Dierk Schaefers Blog

Du Arschloch, du Wichser!

Der Wortwechsel zwischen dem Münchner Amokläufer und dem Baggerfahrer Salbey[1] wird als Schlüsselszene bezeichnet. Warum?

Milde gesagt befremdet dieser Dialog den Bildungsbürger, allerdings eine aussterbende Spezies. Politisch korrekt wäre es gewesen, wenn ein Psychologe oder ein Notfallseelsorger Seelenmassage betrieben und den Täter zum Aufgeben bewegt hätte. Das wäre auch eher meine Herangehensweise gewesen. Ob erfolgreich weiß ich nicht.

Auch der Brutaldialog des Baggerfahrers Salbey war nicht risikofrei. Schließlich hatte der Täter – wie wir nun wissen – noch eine beachtliche Zahl von Patronen im Rucksack. Er hätte noch weiter durchdrehen können. Doch er ließ sich auf das Gespräch ein, was Fachleute immer als ersten Erfolg bewerten, und verlegte sich auf Begründungen und Entschuldigungen:

„Wegen euch wurde ich gemobbt!“

Herr Salbey lässt sich davon nicht beirren. Er fährt mit seinen Beschimpfungen fort, ohne auch nur ein einziges Argument zu bringen, ohne auf die psychische Lage des Täters, von ihm selbst offenbart, einzugehen. „Du Arschloch, du Wichser“.

Damit offenbart er dem Täter seine klägliche Situation. Der wollte sich an der Gesellschaft rächen und dabei groß rauskommen, insofern ein typischer Amoktäter. Dieser Narziss kriegt aber nun von einem einfachen Mann, vermutlich bildungsmäßig unter ihm, schonungslos den Spiegel vorgehalten. Du bist ein Loser, ein Nichts! Das bricht den psychischen Widerstand des Täters. Es wird die abgrundtiefe Verzweiflung gewesen sein und eben nicht die letzte großspurige Abschlusstat, als er sich in den Kopf schoss.

Wie gesagt, es hätte auch schiefgehen können.

Was lernen wir daraus?

Wir müssen den Tätern und damit auch allen potentiellen Tätern, die Aussicht auf eine Heldengloriole nehmen.

Wir selber, besonders die Medien, sollten nicht fasziniert life dem Ablauf folgen, sondern das Ergebnis am nächsten Tag abwarten. Eine Freundin erzählte, sie sei bis nachts um halbeins nicht vom Fernseher losgekommen. Warum? fragte ich, du wärest besser ins Bett gegangen.

Wir brauchen weder Täternamen noch Täterporträts. Die nutzen nur der Einschaltquote und damit dem, wenn auch negativen Personenkult.

Wir brauchen die schonungslose Aufdeckung der erbärmlichen Denk- und Wahrnehmungswelt der Täter. Sie sind Menschen, die mit ihrem Leben nicht zurechtkommen, nicht zurechtgekommen sind. Eigentlich verdienen sie Mitleid. Doch das ist schon verbraucht für ihre Opfer.

Falls die Täter überleben, gebührt ihnen ein gerechter Prozess – und danach eine Psychotherapie, die ihnen hilft, nach einem verpfuschten Leben einen bescheidenen Neustart hinzukriegen.

Wir brauchen aber insgesamt mehr Aufmerksamkeit für Menschen, die sich gekränkt fühlen, die zuweilen auch tatsächlich gekränkt wurden[2]. Wenn wir das ganz nüchtern und ohne Aufdeckungshysterie hinkriegen, wäre es der wichtigste Beitrag zur Prävention.

[1] http://www.focus.de/politik/videos/nach-toedlichen-schuessen-in-muenchen-ich-bin-deutscher-anwohner-filmte-streitgespraech-mit-einem-der-attentaeter_id_5755674.html

[2] http://m.welt.de/vermischtes/article149321704/Die-zerstoererische-Macht-der-Kraenkung.html