt. Das Beispiel von Helbra zeigt das Problematische dieser Meinung. Kinderrechte gehören explizit als Menschenwürde-Anspruch ins Grundgesetz.
Damit dürfte auch der Horizont mancher Familienrechtler erheblich geweitet werden.
[1] https://dierkschaefer.wordpress.com/2018/03/12/die-vergewaltigung-eines-kindes-und-der-rechtsstaat/
[2] Ich nehme an, er war nicht anwesend.
[3] Der dokumentierende Vater war erkennbar und hat sich verbal eingemischt. Hier hätten alle Warnlampen aufblinken müssen.
Öffentliche Kindesentführung
Wie ein Stück Vieh wurde eine Achtjährige in Helbra von der Polizei aus ihrer Schule abgeholt und gegen ihren verbalen und körperlichen Widerstand in ein Polizeiauto verfrachtet um sie der Mutter zuzuführen. Die war dabei nicht anwesend, dafür aber der Vater, der den Vorgang per Videoaufnahme dokumentierte[1], was ihm nun zum Vorwurf gemacht wird.
Ohne Aktenkenntnis lässt sich über den familiären Hintergrund dieses Kampfes um den Besitz des Kindes nichts sagen. Offenbar lag ein Gerichtsbeschluss vor, dass das Kind zu seiner Mutter sollte. Entsprechend war ein Gerichtsvollzieher vor Ort, der – nach Medienangaben auf Vollzug drängte. [2].
So kam es zum einem völlig unangemessenen Polizeieinsatz, der nicht nur das Kind bis zur Traumatisierung belastet haben dürfte, sondern auch – wieder nach Medienberichten – bei den Augenzeugen und den Bewohnern in Helbra Fassungslosigkeit hinterließ.
Ich habe mich wegen dieses Einsatzes an den Lt. Polizeidirektor Herrn Mario Schwan gewandt und ihn gefragt, ob in solchen Fällen das Recht auf Remonstration[3] besteht.
Hier mein Mail: helbra
Zwar sind solche Fälle selten, doch ich kenne mindestens einen weiteren. Wie auch immer der rechtliche Hintergrund, und erst der familiäre beschaffen sein mag: Hier lag nach meiner Einschätzung ein Verstoß gegen Menschen- und Kinderrechte vor. Es wird Zeit, dass die Kinderrechte ins Grundgesetz aufgenommen werden.
Die Begründung, man habe nur seine Pflicht getan, weckt fürchterliche Erinnerungen an Deutschlands Vergangenheit.
Fußnoten
[1] Aus der Fülle ähnlich lautender Medienberichte sei nur https://www.mz-web.de/landkreis-mansfeld-suedharz/familien-drama-in-helbra-maedchen-schreit-und-wehrt-sich–minister-kritisiert-einsatz-29838660 genannt. Hier ist auch das Video zu sehen.
[2] Illustration aus: https://www.deutscher-verein.de/de/presse-2014-damit-der-urlaub-die-schoenste-zeit-des-jahres-bleibt-kindesentfuehrungen-durch-beratung-und-information-bestmoeglich-verhindern-1227,68,1000.html
[3] https://www.dbb.de/lexikon/themenartikel/r/remonstrationspflicht.html
Wie man Verbrechen gekonnt versteckt. – Durch Ablenkung.
Der große Osterhasenpreis fürs Verstecken geht an Hephata.
„Die Auswirkungen des menschenverachtenden nationalsozialistischen Regimes prägten auch die Nachkriegszeit.“ Das war schon das ganze Ablenkmanöver. Hephata macht dann gleich einen großen Sprung von 1945 in die 70er und 80er Jahre: „Der große Nachholbedarf individueller Förderung und Lebensgestaltung von Menschen mit Behinderungen und Benachteiligungen, konnte in den 70er und 80er Jahren realisiert werden.“[1] Und was war dazwischen?
Viele Leser werden mit „Hephata“ nichts anfangen können. „Hephata Hessisches Diakoniezentrum e.V. ist eine Einrichtung der Diakonie in Schwalmstadt–Treysa. Dort werden Menschen in den Bereichen Behindertenhilfe (für Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen), Jugendhilfe, Altenhilfe, Sozialpsychiatrie, Suchthilfe, Wohnungslosenhilfe, Neurologische Klinik und der Akademie für soziale Berufe betreut, gefördert und ausgebildet.“[2]
Auch Wikipedia macht bei der Geschichte der Anstalt den großen Sprung mit: „Auch aus Hephata wurden während des Dritten Reichs Menschen mit kognitiven und körperlichen Behinderungen im Rahmen der Aktion T4 zuerst in andere Einrichtungen verlegt und später unter anderem in der NS-Tötungsanstalt Hadamar getötet. Mit der Errichtung eines Mahnmals vor der Hephata-Kirche erinnert die Einrichtung an die Opfer und bekennt sich zu ihrer Verantwortung.“ Wikipedia fährt fort: „1945 wurde bei der Kirchenkonferenz von Treysa, die in Hephata tagte, die Evangelische Kirche in Deutschland und das Evangelische Hilfswerk, die Vorläuferorganisation des Diakonischen Werks, gegründet. … Bis heute sind Diakone und der Kirche verbundene Mitarbeiter in der Diakonischen Gemeinschaft Hephata organisiert. Von der Gemeinschaft gehen Impulse zur Wahrnehmung des diakonischen Auftrages und zum spirituellen Leben in Hephata und an den Einsatzstellen der Mitglieder aus.“
Wie sahen nun die prägenden „Auswirkungen des menschenverachtenden nationalsozialistischen Regimes“ in der Nachkriegszeit aus? Darüber schweigt die firmeneigene Selbstdarstellung auf Facebook.
„Es ist nichts so fein gesponnen, es kommt doch ans Licht der Sonnen“[3] So auch hier. Die Wiesbadener Filmemacherin Sonja Toepfer hat im Auftrag der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau das Leiden der Kinder in Kinderheimen aufarbeitet. Hephata heißt „Öffne dich!“[4], so steht es im Markusevangelium (7,31-37). Über das dort berichtete Wunder kann man sich nur wundern. Doch wie das Öffnen in Hephata, der Anstalt der Diakonie in Treysa praktiziert wurde, kann sich nur wundern, wer sich in der Heimkindergeschichte nicht auskennt.
In Hephata – und wohl nicht nur dort – ging das so: durch die Punktion mit einer langen Nadel zwischen zwei Wirbelkörpern wird Liquor abgelassen und Luft in den Rückenmarkskanal eingelassen. Pneumenzephalographie heißt das Verfahren[5]. Durch Umlagerung des Patienten steigt diese Luft dann im Rückenmarkskanal auf bis in das Ventrikelsystem des Gehirns. Die Gehirnflüssigkeit wird entfernt, um die Kammern und Hohlräume des Gehirns röntgen zu können. Es handelt sich laut einem wissenschaftlichen Fachbuch um „eine der schmerzhaftesten Prozeduren, die man sich denken kann“. Dabei entstehe bei dem Patienten „das Gefühl, als sei sein Kopf ein riesiger Luftballon, der jeden Augenblick zu platzen droht“[6], heißt es weiter. So machte man das in Hephata und zwar ohne individuelle medizinischen Indikation. Es war ein Forschungsprojekt an wehrlos entrechteten Kindern.
Es gab schon früher Hinweise auf solche Untersuchungen an Heimkindern. Mich hat die neue Veröffentlichung nicht gewundert. Ohnehin hat der kirchliche Umgang mit dem Thema „Eugenik“ eine leidvolle Tradition, und schon bisher tauchte dabei der Name Treysa mehrfach auf.
Zunächst auf der „Ev. Fachkonferenz für Eugenik“ 1931 (!) in Treysa: »Pastor Friedrich von Bodelschwingh. Er behauptet in Treysa, die Sterilisierung Behinderter entspreche dem Willen Jesu. Bodelschwingh wörtlich: „Ich würde den Mut haben, in Gehorsam gegen Gott, die Eliminierung an anderen Leibern zu vollziehen.“« Wem der Name Bodelschwingh nichts sagt: Er gehört zu Bethel. Auch Bethel taucht ständig negativ in der Heimkindergeschichte auf.
Doch zu Hephata. Ein Korrespondent schrieb mir: »In Hephata (Schwalmstadt/Treysa) hielt die Diakonie nach dem Zweiten Weltkrieg [in den 1950er/1960er Jahren] 2000 Insassen – Kinder und Jugendliche – , die angeblich „schwachsinnig“ waren. Für jeden „Schwachsinnigen“ in Hephata erhielt die Diakonie vom Staat „[pro Woche] eine Mark mehr“ als für „normale“ Schutzbefohlene. Indem man seine Schutzbefohlenen als „schwachsinnig“ begutachtete und deklarierte, konnte man seine Gewinne steigern, bei 2000 Insassen im Jahr um 104.000 DM! Über zehn Jahre hinweg macht das bei 2000 „schwachsinnigen Insassen“ eine zusätzliche beträchtliche Summe von 1.040.000 DM aus (eine Million und vierzig Tausend Mark!) ! So wurde es dann auch gehandhabt von der Diakonie in Hephata über einen Zeitraum von 20, 30 oder gar 40 Jahren hinweg!! Und nicht nur in Hephata!!!«[7]
Wenn’s nur das gewesen wäre. Doch da die Kinder „schwachsinnig“ waren, konnte man auch noch schmerzhafte Experimente mit ihnen machen.
Alles verjährt obwohl es Verstöße gegen die Menschenrechte waren? Die eigentlich nicht verjähren? In Deutschland schon. Für die Kirchen auch.[8]
„Der christliche Grundgedanke, das selbst erfahrene Heil Gottes in der Lebensgestaltung mit anderen zu teilen, ist erhalten geblieben und prägt bis heute die Arbeit.“[9] An die dunklen Punkte erinnert man sich nicht gern, das ist verständlich – aber vergessen und beschweigen? Oder gar fortführen?
Noch 1973 offenbarte der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) über »verantwortliche Elternschaft« für Kinder mit Behinderung lupenreine Nazi-Eugenik. Dort ist die Rede von der »Anhäufung schädlicher Gene in der Bevölkerung und der wirtschaftlichen Folgen für die Gesellschaft«. Weiter heißt es, das Bewußtsein der Öffentlichkeit sei zu »schärfen für die impliziten sittlichen Fragen und für die Notwendigkeit, sich ernsthaft mit Dingen auseinanderzusetzen, die wir bisher der Natur überlassen haben, wobei wir auch schlechte Entwicklungen in Kauf nahmen«[10].
Mich hatte interessiert, inwiefern unsere Landeskirchen die »Expertise« des ÖRK mitverantwortet haben und welchen Stellenwert sie heute noch hat. Gab es einen Widerruf? Ob eine Landeskirche wohl antwortet? – hatte ich gefragt.[11] Keine einzige hat geantwortet. Auch „mein“ Landesbischof, extra und normal freundlich angefragt, reagierte nicht.[12]
„Der christliche Grundgedanke, das selbst erfahrene Heil Gottes in der Lebensgestaltung mit anderen zu teilen … “ Wir dürfen uns nicht wundern, wenn dies als Drohung verstanden wird.
Noch ein weiterer Link:
Fußnoten
[1] https://www.hephata.de/wir-ueber-uns/geschichte-14.php
[2] In den letzten Jahrzehnten wurde ein Netz differenzierter Dienstleistungen in Hessen, Thüringen und Nord-Bayern aufgebaut. Sitz des Vereins ist Marburg.[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Hephata_(Schwalmstadt)
[3] http://juttas-schreibblog.blogspot.de/2009/07/uber-die-redewendung-es-ist-nichts-so.html
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Effata
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Pneumoenzephalografie
[6] Zitate aus: http://www.fr.de/rhein-main/heime-in-hessen-hirnexperimente-mit-heimkindern-a-1446116,0#artpager-1446116-0
[7] https://dierkschaefer.wordpress.com/2014/12/27/hephata-aus-tradition/
[8] , https://dierkschaefer.files.wordpress.com/2011/07/das-jc3bcngste-gericht2.pdf
[9] https://www.hephata.de/wir-ueber-uns/geschichte-14.php
[10] Diese Zitate sind der Veröffentlichung von Heike Knops entnommen: http://www.thkg.de/Dokumente/KnopsSterbehilfe.pdf http://www.graswurzel.net/367/euthanasie.shtml#u10
[11] https://dierkschaefer.wordpress.com/2014/09/12/ork-absolut-besturzend/ Ich konnte nicht überprüfen, ob sie auch auf lebende Menschen mit Behinderung gemünzt sind oder ausschließlich eine Stellungsnahme zur „pränatalen Euthanasie“ darstellen. Auch dann bliebe der Vorwurf der Nazi-Eugenik bestehen. Übrigens: Bei der pränatalen Euthanasie sind wir heute mit verfeinerten Detektionsmethoden wieder angelangt.
[12] https://dierkschaefer.wordpress.com/2012/07/07/die-anhaufung-schadlicher-gene-in-der-bevolkerung/
Deutschland – Rabenvaterland
Kind zu sein kann schwierig sein, geradezu gefährlich, wie man immer wieder liest.
Kürzlich griff die FAZ das Thema sogar auf der ersten Seite auf: „Im Zweifel für das Kindeswohl“:
Dass das eigene Kind einem pädophilen Sexualstraftäter zum Opfer fallen könnte, ist eine unerträgliche Vorstellung. Der elterliche Schutz von Kindern ist ein menschlicher Urinstinkt. Der Breisgauer Missbrauchsfall ist deshalb so erschütternd, weil sich der Beschützerinstinkt der Eltern in sein perverses Gegenteil verkehrt hat: Die Mutter des neunjährigen Jungen und ihr Lebensgefährte, den das Kind „Papa“ nannte, haben ihm selbst die schlimmsten Qualen zugefügt und dabei zugeschaut, wie andere Pädokriminelle das Kind gegen Bezahlung sexuell missbraucht haben. Schutzloser kann ein Kind nicht sein. Es wäre hier Aufgabe des Staates gewesen, für das Kind da zu sein. Die Behörden und Gerichte hätten den Jungen in Sicherheit bringen müssen. Zwar schützt das Grundgesetz die Familie als Einheit, der Staat hat sich zurückzuhalten. Kinder von ihren Eltern zu trennen, darf nur das letzte Mittel sein – aber es muss auch das letzte Mittel sein, wenn Gefahren für das körperliche oder seelische Wohl des Kindes drohen. [1]
Doch was ist los mit diesem Staat? „Den Staat“ gibt es hier nur in seinen pluralen Verpuppungen:
- Als Gesamtstaat, der sich weigert, Kindern und ihren Rechten einen Platz explizit im Grundgesetz zu gewähren.
- Als Bundesrat, der im Interesse der Bundesländer die Kosten für Kinder eng begrenzt sehen will, mit Rücksicht auf
- die Kommunen. Sie müssen schließlich die Sozialkosten tragen, also auch die Kosten für die Jugendhilfe – und sie sperren sich, soweit es geht.
Bei so zersplitterten Zuständigkeiten ist niemand so recht verantwortlich, und wenn es – leider oft genug – schiefläuft, sucht man nach einem Schuldigen. Im Freiburger Fall ist es die Mutter. Für rechtzeitige professionelle Kooperationen vor Ort (Jugendamt, Jugendhilfe-Einrichtungen, Beratungsstellen, Gericht, Verfahrensbeistände, Rechtsanwälte) ist man zu bequem, man kennt wohl auch die Fachliteratur nicht. Dabei weiß man sehr gut, dass Eltern nicht nur Schicksal sind, sondern oft auch Schicksalsschläge.
Was das für die Kinder bedeutet, kommt nur als Spitze eines Eisbergs ans Tageslicht.
Als ich meine Zusammenfassung „Für eine neue Politik in Kinder- und Jugendlichen-Angelegenheiten“[2] verfasste, war mir die starke Position der Sozialkonzerne, aber auch kleinerer Jugendhilfe-Einrichtungen noch nicht klar: Kinder sind in unserem Land gar nicht vernachlässigt, sie sind ein Geschäftsmodell. Das wurde in der Heimkinderdebatte deutlich, trifft aber auch neuere Jugendhilfemodelle[3], an deren Beispiel deutlich wurde, dass die Jugendhilfe-Marktbetreiber nicht wirksam zu kontrollieren sind, weil sie die „Marktordnung“ maßgeblich bestimmt haben.[4] Marktaufsicht? Weitgehend Fehlanzeige.
Das Thema ist hochkompliziert – und die Politik überfordert. Lediglich die Medien greifen strukturelle Missstände auf, wie oben genannt die FAZ, oder heute die Basler Zeitung mit dem Titel „Das grosse Geschäft mit dem Kindswohl“[5]
An die FAZ schrieb ich einen Leserbrief:
Strukturfehler beim Kinderschutz
Wenn „Kindeswohl“ prominent auf der ersten Seite einer seriösen, nicht sensationsgeilen Tageszeitung erscheint, muss es einen gravierenden Grund geben. Es geht nicht um nur einen der vielzuvielen Einzelfälle von Kindesmissbrauch, – misshandlung oder grober Vernachlässigung, sondern um strukturelle Fehler, die solche Fälle begünstigen. Der Fall im Breisgau – er ist hier nicht darzustellen – zeigt in besonders eklatanter Weise diese Fehler auf und sie werden von der Autorin auch benannt. Die Gerichte und das zuständige Jugendamt haben mittlerweile selbst eine Aufarbeitung angekündigt. Das zeigt die Fortschritte in der Fehlerkultur der Justiz, schreibt sie weiter. Ich fürchte, da irrt sie sich. Natürlich mussten die beteiligten Behörden nach diesem grobem Fall so reagieren, aber Zerknirschung oder eine Demutshaltung ist das nicht. Denn die Schuldige steht fest: Die Mutter. In der hatte man sich geradezu kollegial getäuscht.
Ich bin als ehemaliger Tagungsleiter in diesem Themenbereich mit der Materie vertraut. Die Evangelische Akademie Bad Boll hat zusammen mit der Fachhochschule Esslingen ein Curriculum zur Ausbildung von Verfahrensbeiständen, zu Beginn sprach man vom Anwalt des Kindes, entwickelt und trotz vieler Widerstände einige Jahre durchgeführt. Widerstände?
Auf politischer Seite meinte man, eine Ausbildung brauche man dafür nicht. Ehrenamtliche könnten das machen, oder aber Juristen. Die Länder sorgten dafür, dass eine erforderliche Ausbildung nicht ins Gesetz kam. Als die Professionalisierung schließlich nicht mehr aufzuhalten war, setzten sie sich erfolgreich für die pauschalierte Bezahlung der Verfahrensbeistände ein in einer Höhe, zu der professionelle Arbeit nicht zu leisten ist. Damit ist der eine Strukturfehler benannt: Der Spar-Föderalismus in Kinderschutzbelangen. Ein weites Feld, das hier nicht abgeschritten werden kann.
Der zweite Strukturfehler ist die Bedeutung des Elternrechts. Das ist wirklich hoch zu schätzen, darf aber keine heilige Kuh sein. Eltern sind zwar Schicksal –zuweilen aber Schicksalsschläge. Hier ist das Wächteramt des Staates gefordert. Doch der weigert sich bis heute, Kinderrechte ins Grundgesetz zu schreiben. Die könnten schließlich in Konkurrenz zu den Elternrechten treten.
Der dritte Strukturfehler liegt in der Aus- und Fortbildung der Richter. Siegfried Willutzki, Gründer des Deutschen Familiengerichtstags, hat sich mehrfach auf unseren Tagungen über Kollegen beklagt, die unter Berufung auf ihre Unabhängigkeit Fortbildung verweigern. Familienrichter stehen in der Bedeutung innerhalb des Justizsystems ohnehin nicht an herausragender Stelle. Die Funktion wird zuweilen einem Berufsanfänger aufgedrückt, der froh sein kann, wenn er vom jeweiligen Jugendamtsleiter in die Materie eingeführt wird, denn Familienrecht hatte er an der Universität links liegen lassen. In unseren Kursen zum Anwalt des Kindes fiel allen Beteiligten immer wieder die große Differenz im Denken von Juristen und Sozialpädagogen auf. Da kamen verschiedene Welten zusammen. Einig war man sich, dass ein solcher Kurs nicht nur für angehende Verfahrensbeistände, sondern auch für jeden Familienrichter unabdingbar sein sollte. Doch es geht ja nur um „Familie und das ganze Gedöns“. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man für ein großes Konkursverfahren einen Richter bestellt, der von Ökonomie keine Ahnung hat.
Kinderbelange haben in unserem Land keine Priorität, also auch nicht bei Politikern. Erst wenn etwas passiert, merkt man auf. Mehr passiert aber auch nicht.
Deutschland – ein Rabenvaterland.
Der im Leserbrief genannte Siegfried Willutzki gab vor wenigen Tagen ein Interview[6]. Doch ich fürchte, auch das Interview eines versierten, renommierten Fachmannes wird die Politiker nicht zu wirklichen Reformen motivieren. Die produzieren lieber ideologisch geprägte Schulversuche (zulasten der Kinder) oder propagieren „Inklusion“, für die sie aber möglichst kein Geld ausgeben wollen (zulasten der Kinder).
Als ich diese Graphik zusammenstellte, standen Misshandlung und Missbrauch noch nicht so im Focus. Doch die Zusammenhänge werden deutlich.
Fußnoten
[1] von Helene Bubrowski, FAZ, Dienstag, 23. Januar 2018, S. 1
[2] https://dierkschaefer.files.wordpress.com/2011/11/fc3bcr-eine-neue-politik.pdf
[3] https://www.shz.de/regionales/schleswig-holstein/politik/friesenhof-skandal-so-wehren-sich-betreiber-gegen-eine-kinderheim-reform-id10039671.html
[4] Die Zahnlosigkeit der Gesetze zum Recht von Schutzbefohlen, 24. Juni 2015, https://dierkschaefer.wordpress.com/2015/06/24/die-zahnlosigkeit-der-gesetze-zum-recht-von-schutzbefohlen/
[5] „Das grosse Geschäft mit dem Kindswohl“ Wie private Sozialfirmen mit Steuergeldern und ohne Erfolgskontrolle wirtschaften. Die Zahl der Personen, die im Sozialwesen tätig sind, hat sich seit 1991 verdoppelt. https://bazonline.ch/schweiz/standard/das-grosse-geschaeft-mit-dem-kindswohl/story/27864419
[6] https://www.swr.de/swraktuell/bw/suedbaden/interview-mit-familienrechtler-willutzki-voellig-unangemessen/-/id=1552/did=21064478/nid=1552/1p45kyw/index.html
Warum überlassen unsere Kirchen den Kinderschutz ausgerechnet den Gegnern von Religion?
»Zum fünften Jahrestag des „Kölner Urteils“ legen Dr. iur. Ralf Eschelbach (Richter am Bundesgerichtshof), Prof. Dr. med. Matthias Franz (Universitätsklinikum Düsseldorf) und Prof. Dr. iur. Jörg Scheinfeld (Universitäten Mainz und Wiesbaden) [auf Anfrage der Giordano-Bruno-Stiftung] ein gemeinsames Papier vor, in dem sie die zentralen Argumente der Beschneidungsdebatte zusammenfassen und die Parlamentarier nachdrücklich zum Handeln aufrufen. Ihr Text zeigt auf, dass die Politiker bei der Verabschiedung des Beschneidungsgesetzes von fehlerhaften Informationen ausgingen und dazu verleitet wurden, eine Einsicht zu ignorieren, die in einem modernen Rechtsstaat selbstverständlich sein sollte, nämlich dass der Intimbereich von Jungen ebenso unverfügbar sein muss wie der Intimbereich von Mädchen.«[1]
Die vorgelegte Expertise führt nicht nur die schon bekannten Einwände gegen die Beschneidung von Jungen auf, sondern resümiert auch neuere Erkenntnisse, die belegen, auf welch unsicherer Grundlage die Entscheidung unserer Volksvertreter vor fünf Jahren gefallen ist. Doch neben der sattsam bekannten Wirtschaftslobby übt auch eine nicht weniger unselige Religionslobby Einfluss auf die Abgeordneten aus, der auch in einer repräsentativen Demokratie aus rechtstaatlichen Gründen korrigiert werden muss. Die Kinder und ihr Schutz gehören ins Grundgesetz. Religionsvorbehalte müssen nachrangig bleiben.
Übrigens: Die meisten Leser dieses Blogs haben ihre persönliche Antwort auf meine Frage in der Überschrift. Kinderschutz spielte schon in den damaligen kirchlichen Einrichtungen keine Rolle. Demütigungen und Misshandlungen waren an der Tagesordnung. Die Phalanx von Staat und Kirchen sorgte unter der regulierenden Hand von Antje Vollmer am Runden Tisch dafür, dass es keine einklagbaren Entschädigungen für erlittene Kindesmisshandlungen geben sollte. Am Runden Tisch haben die Kirchen die Chance versäumt, Glaubhaftigkeit zurückzugewinnen.
Wen wundert es also, dass sie beim Thema Beschneidung nicht auf Seiten der Kinder stehen?
[1] https://www.giordano-bruno-stiftung.de/meldung/eschelbach-franz-scheinfeld-beschneidung
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