Dierk Schaefers Blog

Der Banküberfall

Posted in Kriminalität, Kriminologie, Uncategorized by dierkschaefer on 22. Juni 2017

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Der Banküberfall [1]

9 Jahre Knast für Dieter Schulz

 

Der Banküberfall war für Dieter Schulz sozusagen die Krönung seiner kriminellen Tätigkeit, jedenfalls hinsichtlich des Strafmaßes, ansonsten hatte er noch Größeres vor. Hier hat er – soweit ich sehe – auch erstmalig in Komplizenschaft mit mehreren anderen Tätern „ein Ding gedreht“, und einer der Täter war bewaffnet, daher die hohe Strafe.[2]

Die persönliche Verantwortung für diese Straftat wird von ihm heruntergespielt. In die Rolle der Führerschaft sei er nur gekommen, weil er die Dummheit, die Unbedarftheit seiner Kum­pane und deren Drogenpegelstand habe kompensieren müssen. Das Gericht hat ihm diese Version nicht abgenommen. Sei dem wie es wolle.

Die Personen, das Beziehungsgeflecht, die Reiseroute

Interessant, und darum dieser Überblick, ist das Beziehungsgeflecht der Akteure und der Personen an der Peripherie. Das gab es bei den anderen Straftaten von Dieter Schulz nicht. _Inhaltsverzeichnis Dort war er Einzelkämpfer und brauchte nur für den Absatz der Zigaretten Abnehmer. Diese wohl meist türkischen Gruppen, wie auch sein Bekanntenkreis tauchen in seinen Beschreibun­gen nur pauschal auf. Eine Ausnahme bilden die jeweiligen Lebensabschnitts­gefähr­tinnen.

Beim Banküberfall wird ein Mikrokosmos sichtbar, eine Subkultur[3], die innerhalb des engbe­grenzten Rotlichtbezirks von Hannover „beheimatet“ ist. Hier hat „man“ seine Kontaktper­sonen „beruflicher“ und privater Art. Hier feiert man seine Erfolge. Hier erwirbt man seine Reputation, die schnell verloren gehen kann, wenn man versagt, die Spielregeln nicht einhält oder gar zum Verräter wird. Wer verstoßen wird, wird zudem malträtiert bis hin zur Ermor­dung. Es gilt das Recht des Stärkeren.

Knasterfahrung „adelt“. Schulz schreibt: Bei dem Italiener „trafen wir rein zufällig“ einen alten Bekannten von beiden. Harry wie auch Wolfgang kannten zumindest einen von den bereits anwesenden Gästen. Kurzerhand wurde ein weiterer Tisch herangeschoben und wie ich später erfuhr, saß ich inmitten von Hunderten von Jahren Knast! (Kap. 36) Damit bringt er einerseits Anerkennung zum Ausdruck, andererseits distanziert es sich vom Geschehen. Er ist in seiner Kriminalität eigentlich ein self-made-man, der auf eigene Rechnung arbeitet und keine Anleitung braucht. Die Kontakte zu dieser Subkultur, er spricht vom „hiesigen Rotlicht­viertel“, sind auch darauf zurückzuführen, dass er hier Abnehmer für seine Zigaretten aus dem Automatenbetrug gefunden hat. Auch mit seinen Drogengeschäften war er auf diese Subkultur angewiesen. Das knastbedingte Networking brachte dann die Kontakte auch für erweiterte Kriminalität. Der Banküberfall, der hier übersichtsartig dargestellt wird, ist nur ein Delikt, in dem Dieter Schulz die wichtigste Position einnimmt. Parallel dazu läuft sein Falschgeld­projekt mit einer Knastbekanntschaft und sein großes Drogenprojekt, dass er allein durchzie­hen will, allein, wenn man absieht von seinem Lieferanten, den er mit dem Falschgeld aus dem anderen Projekt bezahlen und selber dann untertauchen will, und seine nicht weiter benannten türkischen Abnehmer der großen Drogenmengen.

Hier nun der Banküberfall, der zum ersten Mal in Schulz’ Karriere ein Netzwerk und eine Subkultur aufzeigt, in der Schulz schon länger lebt, mit all den wechselseitigen Abhängig­keiten.

Übersicht: Der Banküberfall – Die Personen, das Beziehungsgeflecht, die Reiserout_Banküberfall Die Personen das Beziehungsgeflecht die R…

Fußnoten

[1] Abbildung: http://smith-wessonforum.com/s-w-hand-ejectors-1896-1961/132608-big-magnum-bigger-magnum.html

[2] Die Autobiographie von Dieter Schulz ist in diesem Blog erschienen: Inhaltsverzeichnis _Inhaltsverzeichnis

[3] Der Begriff Subkultur wir hier nur als Benennung eines Beziehungsgeflechts mit internen Regelungen und Normen benutzt. Diese bilden eine Abgrenzung innerhalb der umfassenden Kultur. Sie müssen nicht unbedingt gegen geltendes Recht verstoßen. Soweit Rechtsverstöße wesentlicher Teil einer Subkultur sind, wäre es naiv, dabei nur die „Unterschichtkriminalität“ in den Blick zu nehmen. Auch die Kriminalität der Mächtigen, sei es nun die Wirtschaftskriminalität mit dem „white-collar-crime“ oder die Regierungskriminalität kann mit den jeweiligen Netzwerken und Seilschaften als Subkultur beschrieben werden. Das sind Formen von Kriminalität, die von Dieter Schulz selbstexculpierend genannt werden. Schulz bekundet damit aber das, was heutzutage in aller Brisanz als Vertrauensverlust in die Institutionen (politisch, wirtschaftlich), und in die dort „Mächtigen“, auch die in den Firmen hervortritt, ein Vertrauensverlust, der auch vor den einst anerkannten Moralinstituti­onen nicht haltgemacht hat.

»Wenn der Richter das gelesen hätte, dann hätten Sie keine zehn Jahre gekriegt.« Kap. 37 f

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Dieter Schulz

Der Ausreis(ß)ende

oder

Eine Kindheit,

die keine Kindheit war

Siebenunddreißigstes Kapitel

Zwei große Dinger parallel

So sitze ich nun vor einem PC und haue wieder im Zweifingersuchsystem in die Tasten. Das fällt mir jetzt umso leichter, weil sich der Kreis bei mir zu schließen beginnt. Dass dies jemals der Fall sein könnte, habe ich mir zu Beginn meiner Aufzeichnungen noch nicht einmal träumen lassen.

Die Vertreibung aus meinem Geburtshaus in der Nähe von Königsberg. Aus Königsberg generell und meine Rückkehr dorthin. Zwar nur mit einem Visum ausgestattet hatte ich das unwahrschein­liche Glück, in das Innere unseres kleinen Häuschens in Neudamm sehen zu können. Jedoch um diesen Kreis zu schließen, muss ich hier noch ziemlich viel Aufklärungsarbeit leisten. Bin ich doch wieder einmal völlig aus der Reihe getanzt in meiner Erzählung. Alles was ich bisher geschrieben habe, schreiben werde, ist ohne weiteres von mir belegbar. Sie lesen hier keinen Roman! Nur, hier taucht bei mir die Frage auf: wollen die Menschen überhaupt erfahren, wie ein Mensch zum Ver­brecher wird? Ich meine damit das Vorspiel. Alles im Leben hat ein Vorspiel. Nicht nur beim Sex. Was wäre ein Buch ohne Vorspiel? Um zum Höhepunkt zu kommen, muss der Kopf einge­schaltet werden. Zum Vorspiel gehört meines Erachtens auch, dass ich Ihnen meine Beweg­gründe zum Verfassen dieses Buches darlege. Jetzt kann ich Ihnen ja auch gestehen, dass ich damals versäumt hatte, meinen Kopf einzuschalten, als ich mich den Vorschlag von Harry einließ. Puh! Ich hoffe, ich habe wieder die Kurve erwischt, wo ich bei meiner Erzählung aus der Bahn gekommen bin.

Geiz ist geil, sagt ein moderner Werbeslogan. 1990 war dieser Spruch noch völlig unbekannt. Ich aber war da bereits geizig. Ich sparte mir sogar das Denken. Das Nachdenken darüber, wozu ich mich da verpflichtet hatte. Mein Gewissen beruhigte ich dahingehend, indem ich mir sagte: „Dieter, du bist ja nur der Fahrer“. Eine Waffe in die Hand zu nehmen, andere gar damit zu bedrohen, war so gar nicht mein Ding. Hatte ich doch selbst schon als Kind am eigenen Leibe spüren müssen, wie man sich in solch einer bedrohlichen Situation fühlt. Ich meine damit, von einer Waffe bedroht zu werden.

Das große Projekt

Vorläufig konnte ich [mich] noch durch ein anderes Projekt ablenken, welches ich mit einem Detlev Kaufmann in Angriff genommen hatte. Dazu war allerdings eine Menge Anfangskapitel notwendig. Meine Wut darüber, von meinem Ex-Geschäftspartner reingelegt worden zu sein, war noch nicht verraucht, da traf ich in der City zufällig wieder auf einen ehemaligen Bekannten aus dem Knast und stolperte in die nächste Abzockfalle! Im Knast hatte dieser Mann schon allenthalben für Aufmerksamkeit gesorgt. War er doch der einzige Strafgefangene, der doch tatsächlich ständig mit Zivilklamotten, mit Schlips und Kragen, über die Flure lief. Fast immer trug er dabei auch noch irgendeinen Akten­ordner unter dem Arm. Mister Wichtig wurde er deshalb schon von den übrigen Gefangenen genannt. Durch Tricksereien, die er sich aus den einschlägigen Gesetzesbüchern herausgelesen hatte, hatte er sich diesen Sonderstatus übers Gericht erkämpft, dass er seine Privatklamotten auch im Knast tragen durfte. Intelligente Menschen hatten mich schon immer beeindruckt. Deshalb hatte er leichtes Spiel, mich für seine Geschäftsidee zu begeistern. Schnell hatte er gecheckt, dass ich finanziell ganz gut da stand. Für sein Vorhaben war ich genau der richtige Mann. Er hatte das Know-how, ich konnte mit einer ordentlichen Finanzspritze seine Idee verwirklichen. Wenige Tage später schon holte ich ihn mit meinem Auto vom Knast ab. Er wurde nach Verbüßung von 2/3 seiner Strafe entlassen. Im Gefängnis selbst hatte er nie eine Hand gerührt, um sich mit primitiver Arbeit etwas zu verdienen. In den letzten Monaten seiner Haft hatte er den Freigängerstatus erreicht, hatte im Büro seiner Schwester einen Job angenommen. Beinahe hätte ich umsonst vor dem Gefängnistor auf ihn gewartet. Seine Schwester hatte nämlich nie die fälligen Beiträge an die Gefängnisverwaltung abgeführt, die nun einmal erhoben werden, wenn ein Gefangener außerhalb der Anstalt arbeitet. Irgendwie schaffte er aber auch diese Hürde.

Schon am nächsten Wochenende fuhr ich mit meiner Familie, Helga, mein Sohn und dessen Freun­din nach Amsterdam. Bis nach Essen folgte uns seine Schwester mit ihrem klapprigen Ford Capri. Dort bog sie dann mit ihrem Bruder in Richtung Düsseldorf (Köln?) ab. Wir setzten unseren getarnten Familienausflug gen Amsterdam fort, während Detlev sich bei einer Spezialmesse umschauen wollte. Er hatte sich schlau gelesen. Auf besagter Messe wurden die neuesten Modelle von Fotokopierern vorgeführt. Solch ein Gerät benötigten wir unbedingt, um unsere Geschäftsidee umzusetzen. Ich hätte zu der Zeit gut und gerne jeden Tag ein Kilo Haschisch an den Mann brin­gen können, holte aber nur vier bis fünf Kilo pro Fahrt. Und das zweimal im Monat. Mein Dealer in Amsterdam wusste wohl, dass ich ohne weiteres eine größere Menge abnehmen könnte, wenn ich nur wollte. Deshalb machte er mir einen Vorschlag. Sollte ich mich dazu ent­schlie­ßen können, Mengen in der Größenordnung ab 20 Kilo abzunehmen, garantierte er mir die Lieferung frei Haus nach Deutschland. Bei solchen Dimensionen jedoch schreckte ich zurück.

Zunächst einmal durfte ich die Unkosten finanzieren, die bei Detlevs Schwester anfielen. Sie betrieb ein Übersetzungsbüro in der City von Hannover, wo in einem zweiten Raum Detlev selbst eine Zei­tung herstellte und zu vertreiben versuchte. Beide Geschäfte gingen aber nur mit sehr mäßigem Erfolg. Ich jedenfalls war von seiner Geschäftsidee dermaßen begeistert, dass ich die Unkosten des bestehenden Büros übernahm.[1] Dieses Büro war enorm wichtig, um überhaupt ins Geschäft zu kommen.

Ein Fotokopierer für 80.000,00 DM

Die erste Firma, von der Detlev den begehrten Fotokopierer beziehen wollte, machte allerdings einen Rückzieher. Die hatten natürlich bei diesem 80 000 Mark Projekt, wenn auch nur auf Leasingbasis, die Kontenbewegungen angeschaut. Hindernis erkannt, Hindernis beseitigt. Ich sorgte mit Hilfe von Helga und deren Familienmitgliedern für einen regen Geldfluss auf dem Konto von Detlevs Schwester. Ein paar Wochen später eine andere Firma, die das gleiche Kopiergerät vertrieb, und wir sollten ein derartiges Gerät geliefert bekommen. Die nächste Hürde musste noch genommen werden. Wir benötigten Spezialpapier, welches den echten DM Scheinen am nächsten kam. Gar nicht so einfach da ran zu kommen, kann ich ihnen sagen. Ab einer gewissen Prozent­zahl[2] stand das Papier überall auf dem Index, wo nicht gleich jeder bestellen konnte. Was also tun? Über unseren bestehenden Verlag als Firma eingetragen bestellten wir europaweit bei Herstel­lungs­firmen Muster ihrer Produktionspalette. Das neu herausgekommene Geld sollte ja, so laut Bundesbank, fälschungssicher sein. Irgendeine Firma hatte dann in dem Album, welches wir erhielten, ein Papier dabei, das in etwa 75 % der Kriterien erfüllte. Um aber nicht aufzufallen, bestellten wir zunächst vier verschiedene Muster in begrenzter Anzahl von Bögen bei der betref­fenden Herstellungsfirma. Bei der zweiten Bestellung waren es dann nur noch zwei verschieden­artige Papierbögen in einer schon größeren Menge. Auch diese Bestellung wurde uns anstandslos geschickt. Unsere letzte Bestellung enthielt nur noch die eine Sorte Papier, auf die wir scharf waren. Auch die von uns benötigte Menge wurde uns prompt geschickt.

Dann konnte es ja mit der Produktion losgehen, nachdem inzwischen auch der Kopierer eingetrof­fen war. Das ganze musste ich natürlich finanzieren, auch die Büromiete. Von meinen Drogenge­schäf­ten blieb mir kaum noch ein Gewinn übrig. Das alles geschah im Monat November 1990. Parallel zu meinem Versprechen, als Fahrer bei einem Banküberfall zu fungieren. Ich war zwar nicht gerade pleite, aber ein zusätzlicher Geldregen, dagegen hatte ich nichts einzu­wenden. Außerdem hatte ich ja ein Versprechen abgegeben.[3]

Bei meiner letzten Rückfahrt aus Amsterdam kommend gerieten wir in einen kilometerlangen Stau in der Höhe von Minden. Zu Hause angekommen fand ich auf dem Wohnzimmertisch einen Zettel vor. Darauf hatte mein Sohn geschrieben, dass ein gewisser Harry angerufen hätte. Er wollte es um sechs Uhr wieder versuchen. Ich solle mich bereithalten. Helga ging ins Schlafzimmer, ich dagegen blieb gleich im Wohnzimmer auf der Couch liegen. Schnurlose Telefone waren derzeit noch nicht erfunden. Nach nur knapp drei Stunden Schlaf riss mich das Telefongebimmel in die Wirklichkeit zurück. Harry stand schon mit Reisegepäck am Bahnhof und wartete darauf, dass ich ihn dort abhole. Wolfgang wartete auch schon startbereit zu Hause. Innerhalb einer halben Stunde war ich dann auch soweit, nachdem ich mir eine Dusche und Tasse Kaffee gegönnt hatte.

Das kleinere Ding

Kaum waren wir aus Hannover raus, auf der Autobahn, fragte Harry mich auch schon, ob ich was zum Kiffen mitgebracht hätte. Ich muss gestehen, ich weiß bis heute nicht, wie ich auf den Trichter gekommen war, ein kleines Sortiment von meiner Ware einzustecken, bevor ich losfuhr, die beiden abzuholen. Ich hatte acht Gramm in der Tasche, von dem am nächsten Abend wieder zurück in Hannover kein Krümel mehr übrig war. Ich selbst konnte zu dem Zeitpunkt dem Zeug überhaupt keinen Geschmack abgewinnen. Erst viel später im Knast widmete ich mich aus Gesundheits­gründen der Heilpflanze Cannabis. Ganz ehrlich! Erläuterung kommt später!

Während der Fahrt gen Osten kristallisierte sich heraus, dass die beiden weder ein bestimmtes Ziel, noch überhaupt einen Plan hatten, wo und wie der Banküberfall ablaufen sollte. Mein Vorschlag Frankfurt/Oder, wo ich mich etwas auskannte, wurde dann auch akzeptiert. Fast vierhundert Kilometer von Hannover entfernt, befuhren wir die Straßen der Stadt, hielten nach Bankinstituten Ausschau. Nicht nur die Begehbarkeit der Bank an sich musste berücksichtigt werden. Ein viel versprechender Fluchtweg war maßgeblich. Aber genau daran haperte es, wie wir bei unserer Erkundungsreise durch Frankfurt feststellen mussten. Das lag vor allem daran, dass eine Flucht­möglichkeit nur in einer Richtung gegeben war. Schließlich zog die Oder eine natürliche Grenze zu Polen. Etwas wirklich Geeignetes fanden wir in dieser Stadt also nicht. Harry und Wolfgang hatten gut reden, „dann versuchen wir es eben morgen woanders!“ Die beiden hatten ja noch nicht ein­mal soviel Geld in der Tasche, dass sie mir einen Spritkostenanteil geben konnten. Somit würde ich auch noch die Hotelkosten berappen können. Jetzt war ich nicht nur Fahrer der beiden, sondern auch noch der Versorger. Klar, dass sie auch noch Hunger hatten. Beim Haschisch­konsum bekommt man leicht einen Heißhunger. Bei der Gelegenheit, so dachte ich mir, könnte ich mich ja auch gleich mal wieder bei meiner Schwester in Eisenhüttenstadt sehen lassen. Eisenhüttenstadt[4] lag ja gleich um die Ecke.Hannover-Eisenhüttenstadt.jpg Ganze 27 Kilometer entfernt. Mein Vorschlag dorthin zu fahren wurde von den beiden angenommen. Blieb ihnen ja auch nichts anderes übrig. Irgendwie waren sie ja von mir abhängig.

Bei meiner Schwester klingelte ich dann vergebens. Sie war auf Schichtdienst in der Großbäckerei der Stadt. Die Nachbarin, die uns nach vergeblichem Klingeln diese Auskunft gegeben hatte, beschrieb uns auch den Weg dorthin. Meine Schwester war erfreut, ihren Bruder wiederzusehen. Hatten wir uns doch seit 1955 nur ein paar Mal kurz gesehen. Bei der Beerdigung unserer Mutter 1973, als sie dafür ausreisen durfte, und später fuhr ich mit unserem Vater zweimal zu ihr in den Osten. 1989, als unser Vater starb, trafen wir uns auch kurz wieder. Erst die Wiedervereinigung brachte uns auch wieder näher. Welch ein Wunder also, dass sie sich von ihrem Dienst befreien ließ, eine Vertretung mobilisierte und mit uns zur Wohnung fuhr.

Sie ließ es einfach nicht zu, dass wir uns in Eisenhüttenstadt in einem Hotel einmieteten. Sie überließ uns ihr Schlafzimmer, nächtigte selbst auf der Couch im Wohnzimmer. Natürlich war in ihrer Gastfreundschaft auch ein von ihr serviertes Abendessen drin. Auf ihre Frage, was uns denn nach Eisenhüttenstadt getrieben hätte, so ganz ohne Anmeldung, erfand ich eine Geschichte, die ziemlich plausibel klang. Mit Wolfgang, der sich, wie erwähnt, gerne als Gentlemen kleidete, war meine Ausrede erklärbar. Angeblich wollten die beiden sich in Frankfurt ein Objekt ansehen, wo sie sich geschäftlich niederlassen wollten. So war es nur logisch, dass wir am nächsten Morgen wieder nach Frankfurt fahren müssten.

Nichts war vorbereitet.

Mir machte schon den ganzen Tag über während der langen Fahrt von Hannover nach Frankfurt eine Sache Kopfzerbrechen. War doch mit Harry im Vorfeld ausgemacht, dass er irgendwie an zwei Autonummernschilder kommen müsse, die an meinen Passat passen würden. Noch nicht einmal das hatte der erfahrene Knacki auf die Reihe bekommen. Ich selbst war für Diebstahl oder gar Einbruch so gar nicht geeignet, hatte ich doch zwei linke Hände, was das Technische anging. Also war mal wieder mein Improvisationstalent gefragt. War ich nicht darauf geeicht zu improvisieren?

Meiner Schwester gaukelte ich vor, zum einen, einen Verdauungsspaziergang zu benötigen nach ihrem frugalen Mahl und zum anderen wollten wir dabei noch das morgige Geschäft besprechen. „Gut!“ meinte mein Schwesterherz. Derweil würde sie für uns das Nachtlager in ihrem Schlafzim­mer vorbereiten und das Geschirr abwaschen. Es war bereits nachtdunkel draußen, als wir an diesem 19. November gegen 17 Uhr aus dem Haus gingen. Längst hatte ich erkannt, dass Harry und Wolfgang sich mehr um die Funktionalität ihrer Waffen Gedanken machten als um den ebenso wichtigen Rest, der bei einem Banküberfall von Nöten war. So langsam machte ich mir Gedanken darüber, worauf ich mich da bloß eingelassen hatte.

Zunächst einmal hatte ich eine Lösung für die fehlenden, falschen Autonummernschilder gefunden. In einer Drogerie erstand ich eine Rolle weißen Heftpflasters. Damit konnte ich das H in meinem Nummernschild zu einem I abkleben. Derzeit fuhren noch die meisten Ostautos mit ostdeutschen Kennzeichen durch die Gegend. Das I stand für Berlin. Aus den zwei Achten im Nummernschild ließen sich sehr gut zwei Dreien machen. Dann musste ich auch noch in die Tasche greifen, um den beiden je eine gestrickte Schimütze zu kaufen. Noch nicht einmal daran hatten sie gedacht, mit einer Maske in die Bank zu gehen. Das kennt, glaube ich, jeder, der schon mal einen Krimi gesehen hat. Bankräuber zieht sich seine Pudelmütze ins Gesicht, darin sind zwei Schlitze für die Augen rein geschnitten. Wenigstens hatten die beiden an Handschuhe selbst gedacht. Der Fin­gerabdrücke wegen. Sie verstehen? Jetzt glaubte ich, dass die Ausrüstung stimmte. Nur einen richtigen Plan hatten die beiden immer noch nicht, wie es weitergehen sollte. Zunächst einmal taten sie, wieder bei Schwester in der Wohnung, nichts anderes, als was sie schon während des ganzen Tages getan hatten. Sie rauchten einen Joint nach dem anderen von meinem Vorrat, den ich bei mir hatte. Dazu stand noch eine große Flasche Wodka und reichlich Bier auf dem Tisch. Da ich mir als Fahrer der Verantwortung bewusst war, schlürfte ich im Laufe des Abends gerade mal an zwei dünnen Weinschorlen. Meine Schwester bat mich mal nachzuschauen, ob es wohl so recht wäre, wie sie ihr Schlafzimmer für drei zurechtgemacht hätte. Dort hatte ich schon mit Helga und meinem Sohn während der Sommerferien die Nächte verbracht. Beim Besichtigen des Schlafzim­mers fiel rein zufällig mein Blick durchs Fenster.

Nehmen wir doch ganz einfach die Dresdner Bank, direkt vor der Haustür.

Natürlich! Das war es! durchfuhr es mich wie ein Blitz. Wie schon in den Ferien konnte ich durchs Fenster einen Teil der Bank erkennen, die schon zu Ostzeiten dort ansässig gewesen war. Jetzt allerdings prangte dort in greller Leuchtschrift der Name einer bekannten Bank. Dresdner Bank!

Ich musste an diesem Abend ein zweites Mal meine Schwester anlügen. Unter einem an den Haa­ren herbeigezogenen Vorwand brachte ich die beiden noch nicht ganz besoffenen Harry und Wolfgang dazu, mir noch mal nach draußen zu folgen. Erstaunt folgten sie mir sogar gehorsam. Nicht schnurstracks auf die Bank zugehend, meine Schwester hätte uns ja sehen können, führte ich die beiden zu der Bank. Die Lage war einfach ideal für unser Vorhaben! Der Spaziergang in der frischen, kalten Novemberluft machte die vollgekifften und angesoffenen Köpfe meiner Tatgenos­sen wieder aufnahmefähig. Sofort baldowerten wir einen geeigneten Fluchtweg aus. Ich dachte gar nicht daran, direkt vor der Bank mit laufendem Motor auf meine Komplizen zu warten. Dabei hätten allzu viele Passanten in dieser kleinen Einkaufsstraße Gelegenheit, sich Einzelheiten an meinem Auto zu merken. Hinzu kam noch, dass sich die Bank am Ende einer Sackgasse befand. Vom Sommer her kannte ich die Bauweise dieser erst in den 50er Jahren aus dem Nichts erbauten Stadt. Fantasielos waren sämtliche Plattenbauten immer im gleichen Stil angelegt. Mir das Vorbild des Hauses, in dem meine Schwester wohnte, vor Augen haltend begingen wir den vorgesehenen Fluchtweg. Wie nicht anders zu erwarten, waren die vorderen Eingangstüren nicht abgeschlossen. Die aus Plastik bestehenden Schlüssel und Schlösser hätten nur allzu oft ausgewechselt werden müssen. Ins Haus zu kommen war also kein Problem. Vier oder fünf Stufen hoch, an zwei Woh­nungs­türen vorbei, vier, fünf Stufen runter, und man stand vor der Hintertür. Die auch nicht abgeschlossen war. Noch nicht einmal am späten Abend, sowie in der Nacht. Cirka 50 Meter Kiesplattenweg, und dort würde ich bei laufendem Motor und angelehnten Autotüren auf meine Kumpane warten. Soweit der erste Teil unseres Fluchtplanes, den ich so bestimmte. Die beiden, die mich ja lediglich als Fahrer des Fluchtautos engagiert hatten, waren vollauf begeistert von meinem Plan.

 

Achtunddreißigstes Kapitel

Der Banküberfall

Ich fragte mich wie die beiden nach so langer Alkoholabstinenz im Knast diese Mengen von Alko­hol vertragen konnten. Ich selbst hätte mich schon zehnmal bekotzt. Zumal ja auch noch das Dope hinzukam, welches sie sich da reinzogen. Es störte sie gar nicht, als ich sie ermahnte am nächsten Morgen fit zu sein und die Nacht um 8 Uhr zuende wäre. Ich jedenfalls entzog mich der Säufer­runde und machte lieber Matratzenhorchdienst. Meine Schwester, die ich gebeten hatte, uns gegen acht Uhr zu wecken, hatte uns einen reichhaltigen Frühstückstisch zubereitet. Als wir gegen neun Uhr aus dem Haus gingen glaubte sie, dass wir einen Termin in Frankfurt hätten. Wir erweckten bei ihr sogar den Eindruck, dass wir im Laufe des Tages wieder zu ihr zurückkehren würden. Der Ein­druck wurde noch dadurch verstärkt, indem wir unsere kargbestückten Reisetaschen bei ihr stehen ließen. Ursprünglich war ja auch vorgesehen, dass ich die beiden Bankräuber unmittelbar nach Vollendung der Tat mit der Beute an der Hintertür meiner Schwester absetzen würde, ich selbst in Kauf nahm, in eine Kontrolle zu geraten. Was konnte mir schon passieren, wenn man bei mir im Auto weder einen zweiten Mann noch eine Geldbeute vorfand? Am Abend, als dieser Plan in mir reifte, hatte ich weder die Jahreszeit noch einen anderen Umstand in Erwägung gezogen. Ich wunderte mich nur dass meiner Schwester der Gestank nicht auffiel, den die beiden Kiffer in ihrem Wohnzimmer hinterließen.

„Armoured!“ stand ganz groß an der Seite des Wagens.

Gleich nach den zwei Brötchen drehten die beiden sich eine Tüte, um sich aus der realen Welt zu beamen. Durch eine große Toreinfahrt erreichten wir das Innere des Karrees, wo sich die Bank befand. Allerdings die Rückseite der Bank, was ja auch so vorgesehen war, damit niemand sehen konnte, aus welchem Auto die Bankräuber ausgestiegen waren. Vorher waren wir noch zu dem Sportflugplatz etwas außerhalb der Stadt gefahren. Dort, völlig abgeschieden, beklebte ich mein Nummernschild wie oben beschrieben mit dem weißen Heftpflaster um eine ganz andere Nummer vorzutäuschen, den Wagen fuhr ich über eine Regenpfütze, bespritzte mit dem Schlammwasser das auffallend weiße Heftpflaster ordentlich mit dem Schlamm, um das ganze echt wirken zu lassen. Danach konnte man selbst bei genauerem Hinsehen nicht mehr erkennen, dass an dem Num­mern­schild manipuliert wurde. Alles sah schön echt aus. Unser vorgesehener Zeitplan wurde dann aber ganz ordentlich durcheinander gebracht. Gut vorbereitet, die Pudelmützen waren für einen derartigen Novembertag ohne weiteres angebracht, fuhr ich also in die Nähe der Bank. Fragte die beiden noch mal, ob sie sich den Fluchtweg auch gut eingeprägt hätten, den sie zu Fuß zurück­legen müssten, bevor sie mein Auto erreichten, da erwartete uns auch schon eine Überraschung. Am Hintereingang der Bank, die wir vorhatten um etwas Bares zu erleichtern, stand ein Geldtrans­porter. Was solch ein Gefährt zu bedeuten hatte, wusste jedes kleine Kind. Es stand ja auch ganz groß an der Seite des Wagens: „Armoured!“ Wir konnten dies im Vorfeld ja nicht ahnen, dass gerade um diese Zeit bewaffnete Geldabholer mit einem gepanzerten Wagen vor Ort sein würden. Mit Sicherheit wäre es zu einer Schießerei gekommen, wären meine Kumpels jetzt von vorne in die Bank eingedrungen, um abzukassieren. Also hieß es warten. Um ihr Herz wieder aus der Hose zu holen, baten sie mich, ihnen doch ein Mutwässerchen zu besorgen. Um nicht unnötig aufzufallen, fuhr ich zunächst einmal in eine Seitenstraße und holte vom Kiosk gegenüber der Bank eine Fla­sche Wodka. Ohne dass ich mich daran beteiligen musste, schafften die beiden in Null­kom­ma­nichts die Flasche zu leeren. So nebenbei sorgten sie auch noch dafür, dass meine acht Gramm Haschisch so langsam zur Neige gingen. So langsam fragte ich mich, ob wohl alle Bankräuber sich derart betäubten, bevor sie trauten eine Bank zu überfallen. Tags zuvor hatte ich ja auch noch versucht, den beiden ein paar Sätze in russischer Sprache einzupauken, um den Eindruck zu erwecken, hier seien Osteuropäer am Werk. Selbst wenn mir dies Tags zuvor gelungen wäre, ich glaube kaum, dass sie bei ihrer Aktion noch dazu in der Lage gewesen wären. Bei der Gerichtsver­handlung erfuhr ich erst, dass Harry zwei Anläufe benötigte, um über den Bankschalter zu jumpen. Seine Koordinationsfähigkeit hatte um einiges gelitten. Ich hatte den beiden auch klargemacht, dass sie sich auf keinen Fall länger als zwei Minuten in der Bank aufhalten dürften. Diese Zeit hatte ich ihnen vorgegeben, weil ich die Strecke zum einzigen Polizeirevier abgefahren hatte. Unter den allergünstigsten Umständen, die man immer in Betracht ziehen musste, konnte die Polizei in zwei­einhalb Minuten am Ort des Geschehens eintreffen. Das war jedenfalls meine Überlegung.

Auch das noch! Eine ganze Horde Kindergartenkinder.

Zunächst aber kam ich noch einmal in Bedrängnis. Der Geldtransporter war weggefahren, ich hatte die beiden abgesetzt, wollte zum vereinbarten Treffpunkt fahren. Beim Begehen am Abend war die Absperrung noch nicht vorhanden. Aber jetzt! Im Zuge des Geldflusses im Rahmen Wie­der­aufbau Ost war man dabei, auch in Eisenhüttenstadt die maroden Häuser zu sanieren. Aus­gerechnet auf unserem Fluchtweg war die Sanierung in vollem Gange. Angefangen hatte man damit, die von Bäumen bewachsenen Flachdächer zu entrümpeln. Unten, auf dem Plattenweg, hatte man vorsorglich abgesperrt. Was ja auch der Vorschrift entsprach. Nur ich musste jetzt wie ein Verrückter kurbeln, um auf diesem engen Weg wenden zu können. Hatte ich doch lediglich zwei Minuten und ein paar Sekunden laut meiner eigenen Vorgabe Zeit, den vereinbarten Treffpunkt zu erreichen. Geschafft! Dann aber kam mir zu allem Überfluss auf meinem Umweg auch noch eine ganze Horde Kindergartenkinder entgegen. Zu meinem Glück hatten die Betreuerinnen ihre Kinder aber gut im Griff. Schnell machten die Gören mir bereitwillig Platz. Mir kam das ganze wie eine Ewigkeit vor. Dennoch musste ich noch eine unendliche Weile auf meine Kumpane warten. Im Rückspiegel sah ich sie auf unser Auto zu rennen. Soweit schien ja alles bestens geklappt zu haben.

Plan B war angesagt.

Rein ins Auto und ab! Kaum hatte ich den Wagen in Fahrtrichtung rangiert, da kam mir auch schon das nächste Hindernis entgegen. Den schmalen, asphaltierten Weg im Inneren des Karrees versperrte eine Frau mit ihrem Kinderwagen. Während sie sich nur sehr langsam dazu bequemte an die Seite zu fahren, traten mir die Schweißperlen auf die Stirn. Mich wie vorgesehen auf dem Weg zum Haus meiner Schwester befindend musste ich feststellen, dass jetzt ganz andere Umstände herrschten, als ich sie vom Sommer her in Erinnerung hatte. Die im Sommer grünen Bäume und Büsche im Karreebereich boten in dieser Jahreszeit überhaupt keine Deckung mehr. Längst hatte ich bemerkt, dass uns die Arbeiter auf dem Dach sehr gut mit ihren Blicken verfolgen konnten. Den Plan, die beiden hinter dem Wohnhaus meiner Schwester abzusetzen, konnte ich getrost ad acta legen. Plan B war angesagt. Einfach so, aus dem Bauch heraus!

Zwei Torbogen von meiner Schwester entfernt fuhr ich, dabei eine Unterbodenwäsche meines Wagens kostenlos in Kauf nehmend, mit Karacho auf die John Scheer Straße. An der Kreuzung, wo sich auch das Städtische Krankenhaus befand, parallel zu der Straße wo, wenn überhaupt, um diese Zeit längst die Polizei zum Tatort unterwegs sein musste, fuhr ich diesen entgegen. Ein paar hundert Meter weiter hatten wir auch schon die Peripherie der Stadt erreicht. An der Kreuzung warf ich einen Blick nach rechts, wo sich das Polizei- und Gerichtsgebäude befand. Dort konnte ich keine irgendwie gearteten Aktivitäten feststellen. Ich jedenfalls bog nach links ab. Wie später aus den Gerichtsakten ersichtlich traf die Polizei erst nach 12 Minuten bei der Bank ein. Meine Güte. Hätten wir das gewusst, wir hätten noch in die Hinterräume der Bank eindringen können und dort weitere Hunderttausende, die gerade aus dem Nachttresor zusammengezählt wurden, mitnehmen können. Oder doch nicht? Meine so angeblich cleveren Kumpane hatten ja noch nicht einmal an eine Plastiktüte gedacht, worin sie ihre Beute verstauen konnten. So gab ich ihnen in letzter Minute mein Verbandskissen aus dem Auto. Dieses musste ich aber vorher noch leeren. Stellen Sie sich mal vor, ich wäre in eine Verkehrskontrolle geraten und hätte dieses notwendige Utensil nicht vorweisen können. Das hätte mich mindestens 10 Mark Geldstrafe gekostet. Zum Glück gerieten wir in keine Verkehrskontrolle. Noch in Sichtweite der Stadt überquerten wir einen kleinen Hügel. Ich hielt an, entfernte die Klebestreifen an den Nummernschildern, um nicht doch noch aufzufallen. Ich nahm, ohne überhaupt einen Plan zu haben, die nächste Abzweigung nach links. So genau, wie ich es Ihnen hier schildere, habe ich es viel später noch nicht einmal der Staatsanwaltschaft erklärt. Tatsache aber ist, dass die Bullen sich vier Jahre lang die Köpfe darüber zerbrachen, wie wir aus Eisenhüttenstadt entkommen konnten. Diese Stadt lag genauso wie Frankfurt genau auf der Grenze zu Polen.

Die Aussicht in Geld wühlen zu können ernüchterte selbst Harry.

Man hatte sofort die Wasserschutzpolizei alarmiert, die daraufhin diesen Fluchtweg absperrte. Die beiden Ausfallstraßen in Richtung Frankfurt als auch Bautzen waren schneller dicht gemacht worden, als dass die Polizei bei der Bank selbst eintraf. Ich selbst wusste ja auch nicht so recht, wo ich mich eigentlich befand, als ich nach links abgebogen war. Was die Ossis damals als Straßen bezeichneten, wäre hier im Westen gerade mal als Feldweg der dritten Kategorie durchgegangen.

Anfangs winkten unserem Westkennzeichen [?] ja noch Feldarbeiter fröhlich zu. Dann aber landeten wir in einem Kiefernwaldgebiet. Ich befürchtete schon auffällig zu werden, wenn uns jetzt ein Fahrzeug entgegenkommen würde. Doch wir befanden uns in einem Gebiet, wo zumindest um diese Jahres­zeit keine Menschenseele etwas verloren hatte. Ich aber dachte in westlichen Maßstäben. Ich rechnete sogar damit, dass Hubschrauber eingesetzt werden könnten. Ich wusste aus Verwandt­schafts­kreisen, das sich etwa 50 Kilometer entfernt eine Hubschrauberstaffel befand. Um der Überwachung aus der Luft zu entgehen, parkte ich in einem sehr dichtbewaldeten Stück.

Wolfgang konnte meiner Argumentation folgen, Harry dagegen wollte jetzt den Macker heraus­hängen lassen. Er wollte unbedingt ausprobieren, wie sich so ein echter Schuss anhörte. Mit viel Überredungskunst konnte ich ihn jedoch davon abbringen. Ich konnte ihm klar machen, dass gerade in dieser Jahreszeit Förster unterwegs waren, um Bäume zu markieren, die in der Frostpe­ri­ode gefällt werden sollten. Und so ein Schuss könnte einen Waldbegeher auf uns aufmerksam machen. Erst richtig von seinem Vorhaben konnte ich ihn aber erst ablenken, als ich ihn fragte, ob er denn gar nicht wissen wolle, was sie bei dem Überfall erbeutet hätten. Wodka und Haschisch hatten schon völlig sein Hirn vernebelt. Die Aussicht in Geld wühlen zu können ernüchterte selbst Harry. Mein Adrenalinspiegel hatte sich schon seit dem Augenblick aufs Normalmaß gesenkt, als wir kurz hinter der Stadt meine Nummernschilder wieder in den Normalzustand versetzt hatten. Ein sichern­der Rundblick, dann setzten wir uns alle drei ins Auto. Ich breitete auf der Rückbank eine Decke aus und entleerte nun das zweckentfremdete, prallgefüllte Erste-Hilfe-Kissen.

Harry, der hinter den Bankschalter gesprungen war, während Wolfgang an der Eingangstüre der Bank stehen geblieben war, um die anwesenden Bankkunden sowie das Personal in Schach zu halten, hatte in seiner Gier sogar einige Rollen Fünfmarkstücke eingesackt. Zunächst verschaffte ich mir einen Überblick über die Gesamtsumme. Ich bitte den geneigten Leser darauf zu achten, was ich jetzt niederschreibe! Die Höhe der Beute betrug genau 153.750 DM!!! Warum ich dies betone? Nun, in der späteren Anklageschrift wurde uns vorgeworfen, dass die Dresdner Bank einen Verlust von genau 31.517,32 DM[5] erlitten hätte.

Seltsam, sehr seltsam!!! Dabei hatte doch jeder von uns nach der Beuteteilung schon 51.250 DM in der Tasche. Das heißt, ich hatte ein wenig mehr. Hatte ich mir doch erlaubt gleich die Unkosten, die ich bisher getragen hatte, abzuziehen und Harrys Schulden bei mir abzurechnen. Um die Diskrepanz zwischen den beiden Summen zu erklären bedarf es keiner großen Phantasie.

1.) Für den Fall eines Bankraubs steht in einer Versicherungsklausel, dass an einem geöffneten Bankschalter jeweils nur 15.000 DM Bargeld (+ 10%) vorrätig gehalten werden dürfen. Diese Vorschrift wurde erlassen, um den Anreiz für einen Raub so niedrig als möglich zu halten. Und eben o.g. Summe ist auch nur versichert. Es ist sehr selten, dass die Bank das geraubte Geld vom Räuber zurück erhält, sofern man diesen nicht unmittelbar nach der Tat samt Beute einfängt. Um den Schaden einigermaßen einzugrenzen hatte die Bank, um wenigstens den Versicherungsanteil erstattet zu bekommen für die beiden geöffneten Bankschalter die Phantasiesumme von 31.517,32 DM angegeben. Wobei ich noch erwähnen möchte, dass sich unter der Beute kein einziges Markstück, geschweige denn Pfennige befand.

2.) So meine zweite These: Die Bank hatte selbst Dreck am Stecken. Erst wenige Wochen bevor wir abkassierten war die DM im Osten als offizielles Zahlungsmittel eingeführt worden. Wer weiß schon wie die Banken bei der Umtauschaktion gekun­gelt haben. Wäre die tatsächliche Beutesumme angegeben worden, hätte die Bank nicht nur die Versicherungssumme nicht bekommen, sondern es hätte höchstwahrscheinlich eine genauere Überprüfung der Bankunterlagen stattgefunden. Dabei könnte ja so Einiges ans Tageslicht kom­men. Also hielt man sich lieber bedeckt. Selbst als ich knapp vier Jahre später der Staatsanwältin alle offen gebliebenen Fragen in allen Einzelheiten erzählte, weil alle Rechtsmittel ausgeschöpft waren, an meiner langen Haftstrafe ohnehin nicht mehr zu rütteln war, wurde der Sache nicht mehr nachgegangen. Hier bewahrheitet sich wieder mal ein Sprichwort: Die Kleinen fängt man, die Großen lässt man laufen.

Ich soll der eigentliche Boss der Aktion gewesen sein.

Bei der Aufteilung der Beute durch drei achtete ich peinlichst genau darauf, ob sich unter den Geldbündeln nicht etwa ein Sicherheitspaket befand. Die meisten Bedenken hatte ich bei den 200er-Scheinen, die dazu auch noch mit fortlaufenden Seriennummern versehen waren. Im Gegensatz zu meinen Komplizen hatte ich ja zuhause noch einiges an Rücklage. Da lag es nur Nahe, dass ich die gefährdeten Geldbündel für mich behielt. Angeblich, laut Propaganda, war das neue Geld ja fälschungssicher. Gerade deswegen wurde ja bei Einkäufen besonders auf größere Scheine geachtet. Ich konnte ja davon ausgehen, dass sich unter diesen Scheinen NOCH keine Fälschungen befanden. Schließlich arbeitete ja Detlev in Hannover noch an der Produktion unseres Geldes. Da kam diese Beute hier sehr zupass. Jedes Geschäft bedarf einer Investition. Detlev war so klamm, dass er weder die Büromiete, geschweige denn die Leasingkosten für den Kopierer, noch das nötige Papier finanzieren konnte. 2.000 Mark kosteten alleine die drei Farbpatronen, die gerade mal zur Herstellung von ca. 150.000 Mark reichten. Aber zurück zum eigentlichen Geschehen.

Das Geld war also aufgeteilt. Wobei Harry allerdings schmollte. Er meinte, dass er als Ideengeber einen größeren Anteil beanspruchen könnte. Dann frage ich mich nur, warum das Gericht zu dem Urteil kam, dass ich der eigentliche Boss der Aktion gewesen sei. Der Richter führte aus, dass die Nähe der Wohnung meiner Schwester zur Bank hin kein Zufall sei. Und da ich ja bereits im Som­mer dort einige Zeit verbracht hätte, hätte ich das Ganze schon damals ausbaldowert. Konnte aber gar nicht sein. Im Sommer war die ehemalige Ostbank nämlich geschlossen. Zu jener Zeit gab es allenfalls Container und Busse, die die verschiedensten Banken in Eisenhüttenstadt zum Kunden­fang aufgestellt hatten.

Wolfgang holte seine überdimensionale Magnum heraus.

Weil es auch nach zwei Stunden des Versteckspielens unter den Bäumen keinerlei Hubschrauber­ak­ti­vi­täten am Himmel gab, beschloss ich unsere Flucht in Richtung Hannover fortzusetzen. Ich wollte ja auch nicht unbedingt in der früh einbrechenden Dunkelheit in dem mir unbekannten Wald umherirren. Nach einer unendlich erscheinenden Fahrt auf einer Waldschneise stieß ich endlich auf einen Feldweg. Pardon, auf eine Straße. Es musste eine Straße sein. An ihr entlang führte jeden­falls eine Strom- Telefonleitung? Die musste ja irgendwohin führen. Mit viel Risiko verfolgte ich diesen Weg. Risiko deshalb, weil dieser Weg eigentlich mehr für Trecker geeignet war. Es war für meinen Passat unmöglich, die eingefahrene Fahrspur zu benutzen. Das Mittelteil der beiden Spurrillen war derart hoch, dass mein Passat darauf hängengeblieben wäre. So musste ich mich darauf konzentrieren, mit einem Reifenpaar auf dem verbliebenen Hügel in der Mitte der Fahrrille zu balancieren, während die beiden anderen Reifen an der linken Böschung für Höhenausgleich sorgten. Zu meinem Glück wuchsen keine Bäume an der Böschung. Lediglich Ginsterbüsche. Diese fast immergrünen und Gott sei Dank weichen Zweige peitschten gegen mein Auto, zer­schrammten mir den Lack. Noch Tage später fand ich bei der Autowäsche am Unterboden des Autos festgeklemmte Ginsterzweige. Nach wer weiß wie vielen Kilometern erreichte ich endlich eine asphaltierte Straße. Zivilisation war in Sicht. Und siehe da, bald darauf ein Hinweisschild nach Cottbus. In Cottbus angekommen suchte und fand ich einen Wegweiser nach Berlin. Um dorthin zu gelangen, dass heißt die Autobahn zu erreichen, musste ich mich noch durch die Rush Hour in der City durchkämpfen. Ganz schön anstrengend, zumal auch noch ein Platzregen, den die Scheibenwischer kaum schafften, runter kam.

Wolfgang auf der Rückbank beduselt vom Alkohol und Haschkonsum hing in seinem Sitz wie ein Schluck Wasser in der Kurve. Doch wurde er plötzlich hellwach und überaktiv, als ich so nebenher erwähnte, dass sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein Polizeiauto befände. Sofort holte er aus seiner Reisetasche seine überdimensionale Magnum heraus.

Fußnoten

[1] Herr Schulz sagte mir [ca. Oktober 2010, ds], dass er über den dubiosen gemeinnützigen Verein (Cooperative Hilfe Niedersachsen e.V., Gemeinnütziger Verein] die Farbkopien der DM-Noten finanziert hatte. Sein Partner sei allerdings zu blöd für die Geldwäsche gewesen, so dass er in Süddeutschland aufgeflogen sei. [s. Kap. 42]

[2] Gemeint ist offensichtlich die Menge der Kriterien für Fälschungssicherheit bei Banknoten.

[3] Aus einem Mail von Dieter Schulz vom 25. Juli 2005: Noch hatte ich Auto und Führerschein. Beides hatten die Typen nicht, die an mich herantraten und fragten, ob ich wohl als Fahrer bei einem Bankraub mitmachen würde.

Herr Schäfer, Sie werden es vielleicht nicht glauben, wenn ich Ihnen meine Beweggründe schildere, die mich dazu veranlassten JA zu sagen. Ich war ganz einfach frustriert. Frustriert darüber, dass das Arbeitsamt einem 50-jährigen keinen Job mehr vermitteln konnte. Ich konnte mir schlecht auf die Stirn schreiben „Jetzt zeig ich es euch allen mal, wozu ein 50-jähriger noch fähig ist!“ Abenteuer im Blut fiel es mir nicht schwer, JA zu dem Plan zu sagen. Aber was heißt Plan. Keiner der beiden hatte einen Plan. Kreativ wie ich nun einmal bin lief dann alles so ab, wie ICH es mir ausgedacht hatte.

[4] Karte: https://www.google.de/maps/dir/Hannover/Frankfurt+(Oder)/Eisenh%C3%BCttenstadt/Hannover/@52.331475,11.3142521,7z/data=!4m26!4m25!1m5!1m1!1s0x47b00b514d494f85:0x425ac6d94ac4720!2m2!1d9.7320104!2d52.3758916!1m5!1m1!1s0x4707982a02b5fb6f:0x42120465b5e3bc0!2m2!1d14.5505673!2d52.3472237!1m5!1m1!1s0x4707b885b42fafe3:0xe754b8581c20604e!2m2!1d14.6419022!2d52.1436615!1m5!1m1!1s0x47b00b514d494f85:0x425ac6d94ac4720!2m2!1d9.7320104!2d52.3758916!3e0

[5] Schulz gibt hier wie auch im Folgenden 31.517.32 DM an. Doch diese siebenstellige Zahl ist unlogisch, wie auch die durch Punkt abgesetzen zwei letzten Ziffern zeigen. Diese müssen Pfennige bedeuten.

Inhaltsverzeichnis _Inhaltsverzeichnis

»Wenn der Richter das gelesen hätte, dann hätten Sie keine zehn Jahre gekriegt.« Kap. 35 f

logo-moabit-kDieter Schulz

Der Ausreis(ß)ende

oder

Eine Kindheit,

            die keine Kindheit war

Fünfunddreißigstes Kapitel

Drogen aus Amsterdam

Mein Plan, aus meinem Restkapital noch etwas zu machen, nahm immer festere Formen an. Ich fragte Helga, die ja noch nicht viel in der Welt herumgekommen war, ob sie Lust hätte Amsterdam kennen zu lernen. Sie konnte ja nicht ahnen, was ich dort vorhatte. Zunächst sagte ich ihr, dass mir eine Weiterfahrt bis nach Hannover nicht mehr zuzumuten wäre, nach nur drei Stunden Schlaf in den letzten beiden Nächten.

Helga, die, bis sie mich kennen gelernt hatte, eine unbescholtene Bürgerin unseres Landes war, abgesehen davon, dass sie bei einem Unfall einen Menschen totgefahren hatte, was ja als Kavaliersdelikt gilt und gerade mal mit einer Bewährungsstrafe geahndet wird, war auch nicht gerade erbaut davon, dass die bis dato sprudelnde Geldquelle nun versiegt war. Sie hatte nicht nur Gefallen daran gefunden, mich auf meinen Reisen nach London begleiten zu dürfen. Nein, sie hatte mich auch hin und wieder auf meinen Zigarettentouren begleitet, hatte neben mir an einem Spielautomaten gesessen, wenn ich diesen mit unseren aus London mitgebrachten Münzen fütterte. Als es hieß, wir machen Rast in Amsterdam, vermutete sie schon ganz richtig, dass ich damit einen Plan verband, den ich inzwischen ausgeheckt hatte. In völliger Unkenntnis der Stadt dauerte es eine Weile, bis wir eine Pension gefunden hatten. Ganz im Gegensatz zu London fanden wir dann doch ein piksauberes Zimmer. Nur die verfluchten Mücken, die sich in dieser Wasserstadt wohl fühlten und die sich von irgendetwas ernähren mussten, machten uns ganz schön zu schaffen. Nachdem wir uns nach der langen Reise eine Dusche gegönnt hatten, mussten wir auch mal wieder etwas essen. Eine Pension mitten in der City gefunden hatten wir es dann auch nicht weit bis in das pulsierende Leben dieser Weltstadt. Restaurants aller Couleur luden zum Eintreten ein. Wir bevorzugten, wie die meisten anderen Touristen auch, an diesem schönen Sommerabend einen Terrassentisch. Bei einem T-Bone Steak, baked potatoes, Salat und einem Glas Rotwein ver­klickerte ich ihr, wie ich mir gedacht hatte mein Restkapital mindestens zu verdoppeln.

Von Drogenhandel keine Ahnung, aber lernfähig

Jeder der mal eine Zeitung gelesen hatte oder gar einen Fernseher besaß, wußte was Cannabis ist. Oder soll ich sagen Haschisch? Dass damit in Deutschland gute Geschäfte zu machen waren, wusste ich ja von den deswegen bereits Verurteilten, mit denen ich eingesessen war. Auch hatte ich von dem Preisunterschied zwischen Holland und Deutschland gehört. Bloß, wie man an das Zeugs hier in Amsterdam heran kam, dabei hatte ich nicht hingehört, wenn darüber gesprochen wurde. Die vormals weiße Tapete unseres Pensionszimmers sah am nächsten Morgen ziemlich rotgefleckt aus. So manche Mücke hatte ihre Blutgier mit dem Leben bezahlen müssen. Am Frühstückstisch ver­suchte ich unsere Wirtin dahingehend auszuhorchen, wo denn hier in Amsterdam der Treffpunkt der Drogentouristen sei. Wir würden im Auftrag eines befreundeten Ehepaares deren Tochter suchen, die sich vermutlich hier rumtreiben würde. Selbst in Deutschland hatte man schon des Öfteren diesen Treffpunkt im Fernsehen erwähnt oder gar gezeigt. Nur unsere Wirtin stellte sich doof. Konnte, wollte keine Auskunft darüber geben. So kaufte ich mir dann einen Stadtplan und nahm mir vor, von der Pension her immer größere Kreise zu ziehen. Irgendwann mussten wir dann ja auf die Szene stoßen. Fein säuberlich markierte ich die bereits begangenen Straßen und Plätze mit einem Kugelschreiber. Ich weiß nicht mehr die wievielte Grachtenbrücke wir überquert hatten, da fielen mir zwei in Öl gemalte Bilder ins Auge. Diese Bilder angebracht rechts und links neben einer Eingangstüre. Darüber stand in großen Lettern „Coffee-Shop!“. Den Begriff Coffee-Shop hatte ich auch schon mehrfach gehört. Und die beiden „Ölgemälde“ ließen keinen Zweifel darüber aufkommen, was es darin zu kaufen gab. Das linke Bild zeigte einen Mann, der mit breitem Grin­sen eine unverkennbare „Tüte“ rauchte. Auf dem rechten Bild war dargestellt, wie dem Kerl, mit Augen so groß wie Wagenräder, der Kopf platzte. Darüber nur drei große Buchstaben- „WUM!“ Das sagte doch wohl alles! Vor dem Coffee-Shop, auf dem Bürgersteig, standen zwei weiße Plastiktische mit jeweils vier ebensolchen Gartenstühlen. Darauf steuerte ich dann zu, bat Helga draußen Platz zu nehmen, während ich hineinging und um zwei Tassen Kaffee bat. Die junge, weibliche Bedienung hinter dem Tresen schaute kurz von ihrem Dreigroschenheft auf, sagte Jo. Nachdem ich nun draußen darauf wartete, dass uns der Kaffee gebracht würde, steckte ich mir schon die zweite Zigarette an, ohne dass sich etwas tat. Als ich diese Zigarette aufgeraucht hatte, begab ich mich wieder ins Innere des Coffee-Shops. Ich konnte weder erkennen, dass die Kaffeemaschine im Hintergrund in Betrieb war, noch dass die Bedienung ihren Lesestoff beiseite gelegt hatte. Verwundert fragte ich das Mädchen, ob sie denn meine Bestellung nicht verstanden hätte. Als Gegenfrage kam, ob ich denn was kaufen wolle. Ich begriff, dass ich gar nicht lange um den heißen Brei herumreden musste. Zu Trinken bekam man hier erst etwas, wenn man eine Bestellung in Form von Cannabis tätigte. Na, wenn das so war! Während die Bedienung mir diese Frage gestellt hatte, legte sie mir auch schon ein riesiges Album auf den Tresen. Dieses aufschla­gend sah ich, feinsäuberlich in kleine durchsichtige Plastiktüten eingeschweißt die verschiedensten Haschsorten. Jede Sorte beinhaltete jeweils zwei Gramm. Ein daran befestigter Zettel besagte, welche Sorte sich darin befand und was es kosten sollte. Ja, was war das denn? So einfach ging das hier in Holland ab? Dass Cannabis in Holland ganz legal zu erwerben gab, wusste ich ja aus vielen Fernsehberichten, aber so offiziell? Über den Preis, der auf den Tüten angebracht war, war ich dann doch etwas verwundert. Hatte man im Knast nicht erwähnt, dass das Zeugs in Holland viel billiger als in Deutschland auf dem schwarzen Markt gehandelt wurde? Da sagte das Fräulein auch schon in sehr gutem Deutsch, dass, würde ich vier Päckchen kaufen, ein fünftes gratis dazu bekäme. Alles schön und gut, aber lohnte sich bei der Preisspanne überhaupt das Risiko, es nach Deutschland zu schmuggeln? Wenn man schon bei vier Portionen eine dazu gab, fragte ich mich, könnte es doch noch größeren Rabatt geben bei der Abnahme einer größeren Menge. Diesen Gedanken sprach ich dann auch aus. Ich wollte, musste ja ohnehin eine größere Menge mit nach Deutschland nehmen, sollte es sich für mich lohnen. Interessiert fragte mich das Mädchen auch gleich, an welche Menge ich denn gedacht hätte. „Hundert Gramm?“ Ich schüttelte den Kopf und meinte, dass ich mehrere Freunde in Deutschland hätte, die daran interessiert seien. „Zweihundert?“ Eingedenk meiner noch gut 5000 Mark in der Tasche sollte es schon etwas mehr sein. Daraufhin sagte sie mir, dass sie zu Hause noch 270 Gramm liegen hätte. Sie machte mir dafür sogar einen Sonderpreis. Das hörte sich schon ganz gut an. Doch auch damit wollte ich mich nicht zufrieden geben. Dem Mädchen ging fast die Luft aus, als ich ihr die Größenordnung angab, an die ich eigentlich gedacht hatte. Ja, wenn das so sei, dann müsse sie ihren Chef anrufen, nur der könne mit solchen Mengen aufwarten. Sie telefonierte mit ihrem Chef. Es könne aber bis zu einer Stunde dauern, bis er kommen würde, wurde mir übermittelt. „Ok“. Wenn wir nun unseren Kaffee bekommen könnten, würden wir warten. Sofort begann sie frischen Kaffee zu mahlen und versprach ihn nach draußen zu bringen. Dann dauerte es aber doch fast zwei Stunden bis der Chef kam. Wir tranken Unmengen von frisch gepresstem Orangensaft und ließen uns vertrösten.

Im Endeffekt hatte sich das Warten gelohnt. Was ich Laie damals noch nicht wusste, hatte der Chef eine der besten Sorten mitgebracht. Genau 1020 Gramm. Dafür wollte er läppische 4000 Gulden haben. Ich Idiot fragte ihn, ob er auch DM nehmen würde. Natürlich! Hocherfreut nahm er das Geld in DM Scheinen an. Warum ich Idiot? Nun, hätte ich das Geld gleich um die Ecke in einer der vielen Wechselstuben in Gulden eingetauscht, hätte ich sage und schreibe 400 Mark gespart.

Natürlich wußte ich, dass der schwierigste Teil der Reise noch vor mir liegen würde. Die Grenz­kon­trolle beim Zoll. Ich war ja oft genug über die Jahre hinweg über den gleichen Grenzabschnitt gefahren, kannte schon so gut wie alle Beamten dort.

Pernod hält Hunde fern

Kleine Verzögerungen hatte es immer wieder mal gegeben, wobei ich so einiges beobachten konnte. So sah ich denn auch manchmal, wie Hunde durch verdächtig erscheinende Autos getrieben wurden. Ich rechnete nicht unbedingt mit einer gründlichen Filzerei von Seiten der Grenzbeamten vom Zoll. Aber dann gab es ohnehin kein Versteck, das unentdeckt blieb. Die Hunde machten mir daher schon eher Sorgen. Hatte ich nicht schon während meiner Seefahrtszeit einiges gelernt? Noch nie hatte ich meinen Kofferraum öffnen müssen bei meinen Reisen nach London. Zumindest nicht an der Deutsch-Holländischen Grenze. In Dover dagegen war bei der Einreise fast immer eine Kontrolle erfolgt. Der Hunde wegen kaufte ich eben eine Flasche Pernod, verschüttete davon die Hälfte im Kofferraum meines Autos. Diesen Geruch, dass wusste ich, mögen die Hunde gar nicht. Sollte also zufällig ein Hund in die Nähe meines Wagens kommen, würde er ganz bestimmt nicht anschlagen. Bevor man in Dover oder auch anderen Häfen auf die Fähre rauffahren kann, wird man in eine bestimmte Spur eingewiesen, nachdem man sein Ticket vorgewiesen hat und bekommt einen Aufkleber an die Windschutzscheibe geklebt. Diesen Auf­kleber beließ ich auch immer an der Windschutzscheibe, damit man an der Grenze gleich erkennen konnte, woher ich kam. Dadurch wurde das Risiko schon etwas gemindert, überhaupt kontrolliert zu werden. Außerdem ließ ich schön sichtbar mein Fährticket auf dem Armaturenbrett liegen worauf das P&O Label prangte. Die ebenso unübersehbaren Duty Free Einkaufstüten mit dem gleichen Label auf den Rücksitzen sollten auch zeigen, dass ich direkt aus England käme. Im Übrigen, wer vermutete schon, dass ein Paar um die 50 herum sich mit dem Schmuggel von Cannabis abgab? So verlief denn auch unsere Weiterreise nach Hannover ohne jedwedes Hindernis.

In Hannover hätte ich gut und gerne aus den 4000 DM Wareneinsatz meine 20 000 machen können, wäre ich denn das Risiko eingegangen, das Zeugs Grammweise an Straßenhändler zu verkaufen. Das wären dann zu viele Mitwisser gewesen. Immer wieder kam es doch vor, dass so ein kleiner Kiffer von den Bullen hopsgenommen wurde, der wiederum verpfiff natürlich seine Bezugsperson, um die eigene Haut zu retten. Dadurch dass ich meine Ware nicht unter hundert Gramm weg gab, minimierte ich das Risiko erheblich. Statt 500% beließ ich es deshalb lieber bei einem Verdienst von 100% und wähnte mich auf der sicheren Seite.

Das Ganze musste ja über kurz oder lang in die Hose gehen.

Nicht erst seit meinem Zigarettenhandel war ich im hiesigen Rotlichtviertel bekannt. Aber das wäre schon wieder eine andere Geschichte! Ich wollte nur erwähnen, dass ich dort genügend Bekannte hatte, die mir meine, dazu noch preiswerte Ware aus den Händen rissen. Ich hätte schon drei Tage später wieder nach Amsterdam fahren können, um für Nachschub zu sorgen. Hätte ich allerdings gewusst, welches Gesockse sich unter den Junkies befand, ich wäre diese vorübergehende Dro­gen­karriere nie eingegangen. Weil ich aber viel zu wenig Hintergrundwissen über dieses Metier hatte, musste das Ganze ja über kurz oder lang in die Hose gehen.

Irgendeiner meiner Großabnehmer musste dann doch wohl im Vertrauen mich als Lieferanten genannt haben oder war es der Ossi, der Ware auf Kommission bekommen hatte, dann aber nicht zahlen wollte/konnte? Mein Bodygard hatte ihm nach mehrfacher Zahlungsaufforderung kurzer­hand das Nasenbein zertrümmert. Ein weiterer kam in Frage, der der Polizei einen Tipp gegeben haben könnte. Auch der hatte sich mein Vertrauen erschlichen, sich ein paar Mal als kreditwürdig erwiesen. Hätte ich doch erkannt, dass er im Grunde genommen heroinabhängig war, sich durch den Verkauf von meinem Dope lediglich seine Abhängigkeit finanzierte. Solchen Süchtigen kann man nur von heute bis gestern über den Weg trauen. Meine Gutgläubigkeit und meine Devise, leben und leben lassen, sollte mich dann auch nach wenigen Monaten schon wieder hinter schwedische Gardinen verschwinden lassen. Diesmal aber gleich für elf Jahre und acht Monate. Nein, natürlich nicht wegen der 1200 Gramm Haschisch, die man in meinem Besitz fand, als die SOKO mich am 6. Dezember 1990 fest nahm. In der Folgezeit im Kittchen erst sollte ich die Charaktere von Heroinabhängigen kennenlernen. Nur, da war das Kind schon längst in den Brunnen gefallen oder anders gesagt, ich war im Bau gelandet.

Dem Kerl ging der Arsch auf Grundeis.

Es gab da einige Aspiranten, die sich verkrümelten, nachdem sie mich abgezogen hatten. Einen davon sah ich rein zufällig auf der Straße. Ich ließ mein Auto mitten im Kreisverkehr bei einge­schalteter Warnblinkanlage stehen, verfolgte den Typ. In einer Seitenstraße hatte ich ihn endlich eingeholt. Ich schleuderte den Kerl gegen ein Auto, hielt ihm drohend die Spitze meines Auto­schlüssels an den Hals und fragte ihn, wie er sich die ausstehende Zahlung vorstelle. Dem Kerl ging der Arsch auf Grundeis. Glaubte er doch ein Messer an seinem Hals zu spüren. Als ich ihn dann wieder los ließ, fasste er sich immer wieder an den Hals, dort wo er die kalte Spitze des vermeintlichen Messer gespürt hatte, besah sich seine Finger um zu sehen, ob sich Blut daran befand. In seiner Not versprach er mir das Blaue vom Himmel, nur um aus meiner Nähe zu entkommen. Natürlich sah ich ihn nie wieder! Auch er könnte der Tippgeber gewesen sein. Dabei hatten doch meine Abnehmer einen bei weitem größeren Verdienst an jedem Gramm. Zahlten sie bei mir 8 Mark für das Gramm, verhöckerten sie es grammweise für 20 Mark auf der Straße oder in Discos. Wenn es denn mal immer auch 1 ganzes Gramm gewesen wäre. Durch Verbindungs­leute ließ ich hin und wieder mal von meinen Abnehmern etwas aufkaufen. Selten mal, dass das angebliche Gramm mehr als 0,7-0,8 Gramm auf die Feinwaage brachte. Den einzigen Trost, den ich habe ist, dass die meisten dieser Junkies sich inzwischen mit dem Heroingift totgespritzt haben.

Ich habe nie gelernt, so richtig Nein zu sagen. Oftmals bin ich auch im Knast abgezogen worden. Die Typen verkaufen, wenn es sein muss, Frau und Kinder, Eltern und Großeltern, nur um an das Gift zu kommen. Die erzählen einem herzzerreißende Geschichten, wo man einfach Mitleid bekom­men muss. Erst immer hinterher musste ich feststellen, dass wieder einmal meine Gut­gläubigkeit ausgenutzt worden war. Anstatt Rückzahlung der Schulden bekam ich Schläge angeboten. Außer dass ich die Zigaretten- und Spielautomaten überlistete, sie damit betrog, liegt es mir überhaupt nicht, einen anderen Menschen aus Fleisch und Blut zu betrügen. Deshalb konnte ich auch nie glauben, dass andere Menschen dazu fähig sind. Jedesmal, wenn mir so eine Abzocke bevorstand, sagte ich mir, dass ich denjenigen beleidigen würde, der mir seine Geschichte erzählte und etwas von mir haben wollte. Irgendwann musste ich doch auf einen Mithäftling stoßen, der noch etwas Ehre im Leib hatte und nicht von vornherein an Betrug dachte. Inzwischen bin ich zu der Erkenntnis gekommen, dass Heroinsüchtige vollkommen ohne Gewissen durchs Leben gehen. Die Sucht hat ihnen eine Hornhaut über das Gewissen wachsen lassen.

Nachdem ich einen kleinen Abstecher in meine Zeit als Drogendealer gemacht habe, will ich nun zu dem Punkt kommen, der mir im eigentlich vernünftigen Alter einen Aufenthalt von 10 Jahren und 15 Tagen Knast an einem Stück einbrachte. Doch dazu muss ich nun doch wieder ein wenig zurückgreifen in die Drogenszene. Ein Möchtegern Zuhälter, namens Harry, war ein konstanter Abnehmer meiner SteintorHollandware. Der war am Steintor[1] bekannt, wie ein bunter Hund. Er brauchte seine Ware garnicht erst wie Sauerbier irgendjemandem anbieten. Er machte lediglich seinen Rundgang durch das JIM[2] Rotlichtmilieu. Es hatte sich schnell herumgesprochen, dass er immer gute Ware mit einem ordentlichen THC[3] Gehalt verkaufte. Da ich immer von dem gleichen Händ­ler in Amsterdam meine Ware bezog und das auch gleich kiloweise, bekam ich auch immer die beste Sorte von ihm. Harry verdiente auf diese Weise bis zu 1200 Mark in einer Nacht. Er hatte nur einen Fehler. Er, der er von seinen 40 Lebensjahren die Hälfte davon im Gefängnis verbracht hatte, hatte einen großen Nachholbedarf, was das Leben betraf. Bei einem täglichen Verdienst von Tausend Mark war er spielend in der Lage, zweitausend auszugeben. In diversen Bars und Kneipen im Rotlichtviertel war er sogar kreditwürdig. Jedenfalls konnte er überhaupt nicht mit Geld umgehen. Anstelle dass er sich eine normale Wohnung anmietete, zahlte er lieber mitten im Revier für ein kleines Zimmer in einem Stundenhotel jeden Tag 80 Mark. Für die 2400 Mark Monatsmiete in solch einem Kabuff hätte er sich locker eine schicke Villa mieten können. Aber nein, er fühlte sich gerade hier, zwischen all den Nutten und Ganoven so richtig wohl. Fast jeden Abend brachte ich ihm Nachschub, wobei auch er mir manchmal den Kaufpreis schuldig blieb. Im Laufe der Zeit wuchs sein Schuldenberg bei mir an. Einmal, weil ich ihm eigentlich keinen weiteren Kredit einräumen wollte, legte er mir eine Achtmillimeter dicke Panzerkette mit einem echten Goldeagle als Anhänger hin. Er wollte dafür 50 Gramm haben. Allerdings wollte er diese in den nächsten Tagen wieder einlösen. Dass dieses heiße Ware war, ahnte ich wohl. Wie heiß diese Kette allerdings war nicht.

 

 

Sechsunddreißigstes Kapitel

Die dümmste Aktion meines Lebens

Als ich ein paar Tage später die Zeitung aufschlug, hätte ich beinahe mein Frühstück wieder aus­gekotzt. Ein Bild zeigte einen Mann mit blutüberströmten Gesicht. Man hatte ihm beinahe den Schädel eingeschlagen. Passiert war das vor einer Rotlichtbar. Weil Harry wieder einmal kein Geld hatte, hatte er mir die Kette zur freien Verfügung überlassen. Was sollte ich alter, mickriger Kerl mit solch einer Protzkette anfangen? Ich bot diese bei einem Goldhändler zum Kauf an. Abgesehen davon, dass ich von der Händlerin ganz schön mit dem Preis übers Ohr gehauen worden war, gab sie später vor Gericht auch noch an, das teure Stück eingeschmolzen zu haben. Somit hatte sie einen Verdienst von über 4000 Mark in Sicherheit gebracht. Normalerweise hätte sie die Hehler­ware an den Besitzer zurückgeben müssen. Dadurch aber, dass sie der Polizei, nachdem sie von diesem Raubüberfall aus der Zeitung erfahren hatte, den Hinweis auf mich gab, hatte sie sich gleichzeitig Pluspunkte bei der Polizei geholt. Schließlich führte sie ein seriöses Unternehmen und hatte sich von mir den Ausweis zeigen lassen. Der dicke Reibach blieb bei ihr, und an mir der Polizei zu erklären, wie ich an die teure Kette gekommen sei. Laut Aussage des Geschädigten kam ich persönlich für den Überfall überhaupt nicht in Frage. War er doch von zwei richtigen Kerlen, nicht unter 190, zusammengeschlagen und beraubt worden. Ich hatte die besagte Kette natürlich zwar im Rotlichtviertel beim Billardspielen in der Ritze einer Polsterbank gefunden. Da ich meinen Fund aber nicht dem Wirt abgegeben hatte, bekam ich eine geringfügige Strafe wegen Fund­un­terschlagung. Wobei der Staatsanwalt es lieber gesehen hätte, ich wäre wegen Diebstahls ver­urteilt worden, denn dann hätte er mich ins Gefängnis stecken können, da ich ja wegen Dieb­stahls bereits vorbestraft war. Warum ich den Fund der Kette nicht angezeigt hatte, begründete ich damit, dass ich als armer Arbeitslosenhilfeempfänger der Versuchung einfach nicht hätte widerstehen können, daraus Kapital zu schlagen. Als ich dem Gericht auch noch die Summe nannte, die ich bei der Händlerin erhalten hatte, bekam diese eine gewisse Röte ins Gesicht und der anwesende Geschädigte bekam einen Wutanfall. Die Kette hatte einen tatsächlichen Wert von mehr als 5000 Mark. Dass sie diese eingeschmolzen haben wollte, konnte er nicht glauben. Ich auch nicht! Aber beweise einer das Gegenteil.

Ob Harry selbst an dem Raubüberfall beteiligt war, möchten Sie wissen? Kann ich nicht sagen. Jedenfalls war er keine 1,90m groß. Er war mal gerade 1,86m! Bin ich jetzt zu weit von meiner Geschichte abgewichen? Nein! Ich wollte mit diesem Zwischenbericht nur darstellen wie Harry immer in Geldnöten war. Eines Abends, ich war ohne Auto in der Stadt, setzte ich mich in einer Kneipe mit Harry zusammen und trank mit ihm ein paar Bier. Er übermittelte mir Grüße von ein paar Kiezgrößen, in deren Achtung ich gestiegen war, weil ich mich wegen der Kette vor Gericht so wacker geschlagen, aber niemanden verraten hätte.

Am Ende hatte ich mich auf die dümmste Aktion meines Lebens eingelassen.

Wenige Stunden und ein paar Glas Bier später wurde Harry schon zutraulicher mir gegenüber. Er erzählte mir im Vertrauen, dass er wisse, wo sich derzeit der Staatsfeind Nr. 1, na ja zumindest von Niedersachsen, aufhalte. Dem war näm­lich die Flucht mit Waffengewalt aus dem Gefängnis gelungen. Seine Frau, eine Polizisten­tochter aus Hannover, hatte die Waffe beim Besuch in der JVA Lingen reingeschmuggelt. Nun sei Bruno Reckert[4] schon seit Wochen auf der Flucht und ernähre sich von diversen Raubüberfällen auf Supermärkte und Banken. Es sprach so etwas wie Bewun­derung aus seinen Worten, als er mir dies schilderte. Ja, er brüstete sich damit, mit eben jenem Bruno Reckert, der als Boss der berüchtigten Golfbande[5] in die Schlagzeilen, aber auch in den Knast gekommen war, mit diesem zusammen gesessen hätte, wobei sie gute Freunde geworden waren. Am Ende jener nächtlichen Biersession hatte ich mich auf die dümmste Aktion meines Lebens eingelassen.

Für Harry war klar, seinen nächsten Coup im Osten zu starten.

Zum Teil lag dies natürlich daran, dass ich nicht gerade viel Alkohol vertragen konnte, aber auch an meinem Frust, den ich dem Staat gegenüber mit mir herumschleppte. Hatte man mich schon mit 46 Jahren quasi aus der Kartei der zu vermittelnen Arbeitskräfte ausgesondert, nachdem mein Sohn in dem Alter war, wo ich ohne weiteres wieder ins Berufsleben hätte einsteigen können, so bekam ich nach der Haftentlassung 1988 überhaupt keine Angebote mehr. Deshalb ja auch die Wiederaufnahme meiner Londonreisen. Nachdem dieses Geschäft geplatzt war, hatte ich mich zwangsläufig auf den Haschischhandel verlegt. Doch ehrlich gesagt: dieser Handel behagte mir überhaupt nicht, war ja auch mit viel höherem Risiko behaftet. Ich konnte mir ja schlecht auf die Stirn tätowieren lassen: „So jetzt zeige ich es euch allen mal, wozu ein 50-jähriger noch in der Lage ist!“ Es diente nur zur Stärkung meines Selbstbewusstseins, als ich mich in jener Nacht von Harry als Fahrer für einen Bankraub anheuern ließ. Wie naiv ich war, in Harry einen ganz harten, großen Gangster zu sehen, hatte er doch schon 20 Jahre von seinen 40 Lenzen im Bau verbracht, sollte sich erst viel später herausstellen. Er imponierte mir damit, dass er mir einen Zeitungsartikel zeigte, wo ein erst kürzlich stattgefundener Bankraub in der City von Hannover geschildert wurde. Diesen Raub hatte er mit einem Kumpel begangen, war in der nahe gelegenen U-Bahn Station unter­getaucht. Die Fahndung verlief erfolglos. Inzwischen dürfte auch diese Tat verjährt und die Akten darüber geschlossen worden sein. Bei seinem Lebenswandel hatte er keine Probleme damit, die Beute ziemlich schnell zu verprassen. Ein erneuter Beutezug war fällig. Für seinen nächsten Raubzug hatte er sich den Osten der Republik ausgedacht. Dort war gerade erst die Westmark eingeführt worden. Aus Medienberichten wusste er auch, dass in den neuen Bundesländern die Banken längst noch nicht den Sicherheitsstandard hatten, wie im Westen. Deshalb war für Harry klar, seinen nächsten Coup im Osten zu starten.

Dazu war allerdings ein Auto nötig. Er selbst hatte natürlich weder Auto noch Führerschein, Harry fand, dass ich kaltschnäuzig genug wäre, das Fluchtfahrzeug zu steuern. Damit schmierte er mir Honig ums Maul. Ich wurde wieder mal gebraucht. Mein Talent als guter Autofahrer hatte sich durch eine frühere Aktion im Rotlichtmilieu herumgesprochen. Hatte ich doch ein mich verfolgen­des Auto vollbesetzt mit Zuhältern, die mir ans Leder wollten, trickreich abgehängt. Andere Geschichte!

Erst am nächsten Tag kam mir so richtig zum Bewusstsein, worauf ich mich da eingelassen hatte. Mein Ehrenkodex, ein einmal gegebenes Versprechen niemals zu brechen, aber ließ es nicht zu, dass ich den Schwanz einzog.

Es war abgemacht, dass ich nur als Fahrer fungieren sollte. In die Bank selbst wollte er mit einem anderen Kumpel gehen, um Geld abzuheben, wie er es nannte. Ein paar Tage später rief er mich an, dass er mir seinen Kumpel vorstellen wolle. Ich bereitete ein extra schickes Menu vor, um eine gemütliche Atmosphäre bei unserem „Geschäftsgespräch“ zu haben. Helga war zur Spätschicht außer Haus. Schon nach wenigen Minuten war mir klar, dass ich mit diesem, seinem Kumpel, auf gar keinen Fall solch einen Coup durchziehen würde. In letzter Zeit hatte ich ja genügend Gelegenheit gehabt, die Drogenszene kennen zu lernen. Ich erkannte sehr schnell, dass der Typ, den er da angeschleppt hatte, der Fraktion der Heroinabhängigen angehörte. Harry machte auch gar nicht erst den Versuch mich umzustimmen, als ich ihm geradeheraus sagte, dass der Kerl für mich nicht in Frage käme.

Wie ich später erfuhr, saß ich inmitten von Hunderten von Jahren Knast!

Den nächsten Kandidaten lernte ich dann schon an einem neutralen Ort kennen. Was heißt schon neutral? Es war eine Kneipe, die in Hannover auch als Drogenumschlagplatz bekannt war. Der Kneipenbesitzer war ein Türke und wir vier waren die einzigen Deutschen unter etwa 15 Gästen. Ja, wir waren zu viert. Denn unser dritter Mann hatte seine Braut mitgebracht. Wie ich sehr schnell feststellen konnte, war das Pärchen clean. Na, zumindest nicht von der Nadel abhängig. Etwas abseits von den übrigen Gästen saßen wir auf einer kleinen Empore und unterhielten uns, während wir unsere Pfeile auf eine Dartscheibe warfen. Den uns beobachtenden Gästen, ausschließlich türkische Männer, lief der Sabber über die Lefzen, während sie jede Bewegung der zu uns gehö­renden naturblonden und außerordentlich hübschen Frau mit ihren Augen fickten. Die Frau könnte einem billigen Dreigroschenheft entsprungen sein. Sogar eine Von war sie. Aber daran ver­schwen­deten wir bei unserem Gespräch natürlich keinen Gedanken. Wolfgang, der an diesem Abend noch nicht ahnte, dass dies sein letztes Dartspiel in diesem Leben war, machte bei mir jedenfalls den besten Eindruck. Er hatte so gar nichts knackihaftes an sich, obwohl auch er mit seinen 39 Jahren 20 davon ohne größere Unterbrechung, im Knast verbracht hatte. Er war mit 19 erstmals eingeflogen, hatte Lockerungen, sprich Ausgänge zur Entlassungsvorbereitung bekommen und prompt ein neues Ding gedreht. So ging das ein paar Mal, bis er in das Hochsicherheitsge­fäng­nis nach Celle kam. Dort gab es dann keine Ausgänge oder gar vorzeitige Entlassung. Jetzt befand er sich seit knapp vier Monaten endlich auf freiem Fuß. Hatte natürlich einen enormen Nachhol­be­darf, was das verpasste Leben anging. Dieser Nachholbedarf kostete allerdings Geld. Harry und Wolfgang hatten viele Jahre gemeinsam in der JVA Celle verbracht, sich dort angefreundet. An diesem Abend schien mir, Wolfgang sei einem Modekatalog entsprungen. Sauber rasiert und in Schlips und Kragen lernte ich ihn kennen. Auch hatte er keine Einstichstellen an seinen Armen. Davon hatte ich mich vergewissert. Abgesehen davon, dass Wolfgang ein wirklich gut aussehender Mann mit ausgeprägtem sportlichen Körper durch intensives Krafttraining, wie es viele Spitzbuben zum Zeitvertreib im Knast betreiben, stand besagte Freifrau von … auf zwielichtige Typen, wie ihr ja später auch von der Staatsanwaltschaft bescheinigt wurde.

Nachdem wir uns ausgiebig berochen hatten, hatte Harry noch eine Überraschung an diesem Abend für mich parat. Bis auf den Termin hatten wir soweit alles geklärt. Dann meinte Harry, dass unser Vertrag einen würdigeren Rahmen verdient hätte. Im Taxi fuhren wir zu einem renommierten Italiener, wo wir unseren Hunger stillen wollten, wie Harry meinte. Dieser Schlawiner jagte mir in dieser Nacht noch einen ganz schönen Schrecken ein. Bei dem Italiener „trafen wir rein zufällig“ einen alten Bekannten von beiden. Harry wie auch Wolfgang kannten zumindest einen von den bereits anwesenden Gästen. Kurzerhand wurde ein weiterer Tisch herangeschoben und wie ich später erfuhr, saß ich inmitten von hunderten von Jahren Knast!

Ich ließ mir zunächst einmal meine Piccata Milanese und den Roséwein schmecken. Sambuco[6] wurde gleich flaschenweise von seinem Bekannten bestellt. Damit hielt ich mich aber zurück. Allzu schnell wurde mir schlecht, wenn ich Hochprozentiges trank. Ich wollte das leckere Essen ja nicht gleich wieder auskotzen. Harry allerdings ließ sich gerne immer wieder nachschenken. Für eine Weile zog er sich mit dem Bekannten an einen Nebentisch zurück, tuschelte mit ihm geheimnisvoll, wobei man oft zu mir herüber schaute.

Zu fortgeschrittener Stunde hatte sich das Lokal bis auf unsere Runde geleert. Harrys Bekannter hatte dem Alkohol ganz ordentlich zugesprochen. Nun fand er, dass er seiner Lebensfreude irgend­wie Ausdruck verschaffen müsse. Er stieg auf den Tisch und begann darauf zu tanzen. Na ja, das war nichts Besonderes für mich. Hatte ich doch während meiner Kellnerzeit genügend Partys erlebt, wo ausgelassene Gäste auf den Tischen tanzten. Aber als Harry mich dann ins Vertrauen zog, mir ganz stolz erzählte, dass der Tänzer der meistgesuchte Verbrecher Bruno Reckert sei, da wurde mir doch ganz anders zumute. Fuhren doch ständig Polizeiautos an diesem Lokal vorbei in Richtung der Polizeizentrale am Welfenbunker.[7] Die gesamte Vorderfront des Restaurants bestand aus Glas. Musste sich da nicht irgendwann ein vorbeifahrender Polizist darüber wundern, dass in diesem Nobelrestaurant ein Mann auf der weißen Tischdecke tanzte? Ich hatte nun wirklich keine Lust, mit neugierigen Polizisten zusammenzutreffen. Immerhin hatte ich auch noch 100 Gramm Haschisch bei mir, die ich noch ausliefern wollte. So zog ich dann lieber vor, das Weite zu suchen. Übrigens an diesem Abend hatte Wolfgang, der Bruno Reckert ja ebenfalls aus gemeinsamer Knast­zeit kannte, wie auch Harry, einen Magnum Revolver für den anstehenden Bankraub ausgeliehen. Das erfuhr ich allerdings erst Tage später.

1992, als ich begann darüber nachzudenken, wie ich in diese Bedroullie geraten war, saß ich bereits in der JVA Cottbus in U-Haft.

Wie konnte ich in diesen verpfuschten Lebensverlauf hineingeraten?

Bis zu vier Mal in der Woche wurden Harry und ich mit einem Gefangenentransporter nach Frank­furt/Oder gekarrt, um an unserer Verhandlung wegen des Bankraubs teilzunehmen. 25 Verhand­lungstage, verteilt auf fünf Monate, benötigte das Gericht, um ein Urteil zu fällen. Das dürfte in die Kategorie Seltenheitswert fallen. Wann gibt es das schon, dass ein mickriger Bankraub ein Gericht so lange beschäftigt? Selbst Mordfälle gehen meist schneller über die Gerichtsbühne. Während ich nun auf die sporadischen Gerichtstermine wartend in meiner maroden Gefängniszelle saß, began­nen Depressionen von mir Besitz zu ergreifen, hatte ich immerhin noch soviel Durchblick, dass ich dagegen ankämpfen müsse. Immer wieder fragte ich mich, wie ich in diesen verpfuschten Lebensverlauf hineingeraten konnte.

Die in der JVA tätigen Beamten waren allesamt, bis auf den Anstaltsleiter aus NRW, aus DDR Zeiten übernommen. Denen war ich haushoch überlegen mit meiner Kenntnis vom Strafvollzugsgesetz. Alle Beamten zitterten noch um ihre Jobs. Die Überprüfung ihrer Stasi Vergangenheit war noch in vollem Gange. Wenn überhaupt, kannten die Beamten als Fremdsprache gerade mal etwas Russisch.

So langsam aber füllten sich die östlichen Gefängnisse mit Multi-Kulti Gefangenen. So konnte ich mich des Öfteren bei den Beamten als Dolmetscher nützlich machen. Als Gegenleistung liehen sie mir die vorsintflutliche Schreibmaschine aus dem Vernehmungszimmer aus und gaben mir auch das nötige Schreibpapier dazu. So konnte ich damit beginnen mein Leben aufzuarbeiten. Nicht dass ich etwa den Leser um Verständnis oder gar Mitleid für meine Verbrecherlaufbahn gewinnen möchte. Oder doch ein wenig Verständnis? Jede Ursache hat eine Wirkung; oder wie heißt das Sprichwort? Nachdem der Prozess fünf Monate gedauert hatte, etwa 80 Zeugen ihre Aussagen gemacht hatten, fand das Gericht ein „gerechtes“ Urteil.

Ich war mit meinen Lebenserinnerungen gerade mal auf Seite 111 angekommen. Dann gilbten die Blätter 13 Jahre vor sich hin. Erst dann, als wieder Depressionen mein Leben bestimmten, wurde ich dazu ermuntert, doch weiter an meinem „Buch“ zu arbeiten.

Fußnoten

[1] Platz in Hannover. Kurzbezeichnung für das Steintorviertel, der Rotlichtbezirk in Hannover, ein Rechteck, gebildet aus Reuter-, Goethe-, Reitwallstraße sowie Am Marstall. Karte: https://www.google.de/maps/place/Hannover+Steintor/@52.3751837,9.7321234,17z/data=!4m5!3m4!1s0x47b074bb32d9e8df:0x3303e3185652e5a6!8m2!3d52.376772!4d9.732912

[2] Gemeint sein dürfte das Restaurant Jim Block in Hannover https://www.jim-block.de/restaurant-hannover.html

[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Tetrahydrocannabinol

[4] Bruno Reckert war ein hochkarätiger Krimineller. Neben seine vielen Straftaten und erfolgreichen Fluchten wurde er besonders durch die Flucht mit Geiselnahme aus der Celler JVA bekannt. Ein paar Links: Polizei Djangos und Kamikazes, http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13490936.html

Geiseln – Ungeheurer Dusel, http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13492397.html

Geiselgangster gibt Raubüberfälle zu https://www.neues-deutschland.de/artikel/330514.geiselgangster-gibt-raubueberfaelle-zu.html

Flucht aus der JVA Celle, https://de.wikipedia.org/wiki/Dirk_Dettmar

[5] Auch als GTI-Bande bekannt.

[6] Gemeint sein dürfte Sambuca, ein in der Regel farbloser, klarer Likör mit 38 bis 42 Volumenprozent Alkohol. Er wird mit Anis, Sternanis, Süßholz und anderen Gewürzen aromatisiert. https://de.wikipedia.org/wiki/Sambuca

[7] Welfenbunker, am Welfenplatz, ein Luftschutzbunker aus dem 2. Weltkrieg

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