Dierk Schaefers Blog

Nicht nur Misshandlung und Missbrauch, Korntal war auch ein Ausbeutungssystem.

So berichtet der swr in seiner Sendung REPORT MAINZ [1]. Er beruft sich dabei auf den „Aufklärungsbericht“.[2] [3] zwangsarbeit

Einige Zitate:

»Gegenüber dem ARD-Politikmagazin berichtete Detlev Zander, der den Missbrauchsskandal in Korntal 2013 erstmals an die Öffentlichkeit trug, er habe von seinem sechsten bis zu seinem 16. Lebensjahr in der Gärtnerei der Brüdergemeinde, im Stall und auf dem Acker arbeiten müssen. Ferner habe er als Heimkind mehrere Privathäuser mit gebaut und die privaten Fahrzeuge eines Heimleiters waschen müssen. Im Interview erinnert er sich:

„Ich habe auf der Baustelle so viel Gewalt erlebt. Gewalt und dieses ununterbrochene Arbeiten.“

„Wir durften den ganzen Tag arbeiten. Fenster herausreißen, Türen herausreißen, Wände herausreißen. Ein großer Teil meiner Kindheit ist hier in diesen Baustellen draufgegangen.“«

»Betroffene wie Thomas Mockler und Detlev Zander sagten gegenüber REPORT MAINZ, sie empfänden die bislang gezahlten Summen als Hohn. „Diese Summen sind den Taten und Misshandlungen in keinster Weise angemessen“, sagte Thomas Mockler. Sie wollen weiterkämpfen, nicht nur um eine Anerkennungsleistung, sondern um eine ihrer Meinung nach gerechte Entschädigung für die Zwangsarbeit.

Zwei Betroffene erzählten exklusiv von schwerem sexuellen Missbrauch bis hin zu Verge­waltigungen, dem sie immer wieder durch Mitarbeiter der Kinderheime ausgesetzt gewesen sein sollen. Darüber hinaus habe die Brüdergemeinde sie an Wochenenden an so genannte Patenfamilien abgegeben, wo sie ebenfalls sexuell missbraucht worden sein sollen.«

 

Die Äußerung des weltlichen Vorstehers der Evangelischen Brüdergemeinde, Klaus Andersen, entspricht leider der üblichen Unsensibilität – oder ist es Umverschämtheit -, mit der die heute Verantwortlichen solcher Einrichtungen reagieren. Auch er versucht die „bedauerlichen“ Vorfälle abzumildern: »„Und ich weiß, dass damals auch die Mitarbeiter, trotz alledem, mit viel Herzblut und Engagement ihre Arbeit getan haben.“«[4]

 

Mich ekelt vor solchen Menschen“

 

Fußnoten

[1] SENDETERMIN Heute | 21.45 Uhr | Das Erste

https://www.swr.de/report/betroffene-fordern-entschaedigung-fuer-zwangsarbeit-ausbeutung-durch-kinderarbeit-in-heimen-der-evangelischen-bruedergemeinde-korntal/-/id=233454/did=22231810/nid=233454/1wljzcr/index.html#utm_source=Facebook&utm_medium=referral&utm_campaign=SWR%2Ede%20like

[2] Ausführlich hier im Blog behandelt, allerdings wurde der Aspekt Zwangsarbeit noch nicht angeprochen.

https://dierkschaefer.wordpress.com/2018/07/21/korntal-ein-system-der-gewalt/ mit einer Fülle von Kommentaren, das andere Posting, Korntal – eine never-ending Story hat nun seine Aktualität erfahren: https://dierkschaefer.wordpress.com/2018/08/03/korntal-eine-never-ending-story/

[3] Photo: https://shop.spreadshirt.de/780704/verbot+der+sklaverei+und+zwangsarbeit-A26323887. Ich empfehle das T-Shirt als Arbeitskleidung für das Personal solcher Einrichtungen.

[4] 2017 gegenüber REPORT MAINZ: „Das bedauern wir sehr. Und ich weiß, dass damals auch die Mitarbeiter, trotz alledem, mit viel Herzblut und Engagement ihre Arbeit getan haben.“

Wurde doch vorausgesetzt, dass sich in christlich-diakonischen Heimen dem „ärmsten Bruder“ im Geist der Nächstenliebe und der Barmherzigkeit angenommen wird.

Wieso dann die vielfachen Demütigungen und das Anwenden von Gewalt?

Ulrike Winkler hat in ihrem Vortrag in Hamburg ein desolates Bild dieser Anstalten vorgestellt. Nicht neu, aber komprimiert.

Die Frage des Wieso hat soweit ich weiß noch keinen Theologen zu einer plausiblen Antwort herausgefordert.

Leider hat Frau Winkler die Vertuschungs- und „Entschädigungs“praxis im Vortrag ausgespart. Auch für dieses Verhalten kirchlicher Einrichtungen hätte ich gern eine theologische Stellungnahme – und werde sie wohl nicht bekommen.

http://www.schmuhl-winkler.de/pages/Alsterdorf-Winkler.pdf

Glückliches Österreich!

»Etwa 7000 Gewaltopfer sollen 300 Euro monatlich erhalten. Über die Aufteilung der Kosten wird noch mit Ländern und Kirche verhandelt.«[1] [2]

In Deutschland wären die Zahlen größer. Dennoch hätte man auch hier mit einer pauschalen Entschädigung zwar keine Gerechtigkeit, aber doch einen Rechtsfrieden schaffen können. Doch das Bestreben von Staat und Kirchen, möglichst billig aus einem Menschenrechts-Skandal herauszukommen, war größer. Erst Verleugnung, dann Vertuschung und dann der große Betrug am Runden Tisch unter der Führung von Antje Vollmer, die leider auch Pfarrerin ist. Der Imageschaden zuvörderst für die Kirchen ist immens. Doch die schlafen immer noch den Schlaf des vermeintlich Gerechten. Verjährung[3] ist doch eine feine Sache. Nur wird man dadurch nicht glaubwürdig.[4]

Betroffenheit kann man heucheln, glaubwürdig wird man erst, wenn man reletiv großzügig entschädigt. Gekonntes Problemmanagement sieht anders aus.

[1] http://diepresse.com/home/panorama/oesterreich/5179700/Ehemalige-Heimkinder-bekommen-Entschaedigung

[2] http://archiv.bka.gv.at/DocView.axd?CobId=65570

[3] https://dierkschaefer.files.wordpress.com/2011/07/das-jc3bcngste-gericht2.pdf

[4] http://www.pfarrerverband.de/pfarrerblatt/archiv.php?a=show&id=2812

 

„Governments too often in these cases refuse to address the problem“

Posted in heimkinder, News by dierkschaefer on 23. Juni 2009

Governments too often in these cases refuse to address the problem, they manufacture statutes of limitations, that prevent victims from having their day in court, they refuse to make mandatory reporting an issue, they do not create a national registry for those in the helping professions caring for vulnerable groups, author poor public policy, and starve good agencies of resources and money.

Für alle, die die Mails von Herrn Mitchell nicht bekommen oder entnervt wegklicken, sei dieser von ihm gefundene Link empfohlen:

http://www.reach.ca/shared_future/eng/longueepee.htm

Wer Schwierigkeiten mit dem Englischen hat, installiere sich dieses hilfreiche Programm:

http://dict.lingo4u.de/

Ohne Hände ins Leben!

Posted in heimkinder, News by dierkschaefer on 17. Mai 2009

Ohne Hände ins Leben!

Wer sich mit den Schicksalen von ehemaligen Heimkindern beschäftigt, den läßt das Thema auch im Urlaub nicht los.

In Lyon stieß ich auf ein Denk-mal! und photographierte es.P1260743 d

Ein geistlicher Herr, sein Habit weist ihn als katholischen Würdenträger aus, schaut milde auf ein Kind, seine Linke umfaßt es sanft, die Rechte, der Zeige­finger ist abgebrochen, weist gen Himmel, wie die thematisch ähnliche Statue von August Hermann Francke in Halle. P1230235 d Kopie 2

Doch im Gegensatz zu Francke eröffnet seine gesamte Haltung eher den Blick des Betrachters auf das Kind.

Doch das Kind hat keine Hände.

Kein Zweifel, er wird sie ihm nicht abgeschlagen haben. Ich unterstelle auch nicht, daß er Kinder mißhandelt hat. Doch für mich ist diese Statue eine Illustration kirchlicher Heimerziehung.

Allerdings nicht generell.

Wir dürfen nicht vergessen, daß früher (viel früher) Findelkinder, die in einem Kloster Aufnahme fanden, eine deutlich größere Über­lebens­chance hatten, als Kinder in öffentlichen Kinderheimen.

Wir dürfen auch nicht vergessen, daß sie dort nicht nur eine für das Leben nützliche Erziehung bekamen, sondern daß es sogar pädagogisch sinnvolle Sonderwege gab. Dabei denke ich an Fra Filippo Lippi aus dem 15. Jahrhundert. Früh verwaist fand er Aufnahme bei den Karmelitern. In der Schule fiel er durch ungebührliche Kritzeleien auf. Doch die Mönche entdeckten sein Talent und ließen ihn das Malen lernen.

Solche kindgerechten Reaktionen waren sicher auch damals nicht die Regel – und doch wird man nachdenklich, wenn man den Berichten der Heimkinder entnimmt, wie wenig viele von ihnen gefördert wurden. Ganz im Gegenteil: Viele wurden mißhandelt und mißbraucht. Demütigung scheint ein durchgängiges Prinzip gewesen zu sein. Diese Heimkinder gleichen damit dem Kind auf dem Bild, dem die Hände abgeschlagen wurden, denn sie entkamen dem Heim als Behinderte an Geist und Seele, manche hatten bei der Zwangsarbeit auch körperliche Schäden davongetragen.

Wie behindert waren die Erzieher? Was muß man für ein Mensch sein, um Kinder so zu quälen, wie es vielfach berichtet wird? (Eine Frage, die leider auch für manche Eltern zu stellen ist.  Siehe dazu: gewalt-07-2)

Von einigen Heimkindern, die in staatlichen Heimen waren, hörte ich: „Die kirchlichen waren ja noch viel schlimmer“. Da ich Pfarrer bin, suche ich natürlich auch nach einem Grund für die Mißhandlungen gerade in kirchlichen Einrichtungen – und habe ihn noch nicht gefunden. Das, was dort geschah, steht völlig im Gegensatz zu dem Jesus-Wort bei Matthäus (18,10): Seht zu, daß ihr nicht einen von diesen Kleinen verachtet. (siehe las meninas)

So wurde die Statue eines hochgerühmten Theologen aus dem 14./15. Jahrhundert für mich zum Symbol kirchlicher Erziehung in der Nachkriegszeit.

Der Theologe ist übrigens Jean le Charlier de Gerson, auch Johannes Gerson genannt. Er lebte von 1363 bis 1429, war auch zeitweise Kanzler der Pariser Universität Sorbonne. In seinem letzten Lebensabschnitt widmete er sich der Unterrichtung von Kindern und Jugendlichen. Sein Denkmal steht gegenüber der Kirche St. Paul in Lyon, seiner letzten Wirkungsstätte.

Bei Wikipedia lesen wir, daß er „gegen die Unsittlichkeit der Geistlichkeit eiferte (was ihm den Beinamen Doctor christianissimus eintrug). Anderseits betrieb er in Konstanz auch die Verurteilung und Hinrichtung von Jan Hus und Hieronymus von Prag.“

photos: dierkschaefer