1999 war ein (ge-)denkwürdiges Jahr.
Posthum, elf Jahre nach seinem Tod, erhielt Josef Klehr, ein NS-Massenmörder, den Niedersächsischen Verdienstorden.[1]
Im selben Jahr erschien die filmische Reportage „Drei deutsche Mörder. Aufzeichnungen über die Banalität des Bösen. Interviewt wurden vierzehn Jahre nach dem Auschwitzprozess Josef Klehr, Oswald Kaduk und Josef Erber zu Auschwitz und ihrem Selbstverständnis als ehemalige Angehörige des SS-Lagerpersonals.
So kam Ehre zu Ehre, denn das Kriegsverdienstkreuz[2] hatte Klehr sich bereits erworben für seine Arbeit im KZ: „Klehr liebte es, nach der Untersuchung der kranken Häftlinge durch den Lagerarzt weitere Häftlinge in den Krankensälen des Häftlingskrankenbaus für die Tötung durch Phenol auszusuchen, sowie der Lagerarzt das Lager verlassen hatte. Dabei ging er durch die Krankenblocks und wählte willkürlich jüdische Häftlinge aus […] [Er] hatte eine Vorliebe für gerade Zahlen. Er wollte die Zahl der durch den Lagerarzt zur Tötung ausgewählten Häftlinge ‚nach oben aufrunden‘.“[3]
Wie kam er zu dieser posthumen Ehrung? Wer hat ihn vorgeschlagen? Wer hat den Vorschlag geprüft?
Oder hat die Zeugenaussage von Klehr vorm Schwurgericht in Frankfurt am Main[4] so überzeugend gewirkt: „Keine Erklärung. Kein Deshalb. Nur Dienstpläne.“ [5] Er wurde dort im August 1965 immerhin „zu lebenslangem Zuchthaus und weiteren 15 Jahren Zuchthaus wegen Mordes in „allermindestens 475 Fällen“ und Beihilfe zum Mord in mehreren Tausend Fällen verurteilt. Zudem verlor er die bürgerlichen Ehrenrechte auf Lebenszeit. Am 25. Januar 1988 wurde die Strafvollstreckung wegen Vollzugsuntauglichkeit ausgesetzt, am 10. Juni 1988 wurde dann der Strafrest zur Bewährung ausgesetzt. Klehr starb wenige Monate später.“[6]
Die bürgerlichen Rechte hatte er auf Lebenszeit verloren. Daher sprach wohl nichts gegen eine posthume Ehrung.
Fußnoten
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Tr%C3%A4ger_des_Nieders%C3%A4chsischen_Verdienstordens#1999
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Kriegsverdienstkreuz_(1939)
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Josef_Klehr
Willkommen, Arbeit macht frei!
Das KZ von Bethel mit Anstaltsgottesdienst hieß Freistatt. Noch 23 Tage können Sie in der arte-Mediathek die bigotte Vergangenheit von Bethel nacherleben: http://www.arte.tv/guide/de/048779-000-A/freistatt .[1] Ziehen Sie mit den Moorsoldaten und ihren Spaten ins Moor und erleben Sie mit den geschundenen Zöglingen einen zu Herzen gehenden Weihnachtsgottesdienst: o du fröhliche!
Heute ist Bethel natürlich ganz anders. Bethel im Norden nennt es sich nun und »hat starke Wurzeln. Die Diakonie Freistatt und der Birkenhof können sich jeweils auf eine über 100 Jahre alte Geschichte stützen. Wir in Bethel im Norden setzen auf diese festen Wurzeln auf und entwickeln eine gemeinsame christliche Identität, um ein starker Partner zu sein, der die Herausforderungen der Zukunft annimmt.«[2] Das ist doch ein Angebot.
Über Bethel heute lesen wir heute in der FAZ unter der Überschrift Ausgerechnet in Bethel »„Für Menschen da sein“, so lautet das Motto der Stiftung, von der viele sagen, sie habe mit ihrem Taktieren auf dem Rücken der Menschen ihren Haushalt sanieren wollen. „Von denen kann man in Sachen kaltblütigem Verhandlungsgeschick noch was lernen“, sagt ein an der Sache nicht beteiligter Beamter im Düsseldorfer Schulministerium.« [3]
Zur Vergangenheit von Bethel sei empfohlen: https://dierkschaefer.wordpress.com/2011/05/10/jetzt-wissen-wir-wer-schuld-ist-allein-der-bose-staat/
Eine sehr differenzierte, geradezu decouvrierende Würdigung der Forschungsergebnisse zu Freistatt finden Sie hier: freistatt_kappeler
Fußnoten
[1] Film – 98 Min. – 58802 Aufrufe.
[2] http://www.bethel-im-norden.de/ueber-uns.html
[3] FAZ, Donnerstag, 26. Januar 2017, S. 6
Wieder ehrbar werden – wenn auch spät
»Schließlich ist der Gröning-Prozess auch sinnvoll, weil er dem KZ-Gehilfen die Chance bietet, vor der Öffentlichkeit und vor den Auschwitz-Überlebenden und Opfer-Angehörigen seine Schuld zu bekennen – und wenigstens am Lebensende nicht feige und verstockt zu sein wie manch andere (zu spät) Angeklagte.«[1]
Ja, das ist eine Chance, »weil es hier um eine der größten Barbareien der Menschheitsgeschichte geht. Weil die deutsche Justiz mit ihrer teilweise individuell erschreckenden Verstrickung in den NS-Unrechtsstaat Nazi-Kriminalität anfangs so ignorant wie unrühmlich behandelt hat. Weil viele Juristen auch in der jungen Bundesrepublik den ekligen Standpunkt vertraten, was damals Recht gewesen sei, könne heute nicht als Unrecht verfolgt werden.«
Wie es zu den Versäumnissen, nein, wie es zur Mittäterschaft der deutschen Justiz im „Rechtsstaat Bundesrepublik“ kam, kann man spannend bei Ferdinand von Schirach[2] nachlesen. Ich habe es, weil Roman, zunächst nicht glauben wollen und dann recherchiert. Der Hintergrund ist leider authentisch und zeigt die dunkelsten Stunden des deutschen Parlamentarismus auf. »Der Roman behandelt die Verjährung von Beihilfetaten zu Morden aus der Zeit des Nationalsozialismus, die durch das Einführungsgesetz zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (EGOWiG) 1968 rückwirkend auf das Jahr 1960 eingeführt wurde. Durch das von Eduard Dreher[3] initiierte Gesetz verjährten Morde durch Schreibtischtäter schon nach 15 Jahren, sofern ihre Taten von der Rechtsprechung nur als Beihilfe eingeordnet wurden.«[4]
[1] Auch für das nächste Zitat: http://www.rp-online.de/panorama/deutschland/oskar-groening-der-alte-ss-mann-und-die-spaete-reue-aid-1.5033175
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Ferdinand_von_Schirach
[3] Eduard Dreher (* 29. April 1907 in Rockau (heute Ortsteil von Dresden); † 13. September 1996 in Bonn) war ein deutscher Jurist und hoher Ministerialbeamter in der frühen Bundesrepublik Deutschland. Zur Zeit des Nationalsozialismus war Dreher Erster Staatsanwalt am Sondergericht Innsbruck und stieg in den 1960er Jahren zu einem der einflussreichsten westdeutschen Strafrechtler auf. Dreher ist durch seinen Kommentar zum Strafgesetzbuch bekannt geworden. https://de.wikipedia.org/wiki/Eduard_Dreher
Der Prediger von Buchenwald
»Noch vom Zellenfester aus ermutigte er Mitgefangene auf dem Appellplatz des Lagers, auf Gott zu vertrauen, weshalb er später den Ehrennamen „Prediger von Buchenwald“ erhielt. Der Lagerarzt griff im Juli 1939 zur Giftspritze und tötete ihn mit einer Überdosis Strophanthin.«
http://chrismon.evangelisch.de/artikel/2010/paul-schneider-der-prediger-von-buchenwald-6744
Die Schreie des Wirtes hat sie nie vergessen.
Monika Göth fragte Manfred, Wirt in Schwabing, nach der eintätowierten Nummer auf seinem Arm. Er »sagte er ihr, er sei Jude und habe die meiste Zeit im Lager Plaszow verbracht. Göth, so naiv wie erleichtert: „Mei Manfred, bin ich froh, dass du in keinem KZ warst, sondern nur in einem Arbeitslager. Dann kennst du auch meinen Vater, gell. Das war doch der Göth.“ Die anschließenden Schreie des Wirtes hat Monika Göth nie vergessen.«
Eine Situation, die unter die Haut geht, auch wenn man zum Thema Kriegskinder und Täterkinder recht gut informiert ist.
Die SZ rezensiert den Roman „Amon“ von Jennifer Teege[1] unter dem Titel: „Mein Opa, der Massenmörder“. Wer Schindlers Liste gesehen hat, kennt den Massenmörder und hat sich gefragt, wie solch ein Monster möglich ist.
Jennifer Teege entdeckt eher zufällig, wer ihr Großvaters ist und lernt die Fernwirkung dieses unheilvollen Opas über Generationen hinweg kennen und wohl auch verstehen.
So unheimlich wie psychologisch spannend.
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