Inklusion und der ideologische Mainstream.
Wer Inklusion nicht rundweg gutheißt, ist ein Unmensch. Der politisch-korrekte Mainstream duldet keine Differenzierungen. Behinderung ist Behinderung und der muss man inklusiv begegnen. Wer diese Meinung nicht teilt, wird gar nicht oder nur feindselig zur Kenntnis genommen.
Vor wenigen Tagen konnte man lesen, dass in Niedersachsen bereits Inklusionskinder in der 5. Klasse des Gymnasiums sind, die den Zahlenraum von 1-10 nicht beherrschen.
Heute schreibt Klaus Ruß in der FAZ über die „dunkle Seite der Inklusion“.[1] Er nennt pseudonymisiert drei Fälle.
Da haben wir Ben: »Eine 7. Realschulklasse wartete jüngst in einem Kleinstadtbahnhof auf den Zug. Die Jugendlichen saßen auf dem Boden und tippten alle auf ihren Handys herum. Niemand sprach. Ein Junge stand abseits, ohne Smartphone, und hörte unbeteiligt zu, als die Lehrerin den „Handystumpfsinn“ kritisierte und verlangte: „Jetzt kümmert sich mal jemand um Ben!“ Keine Reaktion, und die Lehrerin erklärte einem Bekannten auf dem Bahnsteig die Situation: „Die Kinder haben Whatsappgruppen; und weil Ben lernbehindert ist, kann er ein Smartphone nicht bedienen und hat mit den andern auch sonst nichts zu tun. Dem Unterricht kann er nicht folgen. Er sitzt da halt rum, und zweimal in der Woche kommt sein Förderlehrer und macht was mit ihm.“«
Und dann Patrick: Im Unterschied zu Ben macht er zusätzlich Arbeit. »Ein hochaggressiver Junge, der von einer Schule für Erziehungshilfe in die 3. Klasse einer Grundschule überwiesen wurde und Lehrerin M. mit dem Gedanken spielen lässt, ihren Beruf aufzugeben. Wenn Patrick zornig wird, wirft er sich auf den Boden und kotet ein. Die Kinder schreien. Frau M. bleibt nur, Patrick aufzuheben und zur Schulleiterin zu schleppen. Die wiederum behilft sich mit süffisanten Bemerkungen zur pädagogischen Kompetenz von Frau M. und empfiehlt „mehr Gelassenheit“. Wer als Lehrer ohne einschlägige Therapieausbildung mit psychisch kranken oder schwer lernbehinderten Kindern umgeht (und das noch umgeben von den anderen Kindern der Klasse), vergeht sich am Wohl dieser Kinder. Und wer solches anordnet, weiß in der Regel nicht, was er tut; die Fähigkeit zum Umgang mit beeinträchtigten Kindern wächst nicht mit der Höhe der Schulhierarchie. Patricks Mitschüler erleben die Erosion eines geordneten Unterrichts, werden nicht kundig belehrt über sein Verhalten und sind ratlose Zeugen, wie die geliebte Lehrerin ihre Ruhe, Stärke, Autorität und Selbstachtung einbüßt. Für diese Kinder ist die Schule kein sicherer Ort mehr.«
Schließlich Quentin: »Ärztliche und therapeutische Schweigepflicht, die Amtsverschwiegenheit der Lehrer und sonstige Regelungen des Datenschutzes hüllen solch ein Kind wie Quentin schützend ein und vereiteln damit alle relevanten Ziele von Inklusion. Dieser Junge besucht mittlerweise die 8. Klasse eines Gymnasialzweiges, begleitet von einer „Teilhabeassistentin“ und einige Stunden pro Woche von einer Förderlehrkraft für „Geistige Entwicklung“. Am Unterricht seiner Klasse hat er ebensowenig Anteil wie an deren sozialem und psychischem Erleben, das stark von der Pubertät geprägt ist. „Ob er dabei ist oder nicht, ist irgendwie egal. Er läuft halt mit“, konstatiert eine Lehrerin, die natürlich anonym bleiben will und keine Ahnung hat, wie lange „dieses Spiel“ noch weitergeht. Die Mitschüler dürfen nicht sagen, Quentin sei „krank“. Auch „behindert“ ist unerwünscht und soll dem Euphemismus „anders begabt“ Platz machen. „Die Kinder reden dann mit gespaltener Zunge, bloß weil Eltern und einschlägige Ideologen den Tatsachen nicht ins Auge sehen können. Solche Unwahrhaftigkeit ist Gift für eine Inklusion, die allen Kindern dienen muss.“ In Quentins Schule wird darüber gerätselt, ob er „durchs Abitur geschleift wird“ und weshalb er nicht auf die Hauptschule geht, deren Lern- und Bildungsziele er auch nicht erreichen könnte. Handfest ist die Irritation des Schülers Jonas, der ein Schuljahr wiederholen muss: „Wie kann es denn sein, dass Schüler mit schlechten Leistungen sitzenbleiben oder gar von der Schule geschmissen werden und Quentin bleibt, obwohl er ja gar nichts kann? Das ist nicht seine Schuld, aber manche Sitzenbleiber haben auch keine guten Chancen mitbekommen.“ Diese Form der Ungerechtigkeit ist Kindern nicht zu erklären.«
Es scheint der geheime Plan der Inklusionsideologen zu sein, Schule überhaupt in ihrem Lernanspruch zu nivellieren[2]. Kinder mit Behinderungen geistiger oder verhaltensmäßiger Art behindern die normalen Kinder, auch die hochbegabten. Darf man solche Differenzierungen überhaupt noch machen?
Um es deutlich zu sagen: Kinder sollen gefördert werden, auch nach individuellem Bedarf. Wenn sie das Klassenziel (nach Lehrplan) verfehlen, müssen sie wiederholen (doch das soll folgerichtig möglichst auch abgeschafft werden, wie auch die Noten). Wenn Kinder erkennbar von Beginn an in der gewählten Schulart keine Chance auf Erfolg haben, muss man ihnen die Beschämung ersparen und sie so beschulen, wie es ihren Fähigkeiten entspricht; dort treffen sie auf Fachleute, die den pädagogisch-förderlichen Umgang mit solchen Kindern gelernt haben. Dies entspricht dem Kindeswohl sowohl der Kinder mit speziellen Behinderungen und dem der anderen Kinder, die nun ihren Fähigkeiten angemessen unterrichtet werden können.
Kinder mit einer körperlichen Behinderung können in der Regel gut „inkludiert“ werden, weil sie dem Unterricht folgen können und nur „logistische“ Hilfen benötigen. Hier müssen die Kommunen als Schulträger für die erforderliche Ausstattung ihrer Schulen sorgen.
Doch das Inklusionsprojekt ist ohnein als Moralanspruch gestartet und als Sparmodell gelandet.
Hier im Blog war Inklusion schon mehrfach Thema.[3]
Fußnoten
[1] Leider bisher nur in der Printausgabe verfügbar. FAZ, Donnerstag, 5. Oktober 2017, S. 8, Zitate sind diesem Text entnommen. Ich habe den gesamten Text gescannt und schicke ihn gern per Mail zum persönlichen Gebrauch.
[2] Das sind die Leute, die das Gymnasium am liebsten abschaffen wollen. Sie halten Eliten für überflüssig, gar für schädlich. Lediglich im Sport wollen sie die dörfliche Fußballmannschaft nicht in die Bundesliga inkludiert sehen.
[3] https://dierkschaefer.wordpress.com/2013/04/03/die-illusion-der-inklusion/
https://dierkschaefer.wordpress.com/2017/05/18/wenn-inklusion-bloss-illusion-waere/
https://dierkschaefer.wordpress.com/2016/04/07/kinderrechte-inklusion-macht-kinder-zu-verlierern/ Man beachte auch die Kommentare!
Wenn Inklusion bloß Illusion wäre, …
… aber sie ist politischer Betrug. Hansgünter Jung berichtet heute vom Praxisschock[1]. Der war allerdings abzusehen und wurde vielfach vorausgesagt, nicht nur hier im Blog.[2]
Jung schreibt: »Die inklusive Schule war lange Zeit ein Selbstläufer. Ihre Protagonisten brauchten nur das Wort „UN-Behindertenrechtskonvention“ auszusprechen – und unbequeme Fragen zu Sinnhaftigkeit und Rechtmäßigkeit dieses bildungspolitischen Großprojekts wurden gar nicht erst gestellt. Gesinnungsethische Beflissenheit ersetzte juristische Hermeneutik. Doch jetzt bahnt sich im öffentlichen Diskurs eine Wende an. Sie beruht auf einem Praxisschock, der gleich von zwei Seiten kommt. Die Eltern der behinderten Kinder erleben, wie eine Förderschule nach der anderen aufgelöst wird. Gleichzeitig hat sich der Blick der Öffentlichkeit dafür geschärft, wie schwierig Inklusion in den meisten Fällen ist: schließlich gilt es den Lernbehinderten, geistig Behinderten und Verhaltensauffälligen gerecht zu werden. Die Sensibilisierung hat etwas damit zu tun, dass die Lehrkräfte der Regelschulen neuerdings vor eine weitere Aufgabe gestellt sind. Sie müssen jetzt auch noch zahlreiche Flüchtlings- und Migrantenkinder ohne Deutschkenntnisse unterrichten und erziehen. Jetzt hört man den überforderten Lehrkräften endlich zu, wenn sie fragen: „Was sollen wir eigentlich noch alles leisten?“«
Mich wundert diese Entwicklung nicht, höre ich doch ähnliches aus dem Schulbereich von meinen Bekannten.
Fußnoten
[1] Hansgünter Lang, Inklusion vor der Wende, Lange Zeit waren die kritischen Stimmen zur Integration behinderter Schüler kaum zu hören, nun stellt sich der Praxisschock ein. Zitate aus diesem Artikel. FAZ-Print, Donnerstag, 18. Mai 2017. Wird wohl nicht digital erhältlich sein. Ich habe den Artikel gescannt und schicke ihn gern auf Mailanforderung zur privaten Verwendung.
[2] https://dierkschaefer.wordpress.com/2013/04/03/die-illusion-der-inklusion/
https://dierkschaefer.wordpress.com/2016/04/07/kinderrechte-inklusion-macht-kinder-zu-verlierern/
USA auch nicht besser als die Saudis: Mutmaßlich geistig Behinderter hingerichtet
»Tatsächlich hatten drei vom Staat angeheuerte Gutachter im Jahr 2000 bescheinigt, dass Hill nicht geistig behindert sei. Sie widerriefen diese Bewertung aber vor zwei Jahren – zum Teil mit der Begründung, dass sie den Häftling seinerzeit nur flüchtig untersucht hätten.«[1]
Da hatten die furchtbaren Juristen in Georgia eigentlich genug Zeit, das Todesurteil zu revidieren. Was für ein Urteil kriegen die denn nun?
[1] http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/kriminalitaet/usa-mutmasslich-geistig-behinderter-hingerichtet-13394726.html
Die rechte Tür zum Himmel
Die Untersuchung der Fürsorgeeinrichtung Himmelsthür[1] eröffnet einen Horizont, der bisher nicht so deutlich in Erscheinung getreten ist. In aller Deutlichkeit zeigen die Autoren die unheilige Allianz auf, die zwischen Staat und Kirche bestanden hat. Aus zunächst idealistisch-christlicher Motivation entstanden bei Hildesheim und anderswo „christliche Werke“, die Hilfsbedürftige unterschiedlicher Art geradezu von der Straße aufsammelten, sich über Stiftungen, Spenden, Kirchenkollekten und eigene wirtschaftliche Tätigkeiten unter Inanspruchnahme der „Zöglinge“ finanzierten.[2] Der letzte Punkt entsprach zudem einem Erziehungsziel, nämlich die Heranführung an ein selbständiges Leben in ländlichem bzw. kleinbürgerlichem Rahmen. Arbeitstherapie nannte man das. Man kassierte eher notgedrungen auch staatliche Zuschüsse inform von Tagessätzen und Darlehen. Nicht für alle Zöglinge zahlte der Staat, also mußte querfinanziert werden. Die finanzielle Lage der Einrichtungen war immer prekär, denn die staatlichen Behörden wollten so wenig wie möglich ausgeben. Die Einrichtungen standen in Konkurrenz untereinander und betrieben aus falsch verstandenem Selbsterhaltungsbestreben Preisdumping, sie hielten die Tagessätze niedrig, verzichteten wegen ihrer Eigenständigkeit oft auch weitgehend auf staatliche Unterstützung[3] und betrieben ihre „Waschsalons“ zu Preisen, mit denen kein normaler Betrieb konkurrieren konnte. Dies führte zu Einsparungen bei der Versorgung, bei den Löhnen, soweit überhaupt welche gezahlt wurden, und zur Weigerung, mit gestiegenen Anspruchsstandards an die Heimpädagogik besser bzw. überhaupt ausgebildetes Personal einzustellen. Himmelsthür beschäftigte Erziehungszöglinge[4] als Personal für die Kleinkindereinrichtungen.
Eine unheilige Allianz zwischen Staat und Kirche, – doch sollte man besser sagen: zwischen Gesellschaft und Kirche. Die Gesellschaft wollte die „Überflüssigen“ passend gemacht sehen, auf jeden Fall aber aus den Augen haben – und das sollte möglichst wenig kosten. Die Kirchen nahmen der Gesellschaft das unappetitliche Geschäft ab und entwickelten die kostensparenden Modelle. Das entbindet sie nicht von der Verantwortung für die Zustände in den Heimen und ich frage mich, wie wir die „Tafel-Läden“ und „Vesperkirchen“ einzuordnen haben. Auch hier wird Armut entschärft, damit die Gesellschaft ihre Ruhe hat, und das zu günstigen Kosten.
Kinderheime waren auch anderswo in einer solchen Bredouille, wie ein Schweizer Beispiel belegt.[5]
Kinder müssen inzwischen nicht mehr durch eigene Arbeit an den Unterbringungskosten beteiligt werden – allerdings werden Eltern nach Möglichkeit dazu herangezogen. Kinder und Jugendliche allerdings auch, sofern sie Geld verdienen.[6] Das trifft für Kinder in der Regel nicht zu und für Jugendliche müssten die Freigrenzen schon aus pädagogischen Gründen deutlich erhöht werden. Wie will man sonst die Arbeitsmotivation aufrecht erhalten? Es reicht doch, wenn die Kids schon mit ihren Eltern Pech gehabt haben.
Doch nun zur Himmelsthür:Rezension Himmelsthür
[1] Hans-Walter Schmuhl, Ulrike Winkler, Vom Frauenasyl zur Arbeit für Menschen mit geistiger Behinderung, 130 Jahre Diakonie Himmelsthür (1884-2014)
[2] https://dierkschaefer.wordpress.com/2014/10/22/wo-sollten-wir-hin-war-wollte-uns-ja-schon/
[3] Die Eigenständigkeit hätte zur Diskussion gestellt werden können bei den Kosten für den christlichen Teil der Erziehung. Hier wollte man freie Hand behalten.
[4] Die waren per Definition charakterlich nicht geeignet und schon gar nicht ausgebildet.
[5] http://mobile2.derbund.ch/articles/11581132 Sonnabend, 10. Januar 2015
[6] http://www.swr.de/landesschau-aktuell/jugendamt-pflege-und-heimkinder-muessen-zahlen/-/id=396/did=13661362/nid=396/1xbqfbw/
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