Präsident Macron und seine theologischen Qualitäten
»Macron betonte, dass die Heldengeschichte der Jungfrau von Orleans zum historischen Erbe aller Franzosen gehöre und sie erleben lasse, dass sie eine gemeinsame Geschichte hätten, eine Geschichte, „die uns zusammenhält“. Und weiter: „Die großen Gestalten der Vergangenheit sprechen nicht zu uns. Niemals haben sie versucht, uns eine Botschaft zu senden. Nur wir selbst bringen sie zum Sprechen. Nur wir selbst konstruieren ihre Legenden, auf die wir uns stützen. Aus unserer Geschichte erwachsen unsere Hoffnungen und unsere Kraft zu handeln.“«
So wird aus einer Rede von Macron zitiert. Er hat sie am 8. Mai 2016 – noch als recht unbekannter Wirtschaftsminister unter Hollande – zu Ehren der Jeanne d’Arc bei den jährlichen Feierlichkeiten in Orleans auf Einladung der Stadt gehalten.[1]
Das ist ein beachtliches Zitat. Die beiden Theologen meiner Familie haben unabhängig voneinander sofort die Parallele zur Theologie gezogen, zur liberalen Theologie natürlich. Denn es geht um den berühmt-berüchtigten „garstigen, breiten Graben“, den Lessing zwischen Zeugnissen aus der Vergangenheit und der Gegenwart ausgemacht hat,[2] – eine Erkenntnis, die bis heute die Theologen beschäftigt, mit unterschiedlichen Ergebnissen.[3]
Macron scheint dieser Graben keine Probleme zu bereiten und setzt auf das sinnstiftende Potential historischer Personen (und Ereignisse). »Aber ist der Rekurs auf historische Größe noch zeitgemäß? Macron sagte in Orleans: „Die Franzosen brauchen Jeanne d’Arc, weil sie uns zeigt, dass das Schicksal nicht festgeschrieben ist.“«
Dieser Satz lässt sich auch für den Umgang mit Personen aus jedweder (Religions)-Geschichte nutzen. Macron hat eine vorzügliche, auch theologisch-nützliche Interpretation vorgelegt.
Übrigens: Jeanne d’Arc[4] wurde heiliggesprochen. Ihre Skulptur steht in vielen französischen Kirchen. Und: Frankreich ist ein betont säkularer Staat.
[1] Zitate aus GERD KRUMEICH, Macron über Jeanne d’Arc, Ihm wächst ein Wortfeld, FAZ, 26. Juli 2017, S. N3
[2] http://www.zeit.de/1980/25/anti-goeze/komplettansicht Achtung: Unkorrierter Scan!
[3] Nur ein Beispiel: http://www.theologiestudierende.de/2015/03/09/moment-mal-lessings-garstiger-graben/
»Für mich stellt sich nicht die Frage, ob es Gott gibt oder nicht, sondern ob Gott Sinn macht«
So ein Kommentar[1]. Das ist richtig gesehen und steht in guter Tradition zur Ringparabel[2] von Lessing. Für dieses Leben ist eher wichtig, was eine Gottesvorstellung (Gott?) bewirkt. Wer ihn für ein nächstes Leben braucht, mag das anders sehen. Wer ihn braucht, um Hass gegen andere zu säen, verrät sein Ideal. Wer ihn braucht, um selber gut zu leben und selber ein sattes Gewissen zu haben, ist unglaubwürdig.
Manche Leute sind auch ohne Gott(esvorstellung) glaubwürdig.
Gerade lese ich ein Beispiel dafür bei Fritz Reuter[3]. Er schreibt in seinem Roman „Ut mine Stromtid“ am Ende vom 40. Kapitel:
Ich habe die hochdeutsche neben die original-plattdeutsche Fassung gestellt. Aber man kann Fritz Reuter eigentlich nicht übersetzen. Der hier zitierte „Bräsig“ hat jedenfalls nicht als Christ Gutes getan, sondern in seiner Rolle im Ehrenamt als „Akzesser“. Er hat also nicht auf sein Wohlergehen im Himmel geschielt. Somit ist er das, was man früher einen ordentlichen Christenmenschen nannte. Und ein „ordentlicher“ Mensch kann man auch ohne Gott sein, wenn man tut, was anderen hilft.
Fußnoten
[1] Kommentar zu: https://dierkschaefer.wordpress.com/2017/07/08/warum-sollte-es-herrn-kronschnabel-interessieren-dass-gott-aus-der-kirche-ausgetreten-ist/
[2] Ringparabel https://de.wikipedia.org/wiki/Nathan_der_Weise#Ringparabel
»Kostenaufstellung der Heilsgeschichte«
Mit dieser Überschrift stellt Bernhard Lang in der heutigen FAZ den letzten Band von Karlheinz Deschners Kriminalgeschichte des Christentums vor. Damit trifft er haargenau Deschners Leitmotiv.
Deschners Namen zu nennen, so schreibt Lang, gelte in akademischen Kreisen als unfein, denn er sei nicht vom Fach und arbeite nicht an den Quellen, sondern mit Sekundärliteratur.
Na und? Solange seine Schlußfolgerungen nicht den Quellen widersprechen, erfüllt Deschner mit seinem auch fachlich respektablen Werk die Funktion eines Populärwissenschaftlers oder Wissenschaftsjournalisten: Er transportiert wissenschaftliche Ergebnisse zu einem breiteren Publikum. Die an den Quellen sitzenden Wissenschaftler mögen ihm sachkundig widersprechen. Ihn zu schneiden führt nicht weiter.
Die Kostenaufstellung der Heilsgeschichte ist nach Deschner also eine Kriminalgeschichte, und es wäre zynisch, ihm vorzuwerfen, er habe doch all das Positive, was es unzweifelbar gibt, nicht in die Bilanz mit einbezogen. Verbrechen und menschliches Leid lassen sich nun einmal nicht mit seelischen Glücksmomenten und gelungenen Lebensläufen anderer aufwiegen, auch nicht mit einem Guthaben im Himmel.
Deschner beantwortet mit seinem Werk hinsichtlich des Christentums die Frage, die Lessing in seiner Ringparabel aus gutem Grund offen gelassen hat. Sie hängt als Menetekel über jeder Heilslehre. Darum wäre der Hinweis verfehlt, auch die anderen Heilslehren würden bei einer Kostenaufstellung ebenso alt aussehen wie das Christentum. Dieser Hinweis dürfte wohl stimmen. Doch er ist genau so zynisch, wie das Abwägen zwischen den guten und den schlechten Folgen einer Heilslehre.
Mir scheint nicht so sehr die Heilslehre, welche auch immer, das Problem zu sein, sondern der Mensch, der sich ihrer skrupellos oder gar in gutem Glauben bedient. Sie ist das Tüpfelchen auf dem „i“, denn auch für Missetaten liefert sie, bei entsprechender Verblendung, ein gutes Gewissen.
Ein letzter Satz aus Langs Artikel sei hier als letzter Satz wiedergegeben, weil er Deschner und sein Vorhaben (mir) sympathisch macht: »Alles, was er geschrieben habe, bekennt Deschner, könne er mit einem Wort des „österreichischen Priesters, Lebensreformers, Vegetariers und Pazifisten Johannes Ude (1874 – 1965) ausdrücken: „Ich kann das Unrecht nicht leiden.“«
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