Dierk Schaefers Blog

Ein Besatzungskind will nach Hause

Posted in Geschichte, heimkinder, Kinderrechte by dierkschaefer on 1. März 2015

»Anthöfers Geschichte war schon in den 1990er Jahren das erste Mal in den Medien. Sie steht exemplarisch für die Geschichte von Tausenden Besatzungskindern. Schätzungen gehen für 1945 bis 1955 von mindestens 400.000 Kindern aus, die aus Verbindungen mit Besatzungssoldaten stammen. Anthöfers Suche nach seinem Vater wurde zu seiner Lebensaufgabe.«[1]

Als er ihn fand, war der Vater seit fünf Wochen tot. Anthöfer wollte es wissen und ließ ihn exhumieren. Das Ergebnis war positiv. Er blieb in West-Virginia, pflegte seine Mutter, die er mitgenommen hatte, bis zu ihrem Tod. Nun ist er selber krank, Magenkrebs, auf 44 Kilo abgemagert. Mit seiner Krankenversicherung hat er keine Chancen im amerikanischen Gesundheitssystem und möchte zurück. Aber einen Ambulanzflug kann er sich nicht leisten. Und auf Antwort der Botschaft in Washington wartet er jeden Tag. Sein großes Ziel war es immer, ein Grundsatzurteil zu erstreiten, das allen Kindern von US-Soldaten mehr Rechte verschafft. „Dann hätte das Ganze doch einen Sinn gehabt“, sagt er.«

Vielleicht, aber nur vielleicht erreicht ihn sein Anteil aus dem Heimkinderfonds noch rechtzeitig. Doch dort, so hat man ihm gemailt, gibt es eine Wartefrist von sechs Monaten. Anthöfer hat sein Photo hingeschickt, wie er total abgezehrt im Krankenbett liegt. Wenn er ein medizinisches Gutachten vorlegen könnte, wonach er noch höchsten sechs Monate zu leben hätte, dann könnte seine Akte vorgezogen werden. Eine makabre Vorzugsbehandlung, aber bürokratisch korrekt. Doch Geld für ein Gutachten hat er nicht.

[1] Alle Zitate: http://www.ksta.de/koeln/koelner-schicksal-sein-letzter-wunsch–zurueck-nach-koeln,15187530,29980392.html

O, hättest du doch geschwiegen, Bruder Nikolaus!

Posted in heimkinder, Kirche, News by dierkschaefer on 19. April 2010

O, hättest du doch geschwiegen, Bruder Nikolaus!

Die Medien verbreiteten die Nachricht, die wirklich eine Nachricht war/gewesen wäre:

»„Die Kirchen werden sich der Forderung nach materieller Entschädigung für erlittenes Leid in staatlichen und kirchlichen Kinderheimen nicht entziehen.“ Er sprach von einem sehr bedrückenden Kapitel.
Dass die Kirchen dafür heute in Haftung genommen würden, sei richtig, sagte Schneider. Schließlich hätten die Kirchen die Heime damals mitgetragen.«

http://www.focus.de/politik/weitere-meldungen/entschaedigung-ekd-plant-wiedergutmachung-fuer-heimkinder_aid_498791.html

Nun kommt die Korrektur (laut FAZ vom Montag, 19. April 2010).

Richtig ist,die Kirche werde sich dem Gespräch über Entschädigungen nicht entziehen.“

Das ist nun wahrlich keine Nachricht wert. Das Gespräch ist längst im Gange.

Was also ist die Botschaft?

Wir können mal darüber reden. Reden kostet nichts. Solange wir reden, brauchen wir nichts zu tun – und derweil werden die ehemaligen Heimkinder weniger, dann gibt es auch weniger zu tun, wenn wir schon genötigt werden sollten, überhaupt etwas zu tun.

Es ist für mich als evangelischer Christ und Pfarrer schmerzhaft zu sehen, wie der amtierende Ratspräsident hinter die Aussagen seiner Vorgängerin zurückfällt.

O, hättest du doch lieber ganz geschwiegen, Bruder Nikolaus!

Nachtrag, nach dem Hören des Interviews auf

http://www.inforadio.de/programm/schema/sendungen/interview/201004/140157.html

das klingt insgesamt nicht unsympathisch, wenn er auch ein paar kautelen einbaut. der o-ton scheint glaubhaft.
schneider hatte halt das pech, daß die erste meldung inhalte hatte, die er dann korrigiert hat. er sollte nun positiv nachlegen.

»Von der Schuld bis zur Sühne«

Posted in heimkinder, Kirche, News by dierkschaefer on 11. März 2010

»Von der Schuld bis zur Sühne«

Diesen Artikel hätte ich der FAZ gar nicht mehr zugetraut:

http://www.faz.net/s/RubFC06D389EE76479E9E76425072B196C3/Doc~E17CA2FCC18BD4B31B723AD530109BCA1~ATpl~Ecommon~Scontent.html

Auszüge:

»Ein runder Tisch ist eine angenehme Einrichtung: Für die Politik, die mit der Einberufung eines runden Tisches dem Vorwurf der Untätigkeit entgegentritt. Für Vertreter der Betroffenen, die an einem runden Tisch endlich Gehör finden. Und nicht zuletzt für die beschuldigten Institutionen, die mit einer Teilnahme zunächst keinerlei Verpflichtungen eingehen.

Auch soll es ihnen schon gelungen sein, den einen oder anderen runden Tisch im Laufe einiger Sitzungen in die sprichwörtliche lange Bank umzuschreinern.«

Dazu: https://dierkschaefer.wordpress.com/2010/01/03/auf-der-langen-bank-freeze-now/

»Ein runder Tisch gibt der „Täterseite“ die Möglichkeit, den ihr anhaftenden moralischen Makel zu tilgen – womöglich gegen Zahlung einer, nicht zu hohen, finanziellen Entschädigung.«

Aber über das „Abstandsgebot“ zu den Zahlungen an die Zwangsarbeiter wird man wohl noch diskutieren dürfen.

Dazu: https://dierkschaefer.wordpress.com/2009/12/13/zwangsarbeiterlosung-als-zwangslosung-fur-heimkinder/

Auch die die Zahl der vom Runden Tisch gemeldeten Heimkinder muß hinterfragt werden.

Ich habe es in meiner Kommentierung des Zwischenberichts getan.

https://dierkschaefer.wordpress.com/2010/01/25/zum-%E2%80%9Ezwischenbericht%E2%80%9C-des-runden-tisches/

Der Runde Tisch wird regelmäßig an meinen Blog erinnert. Reaktionen gibt es jedoch in keiner Weise. Ich fühle mich an ein bekanntes Motiv erinnert – allerdings nur, was die Handlung betrifft, nicht die „Personen“.

Auf der langen Bank? Freeze now!

Posted in heimkinder, News by dierkschaefer on 3. Januar 2010

Auf der langen Bank? Freeze now!

Was wird das neue Jahr den ehemaligen Heimkindern bringen?

Da steht zunächst der angekündigte Zwischenbericht des Runden Tisches im Januarkalender. Was wird wohl drinstehen? Die Mainpost weiß bereits, anscheinend aus berufenem Munde, daß es »wohl weniger um Geld, sondern vielmehr um die immaterielle Anerkennung der Schicksale« geht.

http://www.mainpost.de/nachrichten/politik/zeitgeschehen/Schikanen-Willkuer-und-Zwangsarbeit;art16698,5415237

Zwar bleiben »direkte finanzielle Entschädigungen … auf der Tagesordnung. Allerdings dürften, falls es zu solchen kommt, die Größenordnungen erheblich niedriger sein, als den Heimkindern vorschwebt. Vertreter der Zwangsarbeiterstiftung schilderten, dass selbst dieser Kreis im Durchschnitt nicht mehr als 2500 Euro pro Betroffenen bekam – für das unter Hitler erlittene Unrecht.« … »Wir haben eine einheitliche Auffassung von dem Geschehen«, sage Frau Vollmer, das sei ein Riesensprung.

Ob die einheitliche Auffassung wohl Eingang in den Zwischenbericht finden wird und ob sie klar erkennbare Ziele nennt? Soll man’s erhoffen oder soll man’s befürchten?

Wenn jedenfalls die Zwangsarbeiterlösung der Maßstab sein wird, sind wohl eher wohlfeile Entschuldigungen zu befürchten, denn eine fühlbare Unterstützung für die ehemaligen Heimkinder, die auf Sozialhilfeniveau leben müssen, wird das nicht sein. Selbst dabei gilt es noch die Feinheiten zu beachten. Schrieb doch das Hamburger Abendblatt von erfolgten Einzelentschädigungen für Zwangsarbeiter im Bereich von 2.500 und 7.500 Euro (siehe dazu https://dierkschaefer.wordpress.com/2009/12/13/zwangsarbeiterlosung-als-zwangslosung-fur-heimkinder/ ), so lesen wir in der Mainpost von Entschädigungssummen von »im Durchschnitt nicht mehr als 2500 Euro«. Die Zeitung berichtet, daß Forscher der Ruhr-Universität bei ihrem Vortrag am Runden Tisch von 500 000 betroffenen Menschen ausgehen. Das ergäbe immerhin die erkleckliche Summe von 2.500 mal 500.000. Damit hätten die sogenannten Opferanwälte im Ankündigungspoker so falsch gar nicht gelegen.

Doch gemach, die Gesamtentschädigung wird auch nicht die Hälfte dieser Anwaltssumme ausmachen. Das Diakonische Werk (EKD) hat dem Runden Tisch ihre Untersuchung vorgelegt. http://www.ex-heimkinder.de/Dokumente/Diakonie-1.pdf . Nach diesen Heimauskünften wird man zumindest evangelischerseits von nur der Hälfte der Heime ausgehen müssen, denen ehemalige Heimkinder überhaupt bekannt sind, »die ihre Zeit im Heim als problematisch bezeichnen«.

»Ein Drittel [der Heime] weiß von vereinzelten Fällen. Bei den 5 Einrichtungen, die mehr als 15 Ehemalige kennen, die ihre Heimzeit als problematisch bezeichnen, handelt es sich um die Heime Freistatt, das Stephansstift Hannover und das Haus Gotteshütte Kleinenbremen (alle im Landesverband Hannover) sowie um das westfälische Mädchenheim Ummeln und die Karlshöhe Ludwigsburg (Württemberg). Im Durchschnitt sind jeweils 3 Personen bekannt, die unter dem Heimaufenthalt gelitten haben.«

Wenn unter diesen Umständen die ehemaligen Heimkinder nicht andere Zahlen glaubhaft dokumentieren, dann hat sich der Aufwand des Runden Tisches gelohnt, aber für wen? Frau Vollmer benennt laut Mainpost als wichtigstes Zwischenergebnis, »dass die Debatte in die Breite gegangen ist«. Damit folgt sie der Sozialarbeiter-Veralberung: „Ich konnte Ihnen zwar nicht helfen, aber es war gut, daß wir mal miteinander darüber geredet haben“.

Was müssen wir dem Runden Tisch für 2010 ins Pflichtenheft schreiben?

1. Es kann zwar tatsächlich keine Pauschalregelung geben. Die Heime waren zu unterschiedlich. Aber die vielen und fürchterlichen Einzelfälle sind nicht pauschal nach dem Strickmuster der Zwangsarbeiterentschädigung zu behandeln. Hier muß es um angemessene Einzelfallentschädigungen gehen, angemessen auch an der wirtschaftlichen Lage der Betroffenen. (siehe auch https://dierkschaefer.files.wordpress.com/2009/04/verfahrensvorschlage-rt.pdf)

2. Zudem gab es nicht nur in Erziehungsheimen Kinder mit übelsten Heimerfahrungen. Es gab Säuglingsheime, in denen manche Kinder „vergessen“ wurden. Es gab Heime für behinderte Kinder. Hier sei beispielhaft an die belegten Mißhandlungen im Johanna-Helenen-Heim erinnert. »Öffnete man in den 1950er und 1960er Jahren die Tür zum Johanna-Helenen-Heim, so sah man in einen Abgrund der Willkür, der Zerstörung, der Gewalt, der Angst und der Einsamkeit. Man blickte in das „Herz der Finsternis“«. (http://www.gewalt-im-jhh.de/ ). Der Runde Tisch muß seinen Horizont erweitern und alle Heime gleich welcher Art erfassen, aus denen Mißhandlungsberichte vorliegen.

3. Der Runde Tisch hat wohl als einziger die Autorität, die beteiligten Heimträger zu einem „Freeze-Abkommen“ zu bewegen. Was ist das? Die ehemaligen Heimkinder bangen, ob sie ihre Entschädigung noch erleben werden. Dies wird genährt durch die Verfahrensdauer und manche kolportierten Äußerungen, man wolle durch die biologische Lösung so mancher Fälle Geld sparen. „Freeze“ wäre das Einfrieren der Ansprüche (wenn nicht der juristischen, so doch der moralischen nach Recht und Billigkeit) auf den Zeitpunkt des Beginns des Runden Tisches. Damit geht der Entschädigungsanspruch im Fall des Todes des Betroffenen auf seine Erben über. Dann wäre wenigstens das Mißtrauen aus dem Verfahren draußen, zügiges Vorgehen aber dennoch geboten – und möglich, wie meine Verfahrensvorschläge vom April 2009 belegen.

Doch ich fürchte, die Sache der Kindesmißhandlungen in den Heimen wird weiter auf die lange Bank geschoben werden.

Im Sommer habe ich sie gesehen, die lange Bank. Es ist vielleicht die längste Bank der Welt – und es ist eine Kirchenbank. Außen an der Kirche von Malaucène erstreckt sie sich über die gesamte Länge des Kirchenschiffs. Ganz hinten sitzen Menschen. Ob es ehemalige Heimkinder sind?